Warum die neuen Nokia-Handys auch für Microsoft so wichtig sind

Der angeschlagene Handy-Weltmarktführer präsentiert heute seiner ersten Windows-Smartphones. Partner Microsoft erhofft sich dadurch endlich einen Schub seiner vor einem Jahr gestarteten Mobil-Software.

(Update 26.10.2011 10:50 Uhr: Stephen Elop hat das Windows-Flaggschiff soeben vorgestellt – es heißt Nokia Lumia 800; plus ein zweites Windows-Gerät namens Lumia 710.)

Bei Nokia fiebert man der Nokia World entgegen, die am heutigen Mittwoch in London ihre Pforten öffnet: Dort wird Konzernchef Stephen Elop die ersten Finnen-Smartphones auf Windows-Basis vorstellen; Experten gehen von drei verschiedenen Geräten aus. Erst im Februar dieses Jahres hat Elop die weitreichende Partnerschaft mit Microsoft verkündet: Diese sieht unter anderem das Auslaufen der hauseigenen Symbian-Plattform und den Schwenk in Richtung des mobilen Betriebssystems Windows Phone von Microsoft vor.

Zuvor hatte der Nokia-Boss das Smartphone-Geschäft der Finnen in einem internen Memo in drastischen Worten als „brenndende Plattform“ gebranntmarkt.  Wie sehr das Gespann Nokia/Symbian gegenüber seinen Widersachern Apple sowie der Armada der Geräte verschiedener Hersteller auf Basis von Google Android zurück gefallen ist, hat sich erst im August wieder erwiesen: Laut Zahlen des Marktforschungshauses Gartner für das zweite Quartal 2011 halbierte sich der Marktanteil von Symbian-Smartphones binnen Jahresfrist fast – von 41 auf nunmehr 22 Prozent.

Diesen Abwärtstrend wollen Elop und sein Team nun mit den neuen Windows-Handys stoppen. Kein Wunder also, dass die Finnen den heutigen Start kaum erwarten können. Immerhin, es ist schon mal eine reife Leistung, innerhalb eines knappen halben Jahres nach Verkündung der Partnerschaft überhaupt funktionsfähige Smartphones hinzubekommen. Mehr noch: Das Flaggschiff, das unter dem Codename „Sea Ray“ schon seit einiger Zeit durchs Web geistert und das nun offenbar unter der Typbezeichnung Nokia 800 vermarktet werden soll, hat laut einer Umfrage der WirtschaftsWoche offenbar die Erwartungen bei den deutschen Mobilfunkunternehmen übertroffen.

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Windows-Smartphone Nokia 800 (Quelle: Pocketnow.com)

Das Gerät kommt mit einem Vollmetallgehäuse und bruchsicherem, geschwungenem Gorilla-Glas daher (erste Fotos sickerten in der vergangenen Woche beim Blog „Pocketnow.com“ durch). „Ich bin sicher, dass Nokia damit an alte Erfolge anknüpfen kann“, sagt etwa Niek Jan van Damme, für das Deutschland-Geschäft zuständiger Vorstand der Deutschen Telekom, gegenüber der WirtschaftsWoche. Die Chancen für eine Kehrtwende bei Nokia stehen offenbar also gar nicht so schlecht.

Mindestens genauso gespannt wie in der Nokia-Zentrale in Espoo nähe Helsinki dürfte man heute freilich auch in Redmond im US-Bundesstaat Washington sein. Grund: Seit Jahren kämpft Microsoft damit, den Rückstand im Smartphone-Geschäft auf die weit enteilten Marktführer Apple und Google zu verringern. Das im Oktober 2010 vorgestellte mobile Betriebssystem Windows Phone 7 ist eine komplette Neuentwicklung gegenüber der Vorgängerversion Windows Mobile. Obwohl renommierte Marktbeobachter wie etwa „Wall Street Journal“-Kolumnist Walt Mossberg der Plattform interessante Ansätze durch eine „eigenständige Benutzeroberfläche“ attestiert haben, sind die Redmonder in dem einen Jahr seit Marktstart nicht vorangekommen. Erst Mitte September sagte Microsoft-Boss Steve Ballmer auf einer Konferenz vor Finanzanalysten, er sei unzufrieden mit den Windows-Phone-Verkäufen.

