Manege frei! (Buchauszug 2)
Wie ich versuche, im Machtspiel meiner Kollegen zu bestehen
Die Handvoll Männer, die in unserem Unternehmen eine vergleichbare Position bekleidet wie ich selbst, treffe ich wöchentlich auf internen Meetings. Wir kennen uns gut und sind einander eigentlich zugetan. Eigentlich. Hin und wieder kommt es vor, dass wir in einer Sachfrage unterschiedlicher Meinung sind. Die Diskussion nimmt Fahrt auf, der Ton wird lauter, es geht heiß her. Dagegen habe ich erst mal nichts einzuwenden.
Ist eine schnelle Einigung aber nicht in Sicht, weil sich niemand von den Argumenten der anderen überzeugen lässt, ändert sich die Tonlage, versuchen es die Herren mit der Demonstration purer Macht: «Das, was du vorhast, wirst du mit mir niemals erreichen. Niemals! Dass das ein für alle Mal klar ist!» Je nach Typ werden einzelne Kollegen sehr persönlich in ihren Angriffen, sie richten ihre Zeigefinger drohend auf mich und andere, sie schlagen mit der Faust auf den Tisch, sie schreien. Mir als Frau gegenüber spielt ein außer sich geratener Kollege seine vermeintliche Autorität besonders deutlich aus, in Bezug auf mich geschieht das ein Stück weit mehr von oben herab als unter Männern. Der Ausnahmezustand scheint für den einen oder anderen die willkommene Gelegenheit bereitzuhalten, mir zu signalisieren, dass ich so ganz gleichberechtigt eben doch nicht bin.
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Männer toben, um sich durchzusetzen
Ein Mann, von einem Kollegen auf ähnliche Art herausgefordert, reagiert darauf mit einem identischen Verhalten; er bäumt sich auf und wütet möglichst unbeherrscht. Je lauter, desto besser. Vom Tonfall her ist man von einer festgefahrenen Verhandlung mit einem anstrengenden Kunden nicht mehr weit entfernt, doch hier geht es nicht um Geld. Hier will der Mann sich mit seinem Standpunkt durchsetzen, gegenüber seinen männlichen Kollegen und erst recht und auf jeden Fall gegenüber der einzigen Frau.
Auch mich können vorgetragene Argumente, deren Sinnhaftigkeit sich mir nicht erschließt, in entsprechend geladener Atmosphäre auf die Palme bringen, besonders dann, wenn Erwiderungen nicht zugelassen werden. Im Gegensatz zu den Männern kann ich meine aufkommende Wut aber nicht ungefiltert herauslassen. Eine Frau, die sich wie eine Furie aufführt, wird abgeschrieben. Eine Frau kann einem Mann nicht drohen, ohne dass ihr dieses Verhalten dauerhaft negativ anhängt. Tut sie es einfach nur den Männern gleich und tobt in schöner Regelmäßigkeit, führt das unweigerlich zur Kündigung. Ich kenne Frauen, die diesen Weg gegangen sind. Wer als Frau nicht einsehen will, dass der Habitus des wild um sich schlagenden Silberrückens dem Mann vorbehalten ist, bezahlt das mit dem Verlust des Jobs. Ein- oder zweimal konnte ich mich einfach nicht beherrschen und schlug wütend mit der flachen Hand auf die Tischplatte – um dann den Besprechungsraum umgehend zu verlassen. Das wirkte immerhin in dem Sinne deeskalierend, als dass an eine Fortsetzung der Diskussion an diesem Tag nicht mehr zu denken war. Ein gutes Gefühl hat dieser eruptive Zwischenfall bei mir aber nicht hinterlassen. Ich meine eigentlich, dass ich in Konfliktsituationen angemessener und damit besser agieren kann als dort geschehen.
Ich frage mich also immer wieder, wie ich als Frau auf aggressives und anmaßendes Verhalten der männlichen Kollegen reagieren kann, um mit meiner Meinung im Rudel der Alphatiere zu bestehen. Ängstliches Zurückweichen, welches dem brüllenden Mann ein «Bitte tu mir nichts!» signalisieren würde, scheidet nicht nur aus, weil ich mich nicht klein machen will. Es würde den Choleriker mir gegenüber, der sich in der Position des Überlegenen wähnt, in diesem Gefühl noch bestärken.
