Buchauszug Monika Scheddin „Connection. Überzeugen mit Charakter Charme Charisma“

Buchauszug Monika Scheddin „Connection. Überzeugen mit Charakter Charme Charisma“

 

Monika Scheddin (Foto: PR/Jurate Jablonskyte)

 

Charisma

Charisma = Wärme + Ahnung + Kraft + Richtung

Charismatische Menschen müssen nicht unbedingt Marken sein, und Marken müssen nicht zwangsläufig charismatisch sein. Was sie gemeinsam haben: Sie kommen gut an und haben Anziehungskraft »Hipp« ist definitiv eine Marke, aber als charismatisch empfinde ich den Chef der Babybrei-Firma nicht.

Allerdings habe ich erfahren, dass völlig unscheinbare Persönlichkeiten auf der Bühne plötzlich eine unglaubliche Strahlkraft, also Charisma, entwickeln können. Wir umgeben uns gern mit charismatischen Menschen, weil sie Wärme und Ahnung ausstrahlen, Kraft und Richtung vorleben und uns damit Sicherheit geben. Es sind Menschen, die vor Energie sprühen, sodass wir in ihrer Umgebung inspiriert und energetisiert sind. Trotzdem ist es gar nicht so einfach herauszufinden was genau den Zauber ausmacht.

Und selbst wenn man eine Ahnung von den Zutaten für Charisma bekommt, bleibt die Frage: Ist Charisma in die Wiege gelegt oder können wir uns Charisma quasi erarbeiten? Ich bin der Überzeugung, dass man Charisma lernen kann. Warum? Weil ich mit meiner 25-jährigen Erfahrung als Coach herausgefunden haben, dass sich in der Regel die Menschen optimieren wollen, die ohnehin schon auf einem guten Weg sind. Die, die es dringend nötig hätten, kommen nicht auf die Idee, sich weiterentwickeln zu wollen. Und so interessieren sich Menschen mit guter Kinderstube für Business-Etikette-Kurse, Menschen mit Geschmack besuchen ein Farb- und Stil-Seminar, und andere, die über Empathie verfügen, lesen die entsprechenden Bücher über selbige Themen.

Manchmal ist es so, dass Menschen mit fehlenden Fähigkeiten von ihren Vorgesetzen zum Coach oder ins Training geschickt werden mit der klaren Ansage: »Optimieren Sie Ihre Führungsfähigkeiten, Ihr Konfliktverhalten oder Ihre Teamfähigkeit!« Und auch da ist Hoffnung realistisch, denn ich habe vielfach erlebt, dass Menschen mit starker Motivation nicht selten Talent schlagen. Grundsätzlich ist Charisma also lernbar.

 

Charisma ist lernbar

Gemeinsam mit meiner Freundin und Kollegin Nicola Tiggeler, Schauspielerin und Stimmtrainerin, gebe ich Seminare zum Thema »Charisma«. Mit unseren Teilnehmern diskutieren wir gern darüber, wer für uns charismatisch ist.

Die Meinungen sind nicht selten konträr. Und auch Nicola und ich sind längst nicht immer einer Meinung. Für die einen sind die Queen und der Papst charismatisch, für andere nicht. Auf die grandiose Schauspielerin und mehrfache Golden-Globe- und Oscar-Preisträgerin Emma Thompson können wir uns genauso einigen wie auf Oprah Winfrey.

Ob wir jemanden als charismatisch empfinden oder nicht, hat mit unserem ganz subjektiven Empfinden und unseren Werten zu tun. Ich weiß noch gut, wie ich die Politikerin Renate Künast von den Grünen persönlich kennenlernte. Live war sie unglaublich überzeugend, humorvoll und geistreich, charismatisch. Eine Wirkung, die übers TV für mich vorher nicht rüberkam. Auch viele Interviewgäste, die wir beim Gute-Leute-Mittagstisch begrüßen dürfen, würde man am Stehtisch vermutlich übersehen. In dem Moment jedoch, wo sie das Wort übernehmen, entwickeln sie eine schier unglaubliche Strahlkraft. Und auch Sektenführer oder Diktatoren müssen eine charismatische Ausstrahlung (gehabt) haben, sonst könnten sie ihr Unwesen nicht treiben.

 

 

Was sind die Zutaten für Charisma?

Reife

Charismatiker wissen, was sie tun – im Guten wie im Schlechten. Sie sind nicht perfekt und stehen zu ihren Ecken und Kanten. Wer selbst-bewusst ist, sich also über seine Wirkung und Leistung und seiner Grenzen bewusst ist, strahlt eine lässige Klarheit aus.

Wie beim Diamanten machen auch beim Menschen seine innere Größe, sein Gewicht (Inhalt, Wissen, Kompetenz, Erfahrung), aber ganz besonders die Ecken und Kanten das Funkeln, seinen »Wert« aus. »Ein ungeschliffener Rohdiamant« – so bezeichnet man häufig Menschen mit noch nicht aktiv gelebtem Potenzial.

Es geht darum, die eigenen Ecken und Kanten erst einmal überhaupt wahrzunehmen und sie sich dann einzugestehen. Nicht alles muss optimiert werden. Eine gesunde Fehlertoleranz ist hilfreich und menschlich. Wer weiß, dass er bisweilen ungerecht ist, sich leidenschaftlich ärgert, anspruchsvoll ist, der kann dazu stehen, vor allem dann, wenn die Phasen kurz sind und er in der Lage ist, sich zu entschuldigen.

Reife impliziert eine feine Antenne für das Gegenüber.

 

Selbstvertrauen

So oft höre ich von meinen (meist) weiblichen Kunden: »Bevor ich mich bewerbe/ auf die Bühne traue/ mich selbstständig mache, brauche ich erst mehr Selbstvertrauen.«

Ich frage dann gern mal nach: »Wo soll es denn herkommen, das Selbstvertrauen?«

Selbstvertrauen bekommt man nicht vererbt, man kann es sich nicht anlesen und auch nicht ausleihen. Selbstvertrauen ist eine Überwindungsprämie. Erst tun, wovor man sich fürchtet, und dann kommt quasi als Belohnung das Selbstvertrauen, nicht umgekehrt.  Man fängt das Projekt »Selbstvertrauen« an, indem man sich dafür entscheidet; dann fokussiert man sich auf die Stärken und achtet darauf, dass man sich nicht unnötigerweise kleinmacht.

