Top-Manager und Compliance: Ihr Privatleben geht uns sehr wohl etwas an – Buchauszug Manfred Reichl

„Corporate Governance assoziieren die meisten Führungskräfte nur mit Gesetzen, Paragrafen und formellen Regeln. Dabei liegt das Geheimnisse im Verständnis, was Corporate Governance mit all den individuellen Interessen, gesellschaftlichen Wertvorstellungen und persönlichen Emotionen wirklich bedeutet,“ sagt Strategieberater und Unternehmer Manfred Reichl.

Hier ein Auszug aus seinem Buch „Corporate Governance ohne Paragrafen – Die Geheimnisse und Spielregeln guter Unternehmenssteuerung“

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Corporate Governance und Privatleben

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Manfred Reichl , Buchautor und Ex-Partner bei der Unternehmensberatung Roland Berger

Manfred Reichl, Buchautor und Ex-Partner der Unternehmensberatung Roland Berger

 

Nach dem Kapitel über die Boards möchte ich ein Thema ansprechen, das nur selten direkt erwähnt, oft sogar peinlich vermieden wird – außer wenn die Symptome schon derart offensichtlich sind, dass sie das Unternehmen zu schädigen drohen: das Privatleben der obersten Führungskräfte und seine Relevanz für Corporate Governance. In unserer Gesellschaft ist es verpönt, private Schwierigkeiten mit beruflichen Angelegenheiten zu vermischen. Berufs- und Privatleben sind als zwei völlig getrennte Welten zu betrachten. Und für die obersten Führungskräfte hat das Berufsleben vorzugehen – zumindest nach weit verbreiteter Meinung eines einflussreichen Teils unserer Managementlandschaft.

 

Board-Mitglieder dürfen nicht ihr Privatleben abschotten

Wie oft schon haben Führungskräfte mit bedrückter Miene und unterschwelligem Bitten um Anerkennung bemerkt, dass sie ihre Ehe für das Unternehmen oder für ihre Karriere (was immer sie dafür halten) geopfert hätten. Nicht selten wird das positiv aufgenommen. Und wie oft hört man doch die Aussage: „Mein Privatleben geht niemanden etwas an!“ Ich bin grundlegend anderer Ansicht! Für mich ist das Privatleben der obersten Führungskräfte im Rahmen von Governance durchaus relevant, vor allem natürlich bei der Auswahl von Mitgliedern des oder der Boards. Und deshalb muss ich in diesem Buch über nachhaltig erfolgreiche Governance auch dazu eine Bemerkung machen.

 

Ich glaube ganz einfach, dass Topmanagerinnen und -manager, die sich auf keine stabile private Umgebung verlassen können, auch keine nachhaltig erfolgreiche Führungsleistung erbringen können. Dabei meine ich nicht, dass sie ein puritanisches Dasein fristen oder das traditionelle Muster „eine einzige Ehe, keine Scheidung“ auf Dauer leben müssen. Und ich meine auch nicht, dass man – wie dies in den USA öfters zu beobachten ist – nach außen heile Familie spielen soll, während man nach innen ein zügelloses Leben, mehrere Freundinnen/Freunde und einen vergrämten Partner hat. Ich halte auch Personen mit wechselnden Beziehungen nicht für instabile Menschen.

 

Stabile private Beziehungen stärken den Rücken

Aber es geht immerhin um die Führung großer sozialer Einheiten, um die Verantwortung für tausende Arbeitsplätze und um große Vermögen der Investoren. In dieser herausragenden Rolle müssen die Personen an der Spitze nicht nur bezüglich Effizienz und Effektivität sogenannte role models für ihre Mitarbeiter sein, sondern auch in ihrem Verhalten und ihrem die Unternehmenskultur prägenden Wertegerüst. Und dafür sind meiner Ansicht nach stabile private Beziehungen erforderlich, die einer Führungskraft emotional den Rücken stärken.

