Buchauszug York von Heimburg: „Fit für die Zukunft! Zwölf Strategien für nachhaltigen Unternehmenserfolg.“

Buchauszug York von Heimburg:  „Fit für die Zukunft! Zwölf Strategien für nachhaltigen Unternehmenserfolg.“

 

York von Heimburg (Foto: Hanser/Michael Steiner)

 

Die Erfolgsstrategie der Anpassung: Komplexität als Chance erkennen

Sehr häufig wehrt sich das Management gegen zu viel Komplexität. Die meisten Führungskräfte betrachten Vielschichtigkeit als etwas Negatives. Deshalb soll Komplexität unbedingt reduziert werden. Dabei wird Komplexität mit Kompliziertheit verwechselt. Heute und in der Zukunft wird sich Komplexität deutlich erhöhen. Komplexität erzeugt Unsicherheit und Ängste. Natürlich wollen wir uns vor Ängsten schützen. Deshalb blendet unser Gehirn verworrene und undurchschaubare Dinge aus. Übrig bleibt dann das, was wir schon immer kennen. Wir sehen nicht das Ganze, und deshalb unterlaufen uns Fehler. Das kann zu Misserfolgen führen.

 

In seinem Buch „Die Logik des Mißlingens“ (2003) schreibt Dietrich Dörner: „Der Misserfolg wird logisch programmiert.“ Eigentlich müsste es heißen: „Der Misserfolg wird psychologisch programmiert.“ Die allgemeine Vernetzung der Wirtschaft und der Geschäftsprozesse sowie die zunehmende technische Intelligenz von Produkten und Services tragen erheblich zur steigenden Komplexität bei. Denn Unternehmen sind geprägt von Wechselwirkungen und nicht von linearen Rückkoppelungen. Aufgrund der Vernetzung muss die interdisziplinäre Zusammenarbeit der Mitarbeitenden neu und effizient organisiert werden. Nur so können auf Dauer die vermehrt individuellen Bedürfnisse der Kunden befriedigt werden.

 

Komplexität akzeptieren

Komplexität braucht Menschen im Management, die das Phänomen der Komplexität anerkennen und in ihre Führungsarbeit einbauen. Nur so kann ein Unternehmen sicher durch eine VUCA-Welt (Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity) geführt werden. Komplexität braucht gute Führung, Kompliziertheit braucht gutes Management.

 

Alle komplizierten Themen sind von Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen gekennzeichnet, auch wenn diese nicht auf den ersten Blick erkennbar sind. Sie sollten mit Stringenz, hohem Einsatz und guter Ressourcenqualität erfolgreich auf die Straße gebracht und mit wirksamen Management unter anderem mit projektorientierten Methoden, professionellem IT-Einsatz und konsequenter Delegation bewältigt werden. Im Gegensatz dazu sind die Folgen von Komplexität undurchschaubar, unberechenbar, nicht vorhersehbar und nicht mit linearer Dynamik lösbar.

 

In einer komplexen, undurchschaubaren Welt werden sehr oft Entscheidungen unter absoluter Unsicherheit getroffen.

 

Das heißt, Komplexität muss im Arbeitsprozess anders als Kompliziertheit behandelt werden. Wie? Zunächst sollten Sie sich die mit Komplexität verbundene Angst bewusst machen und überwinden: Gehen Sie agil und integrativ voran, seien Sie höchst flexibel und planen Sie mit den unterschiedlichsten Szenarien. Und dann treffen Sie unter Einbeziehung aller relevanten Entscheidungsträger eine kluge Entscheidung – unter Unsicherheit, klar, aber Sie können nun mal nicht in die Zukunft schauen. Niemand kann das.

 

Komplexität eröffnet Ihnen zuvor nicht vorstellbare Möglichkeiten, mit der Sie Ihre Sicht auf Strategien, Produkte und Mitarbeitende um einen anderen und ganzheitlichen Blick erweitern. Professor Dr. Fredmund Malik, ein österreichischer Wirtschaftswissenschaftler und Leiter eines Managementberatungsunternehmens in St. Gallen/Schweiz, spricht in diesem Zusammenhang von „Komplexität als neuem Rohstoff.“ Und zitiert den deutschen Biologen Carsten Bresch: „Alle höheren (biologischen) Fähigkeiten resultieren aus mehr Komplexität!“ (www.malik-management.com).

 

Komplexität ist die Basis für Intelligenz, Kreativität, Innovation, Evolution und auch für Selbstregulierung und Selbstorganisation!

