Ein ketzerischer Gastbeitrag von Ex-Headhunter Klaus Leciejewski und Besitzer von KDL Consulting über Manager und wie sie Gutachten strategisch einsetzen am Beispiel ThyssenKrupp:
Gutachten sind nichts als Marketing
Frage: Wozu sind Aufsichtsräte wie Gerhard Cromme, oberster Chefkontrolleur des Stahlkonzerns ThyssenKrupp eigentlich da? Antwort: Um selbst Gutachten in Auftrag zu geben oder die Ergebnisse von Gutachten abzunicken, die der Vorstand einem als Aufsichtrat so vorlegt.
Gutachten sind praktisch, denn, wenn etwas schiefläuft, können Vorstand und Aufsichtsrat darauf verweisen, dass sie „nicht gegen die eigenen Experten entscheiden“ können. Schließlich „war das ja mit Gutachten untermauert“!
Genau mit dieser Erklärung bügelte Gerhard Cromme im vergangenen Dezember im Interview mit dem „Spiegel“ http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-90157576.html die Frage ab, warum er denn eigentlich nicht früher die Notbremse gezogen habe und den Bau der beiden Stahlwerke in Brasilien und den USA angesichts der zahllosen Pannen, komplett gestoppt hätte. Der „Spiegel“ reagierte wie von Cromme kühl kalkuliert: er fiel drauf rein und hakte nicht nach.
Seit heute steht fest: Gerhard Cromme wird Aufsichtsratschef von ThyssenKrupp bleiben – trotz Milliardenverlusten, Missmanagement und zahlreichen Korruptionsfällen. Verantwortlich auch hierfür sind Gutachtenschreiber. Schließlich ließ Gerhard Cromme wiederholt von Gutachtern prüfen, ob ihm und seinen Aufsichtsratskollegen und dem Vorstand Pflichtverletzungen unterlaufen seien. Oh Wunder, Crommes Gutachter (zuvörderst die renommierte Wirtschaftskanzlei Hengeler Mueller) attestierten der Managementelite – also ihrem Auftraggeber und Rechnungsadressaten – des Stahlkonzerns jedes Mal aufs Neue, dass sich alle nichts zu Schulden kommen ließen. Auch im Fall Flughafen BER sollen Wirtschaftsprüfer und Anwälte klären, wer an welcher Stelle im Vorstand und Aufsichtsrat der Flughafengesellschaft versagt hat. Das wirft die Frage auf, welchen Stellenwert Gutachten und Gutachter mittlerweile in unserer Wirtschaft einnehmen.
Regelmäßig geben gesellschaftliche Gruppen wie Parteien, Gewerkschaften, soziale Organisationen, Verbände, Unternehmen oder ähnliche Vereinigungen Gutachten in Auftrag. Die Ersteller sind zumeist öffentlich bekannte und wissenschaftlich renommierte Professoren oder Forschungsinstitute. Jede Gruppe versucht, ihre politische Position oder ihre Auffassung zu einem Gesetz durch derartige Gutachten zu fundieren. Damit sollen Entscheidungsträger in Politik oder anderen gesellschaftlichen Gremien beeinflusst werden. Es hat sich eine regelrechte Gutachter-Manie entwickelt – ein wachsendes Geschäftsfeld für die führenden Wirtschaftskanzleien . Die Wirksamkeit (oder heißt es Wirkung??) der Gutachten auf politische Entscheidungen wird selten bekannt. Häufig dürften sie für ihren vorgegebenen Zweck weitgehend nutzlos sein. Die Entscheidungsträger wissen ja auch, dass die Gutachten fast immer von Personen oder Einrichtungen erstellt werden, die sowieso die Auffassung ihrer Auftraggeber teilen. Es ist nicht bekannt, dass jemals ein Gutachten erstellt wurde, welches zu einer Aussage gelangt ist, die die bekannte Auffassung der Auftraggeber widerlegt hätte. Eigentlich sollte damit jedes Gutachten für den Entscheidungsprozess nutzlos sein. Da jedoch immer wieder neue in Auftrag gegeben werden, kann es dafür nur eine Ursache geben.
Jene gesellschaftlichen Gruppen sind sich über ihre Position selber höchst unsicher. Ihre eigenen Argumente erscheinen ihnen bei Weitem nicht ausreichend, und innerhalb ihrer Anhängerschaft ist die Überzeugung in die Richtigkeit der Auffassung ihrer Eliten nicht sehr hoch. Deshalb versuchen diese Eliten, sich geistig zu wappnen und ihre Anhängerschaft durch vorgebliche Wissenschaftlichkeit hinter sich zu bringen. Im Grunde genommen ist jedes Gutachten eine Subventionierung von Professoren, Instituten, Beratungen sowie Kanzleien und sollte in der Buchhaltung als Marketingausgabe verbucht werden.
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