„Zeigt her Eure Ugg-Boots“ – Buchauszug aus Christine Kollers „Vorsicht Zickenzone“ (2)

1. Tatort »Spielplatz«

Zeigt her Eure »Ugg«-Boots

 

Auf den Spielplätzen unserer Republik finden die dollsten Sandkastenschlachten statt. Nur, hier sind es nicht die Kleinen, die sich Eimer und Schaufel um die Ohren hauen. Es sind die Mütter, die sich gegenseitig die Hölle heiß machen. Hier führen »neurotische Glucken, hochnäsige Rabenmütter, überengagierte Stillkühe, radikale Rohkostschnipplerinnen, Vollzeitmamas und berufstätige Mütter einen Krieg, weil sie sich gegenseitig für das Schlimmste halten, was einem Kind passieren kann«, schreibt Ildikó von Kürthy.

Die meisten Mütter würden von sich erst mal sagen, dass sie gut mit anderen Müttern auskommen. Na ja, mit einigen Ausnahmen. Überall sieht man sie in schönster Eintracht zusammensitzen und die Köpfe schütteln: »Wir sollen Zicken sein? Wir sind doch tolerant und solidarisch. Soll doch jede Mama so leben, wie sie es für richtig hält!«

 

Die Sand-Manege

Wer schon einmal auf einem Spielplatz war, weiß, dass die Wirklichkeit anders aussieht. Als ich neu nach München zog, durfte ich das am eigenen Leib erfahren: Ich öffnete das Gatter, betrat die Sand-Manege, suchte nach einer freien Bank und schüttete meinem Nachwuchs eine Jute-Tüte voll Plastik-Förmchen aus. Und da standen sie, die Mütter. In kleinen Grüppchen zusammen gerottet. Auf der einen Seite die hippe Münchner Chic, von Kopf bis Fuß in den neuesten Zwirn gewickelt, die Sonnenbrille lässig im Haar und den Pappbecher mit dampfendem „Soja Chai Latte to Go“ in der Hand. Sie schienen mit festgetackertem Grinsen zu demonstrieren: Schaut her, auch mit Kind geht alles locker flockig – wäre doch gelacht. Stattdessen wurde weniger gelacht und viel eher gewippt, geschaukelt und sich permanent der Sand von der knallengen weißen Jeans gewischt. Auf der anderen Seite sah man erst Mal nur riesige Fahrradanhänger mit lustigen, meterlangen bunten Fahnen. Dahinter standen riesige Rucksäcke auf den Bänken, prall gefüllt mit kleingeschnipselten Apfelstückchen, Demeter-Karottensticks und glutenfreien Reiswaffeln. Für die Kinder. Und eine große Tüte gelantinefreie Gummibärchen. Für die Mütter neben den Rucksäcken. Die Nature-Moms waren etwas blass und ungeschminkt, dafür mit ihren knallroten Allwetterjacken gegen plötzlich aufkommende Orkanböen sintflutartige Regenfälle bestens gewappnet. Mittendrin tummelten sich die aktiven Mamis, die ihren genervten Kindern eine Frisbee entgegenschleuderten oder eine Rolle am Reck vorturnten. „Schau mal, Karl-Peter, das habe ich mit 9 Jahren in der Schule gelernt und kann es immer noch!“ Und ich mittendrin. Ich suchte mir eine Bank in der Sonne, packte meine Zeitung aus und begann zu lesen. Aber konzentrieren konnte ich mich kaum, mir schlackerten die Ohren vor lauter Sprüchen: „Haste die gesehen? Wie kann man so einen riesen Kerl noch an die Brust lassen, der ist doch mindestens schon zwei. Ja hat die denn keinen Mann daheim, der das übernimmt?“ raunte es von rechts. „Meine Herren, jetzt kommt die schon wieder in neuen Schuhen daher gewatschelt. Und wenn gleich der Eiswagen vorfährt, guckt ihre Kleine wieder in die Röhre und darf nichts. Die steckt ihre ganze Kohle ins Outfit und hält die Kinder kurz, unmöglich!“ Damit war meine Nachbarin gemeint. Sie hat einen eigenen kleinen Schuhladen und natürlich jede Menge unterschiedlicher Modelle zur Verfügung. Sie war ja ihr eigenes Werbeplakat. Aber das wussten die Zicken neben mir natürlich nicht und ließen ihrem Neid freien Lauf. Dass ihre Tochter eine Milchunverträglichkeit hat und kein Eis essen darf, auch das kam den Zetertanten nicht in den Sinn. Hauptsache Senf absondern. Und gucken.