Wie schlecht Ballmers Stimmung tatsächlich sein dürfte, hat der auf den Handy- und Mobilfunkmarkt spezialisierte US-Analyst Horace Dediu Anfang Oktober in seinem Blog Asymco deutlich gemacht. Er schätzt die Verkäufe von Geräten mit Windows Phone im letzten Quartal mit verfügbaren Daten, den drei Monaten bis Ende Juni, auf gerade mal 1,7 Millionen Stück. Damit käme die Microsoft-Plattform auf einen Marktanteil von gerade mal 1,3 Prozent – ein neues Allzeittief, wie diese Grafik eindrucksvoll unter Beweis stellt:

wp7_marketshareQuelle: Asymco/Horace Dediu

Hauptgrund dürfte sein, dass die bisherigen Smartphones auf Basis von Windows Phone von den Herstellern Samsung, HTC, LG und Dell solide, aber nicht eben überragend waren. Dass Microsoft im Zeitalter weg von herkömmlichen PCs hin zu Tablets und Smartphones aber zu einer Trendwende im Mobilfunk geradezu verdammt ist, um nicht früher oder später geschäftlich abgehängt zu werden, wissen auch die Verantwortlichen in Redmond: „Wir haben entschieden, dass wir im Handymarkt erfolgreich sein werden, früher oder später. Wir brauchen keinen Plan B“, so etwa Achim Berg, ehemaliger Deutschlandchef und seit mehr als einem Jahr für das weltweite Marketing für Windows Phone verantwortlich, jüngst gegenüber der WirtschaftsWoche.

Daher wissen die Microsoft-Leute nur zu gut, dass sie jetzt auf Gedeih und Verderb auf einen Erfolg von Nokia angewiesen sind – wie eben auch umgekehrt. Möglicherweise ergibt sich aus dieser Gemengelage für beide ja auch das Rezept, das letztlich zum Erfolg führt. Microsoft hat immer noch tief gefüllte Taschen (Stand 30. September: 57,4 Milliarden Dollar Cash und Kurzfrist-Investitionen). Die wird Konzernboss Ballmer nur allzu bereitwillig für Werbung und sonstige Maßnahmen öffnen, um sich in das Smartphone-Geschäft zurück zu kaufen, koste es – im wahrsten Sinne des Wortes – was es wolle. Und der Immer-Noch-Handy-Weltmarktführer Nokia baut erwiesenermaßen immer noch erstklassige Hardware, die er dann über das dichteste Distributionsnetz von mehr als 650.000 Verkaufsstellen weltweit in den Markt drücken kann.

Hinter den Kulissen ist die geballte Nokia-Vertriebsmaschinerie denn auch längst angelaufen: Vor rund zwei Wochen sickerten bereits die Entwürfe erster Werbeanzeigen für das neue Smartphone Nokia 800 durch. Mehr noch: In Großbritannien gab’s Anfang der Woche schon einen so genannten Vorab-Teaser fürs TV, der dem Zuschauer vorab Lust auf das neue Smartphone machen soll. Jetzt bleibt also spannend abzuwarten, wie die Konsumenten in Europa das Gerät nach all den Vorschusslorbeeren aufnehmen werden. Nokia und Microsoft geben ihr Schicksal nämlich einstweilen in die Hände der alten Welt; in den USA kommen die neuen Finnen-Handys dieses Jahr vermutlich nicht mehr auf den Markt.

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Alle Kommentare [2]

  1. Marketingmaschine schön und gut. Es ist ja nicht so, dass die vorherigen Topmodelle von Nokia nicht beworben worden wären. Ich habe „damals“ (vor einem Jahr) gefühlt mehr TV-Werbung von Nokia gesehen als von Apple. Genützt hat es nichts.

    Microsoft braucht Software. Das OS kann nicht einmal einen Screenshot machen. Weder eingebaut noch über Zusatzprogramm. Und mit dem komischen Schlenker der Entwicklungsumgebung für Windows 8 (Metro) hat mich auch nicht gerade für mehr Sicherheit bei den Entwicklern für WP7 gesorgt.

    Die Chance für WP7 ist einfach: Dumpen, dumpen, dumpen. Die Taschen von MS sind tief genug. Und Erfahrung im Bereich „Konkurrenz aus dem Markt dumpen“ hat MS eigentlich ausreichend. Auch wenn sie es in den letzten 10 Jahren nicht mehr nötig hatten. Die ersten 20 Jahre aber hat MS nichts anderes gemacht: Geklaut und gedumpt.

    Mal schauen, wie es diesmal ausgeht. Die Ausgangslage ist dank der kostenlosen Konkurrenz Android eine ganz andere …

  2. Danke für die Einschätzung; teile ich weitgehend. Außer dass ich das Metro-Design nicht nur als „komischen Schlenker“ sehe… das ist ja aus Microsoft-Sicht durchaus mal eine Neuerung und nicht nur eine schnöde Kopie dessen, was iOS und Android bereits bieten. Statt statischem „App-Friedhof“ gibt’s bei WP7 eben dynamische „Live-Tiles“… ob sich das durchsetzt und reicht, gegenüber Apple und Google zu punkten – mal sehen, schwer einzuschätzen vom heutigen Standpunkt. Aber das Geld-Argument, wie Sie es ja auch aufgeführt haben, ist eben nicht von der Hand zu weisen.