Wider den Hype um Google+

Mit allerlei Marketing-Brimborium hat Google seinen Gegenentwurf zu Facebook gestartet. Mit einem Massen-Exodus muss das weltgrößte soziale Netzwerk freilich noch nicht rechnen.

Nun, es ist ja durchaus schon viel geschrieben worden seit dem Start von Google+, dem neuerlichen sozialen Entwurf der weltgrößten Suchmaschine vor rund zwei Wochen. Als Kampfansage an das weltgrößte soziale Netzwerk Facebook wird der Google-Vorstoß allenthalben beschrieben. Die Online-Ausgabe des amerikanischen Internet-Magazins „Fast Company“ hat das neue Google-Produkt gar als den Generalangriff auf Facebook, den Check-in-Dienst Foursquare, die populäre Foto-App Instagram – ja unser gesamtes soziales Leben bewertet.

Immerhin, im Gegensatz zu den gescheiterten Vorgängerprojekten von Google im Bereich soziale Web-Dienste wie Google Buzz oder Google Wave ist das Online-Geschnatter rund um „Plus“ enorm: Demnach beschäftigten sich in der ersten Woche stolze 35 Prozent aller weltweit abgesetzten Nachrichten-Tweets (d.h. inklusive Link) mit dem Thema Google+. Laut einer Ende vergangener Woche veröffentlichten Schätzung des US-Technologieblogs „TechCrunch“ hat das neue Produkt den Börsenwert von Google bereits um rund 20 Milliarden Dollar in die Höhe getrieben.

Screenshot einer Präsentation über Google+ (Quelle: Google)

Andere Kommentatoren lenken den Fokus in eine andere Richtung und prophezeien dem Kurznachrichtendienst Twitter schwere Zeiten. Die Begründung: Während Facebook auf symmetrischen Beziehungen zwischen zwei Nutzern beruht (zwei virtuellen Freunde erhalten jeweils die Neuigkeiten des anderen im eigenen Nachrichtenstrom angezeigt), basiert Google – ähnlich wie Twitter – auf asymmetrischen Verhältnissen: Jeder Nutzer kann selber entscheiden, ob er jenen, die einem selber „folgen“, auch zurückfolgt. Aus diesem Grund sei Google+ sogar eher ein Medien- denn ein soziales Netzwerk, weil es besonders zum Verteilen von Nachrichten geeignet sei, hat der deutsche Blogger Sascha Lobo kürzlich bei „Spiegel Online“ geurteilt.

Ich kann ehrlich gesagt beiden Sichtweisen – sei es Facebook- oder Twitter-Killer – wenig abgewinnen. Mehr noch, nachdem ich Google+ nunmehr seit rund einer Woche nutze und mit Facebook sowie Twitter vergleichen kann, finde ich den ganzen Hype um das neue Netz ziemlich übertrieben. Gewiss, Google löst einige Schwächen von Facebook recht elegant: Zwar ermöglicht auch die Zuckerberg-Company bereits seit langem, dass Nutzer ihre Freunde in verschiedenen Listen einordnet. So kann man sicherstellen, dass etwa enge Bekannte andere Fotos zu Gesicht bekommen als etwa Arbeitskollegen. Doch Auswahl und Einordnung verlaufen bis heute recht unübersichtlich, so dass viele Facebook-Nutzer bis heute auf die Anwendung jener Filterfunktion verzichten.

Ganz anders bei Google+: Dort erfolgt die Gruppierung verschiedener Nutzerklassen einfach per Anklicken und Ziehen von Kontakten in unterschiedliche Kreise – bei Google sinnigerweise „Circles“ genannt (siehe dieses Beispielvideo). Auch einige andere Funktionen scheinen – zumindest auf den ersten Blick – bei Google schlanker und eleganter gelungen,  etwa bei dem Gruppen-Videochat-Tool namens „Hangouts“, das mit wenigen Klicks die Kommunikation zwischen mehreren „Plussern“ ermöglicht (siehe dieses Beispielvideo).

Screenshot einer Präsentation über Google+ (Quelle: Google)

Bleibt dennoch die alles entscheidende Frage: Reichen derlei – zugegenermaßen nette – Funktionsschmankerl aus, um das Gros der inzwischen 750 Millionen Facebook-Nutzer zum neuerlichen Umzug ihres kompletten Online-Netzwerks zu bewegen? Viele sind erst in den vergangenen zwölf Monaten dazu gekommen: Von den rund 20 Millionen aktiven Nutzern in Deutschland haben vier Millionen ihr Facebook-Profil erst in den jüngsten vier Monaten angelegt. Ich glaube nicht, dass jene Anwender sofort mit der digitalen Karawane weiterziehen werden.