 

Feldwebel Mama

Die Öko-Fraktion beäugte misstrauisch die Style-Ecke – und umgekehrt. Hektisch wurden die Mütter, wenn sich plötzlich ein barfüßiges Kind in geringeltem Schafswollpulli auf den Spielturm verirrte, der bereits von einer Kinderschar in Mini-Moncler-Jacken besetzt war. Oder wenn ein Style-Kid gnadenlos Ahoi-Brause-Bonbons verteilte, und die kleinen Naturburschen Schlange standen. Unerhört. Ungesund. Dann war Krieg angesagt. Dann wurden die Mamas zu Feldwebeln, pfiffen ihren Nachwuchs zurück zum eigenen Lager, auf der Stelle. Auch ich wurde mit Argusaugen von allen Seiten beobachtet: Wo kommt denn die her? Noch nie gesehen. Zu hübsch, zu hässlich, zu jung – oder: so alt und noch so kleine Kinder? Kein »Grüß dich, hier ist noch ein Platz frei!«. Die Werte, die sich Eltern für ihre Kinder wünschen wie Offenheit, Freundlichkeit, Respekt und Toleranz, die hatten die anderen Mütter an diesem Tag ganz unten in ihren dicken »Fjällräven«-Rucksäcken oder in ihren cemefarbenen Chloé-Bags versteckt. Dafür lag Missbilligung ganz oben.

Dann passierte es: Eine Mama aus der Trend-Liga kam in meine Richtung. Ihr Blick schien zu sagen: He, siehts gut aus, bist eine von uns! An diesem Tag kam ich frisch aus der Redaktion direkt auf den Spielplatz – für meinen Geschmack unpassend für so viel Sand. Anscheinend aber hatte ich mit meinen Klamotten genau den Geschmack der gestylten Mütter getroffen. Da kam sie also in beigen Ugg-Boots und skinny Jeans auf mich zugetrabt. Unter ihrer 300-Euro-Marc Jacobs-Bluse blitzte ein teurer Push-up-BH durch, der mir ins Gesicht schrie: Hängebusen nach dem Stillen? Nicht mit mir! Wir plauderten über die süßen Kleinen, über unser Viertel, das immer mehr Familien anzieht. Ihr gefiel meine knallblaue Chino-Hose. „Zara, 29,90 Euro aus dem letzten SSV. Sieht man gar nicht, oder?“ Betretenes Schweigen. In dem Moment rutsche mir mein hellgrauer Riesenbeutel von der Schulter und sie starrte entsetzt auf das zerfetzte Innenfutter, dass unter der schweren Last von Trinkflaschen, Semmeltüten, Feuchttüchern, überreifen Bananen, Star Wars-Sammelalben, Playmobilmännchen, Bachblüten-Rescue-Creme und Kastanien vom letzten Herbst zerrissen war. Das wollte ich ihr gerade erklären. Aber da stiefelten die Uggs schon davon. In Richtung Modehaufen.

Als ich beim nächsten Mal in Jeans, Converse und Sweatshirt auf den Spielplatz kam, sprach mich eine der sportlichen Mamas an in der Hoffnung, für ihre Kinder einen Mitfußballer gefunden zu haben und eine Gesprächspartnerin für die lauen Spielplatznachmittage. Aber auch da war das Glück nur von kurzer Dauer. Erstens mögen meine Jungs keinen Fußball. Und zweitens war ich als völlig unsportliche Mutter nicht die richtige, um über Ski-Wochenenden, Wandertouren oder Reisen mit Zelt und Wohnmobil zu plaudern. Schon war ich aus dem Rennen.

