Kein Gnadenbrot für Top-Anwälte

Wirtschaftskanzleien entfachen Preiskampf – Studie: Firmen erhalten Anwaltsarbeit zum Schnäppchenpreis – Einstige M&A-Stars bekommen einen Tritt statt GnadenbrotUnter den großen Wirtschaftskanzleien ist ein Preiskampf entbrannt. „64 Prozent der Kanzleien brechen ihre Mandate weg und sie müssen ihre Honorare senken“, resümiert Unternehmensberater Dieter Baumert aus Köln, der auf Kanzleiberatung spezialisiert ist. Darauf vorbereitet freilich sind die wenigsten. Das zeigt eine repräsentative Studie der Deutschen Gesellschaft für Professional Service Firms (DGPSF), die dem Handelsblatt exklusiv vorliegt. 101 Sozietäten wurden dafür befragt.
Für rund ein Drittel der Wirtschaftskanzleien kam die Krise völlig überraschend und ein weiteres Drittel hat die Auswirkungen auf sich selbst unterschätzt. Dabei ist mittlerweile ein Fünftel der Kanzleien von der Krise stark bis sehr stark betroffen. Wie sie darauf reagieren wollen? 64 Prozent senken ihre Kosten, 20 Prozent der Großkanzleien planen Mitarbeiter zu entlassen. Arbeitszeitverkürzungen sind jedoch kein Thema. 68 Prozent der Law Firms versuchen indes, mit verstärkter Akquise gegenzusteuern. „Das freut die Unternehmen, die am längeren Preishebel sitzen und nun gute Anwaltsleistungen zum Schnäppchenpreis haben können“, urteilt Volker Tausch, Chef der Unternehmensberatung Vermont in Bonn. Zumal die Leistungsangebote im Segment der wirtschaftsberatenden Großkanzleien ab 50 Anwälten vergleichbar sind, meint Tausch.
Bei der Akquise gehen etliche Sozietäten immer noch nach dem Gießkannenprinzip vor. 50 Prozent hoffen auf traditionelle Werbung wie Mandanten-Newsletter nach dem Gießkannenprinzip. Baumert: „Nur Großkanzleien machen zielführende Akquise mit Marktrecherche und Zielgruppenanalyse.“
Strategisch richtig aufgestellt sind, so die DGPSF-Untersuchung, die sogenannten Boutiquen – also die Kanzleien, die sich nur auf Arbeitsrecht spezialisiert haben wie etwa die Kanzlei Kliemt & Vollstädt mit ihren Dependancen in Düsseldorf, Berlin und Frankfurt oder Wirtschaftsstrafrecht wie Wessing Rechtsanwälte.
Die Krise wirbelt nun auch die einstige interne Kanzlei-Hierarchie durcheinander: Insolvenzrecht, Arbeitsrecht, Kartellrecht und Restrukturierungen laufen gut. Nur nicht die Bereiche, mit denen viel Geld verdient wird, wie das M&A-Geschäft. Gerade Top-Adressen setzen Anwälte – Partner wie Angestellte – vor die Tür, sobald sie zu wenig einspielen. Die Profis für M&A, Private-Equity oder Immobilientransaktionen können nicht darauf hoffen, dass die Kollegen sie durchfüttern. Zwangspensionierungen, Herabstufungen und Entlassungen reputabler Partner kommen nun auch und vor allem bei den umsatzstärksten Kanzleien vor. Insider rechnen auch mit Büroschließungen – gerade von US-Kanzleien.
Dass sich bei den Juristen Verzweiflung breit macht, zeigt ein Skandal, der Clifford Chance derzeit beschäftigt. In Düsseldorf gingen zwei geschasste Anwälte in eigener Sache vors Arbeitsgericht und wehren sich öffentlich gegen ihre Entlassung. Das ist ein Novum – und riskant für die spätere Jobsuche. Zugeben mögen die Juristen aber weder Preiskämpfe noch Entlassungen. Zwar erwarten 44 Prozent der Anwälte laut DGPSF-Studie Partner-Entlassungen. Aber die sind meist getarnt als normale Wechsel in andere Kanzleien und begleitet von blumigen Worten.
Dabei weht den Kanzleien ja durchaus auch aus den Unternehmen kalter Wind ins Gesicht. Wenn diese auf Rabatte und Honorarsenkungen bestehen. Oder ihnen mehr abverlangen: Peter Nägele, Inhouse-Jurist – General Counsel Energy Sector – bei Siemens kritisiert etwa an den Kanzleien, dass sie beim Thema Kosten-Senken nicht hilfreich sind. Weder was die eigenen Honorare angeht noch im Hinblick auf die Kosten der Rechtsabteilungen ihrer Mandanten. Er erwartet, dass sie „bei gleicher Qualität den Aufwand bei personalintensiven Aufgaben reduzieren“ helfen – also immer, wenn große Mengen an Dokumenten gesichtet werden müssen wie bei M&A-Fällen oder bei großen Streitigkeiten besonders mit Bezug zum US-Raum. Für bestimmte Standardsituationen Muster entwerfen oderbessere Angebots- oder Lieferbedingungen vorschlagen: Schließlich könnte auch eine Kanzlei den Unternehmenskunden zeigen, wie sie Arbeitsabläufe verbessern oder vereinfach kann, so Nägele.
Das dürften für die Juristen in den Großkanzleien ganz neue Herausforderungen sein.

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