Finden Sie statt einfacher Lösungen mittels Komplexität bessere und intelligentere Lösungen. Das geht nur mit stringenter Führung. Und das heißt für Sie erst einmal Folgendes:

 

· Aus unternehmerischer Perspektive und mit Zielen und Strategien eine Organisation so zu steuern, dass der Zweck und der USP Ihres Unternehmens klar erkennbar ist – sowohl für die Kunden als auch für die Belegschaft.

· Aktives Forcieren von Selbstorganisation und Selbstregulation.

· Bewältigung der Informationsflut, Aufzeigen von Verknüpfungen, Beziehungen und Konsequenzen und strukturiertes Lernen von neuem Wissen als sachliche Grundlage für Entscheidungen.

· Bildung einer achtsamen und kollaborativen Koalition der Willigen im Unternehmen. Führungskraft und Unternehmen werden zu Beteiligten.

· Zusammenführen unterschiedlicher Interessen und aktives Werben dafür, dass nur eine gemeinsam erarbeitete und verabschiedete Lösung eine befriedigende Antwort auf die Bedürfnisse der Kunden und der Mitarbeitenden ist.

· Aktive und empathische Kommunikation der Lösung nach innen und nach außen.

 

Von der Kybernetik lernen

Die Kybernetik hilft, das Thema Komplexität besser zu verstehen. Sie ermöglicht ein besseres Verständnis für das erfolgreiche Steuern und Managen von Komplexität. Kybernetik ist die Wissenschaft vom Steuern, Regeln und Lenken, erst einmal von Maschinen und dann auch von lebenden Organismen (aufgrund der Rückkopplung durch die Sinnesorgane) und sozialen Organisationen (aufgrund der Rückkopplung durch Kommunikation und Beobachtung).

 

Laut dem Begründer der Wissenschaft Norbert Wiener ist die Wirkungsweise eines Thermostats ein typisches Beispiel für das Prinzip eines kybernetischen Systems: Er vergleicht den Istwert einer Temperatur mit dem Sollwert, der als gewünschte Temperatur eingestellt wurde. Die Abweichung zwischen Ist- und Sollwert veranlasst den Regler im Thermostat, die Wärmezufuhr so zu regeln, dass der Ist- mit dem Sollwert übereinstimmt.

 

Diese Regelkreisanalogie ist für die Kybernetik von zentraler Bedeutung. Die Beherrschung eines Systems setzt sich zusammen aus Steuerung und Regelung. Steuerung bezeichnet dabei das zielgerichtete Beeinflussen des Verhaltens von Systemen oder Systemelemente durch andere Systeme. Das Ergebnis der Steuerung findet Beachtung in Form der Rückkoppelung, also einer Rückmeldung an die Steuerungsinstanz zur Regelung (Vergleich Ist-/Sollwert). Bei einer Abweichung der Werte leitet die Steuerungsinstanz eine entsprechende Ausgleichsmaßnahme ein. Dieser Rückkopplungsmechanismus wird Regelkreis genannt. An der St. Gallen Business School wird heute ein systemtheoretischer Ansatz des Managements mit explizitem Bezug zur Kybernetik gelehrt, der auf die Forschungen der Professoren Hans Ulrich und Knut Bleicher zurückgeht. Dabei wird das Unternehmen als mehrstufiger, vernetzter Regelkreis betrachtet (Rüegg-Stürm, Grand 2020).

 

Die Merkmale und Vorteile der Kybernetik kennen und nutzen

Das kybernetische System zeichnet sich durch folgende Merkmale aus (Kruse, V., 1998):

· Ganzheitliche Sichtweise

· Interdisziplinarität

· Gestaltungsorientierung

· Dynamisierung der Betrachtung

· Umweltorientierung

· Selbstregulierung

· Selbstorganisation

Die Kybernetik ist eine unterschätzte Wissenschaft des 20. Jahrhunderts. Bereits in den 1940er Jahren entstanden die Wurzeln der Kybernetik, als man die Gemeinsamkeiten zwischen dem Gehirn und dem Computer analysierte sowie Schnittstellen verschiedener Spezialdisziplinen, die menschliches Verhalten betrachteten, einbezog: Regelungstechnik, Nachrichtenübertragung, Entscheidungs- und Spieltheorie und statistische Mechanik. Wenn man die Erkenntnisse aus diesen Spezialdisziplinen logisch zusammenbringt, kann man mit ihrem systemischen und selbstregulierenden Ansatz die Komplexität des 21. Jahrhunderts viel besser bewältigen, als das jetzt der Fall ist. Die Erkenntnisse aus diesen Disziplinen entwickeln sich permanent weiter, und so auch die Kybernetik.

