CNN-Moderator John Defterios exklusiv vom WEF in Davos (II): Plötzlich ist genug Öl da

Exklusiv im Management-Blog vom Weltwirtschaftsgipfel aus Davos:

Rohöl: Plötzlich ist das knappe Gut im Überfluss vorhanden, wundert sich John Defterios, CNN International Wirtschaftskorrespondent (Gastbeitrag)

 

John Defterios von CNN

John Defterios von CNN

Beim Weltwirtschaftsforum 2009 wurde das Thema Rohöl heiß diskutiert. Auch diese Woche wird das schwarze Gold beim Zusammentreffen der Wirtschaftselite aus aller Welt wohl erneut im Mittelpunkt stehen.

Dennoch ist die Lage 2015 ein wenig anders: Statt darüber nachzudenken, wie man genug neue Energiequellen finden könnte, um die Weltwirtschaft am Laufen zu halten, müssen sich Unternehmensführer und Staatschefs mit den Folgen des Überangebots an billigem Erdöl auseinandersetzen. Dieses hat die Produzenten kalt erwischt und könnte die Deflation weltweit anheizen.

 

Vier Millionen Barrel Ölförderung pro Tag in den USA

Eine wahrhaft außergewöhnliche Wendung des Schicksals: Vor sechs Jahren legte US-Präsident Barack Obama seinen Amtseid ab und versprach, Amerikas Abhängigkeit von ausländischen Ölproduzenten zu verringern. Mittlerweile fördern Rohölproduzenten in den USA pro Tag fast vier Millionen Barrel und damit mehr als der ölreiche Irak.

Der Energie-Boom in den USA ist nicht der einzige Faktor, der für die drastischen Marktbewegungen verantwortlich ist. Weitere Produzenten, unter anderem die OPEC-Staaten, haben in den letzten Jahren sehr viel Öl gefördert und Preise von etwa 100 Dollar pro Barrel ausgenutzt. Mittlerweile ist der Barrelpreis aber auf unter 50 Dollar gefallen.

 

Abwärtsspirale beim Rohölpreis

Diese Entwicklung schadet Afrikas großen Öl- und Gasproduzenten wie Angola und Nigeria sowie all den Ländern, die das Ziel verfolgen, in den nächsten zehn Jahren Zugang zum Energiemarkt zu finden. Sowohl Mosambik als auch Tansania planen zum Beispiel, sich beim Erdgas eine starke Marktposition zu erkämpfen. Die Abwärtsspirale beim Rohölpreis auf bis zu 50 Dollar pro Barrel wird den Gaspreis sinken lassen und so aber vermutlich große internationale Ölfirmen und mögliche Investoren verjagen.

Da Nigerias leichtes Rohöl mit dem amerikanischen Pendant konkurrieren muss, wendet sich das Land auf der Suche nach Abnehmern gen Asien – und das zu einer Zeit, in der Chinas Rohölverbrauch ins Stocken geraten ist. Angola wird das Gleiche tun. Beide Staaten sind von dem Rohstoff abhängig, da mehr als 90 Prozent ihrer Exporterlöse aus dem Ölhandel stammen.

Auch von der OPEC ist in absehbarer Zeit keine große Hilfe zu erwarten, wenn es nach Saudi-Arabien geht – und das Land kann sich im Kartell für gewöhnlich durchsetzen.

Saudi-Arabiens Ölminister Ali Al-Naima hat die anderen Erdölförderer, einschließlich der USA und Russland, dazu ermuntert, die Förderung ruhig zu drosseln, falls sie dies wollen, gleichzeitig jedoch klargestellt, dass sein Land diesen Weg nicht gehen werde.

