Buchauszug Frederike Probert: „Mission Female. Frauen. Macht. Karriere.“

Buchauszug Frederike Probert: „Mission Female. Frauen. Macht. Karriere.“

Frederike Probert (Foto: FAZ/Grünewald)

KARRIEREALLTAG: GESCHICHTEN AUS DEM WIRKLICHEN LEBEN

Während der Jobeinstieg eine Experimentierphase ist, in der Frauen wie Männer gelegentlich Lehrgeld zahlen und hoffnungsfrohe Joberwartungen mit rauen Tatsachen konfrontiert werden, sieht man die Jobwelt nach einigen Jahren und etlichen Erfahrungen kritischer und geht Herausforderungen strategischer an. Hat man sich für Aufstieg und Karriere entschieden, wird man sein Umfeld sorgfältiger wählen, erst recht, wenn man als Frau die ersten desillusionierenden Erlebnisse hatte. Doch auch das schützt nicht vor bösen Überraschungen.

 

FRAUEN MACHEN DIE ARBEIT, MÄNNER MACHEN KARRIERE

Einige Jahre vor der eingangs geschilderten Maschinengewehr-Episode, als Key-Account-Managerin bei einem großen Software-Unternehmen, war ich für den Aufbau eines Vertriebsbüros in Norddeutschland verantwortlich, stellte Mitarbeiter ein, verhandelte immer relevantere Deals mit immer größeren Umsatzvolumen. Ich wollte allen zeigen, dass ich es bis nach oben schaffe, und die Rahmenbedingungen schienen dafür perfekt. Bei der Aufbauarbeit konnte ich zeigen, dass es mir gelingt, ein Team zum Erfolg zu führen, und unsere Zahlen sprachen für sich – so dachte ich jedenfalls. Ich hatte das klare Ziel, die Niederlassungsleitung zu übernehmen. Dann wurde von heute auf morgen ein externer Manager eingestellt, um den Job zu übernehmen, für den ich zwei Jahre alles gegeben hatte. Der Mann war zehn Jahre älter als ich, mit längerer Erfahrung, aber deutlich weniger fachlicher Expertise und Verbindung
zum Team. Sowohl das Team als auch ich waren geschockt, dass uns ohne
Vorankündigung jemand vor die Nase gesetzt wurde.


Frederike Probert: „Mission Female. Frauen. Macht. Karriere.“ Frankfurter Allgemeine Buch, 224 Seiten, 22 Euro   https://fazbuch.de/produkt/mission-female/

 

Lieber Kompetenz von aussen

Der neue Manager hielt sich zwar nicht lange, da er nicht die erwarteten
Verkaufszahlen vorweisen und sich nicht im Team integrieren konnte. Doch auch danach setzte man wieder auf „Kompetenz von außen“. Als mir dann noch auf der Betriebsfeier ein betrunkener Kollege sein Gehalt ins Ohr lallte, das fast doppelt so hoch wie meines war, kam ich ernsthaft ins Grübeln, ob ich am richtigen Platz bin.

Um eine lange Geschichte kurz zu machen: Nachdem auch der neue Chef mein (halbes) Gehalt für ausreichend befand, habe ich meine Zielmarke woanders erfolgreich verhandelt und das Unternehmen verlassen. Gelernt hatte ich, dass auch sichtbare Erfolge nicht für eine Beförderung prädestinieren, sondern dass der Männerbonus für eine Frau in manchen Kontexten nicht zu brechen ist.

 

Offen thematisiert werden die Faktoren nicht

Und wieder einmal bestätigte sich, dass keineswegs nur „sachliche“ Kriterien bei der Besetzung einer Position eine Rolle spielen. Ob es Kontakte hinter den Kulissen gab (die bekannten Männerseilschaften) oder ob es einfach die implizite Erwartung (das „Unconscious Bias“) gab, ein Mann würde auf dieser Position in jedem Fall noch mehr erreichen als jede Frau – ich weiß es bis heute nicht, denn offen thematisiert werden solche Faktoren natürlich nicht. Ein gern zitierter Hinderungsgrund schied jedenfalls aus: Ich hatte meine Karriereziele offen angesprochen und nicht etwa still gehofft, man würde meine Qualitäten entdecken und mich für mein Engagement von sich aus „belohnen“.

