Buchauszug Waldimir Klitschko: „Challenge Management – Was Sie als Manager vom Spitzensportler lernen können“

Buchauszug Waldimir Klitschko: „Challenge Management – Was Sie als Manager vom Spitzensportler lernen können“

 

Wladimir Klitschko

 

Ergo sum: Ich weiß, wer ich bin

Ich habe dem Boxen sehr viel zu verdanken, doch eigentlich bin ich eher zufällig in den Sport hineingestolpert. Es war Vitali, der sich anfangs für das Kickboxen entschied und später für das klassische Boxen. Damit war es quasi vorgegeben, dass ich – als fünf Jahre Jüngerer – ihm nacheifern würde.

Seit ich denken kann, habe ich mich an meinem Bruder orientiert. Unsere Eltern hatten ihm schon früh die Aufgabe übertragen, auf mich aufzupassen. Ich begleitete ihn überall hin. Er war mein Aufpasser, meine Leitfigur, mein Vorbild. Und er war mein bester Freund. Interessierte er sich für Sport, interessierte ich mich dafür. Ging er zum Training, begleitete ich ihn. Stieg er in den Ring, fieberte ich auf meinen ersten Kampf hin.

 

Für mich hatte es keinerlei Bedeutung, dass uns ein Altersunterschied von fünf Jahren trennte. Im Gegenteil: Ich habe aus seinen Erfahrungen gelernt. Ich beobachtete ihn und hing an seinen Lippen. »Lernt er etwas, kann ich es auch«, redete ich mir ein. Nirgends sah ich Grenzen. Auch wenn ich irgendwann erkannte: Vitali war der geborene »Fighter«, ertrug die Fähigkeit als natürliche Gabe in sich.

 

In mir schlummerte eine ähnliche Veranlagung, die viele in meiner Umgebung Talent nannten. Allerdings musste ich sie erst freilegen, und zwar mit harter Arbeit. Eine
gehörige Portion Ehrgeiz unterstützte mich dabei. Später überlegten wir uns prägnante Motivationssprüche. »Born to fight«, fiel mir für Vitaliein. »Born to win«, rief er mir regelmäßig zu.

 

Ich wollte zu den Besten gehören, in die Liga aufsteigen, in der Vitali bereits einen Namen hatte. Am liebsten wollte ich sogar besser werden als mein Bruder. Denn würde mir das gelingen, so wusste ich, könnte ich alle schlagen.

 

Solange ich körperlich kleiner war als er, war mein Vorhaben aussichtslos. Trotzdem spornten wir uns gegenseitig an, motivierten und unterstützten uns. Das setzte sich fort, als wir in derselben Gewichtsklasse boxten. Wir trainierten mit-, nie gegeneinander und sahen uns nie als Konkurrenten. Einen offiziellen Kampf gegeneinander hätten wir
uns niemals vorstellen können, wir wären um keinen Preis gegeneinander angetreten. Alleine schon, weil wir es unserer Mutter versprochen hatten, aus Respekt unserer Familie gegenüber.

 

Unseren Eltern ist es in erster Linie zu verdanken, dass uns unser Erfolg nicht zu Kopf gestiegen ist. Mein Vater hatte uns neben Disziplin und Durchhaltevermögen auch Bodenständigkeit und Respekt vorgelebt. Meine Mutter, von Beruf Lehrerin, sorgte dafür, dass wir Bildung als wichtiges Rüstzeug für das Leben verstanden. Und so war es für uns beide selbstverständlich, dass wir trotz unseres Sports die Universität abschlossen und sogar promovierten. Etwas anderes hätten unsere Eltern wohl auch nicht akzeptiert. Wir bräuchten eine Ausbildung, um uns unseren Lebensunterhalt verdienen zu können, lautete ihre Überzeugung. Profisportler gab es in der Sowjetunion nicht und war damit kein Beruf. Darüber hinaus wurde Bildung als hohes Gut angesehen, das wertgeschätzt wurde, wo immer es verfügbar war. Diese Überzeugung stellte ich nie infrage.

