„Vor Gericht gibt es wenig Freunde“, so US-Strafverteidiger Nick Oberheiden im Interview. Und warum er manchmal seinen Mandanten im Gericht das Mikrofon wegreißt.

 

Nick Oberheiden, Strafverteidiger aus den USA, über Strafprozesse gegen Manager vor amerikanischen Gerichten und die Unterschiede zu Deutschland.

 

Nick Oberheiden (Foto: Privat)

 

Herr Oberheiden, was können Manager in den USA vor Gericht bei ihrem Auftreten falsch machen? 

Ein Fall wie der von Josef Ackermann mit seinem Victory-Zeichen im Gerichtssaal ist mir auf Top-Managerebene in den USA nicht bekannt. Das liegt daran, dass der vorsitzende Bundesrichter alle im Gerichtssaal Anwesenden noch vor dem Eintreten der Geschworenen unter Androhung von Sanktionen scharf verwarnt, ihr Benehmen und Verhalten dem Ansehen des Gerichts anzupassen.

 

… das bedeutet was genau?

Das beinhaltet beispielsweise einen Hinweis, dass im Falle eines nicht ausgeschalteten Telefons, die US- Marshalls als persönliche Schutzorganisation der Bundesrichter, das Telefon unverzüglich beschlagnahmen werden. Die meisten Richter weisen auch ausdrücklich darauf hin, dass Angeklagte sich in keiner Weise – also auch nicht durch Gesten oder Worte – die Zeugenaussagen kommentieren dürfen. Auch wird allen Beteiligten verboten, in irgendeiner Weise mit den Geschworenen zu kommunizieren. Das heißt in der Praxis: während einer Pause darf ein Verteidiger beziehungsweise ein Mandant nicht zur gleichen Zeit wie ein Geschworener zur Toiletten gehen darf. Diese Auflagen gelten auch außergerichtlich. Gerade in Verfahren mit großem Medieninteresse sind amerikanische Anwälte angehalten, laufende Prozesse nicht mit den Medien zu besprechen. Das gilt, wie die Sanktionen gegen US-Politikberater Roger Stone kürzlich zeigten, auch für die Angeklagten. Sollten Prozessbeteiligte versuchen, ein laufendes Verfahren öffentlich – bei Roger Stone über die sozialen Medien – zu kommentieren, verhängen amerikanische Richter sogenannte Gag orders, also eine Art verbalen Maulkorb.

 

Was raten sie ihren Mandanten noch vor dem ersten Gerichtstermin?

Unabhängig von der Prozessstrategie sollte der Mandant möglichst nicht als abgehoben, arrogant oder vermeintlich bessergestellt daher kommen. Teure Uhren und andere Luxus-Accessoires, provokante Gesten und jegliche Form von Überheblichkeit gehören nicht in einen Gerichtssaal. Letztlich ist es eine Frage der jeweiligen Prozesssituation, wie sich ein Mandant vor Gericht verhält.

 

Was ist, wenn der Mandant gestanden hat?

Dann ist es Aufgabe des Verteidigers, dem Gericht den Nutzen des Geständnisses bis ins letzte Detail zu erläutern. Dabei muss ich betonen, dass der Mandant früh – ideal: früher als alle anderen – ein freiwilliges Geständnis abgelegt hat. Und dass diese Entscheidung der Staatsanwaltschaft und letztlich dem Gericht enorm viel Zeit und Ressourcen erspart hat. Abgesehen von Geständnissen sind Aussagen des Angeklagten selten. Gerade in Wirtschaftsverfahren mit erfahrenen und akademisch gebildeten Mandanten kann dies vereinzelt zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Anwalt und Mandant führen. Doch gerade in den großen Verfahren gilt: Schweigen ist Gold.

 

Wann raten Sie als US-Strafverteidiger Mandanten zum Geständnis?

Meine Aufgabe als Strafverteidigers, das beste Ergebnis unter den gegebenen Umständen für meinen Mandanten herauszuholen. Diese Maxime gilt auch dann, wenn der Sachverhalt und die Beweislage nur eine zwingende Empfehlung zulassen: das Geständnis. Gerade in den großen Wirtschaftsstrafverfahren – im Gegensatz etwa zu Ermittlungen wegen organisierter Kriminalität – ist das Geständnis eine bekannte Strategie, den eigenen Mandanten in ein möglichst gutes, nämlich kooperatives Licht zu rücken, und damit teils erheblich Einfluss auf das Strafmaß zu nehmen. Wenn ein erfahrener Anwalt im Lichte aller zur Verfügung stehenden Informationen und nach einem intensiven und wiederholten Gespräch mit seinem Mandanten zu der Schlussfolgerung kommt, dass dieser Fall vor Gericht nicht zu gewinnen ist, muss ein Geständnis in Erwägung gezogen werden. Diese Empfehlung setzt aber voraus, dass der Mandant tatsächlich in der Lage ist, seine Schuld ehrlich und umfassend zuzugeben.