Wir Frauen können uns hier und da etwas von den Jungs abschauen: Männer stellen sich frontal vor den Spiegel, nicken sich freundlich zu und denken dann großzügig: »Passt schon!« Frauen machen den großen Fehler, sich auch noch von der Seite anzuschauen.

 

Kein mutwilliges Kleinmachen!

»Ich habe die hässlichsten Füße, die man sich vorstellen kann«, sagt eine Freundin. »Und so furchtbar dünne Haare. Die verdecken meine Segelohren kaum.«

Ich bin verdutzt. Solange wir uns kennen, habe ich diese »Fehler im System« bei ihr gar nicht bemerkt. Erst mit ihrer harschen Selbstkritik bemerke ich ihre »Segelohren«.

Weil die Freundin einen gnadenlosen Blick auf sich selbst entwickelt hat, schaut sie andere ebenso an.

Kennen Sie das, wenn Sie von Personen von oben bis unten abgescannt werden? Das sind nicht die Momente, in denen man sich sauwohl fühlt. Nutzen Sie das zur Übung für Ihr Selbstvertrauen mit dem Wissen: Wer Sie ungroßzügig verurteilt, ist mit sich selbst ebenso unzufrieden und verdient unsere Sympathie. Das Gegenüber kann nicht anders.

Äußerst charismatisch ist Pink. Sie ist nicht nur eine fantastische Sängerin mit Humor, Standing, Botschaft und Mega-Bühnenshow, sie schafft es zudem, bodenständig zu bleiben und Menschen tief zu berühren. Während eines Konzerts erzählt Pink, wie ihre Tochter Willow mit gerade mal sechs Jahren erklärt, sie sei das hässlichste Mädchen, das sie kenne. Pink bleibt für einen Moment sprachlos. Dann reagiert sie: »I went home and I made a PowerPoint presentation for her.«

Diesen berührenden Drei-Minuten-Live-Mitschnitt kann man sich auf Youtube anschauen  (https://www.youtube.com/watch?v=W_gA5vkJJc4).

»So baby girl, we don’t change, we take the gravel in the shell and we make a pearl« – das ist Pinks Botschaft. Aus dem Kies in der Muschel eine Perle machen – großartig!

 

Präsenz

Zum Charisma gehört Wachheit. Menschen, die voll konzentriert bei uns und bei der Sache sind, und nicht Menschen, deren Aufmerksamkeitsspanne bei Millisekunden liegt, weil sie einen Blickkontakt nicht halten können oder es nicht schaffen, auf ein Handysignal nicht zu reagieren.

Sie sind für eine kurze Zeit ganz beim Gegenüber und lassen einen nicht spüren: Ich bin auf dem Sprung. Im Gegenteil – charismatische Menschen vermitteln einem, für diesen Moment die wichtigste Person in ihrem Leben zu sein. Sie geben einem das Gefühl von Exklusivität.

 

Mut und Demut

Mut zu Entscheidungen und Taten. Mut, anzuecken. Mut zu klaren Worten ist eine Zutat von Charisma. Ja, alle lieben und wünschen sich den Samthandschuh, aber respektieren tun sie diejenigen, die Tacheles reden (Fairness vorausgesetzt), die Mut zu großem Denken haben und sich nicht vom Mainstream beirren lassen.

Wann sind Sie das letzte Mal unangemeldet vor der Tür gestanden – egal, ob beim Kunden oder bei Freunden? Machen wir nicht mehr, ist aber schade. Vielleicht ist eine abgespeckte Variante vorstellbar: Sie sind in einer fremden Stadt und haben unverhofft Zeit; wenn ein »Nein!« in Ordnung für Sie ist, könnten Sie versuchen, sich mit Kunden oder Kollegen spontan zum Kaffee oder Wein zu verabreden. Nach meiner Erfahrung klappt es zu 80 Prozent nicht, weil die meisten Menschen völlig überplant oder zu wenig spontan sind. Aber die restlichen 20 Prozent sind so frei.

Demut ist die Gefährtin – charismatische Menschen haben verstanden, dass sie ohne die Hilfe anderer Menschen rein gar nichts bewirken können. Auch bei großen Erfolgen und Popularität zu wissen, dass Business zwar wichtig ist, aber auch nicht alles. Es geht im Geschäft meist nicht um Leben und Tod. Demut heißt zu wissen, wo man herkommt und wo es hingeht. Nicht vergessen: Wir kommen mit Nichts und gehen mit Nichts.

 

Nur wer berührt ist, kann berühren

Menschen verbinden sich nicht mit Firmen. Sie verbinden sich mit Menschen. Menschen mit Stärken und Schwächen. Es ist wie bei einem guten Roman oder Thriller: Spannend sind Bücher, wenn eine Entwicklung stattfindet. In Beziehungen zu Menschen ist es genauso: Echter Kontakt ist nur möglich, wenn ich jemanden an meiner Entwicklung, an meinem Leben teilhaben lasse, an meinen Sorgen und an meinem Jubel. Wenn ich nachdenklich bin, wenn ich etwas feiern kann.

Wer ständig nur ultimativ schöne Fotos aus den allerfeinsten Locations oder fernen Ländern postet und dabei jubelt: »I love my life«, der schafft keine Verbindung, sondern erreicht genau das Gegenteil. Er wird vielleicht Follower generieren, die schlicht genug sind zu denken, das gleiche Leben sei auch für sie möglich. Die anderen Menschen jedoch – und das ist in der Regel der größere Teil – werden sich nicht abgeholt fühlen, wenn sie zu Hause sind, vielleicht Existenzängste, Geldsorgen oder Liebeskummer haben oder den Job oder einen lieben Menschen verloren haben. Manchmal reicht ein Wasserschaden, um die »Ich liebe mein Leben«-Menschen im sozialen Netzwerk zornig zu entfreunden.

Das heißt jetzt nicht, dass Sie alle privaten Details preisgeben müssen. Auf keinen Fall. Geben Sie persönliche Einblicke, aber keine intimen. Wo ist die Grenze? Die ist sehr individuell. Für die einen ist die Familie tabu, andere zeigen gern den ganzen Clan.