Als ich mit 20 Jahren tatsächlich Profisportler wurde, arbeitete ich ganz selbstverständlich an meiner Doktorarbeit weiter. »Pädagogische Kontrolle im Sport von Kindern und Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 19«, hieß das Thema. Es interessierte mich sehr, weil es mit meinen eigenen Erfahrungen zu tun hatte.
Einige Freunde aus meinem Internat hatten ihre Karriere beendet, bevor sie richtig begann, weil sie den physischen oder psychischen Druck nicht aushielten.

 

Deshalb führte ich über mehrere Jahre eine Studie an meiner ehemaligen Schule durch. Fast 70 Jugendliche wurden Leistungstests unterzogen. Ich verglich die Ergebnisse miteinander. Warum scheiterten manche, während sich andere überdurchschnittlich gut schlugen? Meine Thesen stellte ich in den Mittelpunkt meiner Dissertation. Mein Vater verfolgte mit Wohlwollen, dass ich mir die Zeit für das akademische Arbeiten nahm, neben meinen Kämpfen und dem Training.

»Boxen ist doch kein Beruf«, merkte er regelmäßig an, wenn wir uns als Jugendliche über unsere Turniersiege freuten. In gewisser Weise hatte er damit sogar Recht: Wie bei jeder anderen Sportart kommt eine Boxkarriere allenfalls als befristete Tätigkeit infrage.

 

Jeder Athlet muss für sich entscheiden, wann es Zeit ist, die Profibühne zu verlassen. Im besten Fall geschieht das, bevor ihn eine Reihe von Niederlagen oder der eigene Körper dazu zwingt. Dass dieser Zeitpunkt allerdings weit vor dem Rentenbeginn eines gewöhnlichen Arbeitnehmers ansteht, ist jedem klar. Ich bin froh, dass ich mir schon als aktiver Sportler vor längerer Zeit andere berufliche Standbeine aufgebaut habe: als Unternehmer, Dozent,als Stifter, um nur einige Beispiele zu nennen.

 

Möglich geworden ist das alles nur durch meine sportlichen Erfolge. Boxen, so habe ich es von Anfang an verstanden, ist für mich ein Instrument; ein Mittel zum Zweck. Es ist nicht die Erfüllung. Und es ist schon gar nicht die Endstation. Doch es ist immer eine Möglichkeit gewesen, meine Träume zu verwirklichen und mich weiterzuentwickeln.

 

Betrachte ich rückblickend meine Erfolge, aber auch meine Niederlagen im Boxen sowie jenseits davon, gibt es sieben inhaltliche Themen, die mein Handeln bestimmen. Anfangs habe ich diese Elemente aus dem Bauch heraus wie einen Filter angewendet. Nicht zufällig spiegeln sie meine Lebensanschauung und meine Art, Entscheidungen zu treffen, der vergangenen dreißig Jahre wieder.

Mir wurde es immer wichtiger, dass auch meine Mitarbeiter in meinen Unternehmen diese Motive verstanden. Deshalb haben wir sie herausgearbeitet, zusammengefasst und dokumentiert. Heute dienen sie als Filter, den das Management in meinen Firmen und Beteiligungen anwendet, um eigenverantwortlich Entscheidungen in meinem Sinne zu fällen.

Er ist der rote Faden, nach dem wir Geschäftsbereiche gründen oder neue
Produkte und Dienstleistungen entwickeln. »ERGO SUM« (lat. für »Also bin ich«) steht für die sieben Elemente, diese bilden das Fundament meiner Philosophie in Kurzform. Jeder Buchstabe der zwei Worte repräsentiert ein Element. Genauso bringt der Begriff
als Ganzes meine Weltanschauung zum Ausdruck: »Ergo sum« – also bin  ich. Für mich ist klar, wer ich bin.

