Gastbeitrag CNN-Wirtschaftsmoderatorin Julia Chatterley: „Unternehmenswachstum muss nicht in Konflikt mit Klimazielen stehen“

Wachstum von Unternehmen ist nicht unbedingt der Klimafeind

Gastbeitrag von CNN-Wirtschaftsexpertin Julia Chatterley, über die Kritik von Greta Thunberg an der Wirtschaft und an der Fantasie des Wachstums: Unternehmenswachstum muss nicht in Konflikt mit Klimazielen stehen. Nachhaltige Strategien und Produkte können sogar sogar Wert kreieren, wie das Beispiel von Adidas mit CEO Kasper Rørsted zeigt.

 

Julia Chatterley (Foto: CNN International/First Move)

 

„How dare you?“ („Wie könnt ihr es wagen?“) – Eine Frage, die nicht nur Delegierte der UN-Generalversammlung vor Ort, sondern Menschen auf der ganzen Welt beschäftigte. Lediglich die Entwicklungen auf dem Capitol Hill um ein Amtsenthebungsverfahren von Donald Trump konnten Greta Thunbergs leidenschaftliche, emotionale und beunruhigende Rede im vergangenen Monat aus den Schlagzeilen verdrängen.

 

Wachstum als Umweltfeind?

Ein Rückblick: Bei ihrem Auftritt griff Thunberg die „Phantasie“ des Wachstums an und nahm jene auseinander, von denen sie glaubt, dass sie an der Klimakrise beteiligt seien. Sie beschuldigte die Wirtschaft, den Profit vor unseren Planeten zu stellen. Inmitten neuer Warnungen vor einer beschleunigten Erwärmung der Ozeane und einem steigenden Meeresspiegel war es nur schwer, der Vorstellung zu entkommen, dass der Planet zum Scheitern verurteilt ist.

Es gab jedoch auch einige prominente Stimmen, die dagegen hielten – wie etwa der Vorsitzende des französischen Luxuskonzerns LVMH, Bernard Arnault. Er bezeichnete Thunberg als „dynamisches junges Mädchen“, stellte aber fest, dass sie sich „dem Katastrophismus völlig hingab“. Ihre Ansichten seien laut Arnault „für junge Menschen demoralisierend“.

 

Weit von der Demoralisierung entfernt lernen hingegen die Aktivisten dieser Generation, dass Extremismus der Weg ist, sich über das schleppende Handeln der Regierungspolitik zu erheben und der Debatte echte Dringlichkeit zu verleihen. Ist also Wachstum in Zeiten, in denen die politischen Entscheidungsträger angesichts einer Verlangsamung der Wirtschaft vor großen Herausforderungen stehen, wirklich eine Phantasie oder gar ein Umweltfeind?

 

Die Kehrtwende: Wenn Umweltaspekte wirtschaftlich sinnvoll sind

In der Wirtschaft liegt oft eine kalibrierte Antwort vor, die auf bestimmte Prioritäten basiert. So verfügen börsennotierte Unternehmen über drei Hauptakteure: ihre Kunden, Mitarbeiter und Aktionäre. Nur wenn die Prioritäten jeder dieser drei Stakeholder mit den Umweltbelangen im Einklang stehen, setzt sich die Dringlichkeit im Greta-Stil in der Agenda fest.

 

Konzerne stehen traditionell in der Kritik, dass ihre Prinzipien auf dem Altar des Shareholder Values geopfert werden; aber es gibt ein Gespür in den Vorstandsetagen, dass sich das ändern wird – vor allem, wenn die Berücksichtigung von Umweltaspekten wirtschaftlich sinnvoll ist. Aktionäre mögen da zuversichtlicher sein. Insbesondere wenn es darum geht, eine kleine Rendite zu opfern, wenn klimafreundlichere Richtlinien dazu beitragen können, eine Generation von Verbrauchern anzuziehen, für die Nachhaltigkeit wichtig ist.

 

Der eigentliche Wendepunkt bestünde jedoch darin, wenn überhaupt keine Opfer gefordert sind: Eine nachhaltigere Einstellung kann durchaus mehr Gewinn und Wachstum bedeuten, fragen Sie einfach Adidas-CEO Kasper Rørsted. „Produkte zu haben, bei denen ein Nachhaltigkeitsversprechen vorliegt, macht einen großen Unterschied im Markt aus“, erklärte er mir kürzlich. „Wir sehen darin eine Geschäftsmöglichkeit.“ Laut Rørsted sind grüne Produkte auf dem besten Weg, Adidas eine halbe Milliarde Dollar einzubringen.

 

Cahtterley im Gespräch mit Adidas-CEO Kasper Rørsted über den US-chinesischen Handelsstreit (Foto: CNN/First Move; CNN International)

 

Ambitionierte Pläne

Bei einer solchen Argumentation geht es also um die Entscheidung, wie wir unser Leben und unsere Arbeit gestalten wollen. Wir können unsere Augen vor einem Wachstum, das die Umwelt zerstört und zu den akuten Problemen beiträgt, nicht länger verschließen. Gleichzeitig wäre es aber unvernünftig, den Fokus auf das Wachstum selbst aufzugeben.