Woher rührt der Hype dann? Bei Google+, das aktuell noch in einer Testphase läuft, bei der nicht jeder mitmachen darf, tummeln sich einstweilen nur die üblichen Verdächtigen der digitalen Bohème aus Journalisten, PR-Leuten, Beratern und Marketiers. Sie wollen entweder nur früh dabei sein, wenn die nächste hippe Sau durchs virtuelle Kleinbloggersdorf getrieben wird. Oder sie wittern ein lukratives Geschäft mit „the next big thing“, dem nächsten großen Ding im Internet – indem sie Unternehmen, die vielleicht gerade mal auf Facebook gelandet sind, hernach gleich noch eine weitere Social-Media-Beratung aufschwatzen können.

Vermeintliche Schwäche von Twitter ist eine Stärke

Und auch dass Google+ in Bälde Twitter als Verteilmedium für Nachrichten ablösen wird, sehe ich derzeit nicht – ganz im Gegenteil: Zwar monieren viele Beobachter die unzureichende Übersichtlichkeit des Kurznachrichtendienstes etwa bei der direkten Kommunikation zwischen zwei Nutzern. Ich finde aber, genau das ist bei Lichte betrachtet keine Schwäche, sondern eine Stärke: So benutze ich Twitter mittlerweile seit fast zwei Jahren als regelrechtes Nachrichtenterminal. Jeder Tweet besteht aus einem kurzen Text, verbunden meistens mit einem Link. Das war’s.

Auf Google+ kommentieren die Mitglieder schon heute häufiger – und gleichzeitig länger, als das auf Twitter wegen der technischen Beschränkung auf 140 Zeichen möglich ist. Weil sich ein Kommentarstrang im Gegensatz zu Facebook zudem nicht einklappen lässt, gibt es immer wieder Plus-Postings mit 20 oder mehr Kommentaren, die man runterscrollen muss, bis der nächste Beitrag erscheint. Dadurch ertrinkt Google+ leicht im Rauschen der Geschwätzigkeit seiner Mitglieder – ein schnelles und effizientes Informationsmedium sieht anders aus. In welche Richtung sich der neue Dienst auch entwickeln wird – Google+ hat noch einen weiten Weg vor sich.

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Alle Kommentare [9]

  1. Ein sehr schöner Beitrag zum Thema, weil Ausgewogen und nicht nur dem Hype um Google+ anheim fallend. Ich bin auch bei G+ und schaue , wei sich alles entwickelt. Im Moment ist es für mich eine Art Experimentierphase und die Zeit wird zeigen, ob mehr daraus wird. Letztendlich kann es aber für alle Dienste von Vorteil sein, wenn mehr Konkurrenz da ist und die Produkte sich weiterentwickeln. Der Druck ist bei allen gestiegen.

  2. Eigentlich hatte ich die Hoffnung, an dieser Stelle etwas neues Futter für die Diskussion rund um G+ zu erhalten. Neben ein bisschen erfrischender Polemik ist die Bewertung aber eigentlich genau die, die bislang nahezu alle hatten: es ist an bestimmten Stelle das bessere Facebook und dass man abarten müsse, ob das für einen Sieg reicht. So weit waren wir schon.
    Die Diskussion um Twitter ist für mich persönlich irrelevant, aber das mag Geschmackssache sein. Was ich allerdings an Ihrem Artikel äußerst fragwürdig finde sind folgende Dinge: wenn Sie tatsächlich G+ benutzen, muss Ihnen aufgefallen sein, dass das Problem mit den Kommentarlisten längst behoben ist. Hier stehen zwei oder drei Kommentare, und darüber kann man „x ältere Kommentare“ aufklappen. Und des weiteren: G+ befindet sich in einer Testphase, und was Sie hier verheimlichen, ist die verblüffende Geschwindigkeit, mit der Google auf Feedback und Kritik reagiert. Man scheint fest entschlossen zu sein, auf die Benutzer zu hören. Und das ist für mich derzeit einer der Hauptunterschiede zu Facebook, wo Benutzer nur lästiges Beiwerk sind, die man missachten darf und über signifikante Änderungen erst mal gar nicht zu informieren braucht, und dann Kontrollmöglichkeiten für diese Änderungen in möglichst kompliziert zu findenden Untermenüs versteckt, damit auch ja niemand Lust hat, daran was zu ändern.

    Google scheint hier etwas verstanden zu haben, wenn sicher auch zähneknirschend: man kann nur Erfolg haben, wenn man den Benutzer mitnimmt. Für mich persönlich ist das einer der Hauptgründe, warum ich Facebook den Rücken kehren werde. Der andere ist der, den Sie als eher nebensächlich abtun: nämlich dass ich endlich einen komfortablen Weg habe, mit unterschiedlichen Personen unterschiedlich zu kommunizieren. Das „Circles“-Konzept ist für mich ganz persönlich der Todesstoß für Facebook.