Ich habe zwei männliche Kunden, die mir zum Jahresende je einen sehr persönlichen Weihnachtsgruß senden. Darunter sind Fotos von Ausflügen und Events mit Familie und Kunden. Der eine Kunde schreibt auch über Rückschläge und überwundene Sportverletzungen. Ich mag das sehr und fühle mich beiden Kunden auf besondere Art verbunden. Man kriegt im wahrsten Sinne des Wortes ein Bild.

Wichtig ist das Timing: Wenn Sie im Business-Kontext über Rückschläge und Krisen schreiben, dann immer dann, wenn Sie diese überwunden haben. Das lässt Sie strahlen und setzt Sie nicht dem Mitleid der anderen aus, denn Sie haben die Misere schließlich gemeistert.

Ganz anders verhielt sich eine sehr bekannte und erfolgreiche Kollegin, die öffentlich zugab, ein Dreivierteljahr keinen einzigen Auftrag bekommen zu haben, und schließlich die repräsentativen Geschäftsräumlichkeiten aufgeben musste. Das war auf jeden Fall mutig, aber vermutlich nutzlos. Kunden werden nicht aus Mitleid buchen, und die Konkurrenten werden sich vor Häme die Hände reiben. Oder vielleicht sogar versuchen, die Kunden der Kollegin abzuwerben.

Ich gebe nur das von mir preis, was ich auch bei anderen gut und zielführend finde. Letztlich darf ich Geschäftsfreunde nicht so behandeln wie alte Freunde, die mich seit 30 Jahren kennen.

 

Ein Ziel oder mein Ziel?

Wir leben erst und begreifen dann. Im Coaching ist die Suche nach den eigenen Zielen das Thema Nummer eins: Was kann ich tun, das mich zutiefst zufrieden macht, was sinnvoll ist, wo ich etwas bewirken kann? Fasziniert von anderen Menschen versuchen wir dann gern, deren Weg zu gehen. Und das ist auch in Ordnung, denn erst nach einer Entscheidung, mit dem Tun, fühlen wir, ob dieses Ziel tatsächlich zu uns gehört, ob es ein Ziel oder mein Ziel ist.

Ich habe mich zu einer Zeit selbstständig gemacht, als Jürgen Höller, Vera F. Birkenbihl und Dr. Strunz in großen Hallen Motivationsreden vor Tausenden von Menschen gehalten haben. Große Trainingsfirmen waren angesagt. Aus dem Management einer IT-Firma kommend habe ich mich mit einer der ersten Akademien in Deutschland auf den Markt gewagt. Eigene Seminar- und Coachingräume, Kongresse, viele Mitarbeiter, viele Veranstaltungen, großes Presseecho – das habe ich alles gehabt, um fest- zustellen, dass ich das ganze Tam-Tam nicht brauche. Dass ich viel eher eine Kreativarbeiterin als eine Unternehmerin bin. Als ich aufhörte, anderen etwas beweisen zu wollen, lebte es sich für mich angenehmer, freier und freudvoller. Ich hatte weniger Umsatz, weniger Kosten und unterm Strich mehr übrig, dazu mehr Freude und Schaffenskraft Verrückterweise wurden die Beziehungen zu meinen Stammkunden ab dem Zeitpunkt intensiver, und sie fingen an, mich (und nicht die Firma) noch leidenschaftlicher zu empfehlen.

Die Geschichte vom Fischer und dem Touristen drückt aus, was ich damit meine:

Es ist ein herrlich warmer Nachmittag in einem kleinen Mittelmeerhafen, als ein Tourist auf einen Fischer trifft. Dieser liegt in seinem Boot und döst zufrieden vor sich hin. Sie kommen ins Gespräch. Wie viele Fische er denn heute so gefangen habe, fragt der Tourist den Fischer.

»Nicht allzu viele«, antwortet der Fischer. Aber er sei mit seinem Fang zufrieden.

Da erzählt ihm der Tourist enthusiastisch, was der Fischer alles erreichen könnte, wenn er noch mal aufs Meer hinausfahren, mehr Fische fangen und mehr verdienen würde. Er könnte Karriere machen, von dem Geld ein zweites Fischer- boot kaufen, andere Fischer einstellen und noch mehr Geld verdienen und noch mehr Boote kaufen. Und er würde reich werden.

»Und dann?«, fragt der Fischer freundlich.

»Dann wirst du so reich, dass du dich bequem im Hafen zur Ruhe setzen und dösen kannst.«

Der Fischer lächelt milde und entgegnet freundlich: »Genau das kann ich doch schon heute!«

Sich verletzlich zu zeigen, schafft Verbindung, aber nicht gleich am Anfang

Ich nehme telefonisch Kontakt auf zu einer bekannten und großartigen Radiopsychologin. Ich kann mir eine Zusammenarbeit gut vorstellen, habe aber noch kein konkretes Anliegen. Nach einem kurzen Beschnuppern legt sie los. Ihr Sohn studiere aktuell auch Psychologie und müsse sich von seinen Dozenten oft blöde Bemerkungen anhören wegen seiner prominenten Mutter. Nach einer halben Stunde und vielen Sätzen, in denen sie mir schildert, wie unfair dies sei, wie schlecht sie sich damit fühle und so weiter legen wir auf. Ich bin wie benommen und stelle fest: Zu meinem Anliegen sind wir gar nicht gekommen. Ich war gerade Blitzableiterin geworden und völlig überfordert damit, dass sich eine so strahlende, erfolgreiche Persönlichkeit so verwundbar gezeigt hat. Damals war‹s das für mich. Sie hatte für mich komplett ihr Gesicht verloren.

Heute weiß ich: Da, wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten, und das ist völlig in Ordnung. Heute kann ich wunderbar damit umgehen, und es wäre auch nicht das Ende des Kontaktes gewesen. Inzwischen habe ich auch 20 Jahre Reifezeit genossen.

 

Keine Verantwortung für die Gedanken anderer!

Mutig zu sein kann auch bedeuten, nicht die Verantwortung für den anderen zu übernehmen. Eine meiner besten Freundinnen ist Anke Meyer-Grashorn. Als wir uns kennenlernten, hatte sie eine große Werbeagentur mitten in München. Gemeinsam sind wir Ende der 1990er-Jahre durch die deutsche Veranstaltungsszene gezogen. 1998 organisierten wir gemeinsam einen riesengroßen Stand auf der ersten Münchner Frauenmesse in der kleinen Münchner Olympiahalle – und das alles noch »zu Fuß«, also ohne moderne Medien wie E-Mail oder Internet, von sozialen Netzwerken mal ganz abgesehen.