 

Norbert Wiener organisierte 1943/44 ein interdisziplinäres Treffen mit Ingenieuren, Neurowissenschaftlern und Mathematikern. Das war die Grundlage der kybernetischen Gedanken. Erstmals hat Wiener in seinem Werk „Cybernetics or Control and Communication in the Animal and the Machine“ (1948) das Prinzip der Kybernetik in gedruckter Form veröffentlicht. In den folgenden Jahren erweiterte er die kybernetischen Gedanken. So ergänzte Wiener in der Neuauflage seines Buches 1961 die kybernetische Wissenschaft um zwei weitere, wegweisende Kapitel: „Über lernende und sich selbst reproduzierende Maschinen“ und „Gehirnwellen und selbstorganisierende Systeme“. Wiener beschäftigt sich mit den Strukturen von Maschinen beziehungsweise Systemen und deren Eigenschaften. Ein System ist dabei aus Teilen aufgebaut, die jeweils wiederum ein System darstellen können. Ein System verfolgt während seiner Existenz Ziele und handelt danach. Eine Handlung wiederum führt zu einem Zustand, der Ursache einer anderen Handlung ist, um die Ziele weiterhin zu erreichen.

 

Bei der Kybernetik werden nicht der Grad der Zielerreichung und die Definition der Ziele als zentrale Probleme thematisiert. Entscheidend ist die Rückkopplung, die Wiener auch als Lernfähigkeit bezeichnet. Sie ermöglicht die Anpassung der Aktivitäten auf der Basis der Umwelt und des Erfolgs der bisherigen Aktivitäten. Das System lernt also aus dem bisherigen Erfolg und Misserfolg.

 

Die besten Regulierungssysteme kann man in der Natur betrachten. Diese effizienten Systeme schaffen ein ständig fließendes Gleichgewicht zwischen der Funktionsfähigkeit eines Lebewesens und der Komplexität der Außenwelt. Ein System, das sich nicht permanent den Veränderungen anpasst, verliert die Grundlagen seiner Überlebensfähigkeit. Wie die Systeme der Natur die Probleme lösen, ist im Modell lebensfähiger Systeme abgebildet. Das „Viable System Model“ (VSM) wurde von Professor Stafford Beer (1963), einem der Pioniere der Management-Kybernetik, geschaffen. Vorbild war das komplexeste und leistungsfähigste Regulierungssystem der Evolution: das menschliche Gehirn und das Zentralnervensystem. Das VSM stellt Organisationen als lebende und lernende Organisationen dar und ist für mich ein Vorläufer der weit später auf der Bildfläche erscheinenden Idee der Agilität.

 

Zur besseren Veranschaulichung des Gedankens wird gerne die Parallele zu modernen Fußball-Trainern gezogen. Es geht beim Training des Teams weniger darum, bis ins Detail zu steuern und jede mögliche Spielsituation einzustudieren und bei Bedarf das gelernte Repertoire abzuspulen. Das Spiel ist zu komplex, unvorhersehbar und erfordert deshalb ein hohes Maß an schnellen Anpassungen. Der Trainer befähigt die Spieler, bestimmte Systeme zu spielen und trifft wichtige Entscheidungen im Sinne des Teams, fördert gleichzeitig die Spieler bestmöglich individuell, vermittelt Werte und gibt dem Spiel eine Bedeutung, um die Spieler zu motivieren und mit den nötigen Werkzeugen auszustatten, um das Spiel in allen nur erdenklichen Situationen erfolgreich meistern zu können.