  3. Seh ich anders: Erstens ist es normal, dass die digitale Boheme zuerst in einem neuen Netz ist. Meinungsführer und Meinungsmacher müssen sich sowas anschauen und etwas dazu sagen – sonst wären sie ja keine Meinungsführer. Sie haben das ja eben auch gemacht und tragen durch diesen Artikel zum Diskussioneshype bei. Offenheit ist auch eine bessere Haltung, als eine Neuerung einfach mal rundheraus abzulehnen, wie es bei Twitter ja der Fall war (übrigens gerade bei Journalisten). Ergo: Der Hype ist gut und normal.
    Eins übersehen Sie außerdem: Es müssen nicht alle von Facebook umziehen. Google verfügt über eine gigantische Nutzerdatenbank. Man integriert den neuen Dienst einfach bei seinem Google-Konto, das man sich eh schon bei Adsense, Analytics, Knol, Maps, Blog, Picasa, Googlemal, etc angelegt hatte. Und genau die Integration mit all diesen Diensten gibt G+ die nötige Starthilfe und wird das Projekt bald zum Erfolg führen. IT Kollege Jörg Geiger nennt übrigens 10 recht überzeugende Gründe, warum Google+ Facebook schlagen wird: https://www.zehn.de/die-10-groeszten-staerken-von-google-plus-die-facebook-gerne-haette-6514656-0

  4. Die hipen neuen 4 Mio FB User wollen wir auch garnicht bei G+ haben. Facebook ist im überwiegendem Teil ein offliner Netzwerk. G+ ist überhaupt nicht für diese Art von Leuten gemacht (behaupte ich mal).
    Ähnlich wie bei twitter werden die meisten Netzaffin sein und auch dazu beitragen, dass es auch dort so bleibt. Denn das schöne ist ja, ich muss keine offliner folgen die meißt wehnig und wenn dann nur uninteressantes Posten. Das werden die offliner auch schnell merken und wundern sich, warum diese keine follower haben. Das veranlast sie zurück zu FB zu gehen, wo sie sich besser integrieren können.
    Im endeffekt ist G+ das neue twitter, mit extention kann man jetzt schon kommentarschlangen zu klappen. z.B. .
    Wer Rechtschreibfehler darf sie behalten.

  5. Ich glaube, es geht letztlich um viel mehr als ein paar Kreise. Bestechender könnte werden, wie alle Dienste verwoben werden und eine Infrastruktur in und für die Cloud entsteht. Ausführlicher habe ich das im Blog formuliert.

  6. Die Zusammenfassung der bisherigen g+-Berichterstattung ist mir viel zu lang geraten, bevor ich endlich lesen kann, was der Autor kritisiert. Zum Schmunzeln bringt mich natürlich die „digitale Boheme“ die einfach früh dabei sein will. Ich wollte auch unbedingt dabei sein, wobei ich mich niemals als „digitale Boheme“ bezeichnen würde. Aber ist doch wohl klar, dass bei Netzaffinen Neid aufkommt, wenn der andere „schon drin ist“ und man selbst draußen bleiben muss. Die Kritik an den ewig langen Kommentarlisten bei google+ teile ich allerdings. Und trotzdem: Für mich sind die unkomplizierten Kreise extrem gewinnbringend. Google+ macht mir Spaß.

  7. Danke für die Kommentare soweit

    @ThomasLöwe Das Feature mit den einklappbaren Kommentaren ist – wenn überhaupt, nur teilweise umgesetzt (Testphase, wiesen Sie ja auch drauf hin). Ich hatte gestern jedenfalls NACH dem Veröffentlichung des Blog-Beitrags wieder mal ein typischen „Robert-Scoble-Erlebnis“ mit geschätzt 50 nicht komprimierten Kommentaren… heute tauchte die Funktion dann erstmal bei mir auf.

    @Birgit Über die Reihenfolge/Gewichtung habe ich mir beim Schreiben natürlich auch Gedanken gemacht, hatte das dann so aber bewusst gewählt. Grund: Ich vermute, dass die Mehrzahl der WiWO.de-Leser eben NICHT zu jener Vorreiter-Gruppe gehört, die sich bereits munter auf Google+ tummeln – und denen muss man erst mal ein bisserl das Drumherum erklären.

  8. Ich vermisse einen entscheidenden Punkt in dem Artikel, nämlich den Einfluss der Freundeskreise auf die persönlichen Suchergebnisse. Google Plus ist nicht nur eine Pinnwand, sonden auch eine Bereicherung für die Suche im Web. Wenn man eingeloggt sucht, dann findet man auch Empfehlungen von Freunden darunter, welche die Links getwittert oder bei Google „geplusst“ haben. Die Suche bei Facebook beschränkt sich auf Personen oder Facebook-Seiten, also etwas man nicht ernsthaft als eine gute Suchfunkion bezeichen kann. Google ist der Marktführer und Bing kann Google bisher nicht das Wasser reichen. Mit Google Plus kann Google die eingefleischten User noch besser an sich binden und sich so langfristig hohe Marktanteile sichern. Ich halte den Hype um Google Plus daher auch als gut begründet.