Buchauszug vorab exklusiv (I): „111 Gründe, Anwälte zu hassen“

Eva Engelken, Buchautorin und Expertin für Anwälte PR hat ein Branchenportrait und Psychogramm über die „merkwürdige wie unentbehrliche Spezies Anwälte“ geschrieben mit dem Titel „111 Gründe, Anwälte zu hassen“. Ihre Fragen: „Warum sitzen Anwälte so häufig an den Schalthebeln der Macht? Warum gibt es Rechtsberatung nicht auf Kassenrezept? Und wieso hat noch nie ein Anwalt den Nobelpreis für die beste Rechtsberatung bekommen?“ Oder: „Verträgt es sich mit der anwaltlichen Unabhängigkeit, wenn Anwälte Mandanten beraten und gleichzeitig als Abgeordnete das Volk repräsentieren?“

Hier im Management-Blog zwei Buchauszüge in zwei Folgen:

 

45. Grund: Weil sie Unabhängigkeit als Luxus betrachten,
den sich nicht jeder leisten kann

Frei und unabhängig zu sein, bedeutet bei Anwälten, dass keine staatliche Behörde ihnen Weisungen erteilen darf, wie sie ihre Arbeit zu machen haben. Das war schon mal kurzfristig anders. Im Dritten Reich waren die Rechtsanwälte zwar formell unabhängig, aber durch die Hintertür der Ehrengerichte erhielten sie doch Weisungen.

Unabhängig müssen Rechtsanwälte auch von ihren Mandanten sein. Das heißt, sie sollten sie im wohlverstandenen Interesse des Mandanten so beraten, wie sie es selbst für richtig halten. Das darf sogar dazu führen, dass sie dem Mandanten den Wisch vor die Nase knallen und sagen: »So nicht, mein Freund.« Ein BGH-Anwalt hat das kürzlich gemacht und damit für viel Aufsehen gesorgt.

 

Unabhängigkeit im Haifischbecken?

Gleich mehrere Branchenjournalisten, die ich nach der Unabhängigkeit von Anwälten gefragt habe, sagen mit einem Naserümpfen: »Wirtschaftsanwälte unabhängig? Die sind ein abhängiges Organ der Wirtschaft.« Auch Rechtsanwälte selbst sind sich da nicht ganz sicher. Rechtsanwalt Dr. Michael Kleine-Cosack schreibt: »Die entscheidende Gefahr für die Unabhängigkeit der Rechtsanwälte geht aber heute nicht mehr vom Staat aus. Die offene Flanke des Ideals ist der nichtstaatliche Bereich.«

 

 

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Der Grund für das Problem mit der Unabhängigkeit? Anwälte müssen Geld verdienen. Nicht nur der am Existenzminimum krebsende Junganwalt in einer Einzelkanzlei oder in freier Mitarbeit, sondern mehr noch der umsatzgetriebene Partner oder die Partnerin einer internationalen Wirtschaftskanzlei. Der Platz im Haifischbecken will stets und ständig verteidigt werden.

Bricht der Umsatz ein, zum Beispiel weil Wirtschaftsflaute herrscht und der M&A-Markt einbricht oder ein Spezialbereich wegfällt, weil kein Mensch mehr ein Cross-Boarder-Leasing beauftragt, droht im Extremfall der Verlust der Partnerschaft. 2005, 2006, 2007 haben die großen Wirtschaftskanzleien recht gnadenlos ein Viertel ihrer Partner deequitized. Das ging zwar nicht von heute auf morgen. Die Partner bekamen ein Umsatzziel gesteckt, aber wenn sie das nicht erreichten, verloren sie ihren Partnerstatus und anschließend legte man ihnen nahe, zu gehen. Wer derart Feuer unter seinem Hintern spürt, wagt nichts zu tun, was die Mandanten in irgendeiner Weise vergraulen könnte.

 

Die Angst vor den Mandanten – wie eine Schere im Kopf

Die WirtschaftsWoche-Redakteurin Claudia Tödtmann hat beobachtet, dass man dies das gut an den Äußerungen von Anwälten in der Presse sehen kann. Bittet sie Anwälte beispielsweise, etwas über die Deutsche Bank zu sagen, zucken die meisten erschreckt zurück. Es könnte ja sein, dass man später von der Deutschen Bank beauftragt wird beziehungsweise nicht beauftragt wird, weil man sich irgendwann in der Öffentlichkeit kritisch geäußert hat. Der Justiziar des Unternehmens könnte zufällig genau diese Äußerung gelesen haben und sich gegen die Mandatierung der betreffenden Kanzlei aussprechen. Dass Artikel noch nach Jahren im Internet gefunden werden können, macht die Angst der Anwälte nicht kleiner.