 

Die Kybernetik ist eine eigenständige Wissenschaft und hat als eine der ersten Wissenschaften angefangen, auf interdisziplinäre Art Natur- und Geisteswissenschaften in einen Kontext zu setzen. Ihre Basis ist der Grundgedanke, dass es natürliche Gesetzmäßigkeiten gibt, die die Steuerung, die Kontrolle und damit das Funktionieren von Systemen bestimmt. Die Gesetze der Kybernetik wurden von dem bereits erwähnten Stafford Beer auf die Führung und das Management von Unternehmen übertragen. Heute fließt die Kybernetik oder Teile des kybernetischen Gedankenguts unter anderen in folgende Bereiche ein:

 

Die Erfolgsstrategie der Anpassung

· Technik und Technologie (Technische Kybernetik)

· Geisteswissenschaft (Systematik oder Kybernetik zweiter Ordnung)

· Wirtschafts- und Sozialwissenschaften (Ökonomische, Management, Unternehmenskybernetik, Soziokybernetik)

· Biowissenschaft/Neurowissenschaft (Biokybernetik)

· Bauwesen (Baukybernetik)

 

Die Kybernetik trägt in vielen Bereichen dazu bei, Ideen und Lösungen zu kreieren, mit denen man Komplexität effizient managen und daraus Erkenntnisse für eine funktionierende Zukunft ableiten kann. Ohne Kybernetik gäbe es keine Computer, keine Elektronik, keine Informatik, kein Internet und vieles andere auch nicht. Stafford Beer schreibt der Kybernetik die hohe Fähigkeit zu, die vielfältigsten Probleme in den unterschiedlichsten wissenschaftlichen Disziplinen lösen zu können. Malik (2002) schreibt: „Es waren die Kybernetik und die eng mit ihr in Zusammenhang stehenden Gebiete der Systemwissenschaften und der Informationstheorie, die es ermöglicht haben, die dritte Grundgröße der Natur, nämlich Information, überhaupt zu verstehen, zu erklären und sie schließlich systematisch zu nutzen.“

 

Befassen Sie sich intensiv mit der Systematik der Kybernetik, weil sie Ihnen gute Ideen liefert, wie Sie mit Komplexität umgehen, um im Job noch effizienter und wirksamer Ihre Ziele erreichen zu können. Dabei sind zwei Begriffe für Ihre Verinnerlichung der Kybernetik besonders wichtig: Selbstorganisation und Feedback/Rückkopplung.

 

Selbstorganisation ist die Devise

Um Komplexität in einer erfolgreichen und effektiven Weise in zielgerichtetes Handeln für die Kunden und für das eigene Personal zu überführen, empfiehlt die Kybernetik, die Selbstorganisation der Systeme zu nutzen und zu unterstützen. Das heißt, entweder auf Führung bewusst zu verzichten oder zumindest auf „weiche“ Führungsinstrumente zurückzugreifen, die der Systemrevolution ihren freien Lauf lässt. Nur so können sich alle in der Selbstorganisation beteiligten Mitarbeitenden auf einen kreativen und vorbehaltlosen Dialog einlassen.

 

Ein Beispiel für effiziente Selbstorganisation ist beispielsweise der Kreisverkehr, er wesentlich einfacher, natürlicher und preiswerter funktioniert als eine digitale und mit komplexer Sensorik versehene Ampel. Anstelle der Kommandosignale der Ampel tritt die Selbstregulierung der Autofahrer. Der Kreisverkehr befähigt die Autofahrer, sich selbst zu organisieren, ohne den Eingriff einer weiteren Instanz, die ihnen vorschreibt, was sie zu tun haben. Ein weiteres Beispiel ist ein Orchester, das sich auf der alleinigen Grundlage von Notenblättern immer wieder neu selbst organisiert. Die wahre Qualität des Orchesters kommt über das Zusammenspiel und das ständige gemeinsame Arbeiten an der besten Interpretation der Noten zustande. Der Dirigent sorgt dann für das Tempo und die besondere Note des musikalischen Ausdrucks.

 

Eine Organisation als lebendiger Organismus, der sich selbst steuert, die internen und externen Erkenntnisse aufnimmt und bewertet und sich selbst reguliert, ist einer eher statischen und auf hierarchischer Fremdsteuerung beruhenden Organisation weit überlegen.

 

Eine systemkybernetische-organische Organisation wird wesentlich schneller, kreativer und nachhaltiger komplexe Probleme lösen können – allein schon durch eine hohe Eigenmotivation der beteiligten Menschen, die Dinge zu lösen ohne eine Hierarchie oder eine Struktur, die Vorgaben macht und Sichtweisen von Beginn an begrenzt oder gar nicht zulässt. Aus meiner langjährigen Praxis weiß ich, dass das Organisieren von Organisationen rund um isoliert handelnde „Boxen/Silos“ tödlich ist und dafür sorgt, dass ein gemeinsames Arbeiten an einer vereinbarten Zielsetzung und Strategie sehr häufig überhaupt nicht möglich ist.