Für manche mag es abgedroschen klingen. Tatsächlich zieht sich »Ergo sum« wie ein roter Leitfaden durch mein Leben:

E – Expertise (Expertise: aus meinen Erfahrungen und der Wissenschaft)
R – Rightness (Richtigkeit: nach meinen ethisch korrekten Grundsätzen
entwickelt)
G – Globalism (Globalismus: 360 Grad, nicht beschränkt, international)
O – Optimism (Optimismus: immer positiv und visionär denkend)
S – Sustainability (Nachhaltigkeit: langfristig denkend und auf die Umwelt
achtend)
U – Uncomplexity (Einfachheit: einfach erklärt und einfach zu verstehen)
M – Maximum (Maximum: immer das Beste und Optimale herausholend)
E – Expertise

 

Expertise aus meinen Erfahrungen und der Wissenschaft

»Wissen und Erfahrungen werden wertvoller, wenn wir sie teilen« Jeder hat und braucht Expertise, um ein Geschäft aufzubauen oder seinen Beruf gut auszuüben, das ist selbstverständlich. Für mich hat der Begriff noch eine andere Bedeutung: Ich bin seit mehr als 20 Jahren im Profisport und habe neben dem Boxen viel Wissen und Erfahrungen aus angrenzenden Bereichen gesammelt. Diese gebe ich weiter, bei allem, was ich mache. An Sportler und besonders auch an Manager, Berater oder Unternehmer. Sogar an Kinder und Jugendliche.

 

Zu realisieren, dass ich in den vergangenen Jahrzehnten in der Praxis weitaus mehr Wissen angehäuft habe als während meines Universitätsstudiums und meiner Doktorarbeit, hat eine Weile gedauert. Ich hatte diesen undefinierten Erfahrungsschatz immer Bauchgefühl genannt.

 

Wladimir Klitschko: „Challenge Management – Was Sie als Manager vom Spitzensportler lernen können“ ,214 Seiten, Campus 2017, 24,95 Euro http://www.campus.de/buecher-campus-verlag/business/management-unternehmensfuehrung/challenge_management-14236.html

 

Wissen wird mehr, wenn wir es teilen

Über die Jahre ist mir aufgefallen, dass die Probleme vieler Menschen hausgemacht sind. Häufig sehen sie kleinste Hürden als unüberwindbare Hindernisse, Schwierigkeiten als nahezu existenzbedrohende Krisen. Eine Weile wunderte ich mich und fragte mich, ob mein Leben im Vergleich zu dem ihren so viel reibungsloser und störungsfreier verlief. Doch ich stellte fest: überhaupt nicht. Es kommt auf die Betrachtungsweise an.

Ein Großteil der Menschen denkt vermehrt in Problemen. Sie haben ein sogenanntes Worst-Case-Szenario vor Augen – Was könnte im schlimmsten Fall passieren? – und sind bestimmt von einer passiven, ängstlichen Denkweise. Damit blockieren sie ihr eigenes Handeln.

Ich hingegen orientiere mich lieber an Lösungen. Taucht ein Hindernis vor mir auf, nehme ich es sportlich und verstehe es als Prüfung, die es zu meistern gilt. »Wie komme ich da drüber?«, frage ich mich. »Wie komme ich gerade so über das Hindernis und wie vielleicht deutlich besser als andere?«

 

Bei der Beantwortung dieser Frage lasse ich mich gerne von erfahrenen Menschen inspirieren. Wann immer es eine Gelegenheit dazu gibt, möchte ich erfahren: »Was war die größte Hürde in Ihrem Leben? Wie haben Sie sie gemeistert?« Egal, ob ihre Herausforderungen mit meinem Leben zu tun haben oder nicht: Ich kann von jeder Geschichte profitieren. Im Laufe der Zeit habe ich an der Art, wie mir die Anekdoten erzählt werden, viel über die Einstellung der Erzähler erfahren. Manche sind angesichts meiner Frage sogar überfordert. Sie finden es wohl ungewöhnlich, dass ich mich für ihr Leben interessiere.

Bei diesen Gesprächen ist mir bewusst geworden, dass ich nicht in Problemen, sondern in Herausforderungen denke. Das meine ich keineswegs arrogant, sondern im besten Sinne selbstbewusst. Auch in meinem Leben gab es Phasen, in denen es nicht so rund lief. Doch ich habe mich entschieden, mich nicht treiben zu lassen. Ich bestimme, wo es langgeht.

