Der Google-Straßendienst Street View startet in Deutschland

(Update 18.11.2010 10 Uhr: Google hat Street View bereits heute morgen vor der Pressekonferenz live geschaltet.)

Am vergangenen Montag war’s soweit – Google würde wohl noch ein „endlich“ als Stoßseufzer ergänzen: Die Einladung zur Pressekonferenz in Sachen Street View gingen an die Journalisten. Auch wenn der US-Konzern es in der E-Mail nicht explizit sagt: Im Umfeld des Events in Hamburg am heutigen Donnerstag fällt auch in Deutschland der Startschuss für Google Street View. Der Dienst ist gewissermaßen eine 3D-Erweiterung des Kartendienstes Google Maps: Er ermöglicht virtuelle Spaziergänge durch ganze Straßenzüge und erlaubt es, auch Häuser- und Gebäudefassaden zu betrachten. Hierzulande wird Street View zunächst in 20 Städten verfügbar sein.

Google-Street-View-Auto auf der IT-Messe CeBIT 2010

Dabei hat sich der US-Internetgigant wohl in keinem Land so schwer mit dem neuen Dienst getan wie in Deutschland. Zwar fahren die mit auffälligen Kameras ausgestatteten Google-Autos bereits seit 2008 kreuz und quer durchs Land. Richtig in der breiten Öffentlichkeit ist das Thema freilich erst in diesem Jahr angekommen. So muss Google im Mai zunächst einräumen, dass die Street-View-Autos nicht nur Bilder von Häusern machen, sondern zudem auch die verfügbaren Funknetze scannen. Nur wenige Tage später bekennt der Konzern dann sogar kleinlaut, man habe dabei „aus Versehen“ auch persönliche Nutzerdaten gespeichert. Kurz darauf leitete die Hamburger Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen Google wegen des Verdachts des Abfangens von Daten ein.

Wenig verwunderlich also, dass Kritiker und Befürworter von Street View auch in der Folge hitzig diskutieren. Anfang August verkündet Google, dass der Dienst noch in diesem Jahr in Deutschland starten werde. Weil das Unternehmen verstehe, „dass nicht jeder sein Haus oder seine Wohnung in diesem Dienst abgebildet sehen möchte“, räume Google jedem, der sein Haus oder seine Wohnung unkenntlich machen wolle, eine Widerspruchsfrist ein – allerdings nur von vier Wochen. Das allein erzeugt eine neuerliche Prostestwelle, so dass Google den Zeitraum zum Einspruch wenige Tage später auf acht Wochen verdoppelt.

Selbst ernannte Beschützer des öffentlichen Raums im Digitalen

Parallel dazu formiert sich eine Gegenbewegung von selbst ernannten Beschützern des öffentlichen Raums im Digitalen rund um den Berliner IT-Berater und Fotografen Jens Best. Der ruft per Twitter Gleichgesinnte dazu auf, von Google auf Antrag verpixelte Häuser zu fotografieren und samt GPS-Daten ins Internet zu stellen. Dies freilich kann erst geschehen, wenn überhaupt erste Häuserfronten von Street View verfügbar sind. Das ist Anfang November der Fall, als Oberstaufen im Allgäu freiwillig vorprescht und als erste deutsche Ortschaft auf dem Dienst zu sehen ist – inklusive der ersten verpixelten Häuser.

Jetzt schreien die Pro-Street-View-Jünger auf. Der US-Journalistikprofessor und Blogger Jeff Jarvis geißelt unter der Überschrift „Deutschland, Du hast Deine Städte entweiht“ mit markigen Worten den „Privatsphäre-Wahnsinn der deutschen Regierung und der Medien“:  Seit der Veröffentlichung der Oberstaufen-Bilder könne er sogar den Vergleich etwas abgewinnen, „ob Deutschland mit seiner Verpixelung nicht seine digitale Öffentlichkeit bombardiere“. Darauf wiederum reagiert FAZ-Blogger und Gerne-Verbalkrawallmann Don Alphonso alias Rainer Meyer mit einer ordentlichen Polemik und vergleicht die Aktionen von Internet-Aktivisten wie Jarvis und Best, die den Leuten ihre eigene Vorstellung von digitaler Öffentlichkeit aufzwingen wollen, als „Vorstufe zur Zwangsräumung“.

Vorab veröffentlichte Street-View-Ansicht des Bundeskanzleramts

Ich bekenne freimütig: Final entschieden habe ich mich in jener Debatte nicht. Denn ja, die deutsche Panoramafreiheit erlaubt es jedem, ein beliebiges Gebäude von der Straße, also dem öffentlichen Raum aus, zu fotografieren. Das darf natürlich auch Google. Und wer das bisher bereits in Ländern wie den USA längst verfügbare Street View einmal ausprobiert hat, kann dem Dienst kaum seinen Nutzen absprechen. Einerseits.