Dabei gibt es genug heikle rechtliche Themen, zu denen Anwälte etwas sagen könnten. Da muss es noch nicht mal um die ganz große Moralfragen gehen. Es reicht ja schon, die Frage zu thematisieren, welche Vergütung Betriebsräte erhalten dürfen, ohne dass sich ihr Arbeitgeber damit wegen Betriebsratsbegünstigung strafbar macht.

Wenn Mandanten allerdings wegen dieser Rechtsfrage gerade in den Schlagzeilen sind, bedarf es eines gewissen Standings, als Anwalt in der Presse zu erörtern, welche rechtlichen Folgen das haben kann. Das besitzen nur wenige Anwälte.

 

Weniger das Mandatsgeheimnis als diffuse Angst, sich Mandate zu verbauen 

„Es zeugt von Unabhängigkeit, wenn man sich hinstellen und erklären kann, dass ein bestimmtes Geschäftsgebaren gegen die Rechtsordnung verstößt“, sagt Tödtmann. Doch ihre Erfahrung zeigt: Nicht wenige Anwälte vermeiden es in solchen Situationen, überhaupt mit einem Statement in der Presse zu erscheinen. Selbst eine objektive Einschätzung der Rechtslage lehnen sie ab. „Bitte haben Sie Verständnis, dass wir uns hierzu nicht äußern möchten“, heißt es dann sogar im Hinblick auf Unternehmen, die nicht zu den Mandanten gehören. Es ist also nicht das Mandatsgeheimnis, das die Anwälte hindert, etwas zu sagen, sondern nur die Sorge davor, etwaige künftige Mandanten zu vergraulen.

Eva Engelken, Buchautorin und Expertin für Anwälte-PR

Eva Engelken, Buchautorin und Expertin für Anwälte-PR

 

„Wes Brot ich ess, des Lied ich sing“

Oft gehen Anwälte sogar noch weiter. Sie vermeiden nicht nur Äußerungen, die ein möglicher Mandant als Kritik empfinden könnte, sie antizipieren sogar dessen mutmaßliche Meinung. Stets nach Goethes Spruch „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing“. Im Arbeitsrecht heißt das: Sie vertreten als Wirtschaftsanwälte die Meinung der Arbeitgeber, nicht die der Betriebsräte oder Arbeitnehmer. Das übernehmen sie dann manchmal in ihr Verhalten, sodass es passieren kann, dass sie am Taxistand eine Betriebsratschefin mit den Worten „Kein Betriebsrat kriegt das erste Taxi“ abdrängen. Naturgemäß lehnen sie Reformen, die ihren Unternehmensmandanten nicht gefallen, ab. Umweltschutzauflagen? Contra von den Anwälten. Frauenquote? Ebenfalls.

 

Die Angst vor den Einkaufsabteilungen der Unternehmen

Noch eine weitere Entwicklung trägt nicht zu mehr Unabhängigkeit von Wirtschaftsanwälten bei, nämlich, dass sie nicht mehr wie früher von Mann zu Mann per Handschlag mandatiert werden, sondern immer öfter von einer Einkaufsabteilung. Die entscheidet nach einem strengen Auswahlverfahren darüber, welche Kanzlei die billigste oder jeweils genehmste ist – und erteilt dann das Mandat.

Die naheliegende Folge wäre, abhängigen Wirtschaftsanwälte nicht mehr zu erlauben, sich Rechtsanwälte zu nennen. Wer nur noch im Dienst der Wirtschaft agiert, ist kein Rechtsanwalt mehr, sondern ein Wirtschaftsanwalt. Bei englischen Anwälten wäre das schwieriger. Sie tragen das Gesetz untrennbar im Namen. Statt »Lawyer« müsste man sie dann »Unlawyer« nennen. Klingt komisch! Vermutlich ist deswegen noch keiner auf die Idee gekommen.

 

Folge II :  „99. Grund Weil sie die Zeitung als private Werbefläche betrachten“ erscheint morgen

 

„111 Gründe, Anwälte zu hassen.Und die besten Tipps, wie man mit ihnen trotzdem zu seinem Recht kommt“ von Eva Engelken, mit Illustrationen von Jana Moskito, 345 Seiten, Taschenbuch, 9,95 Euro (D), ISBN 978-3-86265-403-1, erschienen am 15. November 2014 im Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag: http://www.schwarzkopf-verlag.net/store/p35/Eva_Engelken%3A_111_GR%C3%9CNDE%2C_ANW%C3%84LTE_ZU_HASSEN_.html

Veröffentlichung mit Genehmigung der Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag GmbH, Berlin

 

 

 

 

 

 

 

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