 

Auch in der Politik wird zumindest darüber gesprochen: So forderte António Guterres, Generalsekretär der Vereinten Nationen, bei der UNGA zu konkreten Schritten und der Verpflichtungen zur Bekämpfung der Klimakrise auf. Angela Merkel sprach von konkreten Investitionen in echte Lösungen. Aber auch hier ist die Wirtschaft einen Schritt voraus, vor allem in einem Land wie den USA, wo die Regierung den Umweltschutz zurückfahren möchte.

 

Erst kürzlich kündigte Amazon-Chef Jeff Bezos an, dass sein Unternehmen mehr als nur Mitläufer sein wollte. Er versprach, dass Amazon bis 2040 klimaneutral sein würde – ein ganzes Jahrzehnt vor dem Termin, den Wissenschaftler für die Abwendung einer echten Klimakatastrophe vorgeschlagen haben. Angesichts der Tatsache, dass die Treibhausgasemissionen von Amazon im vergangenen Jahr 44,4 Tonnen betrugen, ist der Plan ambitioniert (und einigen Mitarbeitern ging er sogar nicht weit genug!).

 

Den Lebensunterhalt für den Planeten opfern

Andere Firmenriesen sind noch nicht in der Lage, solche kühnen Entscheidungen zu verkünden. „Was für General Motors gut ist, ist auch für Amerika gut.“ So lautete der berühmte Spruch des einstigen Vorsitzenden und CEOs von GM, Charlies Wilson, im Jahr 1955. Seine Aussage trifft heute nicht mehr zu. Der amerikanische Autoriese beschäftigt sich mit der grundlegenden Frage der Automobilindustrie: Wie kann man sich für eine elektrische Zukunft rüsten, wenn diese Zukunft zwangsläufig Teile der Belegschaft auf der Strecke lässt?

 

Natürlich sind die Verbraucher auch Arbeiter. Aber sind sie bereit, ihren Lebensunterhalt für den Planeten zu opfern? Elektrofahrzeuge werden die Treibhausgase reduzieren, aber das ist nur ein schwacher Trost für Zehntausende von Arbeitnehmern. Die dortige Gewerkschaft für Beschäftigte in der Automobilbranche sagt nämlich voraus, dass sie als Konsequenz daraus ihren Arbeitsplatz verlieren werden.

 

Auch der Finanzsektor spielt eine interessante Rolle. Ein Reihe an Bankinstituten – etwa ein Drittel der globalen Bankenindustrie – hat sich bereits dazu verpflichtet, die Ziele des Pariser Klimaabkommens einzuhalten – unter ihnen auch das niederländische Kreditinstitut ING. CEO  Ralph Hamers erzählte mir vergangene Woche, dass Banken zwar nicht in der Lage seien, ihren unmittelbaren CO2-Fußabdruck zu reduzieren. Man könne jedoch sicherstellen, dass sie Kredite an Kunden vergeben, die sich darum bemühen.

 

Die ING möchte, dass ihre Kunden – wo bereits verfügbar – in die notwendigen Technologien investieren und damit ihren Fußabdruck verbessern. „Wenn sie es nicht tun, können wir sie ausschließen“, sagt Hamers. Seine Sichtweise ist auch eine pragmatische: ING will keine Kredite in Sektoren vergeben, die sich eines Tages auf der falschen Seite der Regulierung befinden und die Bank mit gestrandeten Vermögenswerten belasten.

 

Hürden und Hoffnungen

Der Konsens ist vielleicht das größere Problem. Die Regierung und – bedauerlicherweise – die Lobbyisten sind in dieser Hinsicht wichtige Akteure. Als Reporterin in Brüssel scherzte ich darüber, dass die EU ihren ständigen Sitz doch nach Straßburg verlegen sollte, nur weil es für Lobbyisten beschwerlicher sei, dorthin zu reisen. In Amerika vereiteln Lobbyisten Versuche, einen einheitlichen Weg abseits alter Gewohnheiten zu finden. Elektrofahrzeuge haben es dort sowohl mit roten Teppichen, als auch mit verschlossenen Türen zu tun.

 

So ging man im US-Bundesstaat Georgia von Steuererleichterungen für Käufer von E-Autos in die vollständige Aufhebung dieser Erleichterungen über und endete gar in einer verblüffenden Erhöhung der Steuern für E-Fahrzeuge. Währenddessen versucht das Weiße Haus, die Regulierungsbefugnis Kaliforniens zu schwächen. Elektrofahrzeuge sind nach wie vor ein risikoreiches Spiel für Hersteller, während die Infrastruktur lückenhaft ist und die Unterstützung der Regierung fehlt.

 

Wir sind jedoch nicht zum Scheitern verurteilt. Unternehmen können bei der Suche nach Klimalösungen eine Vorreiterrolle spielen. Der Weg dorthin wird jedoch für alle Beteiligten – vom Mitarbeiter, über den Investor, bis hin zum Kunden – steinig und beschwerlich sein. Die Rolle der Politiker muss es sein, den Weg zu ebnen und sie auf ihrem Weg zu unterstützen. Wenn Greta Thunbergs Rede auch nur eine einzige Botschaft enthielt, hinter die sich Wirtschaft und Regierung gleichermaßen stellen können, dann ist es die Notwendigkeit, sich besser zu koordinieren und schneller zu handeln.

 

Julia Chatterley auf CNN: Anchor von “First Move” (werktags um 15:00 Uhr auf CNN International) 

 

 

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