Siemens: Kernkraft rein oder raus?

Eigentlich läuft es für Peter Löscher seit langem rund: Der Mitte 2007 im Nachgang der Schmiergeldaffäre von außen auf den Siemens-Chefsessel berufene Österreicher hat den Münchner Elektro- und Industrietechnik-Gigant praktisch unversehrt durch die Wirtschafts- und Finanzkrise manövriert. Während viele Konkurrenten Umsatzeinbußen oder gar rote Zahlen verkraften mussten, hat Siemens sogar im Krisenjahr 2009 noch satte Gewinne eingefahren. Kaum verwunderlich also, dass der Siemens-Aufsichtsrat auf seiner regulären Sitzung am heutigen Mittwoch den Vertrag mit Löscher laut Branchengerüchten vom Wochenanfang vorzeitig verlängern will. (Update 27.7.2011 13:40 Uhr: Siemens hat offiziell bekannt gegeben, dass der Aufsichtsrat die Verträge mit Löscher sowie den beiden Vorständen Siegfried Russwurm und Peter Solmssen verlängert hat.)

Um die Beseitigung einer Baustelle drückt sich Löscher jedoch seit Monaten herum: Die Lösung Kernenergie-Frage bei Siemens. Bereits Ende März erläuterte ein ranghoher Siemens-Manager gegenüber der WirtschaftsWoche, Siemens erwäge den Ausstieg aus dem geplanten Joint-Venture mit dem russischen Atomkonzern Rosatom. Entsprechende Ankündigungen: Fehlanzeige. Auch der Aufsichtsrat mauert; so als habe der Chefkontrolleur und heimliche Siemens-Herrscher Gerhard Cromme jedem höchstpersönlich einen Maulkorb verpasst.

Neue Allianz trotz Konkurrenzklausel

Auch in der Vergangenheit hat Löscher in Sachen Kernenergie kein glückliches Händchen bewiesen. Anfang 2009 verkündete Siemens, seinen Anteil am Kraftwerksbauer Areva NP an dessen Mutterkonzern Areva zurückgeben und so aus dem Joint-Venture aussteigen zu wollen. Bereits Anfang März 2009, also nur wenige Wochen später, unterschrieb Löscher mit dem russischen Atomkonzern Rosatom eine Absichtserklärung über die Bildung einer neuen Allianz – wohl wissend, dass der Ausstiegsvertrag mit Areva eine Konkurrenzklausel beinhaltete. Ebenjenes Wettbewerbsverbot vermiest Siemens nach einem Schiedgerichtsurteil vom Mai dieses Jahres die am morgigen Donnerstag zu verkündenden Zahlen fürs dritte Geschäftsquartal mit einer Strafzahlung in Höhe von knapp 650 Millionen Euro.

Warum sich Löscher über die künftige Atom-Ausrichtung des Konzerns bis heute in Schweigen hüllt, ist vielen ein Rätsel. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Siemens nach den Ereignissen von Fukushima im so genannten ‚heißen Part‘, also der nuklearen Technik, noch eine Kooperation eingeht“, sagt ein Aufsichtsrat der Arbeitnehmerseite, der ungenannt bleiben will. Zumal ein Festhalten an der Nukleartechnik auch mit der Neuausrichtung von Siemens kollidieren würde, die maßgeblich auf Löscher zurück geht: So ist Siemens im Vergleich zu den direkten Wettbewerbern GE, Alstom und ABB deutlich besser auf Zukunftstrends wie grüne Technologie und Nachhaltigkeit aufgestellt, wie ein Exklusiv-Vergleich der Unternehmensberatung PA Consulting im Auftrag der WirtschaftsWoche Anfang des Jahres ergab.

Vielleicht geht Löscher ja einen gesichtswahrenden Mittelweg: Er überlässt die heiße Kernkraft den Russen und liefert das zu, worin Siemens längst marktführend ist: Die konventionelle Kraftwerks- und Turbinentechnik.

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