 

Dies ist der Tatsache geschuldet, dass heute niemand als einzelne Person in der Lage ist, die komplexen Prozesse in einem Unternehmen zu beobachten und zu steuern, geschweige denn die immer komplexer werdenden Bedürfnisse der Kunden effizient zu erfüllen. Boxen und Silos untermauern ineffiziente Hierarchien und Machtstrukturen, die in keiner Weise geeignet sind, komplexe Probleme nachhaltig zu lösen. Sie werden heute noch von vielen Führungspersonen bewusst aufrechterhalten, ja, sogar gepflegt, um die eigene Macht zu sichern. Mitarbeitende werden durch die Unart dieser Führung ausgenutzt und von der Fokussierung abgebracht.

 

Liegt solch eine Situation vor, dann müssen folgende Fragen beantwortet werden: Wie schaffe ich Boxen und Silos ab? Wie bringe ich eine meist sehr komplexe Matrixorganisation zum Laufen? Wie entbürokratisiere ich die schwerfällige Organisation? Und wie löse ich lähmende Blockaden? Bei der Beantwortung dieser Fragen kann das bereits erwähnte Viable System Model (VSM) helfen, das wir Stafford Beer zu verdanken haben.

 

Das Viable System Model ist die abstrahierte Nachbildung des menschlichen Zentralsystems und damit eine Art Template für die Implementierung eines kybernetischen Steuersystems in einer Organisation. Das Nervensystem ist die Schaltzentrale unseres Körpers. Über kabelähnliche Verbindungen, die Axone, werden Informationen schnell und reibungslos im ganzen Körper weitergeleitet. In Ihrem Körper wird laufend kommuniziert: Ihre Sinne nehmen Signale aus der Umwelt auf und leiten sie ins Gehirn weiter, Ihr Gehirn gibt als Reaktion darauf Befehle an die Muskeln und Organe, steuert gleichzeitig aber auch zahlreiche Vorgänge im Inneren des Körpers. Deshalb sind Sie in der Lage zu denken, zu sprechen, zu fühlen, zu atmen und sich zu bewegen.

 

Was bedeutet Selbstorganisation?

Die Vergegenwärtigung, wie das zentrale Nervensystem ganzheitlich in unserem Körper selbstorganisiert arbeitet und wie es zum einwandfreien Funktionieren des Körpers maßgeblich beiträgt, ist ein gutes Beispiel, wie Selbstorganisation und Selbstregulierung zu hervorragenden Ergebnissen führen können – insbesondere beim Lösen von Problemen höchster Komplexität, wie zum Beispiel bei der Bewältigung umfangreicher Change-Prozesse.

 

Was bedeutet Selbstorganisation konkret in Ihrem beruflichen Alltag, und wie können Sie Selbstorganisation in Ihrem Unternehmen etablieren? Hinweise auf die Antwort gibt die Darstellung der drei unterschiedlichen Level der Selbstorganisation:

· Level 1: Die Teammitglieder entscheiden eigenständig, wie sie ihre Arbeit am besten erledigen.

· Level 2: Die Teammitglieder entscheiden zusätzlich zum Level 1 auch die Qualität der Arbeitsinhalte, sie setzen Standards und kontrollieren sie selbst.

· Level 3: Das Team agiert eigenständig unternehmerisch und entscheidet über die eigenen Arbeitsinhalte, Ziele und Art der Bearbeitung. Die Führungsrollen sind flexibel auf verschiedene Personen aufgeteilt.

Sie sollten also zu Beginn dieses Prozesses fragen, wie viel Selbstorganisation für das Unternehmen kulturell jetzt schon machbar und verkraftbar ist und in welchen komplexeren Aktivitätsfeldern Sie schnelle und nachhaltige Ergebnisse benötigen. Es ist auch möglich, dass Sie das Prinzip der Selbstorganisation testweise und zum Lernen neben der bei vielen

Unternehmen nach wie vor ausschließlich praktizierten hierarchischen Führung einführen. Auf diese Weise bekommen Sie und alle Beteiligten mehr Sicherheit, wie Selbstorganisation auf den Weg gebracht wird, welche kulturellen Veränderungen in der Organisation Sie vornehmen müssen und welche Ergebnisse diese Form der Organisation liefert (Johannsen, Lübbers 2018).