 

Raten Sie öfter dazu, andere zu verpfeifen?

Wer gesteht, kooperiert regelmäßig umfassend mit den Strafverfolgungsorganen. Das beinhaltet eine völlige Offenlegung der strafbaren Handlungen und der Komplizen. Wer sind die Hintermänner? Wie wurde der strafbare Plan erstellt? Wer war wie und in welchem Umfang beteiligt? Wo ist das Geld? Diese Praxis der Zusammenarbeit kann gerade dann, wenn die Informationen glaubhaft und hilfreich sind— mithin andere Beteiligte überführt— zu einem enormen Strafnachlass führen. Nicht umsonst gilt in den USA der etwas makabre Spruch: warum zehn Jahre Haft akzeptieren, wenn man fünf Jahre davon einem „Freund“ schenken kann.

 

Wenn sich ein reuiger Manager auf einmal ganz klein macht: wie spielen sich ehemalige Komplizen vielleicht auch gegenseitig aus, wenn es mehrere Angeklagte gibt?

Vor Gericht gibt es wenig Freunde. Partner, die jahrelang an einem Strang zogen, selbst Familienmitglieder und engste Bekannte, im Rahmen eines Strafverfahrens denkt jeder erst einmal an sich selbst. Manchmal ist es von Vorteil, mit anderen Angeklagten ein Zweckbündnis aus strafprozessualen Erwägungen einzugehen. Doch letztlich kann ein Angeklagter den anderen Angeklagten nie sicher trauen. Gerade wenn die Beweislage eine Dimension erreicht, die eine Verurteilung nahezu vorhersehbar macht, kommt es immer wieder zu einer Verantwortungsdelegation: plötzlich beschuldigen sich die verschiedenen Angeklagten mittels ihrer Anwälte gegenseitig. In Antizipation dieser Strategie muss sich die Staatsanwaltschaft daher schon vor Prozessbeginn festlegen, welche Vorwürfe auf welchen Angeklagten im Einzelnen zutreffen, um so der bezweckten Verantwortungskonfusion vorzubeugen.

 

Im Unterschied zu deutschen Gerichten werden US-Manager aber regelrecht gecoacht vor ihren Auftritten im Gericht. Richtig?

Absolut. Was in den meisten Ländern der Welt als verpönt gilt, wenn nicht gar ausdrücklich verboten ist – nämlich das Coachen eines Zeugen -, ist in den USA verpflichtende Praxis. Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Verteidiger interviewen ihre Zeugen im Rahmen der Prozessvorbereitung, um zunächst ihre Prozesstauglichkeit, Relevanz und Effektivität zu testen.

Im stark ausgeprägten Parteienprozess in USA obliegt es jeder Anwaltsseite, ihre Beweise und Zeugen zu produzieren, um sie einem objektiven, aber verfahrenstechnisch weitgehend unbeteiligten Schiedsrichter, dem Richter, als ausschlaggebend zu präsentieren. Vor großen Geschworenenprozessen werden die Zeugen – manchmal, wenn auch selten, der eigene Mandant – teils tagelang auf ihre Aussage vor Gericht vorbereitet. Je nach Prozessdimension werden auch professionelle Berater wie Geschworenenberater oder Psychologen konsultiert, um den Geschworenen ein möglichst perfektes Bild zu liefern. Auch Experten wie Finanzgutachter oder Ermittler der Verteidigung, werden diesen Ritualen unterzogen. Im Falle der Aussage des Angeklagten selbst steht viel auf dem Spiel. Trotz aller Businessraffinesse und trotz allem Intellekt, ein stundenlanges Kreuzverhör bringt selbst den erfahrensten Wirtschaftsboss an seine Grenze. Wer kann schon von sich behaupten, ein tadelloses Leben geführt zu haben, insbesondere im Kontext eines Prozesses, der in einer Freiheitsstrafe von zehn oder zwanzig Jahren münden könnte?

 

Pflegen US-Strafverteidiger unter einander mehr Teamwork? Nur am Anfang

In den USA sind Verteidigungsabsprachen zwischen mehreren Angeklagten üblich und heissen Joint defense agreement. Die Idee der Verteidiger ist, möglichst lange an einem Strang zu ziehen und den Geschworenen die Angeklagten als ein Team und als eine -unschuldige – Einheit zu präsentieren. Die Realität des „Einer für alle, alle für einen“ sieht jedoch meist anders aus. Nach und nach löst sich die Gruppe der Angeklagten im Laufe eines Prozesses in ihre Atome auf. Um den Juroren plausible Erklärungen für die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft anzubieten, kommt es immer wieder zu kuriosen Szenen, wenn Mitglieder des vermeintlichen Verteidigungsbundes unerwartet ausscheren und urplötzlich, unter Eid, die Schuld auf ihre fassungslos dasitzenden Kollegen und Freunde schieben.

 

Wie läuft das, gibt´s weitere Unterschiede zwischen deutschen und US-Strafverfahren? Je höher der Schaden, umso länger die Haftstrafe?