 

Karriereorientierung der Frauen: Unbedingt

Mit dieser Erfahrung stehe ich nicht allein da. Vor einigen Jahren veröffentlichten Soziologen der Technischen Universität Berlin eine qualitative Studie unter dem Titel „Generation 35 plus – Aufstieg oder Ausstieg?“ In leitfadengestützten ausführlichen Interviews gingen sie den Karrierewegen in Wirtschaft und Wissenschaft auf den Grund. Im Bereich Wirtschaft befragten sie 18 weibliche und 13 männliche junge
Führungskräfte. Ein zentrales Ergebnis: „In der Wirtschaft sind Männer und Frauen gleichermaßen karriereorientiert. Auffällig ist jedoch, dass bei Weitem mehr Frauen als Männer den Aufstieg in der Hierarchie explizit als Karriereziel angeben bzw. planen. Die jungen weiblichen Führungskräfte unseres Samples konterkarieren damit die unterstellte – und zur Erklärung der Unterrepräsentanz von Frauen in Führungspositionen häufig herangezogene – fehlende weibliche Karriereorientierung.

Als Reaktion auf diese stereotype Zuschreibung kommunizieren die jungen
Führungsfrauen – und das ist neu – ihre Karriereorientierung offensiv und vermeiden es offenbar tunlichst (…) ihren weiteren Aufstieg den Dynamiken der Strukturen zu überantworten.“ Doch berechtigte Ansprüche anzumelden, ist nicht immer von Erfolg gekrönt, sodass etliche der Befragten, Männer wie Frauen, einen Ausstieg erwägen.

Die Studienautoren differenzieren dabei zwischen „Kulturkritischen“, die mit
dem Widerspruch zwischen organisationalen Leitbildern und „einem als äußerst restriktiv erlebten Konzernumfeld“ nicht länger leben wollen, „Dynamikern“, die flexibel auf die Umstände reagieren, und „Entschleunigern“, die sich von ihren Karrierezielen verabschieden, sozusagen in die innere Emigration flüchten.

 

Unfaire Beförderungsmechanismen, intransparent und von Seilschaften beeinflusst

Das Leben ist nicht fair, und auch die Beförderungsmechanismen im Unternehmen sind es nicht. Das ist keine neue Erkenntnis. Doch je weniger transparent und je weniger formalisiert Beförderungen gehandhabt werden, desto stärker können Nebenziele, Partikularinteressen und die altbekannten Seilschaften Einfluss nehmen darauf, wer es auf der Karriereleiter weiter nach oben schafft und wer nicht. Und nicht selten ist es tatsächlich so, dass Frauen die Kärrnerarbeit leisten dürfen, während Männer die Früchte ernten.

Ein Beispiel in meinem Netzwerk ist die Personalleiterin, die ihr Leben jahrelang ganz auf den Job ausrichtet, weitgehend auf Privatleben verzichtet und obendrein in einer schwierigen Zeit massiven Personalabbau organisiert – nur, um dann mit fadenscheinigen Gründen einen Aufhebungsvertrag präsentiert zu bekommen. Hintergrund: Ein erfolgloses Vorstandsmitglied, dessen Ausscheiden für das Unternehmen angeblich „zu teuer“ würde, muss kurzfristig mit einem Posten versorgt werden. Und „Personal“ kann ja angeblich jeder.

 

BITTE GUT AUSSEHEN, LÄCHELN UND SCHWEIGEN

Mein anschließender Job als Geschäftsleitung für ein amerikanisches
Technologieunternehmen war noch männerlastiger als die vorigen. Ich ging jedoch davon aus, dass aufgrund der scheinbaren Fortschrittlichkeit und Akzeptanz von Frauen in der US-Wirtschaft bessere Voraussetzungen für Frauen herrschten. Zu diesem Zeitpunkt meiner Karriere wollte ich mich auf meinen Job konzentrieren und nicht zusätzliche Energie auf Grabenkämpfe verschwenden, die ausschließlich mit meinem Geschlecht zu tun hatten.

Grundsätzlich waren die Strukturen für Frauen im neuen Unternehmen auch deutlich professioneller. Es gab Mentoring und Coaching-Programme, Netzwerktreffen der globalen weiblichen Führungskräfte und öffentlich beworbene Veranstaltungen zum Thema „Frauen in Technologieunternehmen“. Ich fühlte mich endlich richtig aufgehoben und startete voller Elan mit dem Aufbau des Geschäfts. Hier war gefragt, was ich am besten konnte – Vertrieb und Unternehmensführung für meinen eigenverantwortlichen Bereich, so dachte ich.