Andererseits verstehe ich auch die Bedenken von Kritikern, dass es einen Unterschied macht, ob jemand vor meiner Haustür herum fotografiert, oder jemand auf Knopfdruck ganze Straßenzüge inklusive Vorgärten im Internet optisch abgrasen kann. Aus dem Grund halte ich es auch für fragwürdig, wenn selbsterklärte Web-Aktivisten jeden Street-View-Abstinenzler quasi mit Gewalt ins Licht der digitalen Öffentlichkeit führen wollen.

Kein Untergang des Abendlandes

Vermutlich legt sich die ja wirklich typisch Deutsch anmutende Debatte, sobald Street View endlich gestartet ist. Dann erkennen Kritiker möglicherweise, wie sinnvoll es ist, wenn man etwa ein mögliches Hotel für einen Urlaub per Knopfdruck im Web inspizieren kann. Und die Pro-Google-Fraktion rund um Jarvis & Co., dass ein paar verpixelte Häuser nicht den Untergang des Abendlandes bedeuten. Wie Google Ende Oktober bekannt gab, haben nicht einmal drei Prozent aller deutschen Haushalte einen Antrag auf Verpixelung gestellt.

Derweil setzt auch Google darauf, einen der Hauptzwecke des Dienstes zu unterstreichen, nämlich dass sich jeder vor einem Urlaub seine Destination bereits vorab genau anschauen kann. Das jedenfalls ist die Kernbotschaft eines im Google-Auftrag erstellten Werbevideos, das jüngst im Web aufgetaucht ist. In diesem Sinne: „Das Leben ist eine Reise“

Quelle: Google Street View by Sehnsucht

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Alle Kommentare [3]

  1. Lieber Michael,

    „Quasi mit Gewalt“ ist falsch. Von Respektlosigkeit kann man gerne sprechen, denn es gibt sicher ein paar tausend Menschen, deren Wunsch ich gerne respektieren würde.
    Leider ist die Debatte so unsachlich geführt worden von Politik, „Datenschutz“-Beauftragten und großen Teilen der Medien. Damit ist der Deutsche Michel von der Kleinen gelassen worden und das moralische Recht in der Öffentlichkeit Hauser zu fotografieren wurde mit einer „Endlich kann ich mal wieder was verbieten, egal warum“-Welle bedroht.

    Insofern ist meine Aktion keine Pro-Google-Aktion, sondern sie stellt die Debatte um Privatheit und Öffentlichkeit in Deutschland wieder vom Kopf auf die Füße.

    Desweiteren finde ich Worte wie „Jünger“ oder „Guru“ unangebracht, den es geht hier nicht, auch wenn manch armer Geist bei der FAZ das gerne hätte, um einen Glaubenskrieg, sondern um mehr Differenzierheit in der Diskussion. Damit eine aufgeklärte Informationsgesellschaft in Deutschland wenigstens ansatzweise eine Chance hat.

    Beste Grüße
    Jens

  2. Lieber Jens,

    danke für Deinen Kommentar. Ich gebe gerne zu, dass auch ich hier mit den Begrifflichkeiten á la „Guru“ etwas zugespitzt habe. Aber sorry, dass musst Du Dir auch ein Stück weit gefallen lassen. Denn „mehr Differenziertheit“ in der Diskussion schaffst Du meines Erachtens nicht durch eine Aktion wie die Deinige.

    Gewiss, die Publikumswirksamkeit solcher „Respektlosigkeit“, wie Du es nennst, ist größer. Ich bezweifele aber – worüber wir auch schon mal via Twitter diskutiert haben, dass Zweifler sich zwangsbeglücken lassen.

    Ja, die Diskussion mit dem Fortschritts-aversen Deutschen Michel ist anstrengend und langwierig – ich finde dennoch, dass man sie mit populistischen Maßnahmen umgehen kann.

    Viele Grüße,
    Michael

  3. Das mit der „Zwangsbeglückung“ sehe ich nicht – bei dieser Aktion ist mir nicht wichtig wer da wohnt. Es geht um die Freude der Fotografen, um das außergewöhnliche Objekt und das Signal, dass aus Wünschen nicht automatisch Moral und Recht entsteht.

    Im Endeffekt aber stimme ich dir zu. Und so ein bisserl Deutscher Michel steckt halt in jedem von uns. This very German inner devil.