In den USA steht für den Angeklagten wesentlich mehr auf dem Spiel. Viele Betrugsverfahren tangieren im Falle der Anklage die Lebenserwartung des Angeklagten substanziell. Verliert der Anwalt, ist eine Gefängnisstrafe von zehn bis zwanzig Jahren jedenfalls in US-Bundesverfahren gang und gäbe. Das Strafmaß bestimmt sich nach der Höhe des Schadens. Eine Verurteilung bei einer Millionen Schadenshöhe zieht nahezu unweigerlich viele Jahre Haft nach sich. Bei einer exorbitanten Schadenshöhe  – wie im Wirecard Fall – erblassen verurteilte Manager spätestens dann, wenn die Strafempfehlung ans Gericht „lebenslange Haft“ lautet.

Die eigentliche Prozessvorbereitung kann dabei in den USA wie in Deutschland bei großen Wirtschaftsfällen mehrere Jahre dauern. Was sich in diesem Zeitpunkt jedoch in der Vorbereitung unterscheidet ist, inwieweit sich die Anwälte selbst in Deutschland beziehungsweise in den USA um die Prozessgestaltung kümmern. Bekanntlich obliegt das Herzstück des Prozesses, die Zeugenvernehmung und das Kreuzverhör, den Parteien. Nur selten mischt sich ein Vorsitzender Richter in die Fragestellung der Anwälte ein und nur vereinzelt machen – besonders engagierte – Geschworene von ihrem Recht Gebrauch, den Richter zu bitten, ihre schriftlich mitgeteilten Fragen an die Anwälte vorzulesen.

 

Erinnern Sie sich an einen US-Prozeß, bei dem sich ein Manager auffällig, dreist oder respektlos verhalten hat, ähnlich wie Ex-Arcandor Chef Thomas Middelhoff?

Absolut. Ein Gerichtssaal ist keine Bühne, kein Raum für Eitelkeiten, sondern der Ort für Sachargumente. Wenn sich ein Angeklagter dreist oder unangemessen verhält, ist das dem betreuenden Anwalt als Fehler anzurechnen. Es ist die Aufgabe des Anwalts, seinen Mandanten zu kontrollieren und mit der Erwartungshaltung des Gerichts vertraut zu machen. Von der Kleidung über das allgemeine Verhalten wie kein Grinsen, keine Gesten muss alles der bezweckten Ernsthaftigkeit und Glaubwürdigkeit untergeordnet werden.

Je prominenter der Mandant, umso verlockender scheint das Bedürfnis, sich primär Sorgen um die Reputation in den Medien zu machen. Da öffentliche Stellungnahmen zu einem laufenden Verfahren jedoch mit einer konzentrierten Verteidigung unvereinbar sind, kommt es durchaus manchmal vor, dass man dem Mandanten das angebotene Mikrofon praktisch vor der Nase wegnehmen muss.

Ein Auftritt wie von Michael Jackson in seinem kalifornischen Prozess wäre der absolute Albtraum jeden besonnenen Anwalts.

 

Noch ein Unterschied zu deutschen Gerichten: Manager, die in den USA strafrechtlich verfolgt werden, werden für ihre Gerichtsauftritte gecoacht?

Es gehört zu den Kardinalaufgaben eines US-Anwalts, seine Zeugen ausführlich vor ihrer Vernehmung zu testen und zu überprüfen. Diese Verpflichtung bezieht sich sowohl auf den eigenen Mandanten – sollte er denn aussagen – , als auch auf Gutachter, Sachverständige und einfache Tatsachen- oder Charakterzeugen. Das gilt für Strafverteidiger und Staatsanwälte.

So arbeitet gerade beispielsweise ein Mandant von mir gerade als Kronzeuge – und Mitangeklagter – mit dem FBI und dem Justice Department zusammen. Schon Wochen vor der Aussage meines Mandanten vor Gericht haben die Bundesstaatsanwälte ihn in stundenlangen Proben im lokalen FBI-Gebäude in meiner Gegenwart auf die Gerichtsaussage vorbereitet. Am Ende kennt er die Fragen, die ihn von der Regierung erwarten – und die vermeintlichen Fragen des anschließenden Kreuzverhörs.

 

Links:

https://de.wikipedia.org/wiki/Roger_Stone

Nick Oberheiden Biografie

Lese-Tipp wiwo.de (Paid):

Demut ist die beste Verteidigung. Nach dem Skandal ist vor dem Prozess: Wenn Manager, wie jetzt bei Wirecard, in den Fokus von Staatsanwälten geraten, entscheidet die Taktik ihrer Strafverteidiger über Verurteilung oder Freispruch, Haftstrafe oder Geldbuße. Auf drei strategische Züge kommt es an. https://www.wiwo.de/my/erfolg/management/strafverteidiger-demut-ist-die-beste-verteidigung/26070070.html

 

 

 

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