 

Auch US-Unternehmen sind nicht besser in puncto Frauenförderung

Leider bekam das Bild vom amerikanischen Tech-Unternehmen, das Frauen in Führungspositionen fördert, schon bald Risse. In Meetings mit dem US-Management äußerte ich offen meine Einschätzung zu Marktaufbau, Produkt- und Preisstrategie, Teamaufbau und Kundenmanagement. Das war mein Job, und Frauen durften sich hier schließlich voll einbringen. Davon war ich überzeugt, bis unter dem Konferenztisch
der erste Tritt gegen mein Schienbein kam – von meinem Vorgesetzten.

 

Profane Tricks gegen Frauen

Ach, das war sicher nur ein Versehen, nahm ich an. Wenig später wurde
ich in einer Videokonferenz auf einmal ausgeblendet. Ich führte das
auf eine schlechte Internetverbindung zurück. Dass mein Vorgesetzter
mich „remote gemutet“, also von außen stumm geschaltet hatte, wurde
mir erst klar, als er mich kurz darauf nach einer Konferenz mit den US-Kollegen schroff aufforderte, bitte zukünftig ausschließlich ihm das Reden zu überlassen. Ich könne in Meetings ab sofort gut aussehen und solle weiter nett lächeln, aber das Reden mit dem Management sei sein Job. Und nur seiner.

Waren Frauen hier also nur als stille Mäuschen geduldet? Oder handelte es sich bei diesem Szenario um einen Einzelfall einer egozentrischen Persönlichkeit? Nach ein paar Wochen kündigte ich. Die Frage blieb für mich unbeantwortet, aber ich fühlte mich deutlich besser.

Eine wiederkehrende Erfahrung zieht sich wie ein roter Faden durch mein Berufsleben: Die schönsten Leitbilder und die vollmundigsten Versprechungen nützen einem nichts, wenn der direkte Vorgesetzte oder der unmittelbare Kollegenkreis ein Problem mit selbstbewussten Frauen hat.

Dieses Phänomen ist durchaus verbreitet, und in vielen Feldern hofft man, sich mit einer pflegeleichten Alibifrau aus der Genderaffäre zu ziehen. Im Präsidium eines Branchenverbands erlebte ich, dass es nach hinten losgeht, wenn man fortschrittliche Absichtsbekundungen ernst nimmt. Mein ausdrückliches und erklärtes Ziel war es, Frauen in der Branche mehr Sichtbarkeit zu verschaffen und sie aktiv auf Veranstaltungsbühnen zu holen.

Nach einigen Anlaufschwierigkeiten klappte das überraschend gut – offenbar zu gut für eine Fortsetzung unserer Zusammenarbeit. Denn vor den nächsten Vorstandswahlen legten mir meine ausschließlich männlichen Kollegen den freiwilligen Rücktritt nahe. Angeblich aus Gründen wie „fachlicher Fit“, „strategische Ausrichtung“ und „Interessenvertretung“ der Vereinigung.

 

Die geschlossene Front der Männer

Interessant ist, wie perfekt sich die sonst durchaus nicht immer einigen männlichen Vorstandsmitglieder im Vorfeld abgestimmt hatten. Ich sah mich unverhofft einer geschlossenen Front gegenüber. In punkto Seilschaften können wir Frauen noch viel von den Männern lernen. Das Beispiel illustriert, dass niemand – erst recht keine Frau – allein erfolgreich sein kann. Selbst ganz an der Spitze braucht man Verbündete, und klugerweise sichert man sich diese, bevor man kontroverse Themen angeht. Dazu braucht es manchmal mehr Geduld und Langmut, als mir persönlich eigen ist.

Die Doppelbödigkeit progressiver, frauenfreundlicher Parolen und einem „Weiter so!“ hinter den Kulissen, das männliche Pfründe sichert, ist weit verbreitet. Dabei bleibt man meistens politisch korrekt und verschanzt sich hinter den immergleichen Pseudoargumenten.

Die AllBright Stiftung hat sie in einem „FührungsFrauenFloskel-Bingo“ zusammengestellt. Auszüge:

1. „Es gibt doch schon Frauen in Führungspositionen. Das erledigt sich
mit der Zeit von allein.“ (AllBright bestreitet das zu Recht, denn das
tatsächliche Veränderungstempo ist bekanntermaßen minimal.)