 

Selbstorganisation muss von allen Beteiligten gelernt werden. In dieser Organisationsform wird vom Mitarbeitenden verlangt, dass er Verantwortung für das große Ganze übernimmt und Entscheidungen im Sinne des Teams oder der Organisation trifft, anstatt einfach nur auf Anweisung seine Arbeit zu machen. Die Motivationsgrundlage verschiebt sich von der Führungskraft („Ich mache das, weil mein Vorgesetzter das von mir verlangt“) hin zum Sinn der Organisation („Ich mache das, weil es dem Purpose und den Zielen der Organisation und damit auch dem Kunden dient“).

 

York von Heimburg: „Fit für die Zukunft! Zwölf Strategien für nachhaltigen Unternehmenserfolg“; Hanser Verlag, 192 Seiten, 39,99 Euro https://www.hanser-kundencenter.de/fachbuch/artikel/9783446462632

 

Unsere Arbeitswelt zeichnet sich dadurch aus, dass die Arbeitskräfte heute laufend und permanent neue Situationen und Aufgaben bewältigen müssen, um das Unternehmen zum einen in dem jeweiligen Markt überlebensfähig und resistent gegen Krisen zu machen und andererseits mittels Kreativität, Innovation und Einzigartigkeit Marktanteile auszubauen. Und da ist die Selbstorganisation das probate und geeignete Mittel, um sehr gute und nachhaltige Lösungen zu generieren, immer im engen Austausch mit der internen und externen Unternehmenswelt.

 

Selbstorganisiertes Arbeiten setzt ebenfalls voraus, dass Mitarbeitende Verantwortung für neue, noch nie dagewesene Aufgaben übernehmen. Sie sollten fähig sein, Entscheidungen unter Unsicherheit eigenständig zu treffen. Das gelingt durch die gemeinsame, interdisziplinäre, nicht hierarchische und vernetzte Zusammenarbeit und die vorbehaltslose Diskussionskultur, die einer Selbstorganisation zugrunde liegt. Selbstorganisation funktioniert nur, wenn sich Kolleginnen und Kollegen sicher fühlen und auch Fehler machen dürfen. Gleichzeitig ist es elementar wichtig, darauf zu achten, eine Kultur zu entwickeln, bei der sich Mitarbeitende untereinander Feedback geben. Nur so können sie gemeinsam lernen und immer wieder ihre Erkenntnisfortschritte justieren.

 

Ein weiterer grundlegender Unterschied der Selbstorganisation im Gegensatz zur hierarchischen Struktur ist die Tatsache, dass Führungskräfte für Mitarbeitende arbeiten und nicht die Mitarbeitenden für die Führungskräfte. Selbstorganisation bedeutet die Umkehr der traditionell hierarchischen Arbeitsweise. Bereits mit der Erfindung der Kybernetik wurde das heute moderne Diktum des agilen Arbeitens geschaffen.

 

Selbstorganisation umsetzen

So sollten Sie sich als Führungskraft beim Aufsetzen einer Selbstorganisation verhalten:

· Stellen Sie Fragen, anstatt die Antworten selbst zu geben.

· Fördern Sie mutiges Handeln und unternehmerisches Denken. Seien Sie so transparent, wie es nur geht.

· Machen Sie alle relevanten Informationen leicht zugänglich. Legen Sie alle Informationen offen, die wichtig und entscheidend sind für das unternehmerische Handeln.

· Entwickeln Sie gezielt die Stärken Ihrer Teams und analysieren Sie, wie Sie selbst mit einem individuellen und entwicklungsförderlichen Feedback dazu beitragen können.

· Schaffen Sie eine offene und transparente Unternehmenskultur, in der die Arbeitskräfte ihren Unmut und die Unzufriedenheit ohne Vorbehalte zum Ausdruck bringen können. Führen Sie danach einen Prozess der Einigung herbei, damit alle Beteiligten ein klares Commitment abgeben und alle zusammen in die vereinbarte Richtung gehen.

· Entwickeln Sie Konzepte und Prozesse, wie Konflikte bereits gelöst werden, bevor sie entstehen.

· Stärken Sie die Verbundenheit der einzelnen Teams. Fördern Sie Diskussionen und das Gemeinsamkeitsgefühl.