 

Saudi-Arabien wird nicht drosseln

„Saudi-Arabien wird die Produktion nicht drosseln, ganz bestimmt nicht“, sagte der erfahrene Politiker vor Kurzem in einem CNN-Interview. Er ging sogar noch einen Schritt weiter und fügte hinzu: „Wir werden diesen Kurs länger beibehalten, nicht nur 2015.“

Die Großen und Mächtigen, die das alljährliche Weltwirtschaftsforum besuchen, werden sich deshalb in Davos wohl zusammensetzen und diskutieren, wie dieses recht schmerzhafte Jahr für die wichtigen Öl- und Gaskonzerne, deren Manager größtenteils vor Ort sein dürften, aussehen könnte. Der Preis für die Nordsee-Sorte Brent liegt nicht länger bei 115 Dollar wie im letzten Juni, sondern wabert inzwischen knapp unterhalb der 50-Dollar-Marke, was einer Preisänderung von über 60 Prozent entspricht. Dem Energieriesen Baker Hughes zufolge beginnt der krasse Preisverfall langsam weh zu tun. Seit fast 25 Jahren wurden nicht mehr so viele Bohrinseln in den USA geschlossen wie diesen Monat.

Vor dem Treffen in Davos gaben 300 Energiemanager beim Gulf Intelligence Forum in Abu Dhabi bei einer Umfrage an, dass der Ölpreis in diesem Jahr bei 50 bis 60 Dollar bleiben dürfte.

Der sogenannte Endpunkt, an dem sich der Ölpreis auf einem höheren Niveau von 70 bis 90 Dollar pro Barrel einpendelt, könnte noch ganze drei bis fünf Jahre entfernt sein. Dieser Ansicht ist jedenfalls Christophe Ruhl, Global Head of Research bei der Abu Dhabi Investment Authority, einem großen Staatsfonds der Vereinigten Arabischen Emirate.

CNN-Moderatoren Richard Quest (l.) und John Defterios in Davos 2015

CNN-Moderatoren Richard Quest (l.) und John Defterios in Davos 2015

Ruhl glaubt, dass sich der höhere Preis erst einpendeln wird, wenn die Nachfrage weltweit stark genug ist, um die größere Fördermenge in Nordamerika, also das Angebot, zu decken – was aber bislang nicht der Fall ist. Des Weiteren muss sich die Fördermenge der OPEC stabilisiert haben, und zwar auf „eben dem Niveau, auf das sie sich einigen werden“.

Vorherzusagen, wie die Welt in fünf Jahren aussehen wird, ist nicht einfach. Nachdem es in Ländern wie Libyen oder dem Jemen in den letzten vier Jahren zu politischen Erdrutschen kam und die Lage immer noch angespannt ist, sind zwischen dem heutigen Tag und dem Jahr 2020 viele Entwicklungen denkbar.

Hinzu kommen noch Länder wie Algerien und Iran, in denen man den aktuellen Staatshaushalt auf Grundlage eines Ölpreises von 100 Dollar oder mehr pro Barrel kalkuliert hatte. Manch einer lässt bereits durchklingen, dass die großen Golfstaaten mit dem aktuellen Preisdruck heftige Unruhen auslösen könnten.

 

Energieversorgung weltweit in Gefahr?

„Sollten sie einigen ihrer Nachbarstaaten zu großen finanziellen Schaden zufügen“, so Ali Khedury, ehemaliger US-Militärberater im Irak und inzwischen CEO bei Dragoman Partners, „könnten die Feuer, die mit den ungewöhnlich niedrigen Preisen entfacht werden, in einigen Regionen letztendlich zu Radikalisierung und Destabilisierung führen, was wiederum die Energieversorgung weltweit in Gefahr bringen könnte.“

Als das Rohöl rekordverdächtige fünf Jahre in Folge durchschnittlich 100 Dollar oder mehr kostete, beschäftigte man sich in der Branche wegen des Arabischen Frühlings bereits mit Berechnungen über einen Gefahrenzuschlag von bis zu 15 Prozent.

Diese Diskussionen kamen inzwischen durch einen Markt zum Erliegen, der von einem zu großen Angebot geflutet wird. Topmanager und Staatenlenker sind unter Zugzwang und versuchen, die negativen Auswirkungen einzuschätzen, die die Entscheidung der OPEC hat, den eigenen Marktanteil zu schützen.

Seit 2009 hat sich viel geändert. Stellen wir uns darauf ein, dass in den kommenden sechs Jahren noch größere Veränderungen auf uns warten.

Weitere Informationen zur WEF-Berichterstattung von CNN International finden Sie unter: www.cnn.com/davos

 

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