Bei dem sozialen Netzwerk LinkedIn war dem Düsseldorfer Strafrechtler Jürgen Wessing – er ist der Gründer der Kanzlei Wessing & Partner – und mir derselbe Dienstleister, ein Coach der besonderen Art, aufgefallen. Jemand, der Menschen auf ihre Gefängnisstrafe vorbereitet und über die Knast-Spielregeln und Fallen aufklärt. Die Expertise: Er war selbst früher mal Gefängnisinsasse.
Kurz vor dem Lockdown trafen Wessing und ich uns zum Recherche-Lunch und kamen uns vor wie an der Tafel an einem Königshof. So lang war der Tisch, so groß die corona-gerechte Distanz. In seinen Augen sei solch ein Coach eine nützliche Sache. Denn Menschen, die ins Gefängnis müssen, erleiden einen ungeheuren Kulturschock, sagt er. Er muss es wissen, ist er doch seit vielen Jahren Strafverteidiger für Manager und Weiße-Kragen-Täter. Er hat schnieke Banker erlebt, die stets wie aus dem Modekatalog entsprungen ausgesehen hatten. Nach einer Woche in U-Haft wirkten sie schon wie Clochards. Sie liessen sich hängen, waren unrasiert und ungewaschen.
Der Knast ist ein Kosmos für sich mit eigenen Regeln, erzählt er. Wer die nicht kennt, dem ergeht´s oft schlecht. Und nicht erst nach der Verurteilung, sondern auch schon in U-Haft. Anwalt Jürgen Wessing gibt den Klienten Tipps mit hinter die Gitter. Zum Beispiel nie anderen Häftlingen preiszugeben, was genau ihnen der Staatsanwalt vorwirft. Allenfalls einen Satz zu sagen wie „Es ging um Geld“ – und keine Wort mehr.
Oder: Bloß nie zuzugeben, dass man vermögend ist. Wo genau die Manager das in U-Haft gefragt werden können, will ich wissen. Zum Beispiel auf dem täglichen Hofgang. Den kennt man aus amerikanischen Spielfilmen. Dann fragen sie die anderen Häftlinge „Wer bist Du?“, „Was machst Du?“, „Hast Du ein Häuschen?“, „Was für einen Job hast Du?“ oder „Was für ein Auto hast Du?“.
Die tägliche Besuchszeit der Gefängnisinsassen untereinander: Zellenumschluß
Die andere Gelegenheit für solche Fragen der Mithäflinge ist der Zellenumschluß. Dann werden jeden Tag einmal alle Zellentüren geöffnet, lerne ich, damit sich die Häftlinge gegenseitig besuchen können. Und wenn man die Tür einfach zulässt, will ich wissen? Das sei keine gute Idee, sagt der Düsseldorfer. Wer´s tut, mache sich nur zur Zielscheibe. Sein Rat an seine Mandanten: Kommunizieren Sie mit den anderen, aber erzählen Sie nichts. Das, was Sie können und haben, sollten sie um Himmels willen im Nebulösen lassen. Sonst könne man selbst schnell bedroht oder erpresst werden. Oder schlimmer noch, seine Familie draussen. Oder es gebe ganz zufälling kurz danach einen Einbruch in sein Haus.
Wer auf einen Schlag alles verliert: Macht, Privilegien, Freiheit, das gute Leben
Ob das denn zum Job eines Anwalts gehört? Verhaltenstipps fürs Gefängnis? Wenn ein Verteidiger merkt, dass sein Klient unbedarft ist, unbedingt, versichert mir der Rheinländer. Dann müsse er ihn eincoachen. Sonst erlebe er dort sein persönliches Waterloo. Vor allem: Ab dem Moment, in dem ein Manager verhaftet wird und alles auf einen Schlag verliert – seine Macht, seine Privilegien, seine Freiheit, den ungehinderten, laufenden Kontakt zu seiner Familie – wird der Strafverteidiger zum wichtigesten Menschen in seinem Leben.
Manchmal habe ein Mandant auch Essensprobleme und müsse sich sein Essen in die Justizvollzugasanstalt bringen lassen, sagt Wessing. Auch das arrangieren Strafverteidiger für ihre Klienten und das ist in der U-Haft auch noch möglich. Nur eins muss der Mandant bedenken: Es sei unklug, auf dem Wege den Mithäftlingen zu zeigen, dass man etwas Besonderes sei.
Gemeinschaftsduschen auch für U-Häftlinge
Eine andere Schwierigekeit sind zum Beispiel die Duschen: Nicht mal im Untersuchungsgefängnis gibt es Einzelduschen, sondern alle müssen in die Gemeinschaftsdusche. Vergewaltigungen durch andere Häflinge seien an der Tagesordnung – auch als Mittel der Einschüchterung und Unterdrückung, erzählt der Anwalt. Ein junger, gutaussehender Grieche, der wohl Steuern hinterzogen hatte, wurde auf diese Weise regelrecht gebrochen. Bei erster Gelegenheit türmte dieser Mandant über die Grenze in die Hemat und ward hierzulande nie mehr gesehen, erinnert sich Wessing.
Was es im Knast gibt: Drogen – jedweder Art
Ob es in der U-Haft auch Fernsehen und Radio gibt? Wenn man genug Geld auf seinem Gefängniskonto hat: ja. Mit diesem Guthaben kauft man im Gefängnisladen ein – doch Alkohol, den gibt es dort nicht, erzählt Wessing. Aber was es im Gefängnis gibt: Drogen. Und zwar jede, die man haben wolle. Aber die gibt es nicht im Gefängnisladen.