Als Anke mit ihrer Familie, der Firma und der neu gegründeten Eventlocation nach Bad Wörishofen zog, wurde der Kontakt weniger. Er fand im Wesentlichen nur noch an Geburtstagen statt, und dann eigentlich nur in München. Ich hatte große Scheu davor, sie zu Hause zu besuchen – weil ich die Familie am Wochenende nicht stören wollte.

Irgendwann wurde mir bewusst, dass dies nicht allein den Ausschlag gab. Der andere, mindestens ebenso wichtige Grund war: Ich wollte nicht riskieren, abgewiesen zu werden. Was für ein unsinniger Gedanke! Anke konnte schließlich ja oder nein sagen. Und ein Nein würde nur »jetzt nicht« bedeuten. Warum übernahm ich Verantwortung für Gedanken, die die andere Seite gar nicht hatte oder haben musste?

Ich bin mir fast sicher, dass Sie auch hier und da einen Faden nicht auf- nehmen, weil sie falsche vornehme Zurückhaltung beweisen. Tun Sie das nicht! Zum Knüpfen von Kontakten gehört zweifelsohne Mut. Mut ist wie ein Muskel: Wird er nicht gebraucht, verkümmert er.

 

Anleitung zum Freundschaftknüpfen?

»Wie macht man das mit dem Freundschaften-Knüpfen?«, fragt mich eine Journalistin in einem Interview. »Man kann ja nicht einfach nach einer Yoga- Stunde auf eine Person zugehen und sagen: ›Ich bin auf der Suche nach einer neuen besten Freundin, wollen wir uns mal auf einen Kaffee treffen?‹« Vielleicht nicht ganz so direkt. Die Ansage mit der »neuen besten Freundin« würde wohl die meisten überfordern. Aber das Prinzip ist schon richtig. Vielleicht kann man nach der dritten Yogastunde einfach fragen: »Ich finde, du kommst super sympathisch rüber. Wollen wir noch auf ein Bier?«

Keine weitere Erklärung. Und auch nicht damit rechnen, dass es spontan klappt, denn die meisten Menschen sind völlig aus der Übung, was Spontaneität angeht. Dann halt beim nächsten Mal.

»Die meisten Menschen ab 40 haben eh genug Kontakte oder Freunde, da ist doch kaum Platz für neue«, sagt die Journalistin. Und sie hat nicht unrecht. Ja, die meisten haben sich im Leben ab Anfang 30 fest eingerichtet und schleppen lieber ein paar Miesepeter und Rosinenpicker durchs Leben, als mal Schwung in die olle Bude zu bringen.

In Kindergarten, Schule, Studium und Disco haben wir regelmäßig die gleichen Mitschüler oder Kumpel getroffen. Da war absichtsloses Kennen- lernen und Freundschaften zu schließen sehr leicht. Bei unseren ersten Urlaubsreisen haben wir noch ambitioniert Kontaktdaten ausgetauscht, um später meistens festzustellen: Die Sympathie flacht umso schneller ab, je weiter man entfernt wohnt. Mit 40 oder spätestens mit 50 ist man dann so desillusioniert, dass man gar keine Anstalten mehr macht, überhaupt Adressen zu tauschen. Doch das soll Sie nicht davon abbringen, aktiv auf Menschen zuzugehen.

 

Bleiben Sie wach und mutig!

»Jeder Mensch in deinem Leben ist ein vorübergehender Gast (beste Freunde, Nachbarn, Feinde, Kinder, Partner, Kollegen, Eltern). Jeder kommt und geht mit seiner eigenen Geschwindigkeit, zu seiner eigenen Zeit, in seiner eigenen Art. Das zu respektieren, ist eine große Kunst – und eine große Erleichterung. Manchen Leuten hätten wir aus freien Stücken doch gern schon viel früher das ›Tschüss‹ angeboten, oder?«, schreibt meine Kollegin und Weltumseglerin Stefanie Voss. Wenn wir das als Fakt verstehen und unsere Ansprüche herunterschrauben, macht es vielleicht auch wieder mehr Spaß, in der Bahn einer Zufallsbekanntschaft die Visitenkarte in die Hand zu drücken. Ich habe auf dem Jakobsweg von München bis zum Bodensee zwei ältere Damen kennengelernt, die mit Sicherheit nicht zu meiner Zielgruppe gehören. Wir haben uns wunderbar über die folgenden Etappen ausgetauscht, gemeinsam Kaffee getrunken und Kuchen gegessen und Kontaktdaten ausgetauscht, denn eine der Ladys wollte mir ein Foto zuschicken, was sie auch getan hat. Ich habe ihr meinen Divenkalender als Dankeschön geschickt, und dann endete unser gemeinsamer Weg auch schon wieder. Es war eine kurze Bereicherung – aber eine Bereicherung.

Ob Business oder im Privatleben: Bleiben Sie wach und mutig:

Lernen Sie pro Woche eine neue Person kennen und pflegen Sie wöchentlich mindestens einen Kontakt zu bestehenden Freunden oder zur Familie.

Das Kennenlernen darf anfangs durchaus auch in den sozialen Netz- werken passieren.

Von Ihrer Jahresausbeute von 52 (zunächst) lockeren Kontakten bleiben Ihnen maximal fünf Prozent erhalten. Das wären zwei bis drei Menschen, die zumindest zeitweise in Ihrem Inner Circle aufsteigen.

 

Mein Lieblingsnetworking-Format (mit Augenzwinkern)

Im Zuge meiner Kooperation mit der IHK München Oberbayern lernte ich am jährlichen Unternehmerinnentag Radiomoderatorin und Kabarettistin Susanne Rohrer kennen. Sie macht einen großartigen Job, ist klug und unfassbar lustig. In unseren kurzen Unterhaltungen zwischen den Programmpunkten hatten wir einen richtig guten Austausch und viel Spaß. Es gibt nicht viele Menschen, die so viel Energie ausstrahlen, dass du auch noch etwas davon abbekommst. Die Jahre gingen ins Land, und beim dritten Unternehmerinnentag sprach ich Susanne Rohrer einfach an: »Wissen Sie, ich hätte große Lust, mit Ihnen mein Lieblingsnetworking-Format auszuprobieren.«

»Das da wäre?«, fragte sie nach.

