Twitter: Mein Nachrichtenterminal fürs Internet

Ein halbes Jahr Online-Zwitscherei – in dem ich vom Saulus zum Paulus konvertierte.

Ich gebe es unumwunden zu: Trotz meiner berufsbedingten Nähe zu IT- und Internetthemen habe ich Twitter lange Zeit als überflüssiges Spielzeug, ja als blanken Hype betrachtet. Wenn ich die Twitter-Startseite des einen oder anderen Kollegen aufrief, sah ich dort nur viele kryptisch anmutende Sonderzeichen („#“), unverständliche Abkürzungen( „RT“), abgehackte Sätze und seltsame Links – kurzum: Warum diese Stakkato-Kommunikation auf 140 Zeichen das „nächste heiße Ding“ im Internet sein sollte, wollte mir in keiner Weise einleuchten.

Ein Freund, mit dem ich bis dato über das Gezwitscher nur gelästert hatte, weckt Mitte 2009 trotzdem (oder gerade deshalb) meinen Ehrgeiz, als er sich selber bei Twitter anmeldet. Am Abend des 30. Juli 2009 ist jedenfalls mein Account samt Hintergrundbild fertig, und kurz nach Mitternacht funke ich meine erste Twitter-Botschaft („Tweet“) raus an die Welt. Was genau, weiß ich gar nicht mehr so genau, irgendwas Belangloses wie ein schüchternenes „Ok, los geht’s“, glaube ich. Jedenfalls sprechen mich in unserer Freitags-Redaktionskonferenz gleich mehrere Kollegen aufmunternd an. Sie hatten meinen tapsigen Start mitbekommen, da ich zuvor ihren Twitter-Konten gefolgt war.

Dann geht’s eigentlich ganz schnell. Ich widme mich dem Gezwitscher regelmäßig, versuche, eine gesunde Mischung zwischen vielen Job-bezogenen Tweet zu finden, also Zwitscherei rund um „meine“ Themen IT, Internet und Medien. Diese unterbreche ich durch das eine oder andere eher persönliche Einsprengsel. Ob die Mischung passt, sollen andere entscheiden. Fakt ist: Sechs Monate, 600+ Follower (sie lesen mein Geschreibsel) und knapp 1800 Tweets später bin ich komplett vom Saulus zum Paulus konvertiert.

Zweck erschließt sich nicht bei Draufsicht

Was mir in jenen Monaten besonders bewusst geworden ist: Twitter ist einer jener Online-Dienste, deren Zweck sich – im Gegensatz etwa zu eBay oder Amazon – kaum durch eine Draufsicht auf die Webseite, sondern erst beim eigenen Ausprobieren erschließt. Denn natürlich findet sich auf Twitter auch viel Mist, viel Belangloses und Überflüssiges – geschenkt. Aber: Ich als Nutzer habe es eben selbst in der Hand, welchem Mit-Twitterer ich folge, und wessen Ergüsse ich dann doch lieber links liegen lasse. Um dies jedoch rauszufinden, musste ich eben erst einmal aktiv loslegen.

Inzwischen folge ich regelmäßig dem Gezwitscher von rund 170 Nachrichtenseiten und Multiplikatoren. Mehr noch: Die News vieler Hightech-Blogs wie etwa Mashable oder Engadget, deren Webseiten ich früher immer aktiv ansteuern musste, kommen jetzt automatisch „zu mir“. Und sollte ich doch mal eine wichtige Neuigkeit übersehen, bemerke ich’s durch die Wiederholungen – die so genannten Retweets – von Leuten, die ebenfalls in „meiner“ Materie drin sind. Damit funktioniert Twitter für mich insgesamt als sozialer Filter und Verstärker für relevante Branchen-Infos.

Und dank Tweetdeck – das ist eines von mehreren Extra-Programmen, mit denen sich die Twitter-Kurznachrichten in Spaltenform übersichtlich jenseits des Browsers darstellen lassen – verfüge ich mittlerweile über mein ganz persönliches Nachrichtenterminal für Social Media, Internet und IT. So fühle ich mich trotz des erst mal notwendigen Zeitaufwandes deutlich besser, weil zielgerichteter – und natürlich schneller – informiert als zuvor. Umgekehrt spare ich jetzt auch wieder Zeit: Denn die unzähligen E-Mail-Newsletter, die ich bis vor einem halben Jahr noch regelmäßig gelesen habe – sind alle überflüssig, ich kann sie getrost abbestellen.

Dienst nur für Medienschaffende?

Kein Wunder also, dass sogar bereits die ersten Medienorganisationen dazu übergehen, Twitter verpflichtend zu machen. Zum Beispiel die britische Nachrichtensite Sky, die ihren Journalisten vor einigen Wochen intern den Einsatz von Tweetdeck vorschrieb. Bisher zählen – neben einer kleinen Minderheit von Promis – offenbar vor allem Journalisten, Medienmacher und Berater zu den regelmäßigen Nutzern von Twitter. Eben weil sich für sie der Nutzen, siehe mein Beispiel, besonders schnell darstellt.

Jenseits dieser relativ eng umrissenen Zielgruppe scheint die Begeisterung für  Twitter dagegen noch sehr begrenzt zu sein. Laut einer kürzlich veröffentlichten Studie hatte Twitter Ende 2009 zwar 75 Millionen registerierte Nutzer. Doch stolze 80 Prozent aller Twitterer hatten im Monat Dezember weniger als zehn Tweets abesetzt. Zum Vergleich: Mein Tages-Durchschnitt liegt irgendwo zwischen einem und in der Spitze 20 Botschaften.

Ein wirklicher Boom sieht also anders aus. Daher frage ich mich schon:  Werden aus den vielen passiven Nutzern irgendwann auch begeisterte Twitterati? Jedenfalls wirkt Twitter offenbar auch auf viele andere nichtangemeldete Internet-Surfer erst einmal unaufgeräumt und abstoßend – ganz ähnlich wie bei mir vor nunmehr etwas mehr als sechs Monaten. Gut möglich, dass die Skepsis vieler bleibt, solange sich dies nicht ändert.

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