Bilden Sie bitte eine Mittelgasse. Die blaue Linie des Hamburg-Marathon und die StVO.

Der Straßenverkehr in Deutschland ist umfassend geregelt. Wer wo wann zu stoppen, wie schnell zu fahren hat oder wem Vorfahrt gewähren muss, ist festgelegt in der Straßenverkehrsordnung, der StVO. Bei Marathons wird sie auf einzelnen Straßen für einen nicht kleinen Teil einer Großstadt außer Kraft gesetzt. Manchen Bewohner ärgert’s, weil er nicht mehr so reibungslos durch die Stadt kommt.

Hamburg empfängt mit imagegerechter Tristesse...

Hamburg empfängt mit image-gerechter Tristesse…

Den Marathonteilnehmer freut’s, denn er darf endlich mal da laufen, wo ihn sonst die Autos überfahren oder vermutlich die Polizei schnell wegholen würde. Kein Ampelstopp, kein Ausweichen – einfach frei Laufen.

Fast. Wenn da nicht die zigtausend anderen Starter wären. In Hamburg haben sich die Organisatoren einfallen lassen, eine blaue Linie auf die Marathonstrecke zu ziehen. Sie weist nicht nur den Weg für etwaige einsame Läufer, sie markiert auch die Linie, die sich dann zu den hochoffiziellen 42.195 Metern summiert. Meine Laufuhr hatte 42,96 Kilometer. Einige Meter davon waren sicher dem Falk-Cerpinski-Gedächtnisstopp auf der Lombardsbrücke geschuldet.

...der man mit Kuchen begegnet...

…der man mit Kuchen begegnet, dem dann…

„Run the blue line“ heißt es schon auf den Starterbeuteln. Sie verläuft wohl nicht jedes Jahr gleich, an einigen Stellen des Marathons sind die langsam verblassenden Streifen des Vorjahres noch zu sehen. Gleichwohl – die blaue Linie gibt Orientierung. Hier sollte eigentlich jeder laufen wollen. Ist dann aber gar nicht so.

Das Feld dehnt sich aus. Natürlich in der Länge, je weiter der Wettbewerb vorangeschritten ist, aber auch in der Breite. Ein Durchkommen ist zu Beginn kaum, später noch immer nur beschwerlich möglich. Ich kann das gut beurteilen, denn bei diesem Marathon mussten tausende Menschen an mir vorbei. Am Ende bin ich Platz 4889, ich durfte recht weit vorne starten dank eines ordentlichen Resultats aus einem vergangenen Jahrhundert. Gefühlt sind sicher 3000 Läufer an mir vorbeigezogen – und zwar von Anfang an! Erst gegen Ende ebbte die Flut der schnelleren Läufer etwas ab. An eigenes Überholen kann ich mich nicht erinnern.

... mit "veganen Matchakeksen, probier' doch mal", äh, überrascht zu werden...

… mit „veganen Matchakeksen, probier‘ doch mal“, ein Akzent entgegengesetzt wird, um am Ende…

Was also tue ich, wenn ich spüre „Ich gehöre hier nicht her“? Ich versuche Platz zu machen. Hier regelt die StVO das für Autobahnen. Ganz außen, da wo die Kinder ihre Hände noch auf die Piste recken können, um die der Läufer abzuklatschen, hier, wo der Bordstein nicht weit, das Ziel umso ferner ist. Ich klatsche auch ausdauernd und anhaltend ab und die Zahl der abgeklatschten Kinderhände dürfte nicht so viel kleiner sein als meine Platzierung in meiner Altersklasse (823).

Doch auch beim Marathon ist der gesunde Menschenverstand nicht ausreichend. Der Sinn, Platz zu machen, scheint nicht allen klar zu sein. Für die schnelleren Läufer ist das mühselig, sie bahnen sich mehr oder weniger laut schimpfend einen Weg durch die Massen, die zwar das gleiche Ziel, aber ein anderes Tempo haben. Doch mein guter Wille, niemanden im Weg zu laufen, der fitter, schneller, besser ist, stößt einige Male an seine Grenzen. Der Paragraph 5 der StVO scheint hier in seiner Adaption für den Marathon auf der blauen Mittellinie nicht auszureichen. Ich werde rechts überholt, obwohl ich quasi schon an der Leitplanke laufe oder links überholt, wenn ich mein ruhiges Glück auf der anderen Seite suche. Teils mit Tuchfühlung, ein mal mit dem Austausch verbaler Freundlichkeiten. Ich habe noch Luft zum diskutieren, ich bin schließlich langsam.

...beim Frühstück vorm Rennen doch

…beim Frühstück vorm Rennen zu wissen: Es wird doch alles gut.

Das sind so die wesentlichen Gedanken, die mich umtreiben als ich versuche, den Marathon von Hamburg in Ehren zu absolvieren, was dann auch eigentlich ganz gut gelingt. Das mangelnde Training fordert seinen Tribut. Oder besser gesagt: Es zeigt sich, wie weit mein Training eigentlich reicht. 30 Kilometer kann ich mich der Illusion hingeben, dass doch ein Wunder geschehen kann. Dann aber spüre ich, dass die vergangenen Läufe bis maximal 26 Kilometer eben nicht genug sind, um viel weiter die eh schon ruhige Geschwindigkeit zu halten. Einige Erhebungen, ein wenig Wind besiegeln den Rest.

Und so kann ich sagen: Tolles Publikum, prima Wetter, schöne Stadt und ich bin selbst bei einer strengen Auslegung aller Verkehrsregeln tadellos gelaufen.

 

 

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Alle Kommentare [3]

  1. @Peter Ich ordne mich da ein, wo ich eingeordnet werde. Und der letzte Funken Hoffnung stirbt erst auf den ersten zwei Kilometern. 🙂 Außerdem sehe ich natürlich irrwitzig schnell aus! Das verpflichtet.

  2. Es gibt Läufe, die man tatsächlich auch nur mal geniessen sollte…Hamburg gehört definitiv dazu. Hamburg ist schön (ich weiß das, habe immerhin 13 Jahre dort gelebt), der Marathon ist gut organisiert (ich weiß das, habe ihn immerhin 11x gefinisht) und für mich etwas Besonderes (war es doch mein erster Marathon bei der Erstaustragung überhaupt)
    Und die Zuschauer trotz hanseatischer Kühle (was ja eh nur ein Klischee ist) sind leidenschaftlich und in großer Anzahl dabei.
    Beim nächsten mal laufen wir gemeinsam

    Nachsatz: Wenn du weißt das Du nicht ausreichend trainiert bist/hast, warum ordnest Du in den vorderen Startgruppen ein? Wärst du als Letzter gestartet, hättest Du bestimmt die Genugtuung gehabt, einen, oder sogar zwei selber überholen zu können 🙂

  3. Wieder ein schöner Bericht über eine sehr schöne Veranstaltung.
    Bei uns auf der Ecke war es relativ entspannt und versehentliche Rempler wurden schnell gegenseitig entschuldigt. Ich habe aber auch gehört, dass weiterhin bei 4:30h teilweise mit harten verbalen Bandagen („Schlampe!“) gekämpft wurde…

    Zur Mittelgasse noch: Höhe km17 an der Binnenalster kam von hinten ein Rettungswagen und jemand rief „Rettungsgasse bilden“, wir haben uns dann aber entgegen der STVO doch gemeinschaftlich für den rechten Fahrbahnrand entschieden. Verunsichert war ich dennoch.