»Ich würde mich gern hemmungslos mit Ihnen betrinken.« Und das haben wir dann auch getan.

Das war der Beginn einer Freundschaft und wir haben schon einige Lokale als Letzte verlassen. Mit wem kann man das schon?

 

Monika Scheddin: „Connection. Überzeugen mit Charakter Charme Charisma“ – 248 Seiten, 24,90 Euro, Verlag Marie von Mallwitz. https://www.scheddin.com/Shop.html

 

Darf man das? Das macht man nicht!

Für meinen Kongress haben wir den wunderbaren Tiki Küstenmacher, Autor und Karikaturist, als Redner eingeladen. Zur Abstimmung schicke ich ihm eine Mail und höre nichts. Ich fasse nach einigen Tagen nochmals per Mail nach und bekomme immer noch keine Antwort. Ich erinnere mich, dass er in einem Vortrag einmal erzählt hat: »Wenn mein Postfach überquillt, lösche ich manchmal einfach so 1000 Mails. Meine Erfahrung ist: Alles, was wichtig ist, kommt ein zweites Mal daher.«

Ah, denke ich. Dann hat er meine Mails wohl gelöscht.

Eine wichtige Erkenntnis von mir kommt dazu: Wenn ein Kanal nicht funktioniert, muss man den Kanal wechseln. Es gibt Menschen, die reagieren nicht auf Mails, dann hilft ein Brief oder ein Anruf.

Und so ich rufe Tiki Küstenmacher an, und zwar an einem Samstagabend um 20 Uhr. Und genau das hat wunderbar funktioniert. Hätte ich auf meine Kollegin gehört, wäre ich so schnell nicht weitergekommen. »Am Samstagabend privat anrufen – das macht man nicht!«, hatte sie mir erklärt.

Auf dem Kongress, nach einer großartigen Rede, unterhalte ich mich mit Tiki Küstenmacher, den ich genauso großartig finde. »Darf ich Ihnen als die Jüngere das ›Du‹ anbieten?«, frage ich ihn. Auch das »macht man« vermutlich nicht. Er stimmt dennoch freudig zu.

Was hält uns eigentlich davon ab, neue Kontakte zu knüpfen oder bestehende zu pflegen?

Wir verschieben es auf später.

Wir wissen nicht genau, wie wir beginnen oder was wir genau tun sollen. Wir hören auf die innere Stimme, die »Nein« sagt.

Es wäre so leicht. Wir entdecken einen Kunden in der Zeitung und könnten sofort ein Foto mit dem Artikel schicken und dazu schreiben »Ich habe Sie gerade in der Zeitung entdeckt. Großartig! Vor allem der Satz ›…‹ hat mir sehr gefallen. Einen schönen Tag wünscht Ihnen …« Mit jedem Verschieben ist das große Risiko verbunden, es überhaupt nicht zu tun. Mein Tipp: Tun Sie es ab jetzt sofort! Bedanken für ein Geschenk? Foto machen und mit einem kurzen Text versehen als Nachricht versenden: »Du hast mir eine große Freude bereitet. Von Herzen danke, Dein(e) …« Das Geschenk gefällt Ihnen nicht? Dann bedanken Sie sich für die Geste.

Wenn Sie nicht wissen, was Sie schreiben sollen, dann machen Sie es wie ein Schriftsteller. Sie beginnen mit dem ersten Wort und fügen dann weitere hinzu. Lassen Sie sich inspirieren von den Schreiben, die Sie bekommen haben und die Ihnen gefallen.

Es gibt so eine Art innere Stimme, die einem gern ein NEIN einflüstert. Nein, da hast du jetzt keine Lust drauf. Nein, das traue ich mich nicht. Nein, da möchte ich erst drüber nachdenken. Nein, das ist mir zu unbequem. Nein, denn dann müsste ich ja etwas tun, was ich noch nie getan haben. Nein, besser nicht. Was sollen denn dann die Leute denken? Nein, ich weiß nicht, ob es mir gefallen wird.

Ich kenne diese innere Stimme auch. Neulich ist mir ein spannendes Buch dazu in die Hände gefallen. Geschrieben von Shonda Rhimes, einer US-amerikanischen Drehbuchautorin und TV-Produzentin (die Ärzte-/ Krankenhausserie Grey’s Anatomy dürfte Ihnen vielleicht etwas sagen). Shonda war verblüfft über die Aussage ihrer Schwester, sie würde immer alles ablehnen. »You never say yes to anything.« Dies inspirierte sie zu ihrem »Year of Yes«. Das Projekt (und gleichzeitig der Buchtitel), ein Jahr lang zu allem »ja« zu sagen.

Ich finde den Gedanken sehr spannend und nutze ihn für mich, vor allem wenn ich auf private Feiern eingeladen bin, die mit etwas Mühe, etwa einer längeren Anfahrt, verbunden sind und wo ich niemanden außer den Gastgebern kenne. Aus einem »Ich weiß nicht, eher nein« wird dann ein »Yes!«.

 

Gute Freunde geben uns das Gefühl, wertvoll zu sein

Die Wissenschaftsjournalistin Corinna Hartmann schreibt 2017 über eine Längsschnittstudie: »An US-amerikanischen Erstsemestern ließ sich aus Kontakthäufigkeit, empfundener Nähe und gegenseitiger Unterstützung berechnen, welche Freundschaften über einen langen Zeitraum Bestand hatten. Doch nur ein einziger Faktor bestimmte, wen die Probanden vier Jahre später als ihren besten Freund bezeichneten: das Gefühl, von ihm in der eigenen Identität anerkannt zu werden. Gute Freunde bestätigen uns offenbar in den sozialen Rollen, über die wir uns definieren. […] Wichtig ist, dass der Austausch mit unseren engsten Freunden das Selbstwertgefühl beflügelt. Anscheinend wählen wir sie nicht nur deshalb aus, weil sie uns besonders erscheinen, sondern auch, weil sie uns das Gefühl geben, besonders wertvoll zu sein.«

Empathie, also Einfühlungsvermögen, gehört zum Charisma. Wenn Sie verstehen, wie sich Ihr Gegenüber fühlt, können Sie ihm menschlich mit Wertschätzung begegnen.

