Sarar ist in der Türkei mit Abstand der größte Textilproduzent und das bekannteste Modelabel. Das Familienunternehmen hat über 5 000 Beschäftigte und beliefert Marken wie Esprit oder Tommy Hilfiger. An die Spitze der weltweit tätigen Firma trat kürzlich der 32-jährige Firmenspross Emre, der schon mit zehn Jahren bei Vorstandssitzungen dabei war. Sarar ist das typische Beispiel für ein türkisches Familienunternehmen, das andere Spielregeln hat als deutsche Familienunternehmen: Hier herrscht der Grundsatz, Familie geht vor.
Mit zehn Jahren musste Emre Sarar schon mit zu den Vorstandssitzungen. Sein Vater schleifte ihn mit in die entscheidenden Gremien des türkischen Familienunternehmens, obwohl er damals „nichts verstand“, erinnert sich der 32-Jährige noch heute. Der Kleine musste still dabeisitzen und zuhören. Damit nicht genug: Emre musste überall in der Firma mit ran. Packen, bügeln, nähen und putzen. Waren Schulferien und seine Freunde durften an den Strand, rackerte Emre am Tag im Betrieb – und saß dann abends in Meetings.
Sarar ist in der Türkei mit Abstand der größte Textilproduzent und das bekannteste Modelabel. Andere Produzenten sind Orka Group, AVVA oder Damat, die aber deutlich kleiner sind. Auch international hat Sarar einen viel höheren Stellenwert. Das Unternehmen beschäftigt immerhin 5 500 Mitarbeiter und beliefert mit seinen Anzügen und Hemden internationale Marken wie Esprit, Marc O’Polo oder Tommy Hilfiger und früher auch Hugo Boss. Die Stoffe kommen aus Italien von Herstellern wie Cegna oder Cerruti. Und doch ist Sarar ein Familienunternehmen, das nach sehr eigenen Spielregeln geführt wird.
„Heute verstehe ich, warum mein Vater mich so erzogen hat“, erzählt Emre Sarar. Und er sei „glücklich darüber, weil es eine Langfrist-Investition“ für ihn war. Nicht nur weil er heute genau weiß, wie viele Anzüge auf eine Stange passen: Es sind 70. Mit 14 musste er mal einen Lkw alleine entladen. 26 Stunden hat er gebraucht, das weiß er noch heute. Eine Investition war auch seine Zeit im Schweizer Internat – zum Kummer seiner Mutter, weil er doch noch so klein war. Oder das Wirtschaftsstudium in Springfield/Ohio. Mitten in der Pampa sollte er in Ruhe lernen: Deutsch und Englisch. Wollte Emre nach Florida, so verbot ihm das sein Vater: „Keine Ablenkung“ war die Devise. Weil Emre die Flugzeit nach Hause zu lang war, entschied er sich nach dem Studium gegen die USA und ging lieber nach Deutschland, um von Düsseldorf aus das Firmengeschäft – Sarar Europe – auszubauen.
In den vergangenen zehn Jahren eröffnete Emre in Deutschland drei Stores und gewann Kunden wie Cinque und Burberry. „Der Name Sarar wurde zum Begriff für hochwertige Mode“, zollt ihm Petra Wassner, Geschäftsführerin der Wirtschaftsförderungsgesellschaft NRW Invest, Respekt.
Deshalb beriefen ihn auch Anfang dieses Jahres sein Vater und seine beiden Onkel als CEO an die Unternehmensspitze. Jedenfalls nach außen – und formal. Denn intern sitzen im Board der Firma sein Vater Celaleddin, 61, und seine Onkel Sebahattin, 52, und Cemalettin, 65 – und die haben intern das Sagen.
„Türkische Familienunternehmen wie wir denken in 50-Jahres-Zeiträumen“, erzählt Emre. Deutsche Familienunternehmer denken in 15-Jahres-Zeiträumen, vergleicht Tom Rüsen, Familienunternehmen-Experte an der Uni Witten-Herdecke. Kommt es zwischen Emre und seinem Bruder zu Zwistigkeiten, hat er als Älterer das letzte Wort. So wie bei seinem Vater und dessen Brüdern. Sebahattin ist also Sarars graue Eminenz – egal, wie die Firmierung aussieht.
Ihr Leben ist das Unternehmen: Alle drei Altvorderen beginnen ihre Arbeit morgens früh um halb sieben und verlassen als Letzte die Firma nach 22 Uhr. Wochenende? Fehlanzeige. Jede Entscheidung – von der Auswahl eines Prospekt-Papiers bis zur Suppe in der Firmenkantine – behalten sich die drei vor. So kann es passieren, dass der 65-jährige Cemalettin dort zum Kochlöffel greift und würzt. Oder dass er ein Auto auf dem Hof putzt, während die Fahrer drum herum sitzen – und sich notieren, wie sie diese Arbeit zu erledigen haben.
Sarar produziert in Eskisehir – die Stadt mit 620 000 Einwohnern liegt 200 Kilometer von Istanbul entfernt in Anatolien. Dort sind ihre Fabriken und auch drei Einkaufscenter. Zudem betreibt Sarar 180 Modegeschäfte in 28 Ländern. Zwar sind mit 87 Shops die meisten in der Türkei, doch die Internationalisierung geht voran. In Deutschland sind Sarar-Shops in Berlin, Frankfurt und Düsseldorf. Emres Ziel: 2020 sollen es weltweit 500 Läden sein.