2. „Dass Frauen in Unternehmen diskriminiert werden, habe ich noch
nicht erlebt.“ (Dazu AllBright: „Strukturelle Benachteiligung im Unternehmen
bemerken vor allem die, die von ihr betroffen sind.“)

3. „In unserer Branche arbeiten hauptsächlich Männer. Daher gibt es
auch wenige Frauen in Führungspositionen.“ (AllBright weist darauf
hin, dass in frauendominierten Branchen ja auch Männer führen, warum
also nicht umgekehrt?)

4. „Bei uns spielt das Geschlecht keine Rolle. Was zählt, ist Qualifikation.“
(AllBright verweist darauf, dass die männliche Dominanz nicht so
extrem wäre, würde das wirklich stimmen.)

5. „Frauen interessieren sich nicht für Wirtschaft, die studieren Sozialpädagogik
oder Kultur.“ (Dagegen spricht, dass seit 2012 sogar mehr
als die Hälfte der BWL-Absolventen Frauen sind.)

6. „Frauen entscheiden sich halt eher für die Familie als für die Karriere.“
(AllBright: „Frauen entscheiden sich eher für die Familie, wenn ihnen
das Unternehmen keine attraktive Perspektive bietet.“)

7. „Es haben sich keine Frauen für die Führungsposition beworben.“
(AllBright: „Dann hat das Unternehmen etwas falsch gemacht, denn
Frauen sind nicht weniger ehrgeizig als Männer.“)

Am beliebtesten ist sicher Argument 4, die vermeintliche Beförderung
nach Leistung. Polemisch rückgefragt: Wenn das tatsächlich stimmt, woher kommen dann all die männlichen Minderleister in Wirtschaft oder Politik? Die Verkehrsminister, die die Steuerzahlenden Hunderte von Millionen kosten durch übereilte Mautverträge? Oder die Supermanager, die ein Riesenunternehmen wie ThyssenKrupp erfolgreich zugrunde richten?

 

Wer will schon Macht abgeben?

Und wo bleiben die Frauen, die mit Bestleistungen ihre Ausbildung abschließen? Ich fürchte, Robert Franken, Unternehmensberater und Geschäftsführer im Online-Busines, hat Recht, wenn er sagt, „Meritokratie“ (Herrschaft nach Leistung und Verdienst) sei „in Wahrheit männliche Systemerhaltung“. Machen wir uns nichts vor: Die Genderfrage ist auch eine Machtfrage, und es passiert äußerst selten, dass eine Gruppe freiwillig Macht an eine andere Gruppe abgibt.

 

„NIEMAND MIT VERSTAND IST AUTHENTISCH!“

Wenn eine Frau ernsthaft Karriere machen will, muss sie stets auf der Hut sein – so viel dürfte inzwischen klar geworden sein. Und mit dieser Erfahrung bin ich nicht allein. Ein besonders düsteres Bild vom beruflichen Aufstieg zeichnet die Unternehmensberaterin und Headhunterin Wiebke Köhler, die es bis zur Personalvorständin eines internationalen Konzerns brachte. Ihre schonungslose Abrechnung über „Machtspiele
im Management“ war sogar dem „Spiegel“ einen Bericht wert.

Nicht in allen Unternehmen geht es so gnadenlos zu, sicher. Aber die Zusammenstellung von Schreckensbeispielen sollte Frauen (und auch Männer, falls
nötig) von einem grundlegenden Irrtum heilen: dem Glauben, wer Karriere
machen will, könne und solle „authentisch“ sein. Frei nach dem bekannten,
aber selbstmörderischen Motto „Ich will mich nicht verbiegen“.

Eine kleine Auswahl der nur halb ironisch gemeinten Empfehlungen von Köhler:

• „Intriganten gibt es überall! Wenn keine sichtbar sind, heißt das nicht, dass keine da sind – sondern dass Sie noch nicht genau genug hinschauen.“

• „Natürlich reden Sie als Führungskraft nicht offen und ehrlich. Woher haben Sie denn diesen Unfug? Von der Uni? (…) Niemand, der bei Verstand und in einer Führungsposition ist, ist authentisch.“

• „Lass deine Persönlichkeit zu Hause! (…) Je weniger Sie sich mit Ihrer Meinung und Ihrem Charakter exponieren, umso leichter können Sie jederzeit die Richtung ändern.“
• „Sie wollen geliebt werden? Legen Sie sich einen Hund zu!“