 

Empathie darf sich Zeit nehmen

Manager Müller bekommt frühmorgens eine Nachricht von seinem Mitarbeiter: Er könne nicht kommen, weil seine Katze krank sei. Müller kann es nicht fassen. Ein wichtiges Meeting steht an, für das der Mitarbeiter noch einiges zu tun hat. Er braucht ihn dringend. Und dann kommt der mit seiner ollen Katze um die Ecke. Müller hat selbst keine Haustiere. Er flucht, beendet dennoch in Ruhe seine morgendliche Laufrunde. Und während er durch den Wald läuft, denkt er nach. Wie würde ich mich fühlen, wenn ich eine Katze hätte? Was würde ich mir von meinem Vorgesetzten wünschen? Insgeheim ersetzt Müller »Katze« durch »Kind«, denn als Vater kann er sich einfühlen. Und so schreibt er mittags seinem Mitarbeiter eine Nachricht:

»Hallo …, wie geht es deiner Katze?«

Postwendend bekommt er eine Antwort. »Gott sei Dank schon viel besser. Danke, dass du fragst. Gib mir noch eine Stunde und ich bin im Büro. Ich bleibe so lange, bis ich alles erledigt habe. Du kannst dich auf mich verlassen!«

Empathie darf sich durchaus Zeit nehmen und bietet in Sachen Beziehung/Connection unfassbare Chancen auf Tiefe.

Humor

Fragt man Menschen nach erwünschten Charaktereigenschaften, steht Humor ganz oben in der Beliebtheitsskala. Es kann ein kleiner, feiner Humor sein, der zwischen den Zeilen hervorblitzt. Es kann unterhaltsamer, lauter Humor sein, der großes Publikum zum Schwingen bringt. Humor ist die einzige Ärgerbeseitigungsstrategie, die Menschen miteinander verbinden kann.

Ironie, Sarkasmus oder Zynismus gehören nicht zum Humor. Sie verbinden nicht, im Gegenteil – diese drei sind Formen der Aggression oder Selbstverletzung. Ironie wird häufig fehlverstanden, Sarkasmus birgt immer auch Aggression. Beides ist schädlich für das Charisma. Humor heißt, über Situationen lachen und das eigene Scheitern von einer komischen Perspektive aus betrachten können.

Humor schafft Selbstvertrauen.

Der junge Fahrschüler hat seine praktische Prüfung. »Wenn nichts gesagt wird, an der Ampel geradeaus«, so die Ansage vom Prüfer. Die Ampel ist rot. Der Fahrschüler wartet, und während er wartet, sieht er plötzlich das Schild »Durchfahrt verboten«. Panisch setzt er den Blinker. »Ha, ha, so dick sind wir Gott sei Dank nicht«, lacht der Prüfer gutmütig, denn der gestresste Fahrschüler hat den zweiten Teil des Schildes übersehen, nämlich »für Fahrzeuge ab 2,8 Tonnen«. Dem Fahrschüler war sein Fehler furchtbar peinlich, doch der Humor des Prüfers gab ihm Selbstvertrauen.

 

Charisma-Beispiel: Carolin Kebekus

2019 erlebe ich die Komikerin Carolin Kebekus in ihrer Show im Circus Krone und bin positiv geschockt. Was für eine unglaublich kluge und lustige Person! Ihr Humor ist deutlich, aber nicht ausgrenzend. Sie zeigt sich bekennend feministisch und schafft es, ihre männlichen Zuschauer mitzunehmen. Ich habe mindestens 40 Prozent Männer im Publikum entdeckt, die keinesfalls nur »mitgebracht« waren. Kebekus schont sich nicht, sie redet über Tabus wie Tampons und wie Frauen sich immer wieder Angriffen anderer Frauen über ihr Aussehen aussetzen müssen und zeigt dabei ihre eigenen »Winkeärmchen«. Klug, lustig, Frau, modern, charismatisch.

 

Ziele und Visionen

Von Menschen mit Charisma erwarten wir einen Plan. Jemand ist ein Checker, heißt es anerkennend.

Ich muss die Ziele und Visionen meines Gegenübers gar nicht kennen, trotzdem spüre ich sie bei einem charismatischen Menschen, denn Ziele befeuern auch die Wahrnehmung und die Präsenz. Wer Ziele hat, wird genau die Menschen oder Gelegenheiten identifizieren, die ihn oder sie in der Erreichung ihrer Ziele unterstützen könnten. Ein Ziel zu haben ist genau das Gegenteil von Gleichgültigkeit und Phlegma.

 

Kontinuität

Kontinuität bringt auf Dauer einen Wiedererkennungseffekt und zahlt auch auf eine persönliche Marke ein. Es braucht ungefähr zehn Jahre, bis Sie in Ihrer Branche bekannt, 30 Jahre, bis Sie deutschlandweit ein Begriff sind.

Das Gegenteil von Kontinuität sind die vielen Strohfeuer, also Menschen, die ständig ihre Meinung ändern und Neues beginnen. Die Planungsriesen, aber Umsetzungszwerge sind. »Atana« ist der schöne englische Begriff dafür: »All talk and no action«. Hier geht es um Menschen, deren einziges Talent es ist, neue Ideen schnell zu entdecken und noch schneller auf den Zug aufzuspringen, die einen Blog beginnen, 20 Tage lang täglich senden, bevor die Energie endgültig versandet, die sich jedes Mal wieder mit Feuereifer engagieren, aber bereits nach kurzer Zeit aufgeben. Es sind auch die, die den Titel auf ihrer Visitenkarte so oft wechseln wie andere Menschen ihre Unterhosen. Heute Coach, morgen Business-Mentor, übermorgen Business Rebel oder Experte für Purpose. Glaubwürdigkeit null mangels Kontinuität. Selbstverständlich ist es legitim, Dinge auszuprobieren und nach der Testphase zu verwerfen; nicht jede gute Idee will bei uns bleiben. Und es ist auch legitim, sich weiterzuentwickeln und das Angebot anzupassen.

Aber eben nicht vierteljährlich.