Denn auch oberste Führungskräfte haben (oft sogar besonders ausgeprägte) Emotionen, die sie meist nur gekonnt überspielen. Die starke Frau/den starken Mann zu spielen ist eine Sache, wirkliche emotionale Stabilität, die auch beruflichen Belastungen standhält, ist eine andere.

Linde Verlag

Linde Verlag, 284 Seiten, 23,99 Euro: http://www.lindeverlag.de/titel-0-0/corporate_governance_ohne_paragrafen-6017/

 

 

Natürlich gibt es in jeder Beziehung Krisen und Schwierigkeiten, Probleme mit den Kindern, Todesfälle oder Seitensprünge, also privat stark belastende Perioden. Das ist unser normales Leben. Gerade dafür braucht man aber tragfähige Partnerschaften.

 

 

Rosenkriege belasten, Scheidungen können erpressbar machen

Natürlich können Beziehungen in die Brüche gehen, natürlich ist der Arbeitseinsatz hoch, natürlich bringt die enge berufliche Zusammenarbeit im Unternehmen Versuchungen mit sich, aber Rosenkriege und häufige Partnerwechsel belasten erfahrungsgemäß die menschliche Substanz über Gebühr. Und Scheidungen entziehen einem Menschen nicht nur physische und psychische Kraft, sondern oft auch den finanziellen Hintergrund. Sie können erpressbar machen und damit tatsächlich und direkt relevant für die Compliance werden.

 

„It´s character that matters“

Vielleicht ist es nicht richtig, all diese privaten Aspekte nur mit Partnerbeziehungen zu argumentieren. Vielleicht ist es  tatsächlich der – umfassend verstandene – Charakter einer Person, der sich gleichermaßen im Privatleben wie im Berufsleben zeigt: Stabilität, Kontinuität, Belastbarkeit und Selbstbewusstsein. So sind alle Bereiche des Lebens – das Berufs- und Privatleben zählen dabei sicher zu den wichtigsten Bereichen – durch einen Satz geprägt: „It’s character that matters!“

 

Die Ehe der Firma geopfert? Welch ein Schwachsinn

Abschließend noch ein Wort zum Ausspruch: „Ich habe meine Ehe dem Unternehmen geopfert.“ Solch eine Aussage halte ich – mit Verlaub und mit einer fast 40-jährigen Berufserfahrung – für Schwachsinn. Natürlich kann eine Ehe scheitern, aber man sollte die Schuld dafür nicht auf die Arbeit schieben. Menschen, die die Balance zwischen Berufs- und Privatleben nicht halten können, können dies auch in ihrem Berufsleben nicht. Solche Aussagen zeigen nur, dass die betreffende Person wenig Selbstbewusstsein hat, nicht gut delegieren kann, dass sie sich selbst für zu wichtig oder die Kollegen und Mitarbeiter für wenig kompetent hält.

Als langjähriger Strategieberater kenne ich natürlich den Druck, bis tief in die Nacht Berichte und Projekte fertigstellen zu müssen. Und ich kenne auch den sozialen Druck, der Mitarbeiter hindert, vor ihren Kollegen nach Hause zu gehen, auch wenn die betreffende Arbeit zu dieser Tages- oder Nachtzeit nicht unbedingt notwendig wäre.

 

Mit Geld lässt sich kein stabiles Privatleben erkaufen

Natürlich gibt es Perioden, die einen höheren Einsatz erfordern. Gute Partner haben dafür aber Verständnis – sofern man ihnen in den zurückliegenden Jahren bewiesen hat, dass man dies zu einem anderen Zeitpunkt wieder ausgleichen wird. Mit Geld alleine kann man sich jedenfalls ein stabiles Privatleben nicht erkaufen.
http://www.lindeverlag.de/titel-0-0/corporate_governance_ohne_paragrafen-6017/

Zum Autor: Manfred Reichl baute als Senior Partner von Roland Berger Strategy Consultants die Büros in Österreich und Osteuropa auf. Heute ist er Investor, Strategieberater und Unternehmer.

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