 

Die Zeit der strikten Hierarchie ist vorbei. Nach Malik entstehen vielmehr Hierarchien von Systemen, die ineinander rekursiv eingebettet sind. Das heißt in der Praxis, dass die einzelnen Hierarchieebenen eng und immer im Bezug zueinander und hochgradig vernetzt zusammenarbeiten. Damit wird, so Malik, Management mehr Wirkung haben, nicht weniger, und das ohne Macht einsetzen zu müssen, da Selbstregulierung entsteht. Die Logik der rekursiven Systemstruktur veranschaulichen die aus Russland bekannten Matroschka-Puppen: In jeder Puppe findet sich wieder eine etwas kleinere Puppe. Rekursion ist also eine Erklärung für einen Begriff, die den Begriff selbst für kleinere Varianten von sich selbst benutzt. Malik (2017) weiter: „In der Sprache von Systemwissenschaft und Kybernetik würde man sagen, dass eine funktionierende Organisation rekursiv aufgebaut sein muss, dass sich das Ganze im Teil findet und der Teil dem Ganzen entspricht.“

 

Beim Aufbau selbstorganisierter Teams sind folgende Aspekte zu beachten:

1. Teams definieren selbst klare Zielvorstellung, Aufgabenbeschreibung, KPI, Entscheidungsbefugnisse sowie Zeit-, Budget- und Ressourcenpläne.

2. Die Ergebnisse von Punkt 1 werden dem übergeordneten Führungsteam zur Abstimmung und zur Verabschiedung vorgelegt. Das Feedback des Führungsteams läuft in die Arbeit der Teams ein.

3. Es gibt im Führungsteam einen Verantwortlichen für das Coachen und Managen der Teams. Der Verantwortliche hat für diese Rolle ausreichend Zeit und bildet auch die Schnittstelle der verschiedensten Teams zu dem Führungsteam. Außerdem hilft er – wenn nötig –, den selbstorganisierten Teams zu guten Ergebnissen zu kommen.

4. Teams müssen mit allen relevanten Experten in dem Unternehmen und divers zusammengesetzt werden. Es gibt einen Moderator des Teams, der aber seine Rolle nicht missbraucht, die Diskussion und die Ergebnisse in eine gewisse Richtung zu treiben. Es sollten maximal bis zu zehn Teilnehmer in der Gruppe sein. Partiell kann das Team noch weitere Experten aus dem Unternehmen hinzuziehen.

5. Die Ergebnisse jedes Meetings müssen dokumentiert werden und den jeweiligen anderen Teams offengelegt werden. Dazu gibt es heute gute Software-Tools, die diese Aufgabe übernehmen können.

6. In einem definierten Rhythmus präsentieren die verschiedenen Teams die Ergebnisse dem Führungsteam und geben Feedback über den Stand der Dinge aus ihrer Sicht.

7. Die Ergebnisse der Entscheidungen werden genau beobachtet und kontrolliert von den Teams und dem Führungsteam. Das Führungsteam hat das Recht, in die Entscheidungen einzugreifen – aber nur dann, wenn die Entscheidungen der Teams gegen die vereinbarten Ziele und Aktivitäten aus Punkt 1 stehen.

8. Das Führungsteam fasst die Ergebnisse zusammen und präsentiert sie eingebettet in die Strategien der gesamten Belegschaft und bittet Mitarbeitende immer wieder um Feedback. Gegebenenfalls können auch ausgewählte Kunden in die Feedback-Routine integriert werden.

9. Es braucht Mut zum Auflösen von Teams und zur Bildung neuer Teams mit neuen Skills.

 

Wenn Selbstorganisation funktionieren soll, müssen sich die Teams zumindest für einen gewissen Prozentsatz ihrer Zeit aus der täglichen Arbeit herausziehen können. Am besten ist es, wenn die Teammitglieder für die Zeit des Bestehens der Teams vollständig für diese Arbeit freigestellt werden. Die größten Fehler beim Aufbau von selbstorganisierten Teams sind immer wieder zu knappe Ressourcen: Die Teams müssen dann die komplexen Aufgaben in der Selbstorganisation lösen und parallel dazu die Routinearbeit erledigen. Das ist ineffizient und führt in keinem der beiden Bereiche zu einem befriedigenden Ergebnis.

 

Sie werden bei den ersten guten Ergebnissen sehen, welche Power und Motivation bei der Arbeit in selbstorganisierten Teams entsteht. Und dass es eine hervorragende Methode ist, um komplexe Themen effizient und agil zu bearbeiten und kreativ zu lösen.

 

Jeder kann ein Leader sein!