 

Aus jeder Niederlage kann ich etwas lernen. Jedes Schlechte hat sein Gutes, davon bin ich felsenfest überzeugt. Ein Misserfolg bedeutet in meinen Augen kein Scheitern, sondern eine unvorhergesehene Wendung im Leben. Wir sollten allerdings bereit sein, unsere Fehler zu analysieren und daraus Rückschlüsse zu ziehen, damit wir es beim nächsten Mal besser machen können. Um sogenannte Misserfolge in Erfolge umzuwandeln.

 

Dieser Ansatz gilt auf der Makro- wie auf der Mikroebene. Schauen wir uns zum Beispiel das Bestreben der Menschheit an, Innovationen hervorzubringen. Dem deutschen Luftfahrtpionier Otto Lilienthal wäre es Ende des 19. Jahrhunderts wohl niemals gelungen, als erster Mensch wiederholt 250 Meter lange Gleitflüge zu fliegen, wären er und viele andere Mutige vor ihm nicht unzählige Male gescheitert. Seine Leistung wurde nur möglich, weil er Misserfolge zuvor als Ansporn verstanden hatte, es besser zu machen, anstatt aufzugeben.

 

Dasselbe können wir in die heutige Zeit übertragen. Ist es hinnehmbar, wenn selbstfahrende Autos Unfälle verursachen und Menschen dabei verunglücken? Nein, es ist schrecklich. Verletzte oder gar Tote müssen vermieden werden. Jeder Todesfall ist einer zu viel. Wird die Entwicklung des autonomen Fahrens deshalb eingestellt werden? Nein, auf keinen Fall.

 

Weil es Fortschritt bedeutet und die Menschheit voranbringt. Betrachte ich es auf der Mikroebene, an meinem persönlichen Beispiel, fallen mir meine Boxniederlagen in den Jahren 2003 und 2004 ein. Sie waren bitter, ich habe an mir gezweifelt. Wollte ich deswegen aufgeben und das Boxen sein lassen? Nein, niemals. Denn ich hatte ein Ziel: Ich wollte alle wichtigen Weltmeistergürtel zusammen mit meinem Bruder Vitali in unserer Familie vereinen. Dazu musste ich weitermachen.

 

Tatsächlich ist es kein Hexenwerk, sich von einer passiven, negativen Gefühlslage in eine aktive, motivierende Stimmung zu bringen. Wir müssen uns lediglich aktiv dafür entscheiden, denn niemand anders kann das für uns übernehmen.

 

Ich habe es über Jahre erprobt und intuitiv eine Methode entwickelt, die aus dem Problem eine Herausforderung macht und fünf Schritte beinhaltet. Hangeln Sie sich an diesen fünf Punkten entlang, fällt es Ihnen leicht, lösungsorientiert vorzugehen und sich aus dem Hamsterrad zu befreien.

1. Zielsetzung: Haben Sie ein Ziel oder lassen Sie sich treiben? Definieren Sie ganz genau, was Sie erreichen wollen.

2. Konsequenzen: Malen Sie sich ein Worst-Case-Szenario aus und stellen Sie sich vor, was passiert, wenn Sie Ihr Ziel nicht angehen.

3. Vorstellung: Halten Sie sich das Best-Case-Szenario vor Augen: Stellen Sie sich vor, Sie sind am Ziel. Wie fühlt es sich an? Was tun Sie?

4. Weggefährten: Bevor Sie aktiv werden, brauchen Sie Mitstreiter: Wer sind Ihre Gefährten, die Sie auf Ihrem Weg zum Ziel begleiten?

5. Besessenheit: Überlegen Sie sich mindestens ein Ritual und entwickeln Sie einen Schlachtplan, um Ihr Ziel nicht aus den Augen zu verlieren.

Damit können Sie sich das Bild Ihres Best-Case-Szenarios täglich in Erinnerung rufen. Lieben Sie, was Sie tun.

 

Ich wende diese Methode in vielen Lebenslagen an. Etwa um mich auf meinen kommenden Boxkampf vorzubereiten. Oder um die Motivation eines potenziellen Mitarbeiters kennen zulernen sowie mich vor einer Verhandlung zu strukturieren.

 

 

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