„Unternehmen müssen für ihre angestellten Juristen Milliarden Ero nachzahlen“, sagt Oliver Bertram von TaylorWessing

Arbeitsrechtler Oliver Bertram, Partner bei Taylor Wessing skizziert, warum das Bundessozialgerichts-Urteil zur Sozialversicherungspflicht von Anwälten, die in Unternehmen angestellt sind – Unternehmen wie Betroffene rund zwei Milliarden Euro kosten kann. Und im schlimmsten Fall sogar Haftstrafen drohen könnten.

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Oliver Betram, Taylor Wessing

Oliver Bertram, Taylor Wessing

Die Bundessozialrichter dürften mit ihrem Urteil zur Versicherungspflicht von angestellten, sogenannten Inhouse-Juristen in der allgemeinen Rentenversicherung mehr wirtschaftlichen Schaden verursachen, als ihnen möglicherweise bewusst war: Denn das Urteil hat auch erhebliche rückwirkende Effekte, die allein die Unternehmen, die Inhouse-Juristen beschäftigen, bis zu zwei Milliarden Euro kosten können. Im schlimmsten Falle drohen den Verantwortlichen sogar hohe Geld- oder Haftstrafen – nämlich wegen Hinterzíehung von Sozialbeiträgen.

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Nun warten die Betroffenen auf zweierlei: die Urteilsbegründung des Bundessozialgerichts und die Argumentationslinie für eine Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe. Während die Berufsverbände hierfür schon die Vorbereitungen treffen, wird immer mehr Syndicusanwälten die wirtschaftliche Dimension der Entscheidung klar – und dass auch sie selbst mit den Folgen des Urteils werden umgehen müssen.

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Ärzte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Apotheker, Architekten oder Ingenieure ebenso betroffen? 

Denn anwendbar ist die Entscheidung grundsätzlich auf alle Angestellte, die Berufe mit Kammern ausüben und die bislang in einem berufsständischen Versorgungswerk versichert sind – also Anwälte, Steuerberater, Ärzte, Wirtschaftsprüfer, Apotheker, Architekten oder Ingenieure. Bisher standen die Auswirkungen des Urteils für die Zukunft im Mittelpunkt.

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Rückwirkungen und hohe Nachzahlungen?

Doch gerade die rückwirkenden Effekte können dramatische Auswirkungen haben – und können denn Unternehmen viel Geld kosten. Bis zu zwei Milliarden Euro Nachzahlungen könnten auf diejenigen Firmen zukommen, die einen der rund 40.000 Syndicusanwälte hierzulande beschäftigen. Wie kommt man auf diese Zahl? Die rückwirkenden Risiken werden deutlich, wenn man das Bundessozialgerichtsurteil (BSG) im Zusammenhang mit einer weiteren BSG-Entscheidung aus dem Jahr 2012 sieht. Damals ging es darum, dass die Befreiung von der Sozialversicherungspflicht nicht personengebunden ist, sondern stets nur mit der konkret ausgeübten Tätigkeit verbunden ist.

Das wird zum Beispiel relevant, wenn ein Anwalt aus einer Sozietät in ein Unternehmen wechselt. Nach dem BSG-Urteil aus 2012 muss der Rechtsanwalt sich von der Sozialversicherungspflicht angesichts des Jobwechsels noch einmal befreien lassen. Hatte er dies in der Vergangenheit versäumt, sollte er – nach dem Willen der Deutschen Rentenversicherung – die Chance haben, den für ihn vorteilhaften Versichertenstatus im Versorgungswerk rückwirkend zu erhalten, indem er die Befreiung nachholt. Das aktuelle Urteil schiebt dem nun einen Riegel vor: Seit dem (vielleicht bereits vor Jahren erfolgten) Wechsel auf die Unternehmensseite unterliegt der Anwalt nunmehr der Versicherungspflicht in der allgemeinen Rentenversicherungskasse, solange er seinerzeit keine erneute Befreiung erwirkt hat.

 

Hohe Nachzahlungen ?

Wie würde sich dies in der Praxis auswirken? Hier ein gedachtes Beispiel: Ein Unternehmen beschäftigt 30 Juristen, die zuvor als Rechtsanwälte in Kanzleien tätig waren und sich für diese Anwaltstätigkeit von der allgemeinen gesetzlichen Rentenversicherungspflicht befreien ließen. Für diese 30 Juristen wird jeweils seit Eintritt vor etwas mehr als vier Jahren der Rentenversicherungsbeitrag an das Versorgungswerk gezahlt. Nunmehr stellt sich aber heraus, dass die 30 Juristen für die Tätigkeit in dem Unternehmen gar nicht von der allgemeinen gesetzlichen Rentenversicherungspflicht befreit waren. Das bedeutet: Der Arbeitgeber muss für die noch nicht verjährten vier Kalenderjahre (aktuell zurück bis 1.Januar 2010) die Rentenversicherungsbeiträge an die allgemeine gesetzliche Rentenversicherung nachzahlen.