Es gibt eine intensive Diskussion in der Literatur über den Unterschied zwischen einem Manager oder einer Managerin und einem Leader (m/w). Vereinfacht gesagt, sind Managementpersonen kraft ihrer Position in einem Unternehmen hauptsächlich mit den wichtigsten Verantwortungsbereichen wie der Planung, der Organisation, der Steuerung der Ergebnisse und des Controllings betraut. Ein Manager kümmert sich darum, die Ressourcen so einzusetzen, dass sie zum bestmöglichen Ergebnis führen. Und ja, Manager können auch gute Leader sein, wenn es ihnen gelingt, die Kolleginnen und Kollegen mittels Kommunikation, Motivation, Inspiration, Coaching, Ermutigung und nachhaltiger Führung intrinsisch dazu zu bringen, die Extra-Meilen im Sinne der Unternehmensvision und der Unternehmensziele zu gehen. Oftmals folgen Mitarbeitende Führungspersonen, weil sie dazu verpflichtet sind.

 

Der Unterschied zwischen einem Manager und einem Leader besteht darin, dass ein Leader nicht zwangsläufig eine Management-Position bekleiden muss. Einfach gesagt: Ein Leader braucht keine formelle Bestätigung, alle Mitarbeitenden können Leader sein! Sich das zu vergegenwärtigen ist zentral, denn dieser Satz verändert das vorherrschende Rollenverständnis in Organisationen.

 

Zentralistische Organisationsformen, die das Ziel haben, Unternehmen auf Effizienz zu trimmen, werden viel zu starr und unflexibel sein, um schnelle und richtige Antworten auf die sich verändernden Marktgegebenheiten zu geben. Unternehmen werden diese Herausforderung meistern, wenn es ihnen gelingt, ihre Leader zu einer Einheit zu formen, zu orchestrieren und so ein harmonisches Klangbild aller Leader nach innen und nach außen zu kreieren.

 

Wirkliche Leader bringen sich mit ihrer ganzen Persönlichkeit und Leidenschaft in eine Organisation ein, sammeln um sich Verbündete und investieren viel Herzblut in die Aufgaben und Projekte. Andere Mitarbeitende sind bereit, den Leadern zu folgen, weil sie ihre Aufgabe ernst nehmen, weil sie authentisch, ehrlich und offen sind und weil sie daran glauben, dass alle zusammen wesentlich besser die Aufgaben bewältigen und die Ziele erreichen können als jeder einzelne für sich allein.

 

Außerdem sind Leader immer offen für Veränderungen und Innovationen und fähig, sich auch außerhalb der gewohnten Pfade zu bewegen. Die Ziele müssen dabei nicht unbedingt rein organisatorischer Art sein.

 

Sie sollten den Unterschied zwischen einem Manager und einem Leader kennen. Wenn Hierarchien und damit auch Sicherheit nicht mehr wirklich existieren, können Menschen in den unterschiedlichsten Rollen nachhaltig zum Unternehmensergebnis beitragen, auch ohne eine klare Führungsrolle inne zu haben. Das wird unser Arbeitsleben sehr viel spannender und erfüllter machen. Jeder kann aktiv zum Erfolg des Unternehmens beitragen und wird damit auch wesentlich mehr wertgeschätzt, als das bei traditionellen Strukturen der Fall ist.

 

Die Erfolgsstrategie der Anpassung

Anders Indset hat im vierten Kapitel seines Buches „Quantenwirtschaft“ (2020) treffend beschrieben, dass der wahre „Chef in einem Unternehmen das Projekt ist, und (dass) jeder von uns nur so erfolgreich sein (wird) wie das Ergebnis des Projektes, an dem wir beteiligt sind. Leadership wird überall sein, und Management wird durch Technologie abgedeckt und ersetzt werden. Es wird kein Oben und kein Unten geben, nur ein Vorne und ein Hinten.“ Die Aufgabe des zukünftigen Managements besteht in der nachhaltigen Verbesserung der Organisation hinsichtlich der Anpassungsfähigkeit, den Arbeitsbedingungen, der Produktivität und der Teamzufriedenheit. Der bereits weiter vorne genannte Jurgen Appelo (2010) beschreibt in einem seiner Bücher die neue Rolle der Führungskräfte als „kompetente Organisationsentwickler“, die bewusst und gemeinsam mit anderen an der kundenorientierten und anpassungsfähigen Weiterentwicklung des komplexen Systems einer Organisation arbeiten.

 

Die richtige Organisation entscheidet nicht allein über den Unternehmenserfolg. Hinzukommen muss eine Unternehmenskultur, in der die Leistungserbringung gefördert wird und die allen Beteiligten Freude macht. Damit schlagen wir ein neues Kapitel auf.

 

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