 

Balance

Menschen, die ständig auf Alarm sind, die nur hetzen und eilen, das Wort »Stress« im stündlichen Wortrepertoire haben, wirken genauso wenig charismatisch wie die Dauergechillten, ewig Entspannten, die eine oberlehrerhafte Atmosphäre von Langeweile verbreiten. Wer dagegen einen Sprint einlegen kann, wenn es die Situation erfordert, sich aber nicht zum Affen macht, wenn er gleich jedem Bus hinterherschnauft, hat vermutlich einen guten Sinn für Prioritäten. Charismatische Menschen haben gelernt: Meine Position ist ersetzbar, ich persönlich bin es nicht. Deshalb: Je mehr es brennt, desto wichtiger ist es, einen kühlen Kopf zu bewahren. Erst mal eine Mittagspause machen und sich einen Überblick verschaffen. Charismatische Menschen haben verstanden, dass es völlig ausreicht, sich dann Sorgen zu machen, wenn es so weit ist. Mit dieser Haltung und gleichzeitig einer Auswahl an möglichen Alternativen im Kopf vermitteln sie Ruhe und Sicherheit in heiklen Situationen.

 

Emotionalität

Menschen kaufen keine Produkte, sondern Emotionen. Sie kaufen kein Auto, sondern das Gefühl von Erfolg, Sportlichkeit, Dynamik, Idealismus. Charismatische Menschen können Gefühle sehr gut steuern, denn sie strotzen selbst gern vor Lebensfreude und Begeisterung.

Als ein gutes Beispiel für einen charismatischen Menschen gilt der britische TV-Moderator James Corden. Mit seiner Begeisterung und Lebensfreude und vor allen Dingen seiner Hochachtung für die Leistungen seiner Gäste schafft er es regelmäßig, alles, was Rang und Namen hat, in sein Auto zu lotsen, um dann gemeinsam mit den Promis Lieder zu singen. Carpool Karaoke nennt er das Format. Ob Billie Eilish, Justin Bieber, Adele, Barbra Streisand, Pink, Ed Sheeran, Chris Martin, Rod Stewart – er hatte sie alle! Die wohl berührendste Episode ist die, in der er gemeinsam mit Paul McCartney die wichtigsten Plätze in der Karriere des Ex-Beatles aufsucht und dann ein Kneipen-Konzert initiiert. Großartig, wie ansteckend Begeisterung sein kann (https://www.youtube.com/watch?v=QjvzCTqkBDQ).

 

Charisma – Warum fallen uns dazu so wenige Frauen ein?

Ich glaube, das liegt daran, dass sich Frauen ihre Emotionalität im offiziellen Umfeld abgewöhnt haben. Immer wieder haben sie erfahren, dass ihre Gefühle nicht erwünscht sind. Fließen Tränen, heißt es: »Nicht belastbar!« Weisen sie auf eine Ungerechtigkeit hin, heißt es: »Seien Sie doch nicht so sensibel!« Verhält sich eine Frau genauso aggressiv wie ihr Kollege, wirkt er motiviert, sie allerdings hysterisch oder verbissen. Hält die Kollegin ein leidenschaftliches Plädoyer, heißt es gern: »Jetzt seien sich doch nicht so emotional, wir wollen doch mal sachlich bleiben.«

Frauen haben es sich antrainiert, entweder gleichzeitig mit dem Make-up ihr Dauerlächeln anzulegen oder sachlich und unaufgeregt zu wirken, um nicht als emotional beschimpft zu werden. Dann jedoch müssen sie sich daran gewöhnen, wie Angela Merkel als »Mutti« bezeichnet zu werden. Mir war vorher nicht klar, dass »Mutti« ein Schimpfwort ist.

 

Die Aura der Unabhängigkeit

Es gibt charismatische Menschen, die nicht emotional und auch nicht empathisch wirken. Das machen sie durch eine extrem unabhängige Ausstrahlung wett. Altkanzler Helmut Schmidt ist ein hervorragendes Beispiel dafür. Der exzellente Rhetoriker war in jungen Jahren durchaus emotional unterwegs, im Alter setzte er vermehrt andere Mittel ein: Kunstpausen, also fast unerträglich langes Schweigen, bevor er zur Antwort ansetzte. Das erhöht die Spannung. Dazu die Aura der Unabhängigkeit. So setzte er sich als starker Raucher immer und überall auch über das inzwischen bestehende Rauchverbot hinweg. Es war ihm egal.

Wer nicht abhängig ist von der Sympathie anderer, entwickelt Anziehungskraft. Die einen empfinden dies als arrogant, andere als charismatisch.

 

Eloquenz

Mit Worten berühren, das können charismatische Menschen. Die einen sind wortvirtuos unterwegs, indem sie eine treffende, wirkungsvolle Sprache nutzen. Die anderen leisten sich eine ganz einfache, kindgerechte Sprache, ganz ohne Fachbegriffe, wie sie der Dalai Lama spricht. Beiden gemein ist die Wirkung: Sie treffen mitten ins Herz. Wir fühlen uns deutlich gemeint, abgeholt.

 

Glanz

Charismatische Menschen wirken und bewirken. Sie fallen auf, wie sie sich kleiden und welchen Raum sie sich nehmen. Glanz braucht Resonanz. Ohne Publikum macht Charisma wenig Sinn. Zu Hause auf dem Klo charismatisch wirken zu wollen, wäre lächerlich. Nur wer seinem Publikum etwas gibt, bekommt etwas zurück.

 

Mut zur Markanz

Wer versucht, jeden zu erreichen, wird keinen wirklich erreichen.  Sich zu trauen, die eigene Meinung zu formulieren und den eigenen Weg zu gehen – in Worten und Taten –, das ist die wahre Kunst. Auch das gehört zum Charisma. »Charismatiker erlauben sich zu polarisieren. Sie sind nicht darauf aus, geländegängig zu sein«, so TV-Moderatorin und Coach Petra Neftel.

 

Echtheit

Warum gewinnen Menschen in Casting-Shows, die eine durchschnittliche Performance und nicht selten auch eine unterdurchschnittliche Bildung mitbringen. Warum verweisen sie talentierte, kluge Performer auf die unteren Ränge? Es ist faszinierend zu beobachten, wie das Publikum das Echte und Arglose belohnt. Menschen, die sich nicht schonen, die etwas von sich preisgeben und nahbar sind. Genau denen gönnt man einen Sieg und wählt sie.