Begonnen hatte alles vor 66 Jahren in einem zwölf Quadratmeter großen Schneiderladen. Da nähte Opa Abdurrahman zusammen mit seiner Frau Anzüge. Heute verlassen täglich 4 500 Anzüge, 1 000 Mäntel und 7 500 Hemden die Fabrik. Und es gibt eine Damenlinie, Strickwaren, Schuhe, Socken, Taschen und Gürtel. Bald sollen Parfums und Kosmetik folgen. Dazu gehören heute aber auch Tankstellen, Versicherungen, eine IT-Firma, Autohäuser, eine Immobilienfirma und ein Hotel. Als der Opa vor 27 Jahren starb, arbeiteten bei Sarar erst 200 Mitarbeiter, die 100 Anzüge am Tag nähten. Heute macht Sarar 200 Millionen Euro Umsatz. Über den Gewinn – typisch Familienbetrieb – wird nichts verraten.
Ebenso typisch: „Türkische Familienunternehmen versorgen rigoros zuerst alle Familienmitglieder und verschaffen ihnen Posten“, weiß Arist von Schlippe, ebenfalls Familienexperte und Professor an der Uni Witten-Herdecke. Bei Sarar leitet Emres Schwester Gözde, 35, Marketing, Produktion, Verkauf und Werbung. Sein Bruder Emir, 26, führt jetzt das Deutschland-Geschäft. Und es gibt zwei Cousinen Anfang 20, deren Vater Onkel Sebahattin ist. Auch die werden – ganz nach der Familientradition – über kurz oder lang in den Betrieb einsteigen.
Aber nicht nur die eigenen Kinder versorgt das Familienunternehmen. „Wir investieren auch in die Mitarbeiterkinder, bezahlen ihnen Schulgeld, Bücher oder ihr Studium“, erzählt Emre. Denn: „Das ist viel Geld, aber es sind ja unsere Kinder.“ Seine Kinder? Ja, er meint das genau so, wie er es sagt: Familie Sarar betrachtet die Mitarbeiter als Familienangehörige. Arbeiten doch viele von denen schon in zweiter oder dritter Generation bei ihnen.
Was Emre Sarars Vision ist? Sein Traum ist, „in Eskisehir eine Universität zu bauen“, erzählt er voll Stolz. Und ganz abwegig erscheint die Erfüllung des Traums auch nicht zu sein: Zwei Volksschulen hat das Familienunternehmen in Eskisehir schließlich schon gebaut.
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Beispiel Familienunternehmen Sarar aus der Türkei:
Zuerst bekommen alle Familienmitglieder einen Job
Etliche Kinder von Familienunternehmern studieren am Lehrstuhl für Familienunternehmen an der Universität Witten-Herdecke, die sich darauf vorbereiten, die Firma ihrer Eltern eines Tages fortzuführen. Dabei sind auch Kinder ausländischer Familienunternehmen wie zum Beispiel aus der Türkei.
Tom Rüsen, Wissenschaftler am Lehrstuhl für Familienunternehmen beobachtet: Türkische Studentinnen sind hier in Deutschland „sehr emanzipiert, autark, autonom und sehr modern. Doch sobald bei ihnen daheim in der Türkei hinter ihnen die Tür ins Schloss fällt, sind sie wieder in der traditionellen Position als Tochter des Hauses. Dann haben sie relativ wenig zu sagen. Insbesondere gegenüber dem Vater und den Brüdern haben sie es schwer.“ Das Muster sei klassisch: Gelebt werden nach wie vor archaische Familienstrukturen.
Der Konflikt liegt darin, dass die Kinder hervorragend ausgebildet sind nach westlichen Maßstäben, sich aber dennoch zu Hause archaischen Strukturen unterwerfen müssen. Insoweit widersprechen sich die Logiken der beiden Sozialsysteme: Die Familienlogik sagt, dass der Älteste den höchsten Rang hat. Die Logik des Familienunternehmens jedoch definiert den Rang über die Position – und da hat der CEO die höchste.
„Dann verschwimmen die Logiken auf unklare Weise miteinander, wenn die Position des CEO besetzt ist, aber in der Familienlogik der Familienälteste das Sagen hat“, erklärt Arist von Schlippe, Professor an der Uni Witten Herdecke.
Sind nach türkischen Gepflogenheiten die Ältesten der Familie diejenigen, die tatsächlich die Entscheidungen in der Firma fällen, so sind sie durchaus vergleichbar mit deutschen Familienunternehmen und Pionieren der ersten Generation – die nicht loslassen können. Selbst wenn der Senior die Befugnisse formal abgegeben hat, mischt er sich noch ständig ein. Dann sitzt er beispielsweise im Beirat und redet bei allem mit – doch der Sohn bremst ihn nicht, obwohl er als Geschäftsführer verantwortlich und haftbar ist. Wer dagegen in dritter Generation Familienunternehmer ist, der lässt eher los, beobachtet der Wissenschaftler. „Und obendrein ist es oft problematisch, wenn der Senior an den Erfolgsrezepten von vor 40 Jahren festhalten will“, so Rüsen.
Von Schlippe ergänzt: „Wächst dann das Unternehmen und es wird zum Beispiel aus einer kleinen Schmiede ein großes Walzwerk, dann steigt die Komplexität – aber die Mittel, mit denen diese Komplexität gehandhabt wird, sind dieselben wie im Ehestreit“. Als Kehrseite der Medaille werden in türkischen Familienunternehmen auch rigoros alle Familienmitglieder versorgt, erzählt Rüsen: „Da werden eher Leute in Position gehoben, allein weil sie Familienmitglieder sind. In Deutschland würde mittlerweile demgegenüber öfter nach Kompetenz und nicht nach Herkunft eingestellt – was in der Türkei vielfach Befremden auslösen würde.“