Entgegnungen wie «Du kannst so viel herumschreien, wie du willst. Ich weiche keinen Deut zur Seite. Was du da erzählst, ist kompletter Blödsinn. Vergiss es einfach» sind ebenfalls nicht zielführend. Dieser Variante bedienen sich viele Männer, was dann dazu führt, dass die Aggressivität des anderen noch weiter angestachelt wird. Damit begibt man sich in eine Spirale der Eskalation, von der schon an anderer Stelle die Rede war. Die Möglichkeit eines Kompromisses ist dadurch für diesen Tag verpasst, die Gemüter müssen sich erst mal wieder beruhigen, bevor man sich des Themas noch einmal annehmen kann. Die geringen Erfolgsaussichten einer Reaktion auf gleichem Aggressionsniveau sind aber nicht der einzige Grund dafür, dass es aus meinem Wald nicht so herausschallt, wie hereingerufen wurde. Ich habe einfach Angst davor, was passieren könnte, wenn ich meinem Ärger einmal freien Lauf ließe. Männer, die sich bis zum Scheitern des Gespräches verbal bekämpfen, können nämlich nach einer gewissen Unterbrechung weiter normal zusammenarbeiten. Ihr Verhältnis ist von der Konfrontation nicht dauerhaft erschüttert worden. Bei Frauen ist das meiner Erfahrung nach anders. Wenn sie sich einmal dazu haben hinreißen lassen, die Kontrolle über ihr Verhalten komplett aufzugeben, bleibt hinsichtlich der Beziehung zu ihrem Gegenüber ein Dorn für immer. Entgleitet ihnen eine Situation, fällt es ihnen ungeheuer schwer, den Zwischenfall nach einiger Zeit für sich abzuhaken und in der Beziehung zu dem oder der anderen zur Normalität zurückzufinden. Weil ein unangenehmes Gefühl in Bezug auf den anderen bleibt, sind Frauen bemüht, es gar nicht erst so weit kommen zu lassen. Das Wissen darum, dass nach einem von mir zu verantwortenden Dammbruch in Bezug auf einen Kollegen nichts mehr so wäre wie zuvor, lässt mich moderat auftreten.
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Dem Brüllen Sachlichkeit entgegen setzen
Die Möglichkeiten für Frauen, in einem aggressiven Umfeld zu bestehen, sind also begrenzt. Ich habe gute Erfahrungen damit gemacht, auf die laut auf mich einbrüllenden Kollegen mit Ruhe zu reagieren. Je lauter sie schreien, desto leiser werde ich. Ich versuche, mein Gegenüber zu beruhigen, indem ich möglichst sachlich bleibe und das uns in dieser Sachfrage Verbindende hervorhebe. Ich verweise dann zum Beispiel darauf, dass es uns sicher gelingen werde, eine gemeinsame Lösung zu finden – wie uns das in den vergangenen Jahren ja auch immer geglückt sei. Er kann schreien, so viel und so lang er mag: Ich spreche in ruhigem Ton zu ihm, lege Redepausen ein und halte immer Blickkontakt. Ich bestätige ihn weder in seinem Standpunkt, noch stelle ich seine Position als per se inakzeptabel hin, denn ist er gerade besonders echauffiert, macht es keinen Sinn, ihn mit meinen Argumenten zu konfrontieren, die er in seinem jetzigen Erregungszustand in Bausch und Bogen vom Tisch fegen würde. Wenn ich nur ruhig bleibe, erschöpft sich seine Wut nach einiger Zeit wie von selbst. Was übrig bleibt, sind seine Argumente, die ich dann erst aufgreife. Wir beide gehen aus der Konfrontation ohne Gesichtsverlust heraus; ich habe mein Gegenüber als ernst zu nehmende Person trotz seines unbeherrschten Verhaltens nicht in Frage gestellt, ohne mich ihm selbst unterzuordnen. Wenn es ihm nicht mehr primär darum geht, mich als Gesprächspartnerin zu vernichten, können wir uns nämlich dem eigentlichen Streitthema zuwenden. Dann hat er vielleicht auch wieder für meine Sicht der Dinge ein offenes Ohr.
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Cholerische Top-Manager
Der Weg zu dieser Art des kontrollierten Verhaltens ist mir nicht leichtgefallen. Von meinem Temperament her bin ich ziemlich emotional veranlagt, und in der Vergangenheit ist es besonders in meinem Privatleben manchmal vorgekommen, dass ich laut und unbeherrscht aufgetreten bin. Im Job habe ich das schnell als inakzeptabel erkannt. Ich kann mich zurückhalten, auch wenn mir eigentlich nach Auf-den-Tisch-Hauen wäre. Hilfreich war für diese Entwicklung sicher auch mein cholerisch veranlagter Vater, der innerhalb von Sekunden völlig außer sich geraten und dann auch handgreiflich werden konnte. Meine Brüder ergriffen die Flucht, meine Mutter schrie zurück. Beruhigt hat ihn weder das eine noch das andere Verhalten. Ich habe alles Mögliche versucht im Umgang mit ihm, vieles davon ging schief. Über die Jahre kristallisierte sich die Methode heraus, mit der es mir gelang, ihn innerhalb kürzester Zeit zu beruhigen. Irgendwann funktionierte das so gut, dass meine Mutter und meine Geschwister mich sofort riefen, wenn mein Vater die Kontrolle über sich selbst zu verlieren drohte. Diese Methode erweist mir heute gute Dienste, wenn es um den Umgang mit temporär cholerischen Topmanagern geht. Wozu es manchmal gut ist.
Manege frei!
http://www.chbeck.de/Anonyma-Ganz-oben/productview.aspx?product=11255946
Ein Interview gab Frau Anonyma den Kollegen: http://www.manager-magazin.de/unternehmen/karriere/0,2828,druck-891962,00.html