 

Ganz und gar nicht charismatisch

»Wer wirkt für euch denn alles andere als charismatisch?«, lautete die Frage an unsere Seminarteilnehmer. Die Antworten ähnelten sich: aalglatte, nicht fassbare Menschen. Veronica Ferres, Carsten Maschmeyer – das waren prominente Namen, die beispielsweise häufig genannt wurden. Sie werden als »nicht echt« empfunden, als unverdient erfolgreich, als Leute, die nur auf ihren eigenen Vorteil aus sind. Die eine mangels echten Talents, der andere, weil er mit undurchsichtigen Methoden in der Finanzbranche zu Geld gekommen ist, in der viele seiner Kunden viel Geld verloren haben. Interessant, dass ausgerechnet die beiden als Ehepaar zueinander gefunden haben.

Auch Oliver Pocher gehörte dazu, als jemand, der sich nicht scheut, öffentlich über andere herzuziehen und sein Geld im TV damit zu verdienen, sich für nichts zu schade zu sein. Doch bei ihm gab es in dem Moment eine kleine Kehrtwende, als er begann, sich öffentlich für Fehler zu entschuldigen und mit seiner Sendung »Pocher und Papa« ganz viel über sich selbst preiszugeben.

 

Narzissmus, der toxische Egoismus

Narzissmus, die toxische Dosis von Selbstliebe, wird nicht auf den ersten Blick erkannt. Der Narzisst ist durchaus ein Menschenfänger, doch schwindet seine souveräne Wirkung, sobald er verliert. An Abneigung, Gegenwehr und offene Kritik kann er sich nicht gewöhnen. Wer nicht für ihn ist, ist gegen ihn und wird adhoc »entliebt«, also gemieden bis gemobbt. Mir sind einige Vorstände bekannt, denen ihr Narzissmus beruflich nicht schadete, solange sie wirtschaftlich erfolgreich arbeiteten. Erst mit dauerhaft sinkendem Börsenkurs sank auch ihr Erfolgsstern, was diese aufrichtig verwunderte. Verantwortung für Misserfolge zu übernehmen, tauchte in ihrem Verhaltensspektrum nicht auf.

Dieses Vorkommnis beschreibt einen Narzissten sehr gut: Hans Mayer, ein ebenso intellektueller wie einflussreicher und anstrengender Literaturwissenschaftler, sprach am liebsten über sich und seine Bücher. Einmal textete er sein Gegenüber hoffnungslos zu, bis er den denkwürdigen Satz sagte: »Doch jetzt genug von mir: Wie hat Ihnen mein letztes Buch gefallen?«

 

Mangelndes Selbstbewusstsein

Menschen, die sich ständig kleinmachen, wirken nicht demütig, sondern provozieren bestenfalls Mitleid. Erklärt eine prominente und erfolgreiche Persönlichkeit: »Ach, wissen Sie, ich halte zwar Reden, habe es aber eigentlich nie richtig gelernt«, kommt es nur bei nachgewiesener Kompetenz demütig und bescheiden herüber. Macht das Gleiche ein No-Name, wirkt es dumm bis ungeschickt. Zumindest löst es ein Fragezeichen aus, denn Zuschauer, die noch nicht auf die Idee gekommen wären, dass etwas fehlt, gehen jetzt erst recht auf Spurensuche. Mangelndes Selbstbewusstsein und Selbstzweifel tilgen Charisma.

 

Jammerlappen

Auch Menschen, die ständig jammern, sind nicht charismatisch, und zwar unabhängig davon, ob sie einen Anlass oder das Recht haben zu jammern. Es gibt genügend Leute, die auf den Jammerzug aufsteigen, aber geschätzt oder gar gebucht bzw. befördert werden sie deshalb nicht.

 

Unaufmerksamkeit und Fahrigkeit

Fahrigkeit oder Unaufmerksamkeit ist das Gegenteil von Präsenz, also der Fähigkeit, ganz und gar im Moment sein zu können. Fahrige Menschen sind geistig woanders, sodass sie nicht grüßen, ihr Handy liegen lassen, Geburtstage vergessen. Das nervt mit der Zeit und gibt Wirkungs-Minuspunkte.

 

Totale Berechenbarkeit

Das andere Extrem sind Menschen, die immer pünktlich ihre Reports und Budgetplanungen abliefern. Auf die man sich jederzeit verlassen kann. Sie sind nicht krank, gehen keine Risiken ein, nehmen lieber einen Zug früher, um für alle Eventualitäten gewappnet zu sein. Sie liken jeden Beitrag, und zwar immer. Man erlebt sie nie außerhalb ihrer Selbstkontrolle, weil sie keinen Tropfen Alkohol zu viel trinken. Vorbildlich, sollte man denken. Langweilig, denkt man stattdessen.

 

Sind charismatische Menschen gute Menschen?

Nicht zwangsläufig. Da, wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten. Auch wenn ich lieber etwas anderes schreiben würde: Hitler, Putin, Donald Trump – sie alle dürften für viele Menschen eine charismatische Ausstrahlung gehabt haben bzw. noch immer haben. Steve Jobs galt als charismatisch, wurde aber von seinen Mitarbeitern wegen seiner cholerischen Ausbrüche gefürchtet, genauso wie viele andere Vorstände und Geschäft er. Hochrangige Priester quälen und mobben Mitarbeiter, nicht wenige haben bekanntermaßen Dreck am Stecken. Hochrangige Politiker haben Alkoholprobleme, verhalten sich übergriffig oder sind manisch-depressiv. Solange sie erfolgreich in Amt und Würden sind, gibt es ausreichend viele Funktionsträger um sie herum, die diese Schwächen aktiv unter den Teppich kehren. Selbst von Mutter Theresa kennt man menschliche Entgleisungen.

Menschen unter Stress sind nicht immer zum besten Verhalten fähig.

Das gilt für charismatische Menschen ebenso.

 

Geduld

Wir sind immer noch bei der Frage, was bei anderen ankommt, was beliebt macht. Menschen, die abwarten können und Vertrauen haben, gehören dazu; die es nicht persönlich nehmen, wenn das Gegenüber nicht sofort reagiert oder wenn ein Angebot nicht gleich am Freitag ankommt, sondern erst am Montag. Geduld hat mit Vertrauen und nicht mit Gleichgültigkeit zu tun, und sie schließt nicht aus, nach angemessener Zeit nachzufassen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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