Da diese Juristen im Schnitt 5.000 Euro monatlich verdienen – sind demnach rund 20 Prozent hiervon – also 1.000 Euro monatlich für aktuell 51 Monate je Jurist nachzuzahlen.

Und das wird teuer: Grundgehalt 5.000 Euro x 20 Prozent = 1.000 x 51 = 51.000 x 30 ergibt 1.530.000 Euro Nachzahlung. Durch Betriebsprüfungen der Sozialversicherung, die sich länger hinziehen, und der damit verbundenen Hemmung der Verjährung kann sich der Vierjahreszeitraum auch schnell mal um ein bis drei Jahre verlängern. Das Risiko der oben stehenden Hochrechnung erhöht sich damit  um 360.000 Euro – je unverjährtem Kalenderjahr.

 

Dax-Konzernen blühen Milliarden Euro Nachzahlung

Größere Konzerne beschäftigen gelegentlich auch eher 300 statt nur 30 Juristen. Für die Unternehmen insgesamt ergeben sich hieraus sehr schnell Summen in Milliardenhöhe: Das Bundesministerium der Justiz (BMJ) schätzt, dass etwa 40.000 Syndicusanwälte betroffen sein können. Unterstellen man, dass dem auch 40.000 Arbeitsplätze zugrunde liegen, die in den letzten vier Jahren von einem angestellten Unternehmensanwalt besetzt waren, errechnet sich die potenzielle Gesamtnachforderungssumme der Deutschen Rentenversicherung (DRV) so:

  • Jährliche Nachzahlung: 12.000 Euro/jährlich für 51 Monate und 40.000 Personen
  • 12.000 x 51 ./. 12 x 40.000 = 2.040.000.000 oder in Worten: zwei Milliarden und vierzig Millionen Euro

Rechnete man dann noch die anderen Berufsstände hinzu, auf die das BSG-Urteil ebenfalls anwendbar ist, zeigt sich, dass zwei Milliarden Euro nicht reichen, um den potenziellen Schaden, der aus diesem Urteil resultiert, zu beziffern.

 

Strafbarkeit ?

Die Kosten sind aber noch nicht alles: Wer Sozialbeiträge hinterzieht, macht sich strafbar. An dieser Stelle wird diese neue Rechtsprechung auf schon geradezu persönliche Art unangenehm: droht doch der Paragraf 266 a Strafgesetzbuch Haftstrafen für die Hinterziehung von Sozialversicherungsbeiträgen an. Und der Bundesgerichtshof urteilte, dass eine entsprechende Haftstrafe ab einem hinterzogenen Betrag von mehr als einer Million Euro nicht mehr zu Bewährung ausgesetzt werden darf.

 

Goldener Käfig

Insoweit zieht dieses BSG-Urteil einen goldenen Käfig um jede derzeit ausgeübte Beschäftigung eines Rechtsanwalts, der zwar eine Befreiung von der allgemeinen Rentenversicherung hat und Mitglied des Versorgungswerks ist, zukünftig aber den Job wechseln möchte. Und nicht in einer Anwaltskanzlei arbeiten will. Jedenfalls mit dem nächsten Wechsel in ein anderes Unternehmen endet seine Befreiung und er wird in der gesetzlichen Rentenversicherung zwangsversichert.

 

Vertrauensschutz

Deshalb sollte der Gesetzgeber Vertrauensschutz für die Wahl der Versicherung gewähren. Wer sich einmal – berechtigterweise – als Rechtsanwalt von der allgemeinen Rentenversicherung befreien ließ, um Mitglied im Versorgungswerk zu werden, der muss darauf vertrauen dürfen, dass er auch zukünftig unter den gleichen Voraussetzungen erneut befreit wird, wenn er seine Tätigkeit wechselt. Nur so wird verhindert, dass die Altersversorgung mehrerer Generationen vollständig entwertet wird.

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Es gibt eine Online-Petiton an den Bundestag zum Unterschreiben: 

https://epetitionen.bundestag.de/content/petitionen/_2014/_05/_13/Petition_52222.html

 

Lesehinweis:

Zur möglichen Auswirkung des Urteils auf Ärzte: http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/58996

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