Köhler schildert eine Unternehmenswelt, in der eine Führungsfrau als „Die mit dem Smart“ abgestempelt wird, weil sie nicht den üblichen, sondern einen kleineren Dienstwagen bestellt hat und in der ihr trotz bester Ergebnisse die weitere Beförderung versagt bleibt, weil sie deshalb „nicht repräsentabel“ genug ist. Sie skizziert ein System, in dem einer Marketing-Geschäftsführerin mit einer glatten Lüge die Erfahrung
abgesprochen wird und in der die achtlose Bemerkung einer neuen kaufmännischen Leiterin dazu führt, dass Gerüchte über ihre angebliche „Seniorenfeindlichkeit“ in Umlauf gebracht werden, mit dem einzigen Ziel, ihre Position zu schwächen.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Nicht nur Frauen werden mit solchen Tricks attackiert, das passiert auch Männern. Aber offenbar rechnen Männer eher damit und wissen sich eher zu wehren als Frauen, die häufig glauben, man könne Konflikte
offen ansprechen, Loyalität werde belohnt und eine persönliche Note könne auch im Business nicht schaden.

 

Lieber Pokerface als Vorpreschen mit eigener Meinung

Auch meine Erfahrung bestätigt: Spätestens, wenn frau im Mittelmanagement
angekommen ist und sich dort für die Topebene empfehlen will, ist Vorsicht geboten. Ein Pokerface ist oft ratsamer als ein Vorpreschen mit der eigenen Meinung, Schweigen klüger als ein Kommentar, der angreifbar macht, und ein Gespür für die Machtverhältnisse wichtiger als gute Beziehungen zu jedermann. Wenn mit „Authentizität“ unüberlegte Spontaneität sowie das unverstellte Zeigen von Gefühlen
gemeint sind, dann ist Authentizität im Management tatsächlich problematisch.

Was auf Sachbearbeiterinnen-Ebene vielleicht noch durchgeht, wird beim Aufstieg zum gefährlichen Hemmnis. Das sollte Frauen jedoch nicht abschrecken, denn aus der diffusen Forderung „Ich will authentisch (ich selbst) bleiben!“ spricht eine gehörige Portion Naivität. Wir alle nehmen tagaus, tagein viele soziale Rollen ein: Wir treten im Sportverein anders auf als auf einer Fachkonferenz, argumentieren gegenüber Kunden
anders als gegenüber Mitarbeitern und gehen auf Freunde anders zu als auf einen mächtigen Vorstand. Verhalten wir uns etwa „authentisch“, wenn wir am Telefon einen mehrtägigen Besuch anstrengender Schwiegereltern abwenden wollen? Wenn wir pubertierende Sprösslinge von der Notwendigkeit eines Schulabschlusses überzeugen möchten? Oder wenn wir beim Jahresempfang einer Rede applaudieren, die das, was
im Unternehmen im Argen liegt, mit hohlen Motivationsfloskeln überspielt?

In welcher dieser Situationen ist man wirklich authentisch, ganz „man selbst“? In Wahrheit wäre eine Welt, in der jede und jeder immerzu „authentisch“ ist, furchtbar anstrengend. Kaum jemand möchte, dass einem die Kollegin auf die Frage, „Wie geht’s?“ tatsächlich von Magenschmerzen oder Geldsorgen erzählt. Soziale Rollen schaffen Distanz und machen das Miteinander erträglicher. Angemessener sollte es bei dieser Debatte nicht um „Authentizität“ als diffuses Konzept mit unreflektiertem
Wohlfühlanspruch gehen, sondern um die eigenen Werte und darum, welche davon unantastbar sind. Kernwerte definieren die eigene rote Linie. Diese Linie markiert, wo Strategie und Taktik enden und wo frau/man bereit ist, Flagge zu zeigen und dafür gegebenenfalls auch persönliche Nachteile in Kauf zu nehmen – frei nach Luther: „Hier stehe ich. Ich kann nicht anders.“

Dann sollte es aber um etwas mehr gehen als um die Marke des Dienstwagens oder darum, dass frau statt Businesskleidung lieber blumige Röcke tragen würde. Zur souveränen Haltung im Management gehört auch die Entscheidung, auf welchen Feldern sich zu kämpfen lohnt und wo man sich das Leben durch taktische Anpassung
leichter macht.

 

 

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