Soll Microsoft sich aufspalten oder seine Suchmaschine Bing verkaufen?

Vor einer Woche hat Microsoft die Zahlen fürs vierte Quartal seines Ende Juni abgelaufenen Geschäftsjahres 2011 präsentiert. Im Gegensatz zu den kurz zuvor veröffentlichten, geradezu spektakulär anmutenden Zahlen von Erzrivale Apple geben die Redmonder eher ein gemischtes Bild ab: Umsatz plus 18 Prozent auf 17,4 Milliarden Dollar; Gewinnsprung um 30 Prozent auf 5,9 Milliarden.

Die Wachstumstreiber sind die Videospielsparte rund um die Spielkonsole Xbox mit plus 30 Prozent; das Geschäft mit Server-Software plus 12 Prozent und Unternehmenssoftware mit dem Office-Paket plus sieben Prozent. Dagegen verspürt die Sparte rund um das Betriebssystem Windows mit einem Minus von einem Prozent die Flaute im PC-Geschäft – insbesondere bei Endkunden, die immer häufiger zum Tablet-Computer wie etwa dem Apple iPad statt zu einem klassischen Computer greifen.

Den Großteil seiner Gewinne fährt Microsoft freilich weiterhin mit seinem Stammgeschäft ein: Von 6,2 Milliarden operativem Gewinn liefern das Windows-Geschäft rund drei und das Office-Business 3,6 Milliarden Dollar – ein Trend, der praktisch seit Jahren unverändert ist, wie ein aufschlussreicher Langfrist-Chart des US-Wirtschaftsblogs „Silicon Alley Insider“ beweist:

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Quelle: Silicon Alley Insider

Ähnlich beständig ist freilich das maue Abschneiden der Online-Sparte von Microsoft. Allein im vierten Quartal machten die Redmonder mit ihrer Suchmaschine Bing 728 Millionen Dollar Miese, im gesamten Geschäftsjahr 2011 beliefen sich die Verluste auf satte 2,6 Milliarden Dollar. Seit Anfang 2006 rangiert der Geschäftsbereich in den roten Zahlen – eine Trendumkehr ist nicht in Sicht, wie ein zweiter Chart von „Silicon Alley Insider“ unterstreicht. Das bedeutet: Trotz der Suchpartnerschaft mit Yahoo und einem gemeinsamen Anteil am US-Suchmaschinenmarkt von knapp 30 Prozent hat es Microsoft bis heute nicht geschafft, die Platzierung und Monetarisierung von Internet-Anzeigen auch nur annähernd auf das Niveau von Platzhirsch Google zu hieven.

Wenig verwunderlich also, dass in den vergangenen Tagen wieder einmal Forderungen nach drastischen Maßnahmen laut wurden: So erneuerte der Peter Cohan in seinem Blog beim US-Wirtschaftsmagazin „Forbes“ seine fünf Jahre alte Forderung an Boss Ballmer, der möge Microsoft in seine fünf Geschäftssparten aufspalten und errechnet für die einzelnen Teile mögliche Börsenbewertungen. Sein Fazit: Statt aktuell rund 27 Dollar könnte bei einer Aufspaltung des Unternehmens ein Wert von 68 Dollar je Aktie gehoben werden. Weniger drastisch, aber an den Märkten höher beachtet war eine Anfang der Woche von der „New York Times“ veröffentlichte Analyse. Ihr Befund: Bing avanciere zunehmend zu einer kostspieligen Ablenkung des Konzerns von seinem Kerngeschäft; Ballmer solle daher einen Käufer für das verlustreiche Geschäft suchen, etwa Facebook oder Apple.

Ich teile diese drastischen Forderungen nicht. Etwa was einen Bing-Verkauf betrifft: Zwar stimmt es, dass die nackten Zahlen aktuell grausig aussehen. Um mit Bing im abgelaufenen Geschäftsjahr 2,5 Milliarden Dollar Umsatz einzufahren, hat Microsoft-Boss Steve Ballmer fünf Milliarden Dollar ausgegeben. Selbst mit weiteren Marktanteilsgewinnen gegenüber Google ist aktuell fraglich, ob und wenn ja – wie schnell – der Microsoft-Chef das Geschäft durch Skaleneffekte und verbesserte Algorithmen in Sachen Anzeigenplatzierung in die Gewinnzone drehen kann.

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Quelle: Silicon Alley Insider

Andererseits scheinen Ballmer & Co Bing inzwischen als deutlich mehr zu betrachten als nur einen Wettbewerber zu Google: Beispielsweise verfügen Smartphones mit dem Betriebssystem Windows Phone bereits heute über einen Bing-Knopf. Und durch das vor drei Tagen fertiggestellte Update von Windows Phone namens „Mango“ zieht Microsoft mit einigen Funktionen endlich mit Google Android und dem iPhone von Apple gleich: Bing Vision etwa ist eine Strichcode-Funktion als Pendant zu Google Goggles, oder Bing Audio, eine Musikerkennungsfunktion ähnlich wie die populäre Smartphone-App Shazam. Zudem hat Microsoft kürzlich angekündigt, Bing demnächst mit der Daddelkonsole Xbox vermählen zu wollen, damit Spiele darüber Fernseh- und Videoinhalte abrufen kann. Diese zunehmende Integration von Bing in diverse Microsoft-Produkte spricht gegen einen Verkauf – und erklärt gleichzeitig, warum Ballmer so stark in die Sparte investiert.

Vergleichbare Argumente lassen sich gegen eine Aufspaltung des Konzerns in separate Einheiten aufbringen. Denn auch hier gibt es vielfältige Synergien durch Kopplung und Integration von Produkten der einzelnen Sparten, etwa beim Zusammenspiel des Windows-Betriebssystems mit Microsoft-Unternehmenslösungen – ein wichtiges Verkaufsargument im Geschäft mit Konzernen. Das zudem viel besser läuft als von vielen Beobachtern angemerkt: Ausweislich der jüngst veröffentlichten Zahlen hat Microsoft zuletzt so genannte „unearned revenues“ in Höhe von 17,1 Milliarden Dollar erwirtschaftet. Dabei handelt es sich um Umsätze aus speziellen Lizenz-Volumenverträgen, die Kunden den Bezug von künftigen Software-Upgrades und Neuversionen ermöglichen. Diese „unearned revenues“ hat Microsoft bereits erhalten, aber aus Bilanzierungsgründen noch nicht verbucht. Im Vergleich zum Vorjahr stieg diese Kenngröße um 15 Prozent – also ein wichtiger Indikator, dass das Geschäft der Redmonder mit Unternehmenskunden wirklich rund läuft.

Der Leidensdruck bei Microsoft scheint mir daher noch längst nicht so groß, wie immer mal wieder behauptet wird. Viele Unternehmen hätten gerne die Probleme der Redmonder, hatte ich erst kürzlich hier geschrieben. Oder täusche ich mich? Was meinen Sie – sollte Steve Ballmer Bing verkaufen oder Microsoft einer Selbstzerlegung unterziehen?

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Alle Kommentare [1]

  1. Wer Empfehlungen abgibt, ohne eigenes Geld zu riskieren, produziert idR seichtes Geschwätz.