 

Job-Mama gegen Nur-Mama

Da stand ich also, und wollte doch eigentlich nur über den ganz normalen Alltagswahnsinn mit Kindern quatschen. Mit einer Mutter, einer Gleichgesinnten, egal was sie trägt, wo sie ihren Urlaub verbringt oder ob sie zum dritten Mal geschieden ist. Und ich fühlte mich plötzlich wieder zurückversetzt in meine Teenagerjahre zu Zeiten der alten Mädchencliquen. Auch damals war es ein Pokerspiel: Gehört man dazu oder nicht? Wird man von den anderen akzeptiert und aufgenommen in die heilige Runde? Wenn Du Mama wirst, geht das ganze Spiel von vorne los. Wieder triffst Du auf eine Cliquenwirtschaft, wieder versuchst Du irgendwo dazuzugehören, um die nicht enden wollenden Nachmittage auf dem Spielplatz mit jemandem zu teilen. Aber mit wem? Wo passt Du rein? Wer will Dich um sich haben? Wer denkt, Mama ist gleich Mama, hat sich aber gewaltig geschnitten. Da gibt es klare Linien: Ugg-Boots gegen Deichmann-Halbschuhe, Gemüseauflauf gegen Fertigpizza, Schulmedizin gegen Globuli, dick gegen dünn, Job-Mama gegen Nur-Mama. Dazu konstruieren die Medien Bilder von uns neuen Müttern, immer locker, mit beiden Beinen im Job, obercool, drei Tage nach der Entbindung gertenschlank, beste Freundin, ambitionierte Köchin, stets verständnisvoll gegenüber den Kindern, auch bei einem mit Ketchup verschmierten beigen Ledersofa. Und ich weiß nicht: Wo ist mein Platz hier? Wer bin ich, wer will ich sein? Schon sind wir mittendrin im Schubladendenken. Und ordnen uns munter dazu: Will ich die trendy Latte-Macchiato-Mami sein? Oder die lässige Yo-Mama mit Häkelmütze, die keine Regeln kennt? Oder vielleicht die überengagierte Elternbeiratsmami? Oder doch lieber die kreative Pippi-Langstrumpf-Mutti? Es gibt ja so viele Möglichkeiten. Vätern passiert so etwas nicht. Mein Mann wird wie alle anderen Papas einfach in Ruhe gelassen. Egal, was er macht. Ob er nun arbeitet, oder Elternzeit nimmt, Teilzeit jobbt oder erst um sieben abends das Büro verlässt. Ob er einen Anzug trägt oder schlabbrige Jeans mit Turnschuhen. Auch mein Mann unterhält sich über Kinder. Allerdings anders. Pragmatisch. Wie teuer ist euer Kindergartenplatz? Wo habt ihr eure Kinderfrau her? Oder man erzählt sich lustige Anekdoten von Museumsbesuchen und plaudert über den letzten Kinobesuch in 3D. Es wird nicht verglichen, geprahlt, gelästert, sich beschwert oder gestichelt. Bei Vätern fragt auch keiner nach, wie sie das mit den Kindern vereinbaren. Sie selber fragen sich das vielleicht manchmal. Aber das ist ein anderes Thema.

Zurück zum Spielplatz: Als eine Freundin von mir aus einer kleinen Stadt nahe Mainz zu Besuch kam, sagte sie: »In München sind die Mamas auf den Spielplätzen sehr schick angezogen. Bei uns würdest Du das nicht sehen.« Sie sagte das weder bewertend noch erstaunt. Es war nur eine Feststellung. Aber genau das gelingt vielen nicht. Da wird sofort die Nase gerümpft, da werden Verleumdungen angezettelt, da wird getuschelt. Sind wir denn alle noch ganz dicht? Warum lassen wir nicht die Schönen schön sein, die Ökigen nachhaltig und die Berufstätigen einfach mal in Ruhe? Hören wir auf, uns gegenseitig zu verunsichern oder vor Neid zu zerplatzen. Und lassen wir uns so, wie wir sind: Egal ob retro, cool, sportlich, gemütlich, crossover, wie von gestern, von morgen, sondern einfach, wie wir selbst!

 

Christine Koller, Journalistin, Buchautorin und Mutter

 

 

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