Das laaaaaaaaaaaaaaaange Interview mit Triathlon-Weltmeister Sebastian Kienle, dem Sieger des Ironman Hawaii 2014

Welchen Einfluss haben die Athleten auf die Verbände?

Ich bin mir sicher, dass einer von den Chefs der drei wichtigen Verbände noch kein Interview in einem großen deutschen Wirtschaftsmagazin gegeben hat. Insofern haben wir Athleten eine Stimme, das ist eine Plattform, die wir nutzen können, um das in unserem Sinne zu steuern. Aber die WTC mit den Ironman-Wettbewerben  ist ein normales Unternehmen, das zu einer Private Equity-Holding gehört. Die haben eigene Interessen. Aber es gibt die Idee, eine Profigewerkschaft zu gründen, obwohl es sehr fraglich ist, ob es die je geben wird.

Entspannt bleiben! Sagt Kienle. Der muss es wissen. (Copryright: Scott)

Entspannt bleiben! Sagt Kienle. Der muss es wissen. (Copryright: Scott)

Warum?

Dafür sind zu viele Individualisten in unserem Sport unterwegs. Aber zufriedene Athleten und mehr Wettkämpfe sind auch für die örtlichen Veranstalter wie auch die Lizenzgeber wie Challenge und Ironman wichtig, denn daraus entsteht deren Wachstum.

Deutschland ist mit Athleten wie Norman Stadler, Lothar Leder, Thomas Hellriegel und Faris Al-Sultan schon sehr lange erfolgreich im Triathon. Nun sind Jan Frodeno, Michael und Andreas Raelert und Sie selbst Weltspitze. Was sind die Gründe?

Durch die Erfolge von Stadler oder Leder haben mehr Jugendliche den Sport begonnen und aus dieser Substanz entwickeln sich mehr Talente. Und Deutschland hat ein ziemlich gutes Sportfördersystem. Auch wenn viele immer drauf schimpfen, ich halte es für gut und konkurrenzfähig. Die meisten Athleten, die auf der Langdistanz erfolgreich sind, kommen ursprünglich aus der Kurzdistanz, in der es auch ein Ligasystem gibt mit regelmäßigen Wettbewerben. Auch ich habe eine Zeit lang von Strukturen profitiert, die dafür da sind, Sportler nach Olympia zu bringen. Und letztlich kann man mit Fleiß und Beharrlichkeit in diesem Sport schon sehr viel erreichen. Auch wenn ich Jungs aus Australien kenne, die noch viel fleißiger sind als ich. 

Es gibt weltweit etwa 2000 Profitriathleten. Gibt es für die genug zu tun?

Da können Sie auch Fragen, ob ich annehme, dass alle Profitriathleten den Mindestlohn von 8,50 Euro in der Stunde verdienen…

Und wie wäre die Antwort?

Ich vermute eher nicht. Unter den 2000 Profis sind einige dabei, die studieren noch, andere haben das Geld, um genug zu trainieren und erfüllen sich den Traum. Von dem Sport gut leben können meiner Meinung nach nicht mehr als 20 Männer und 15 Frauen weltweit. Der Rest verdient zwar Geld, aber nicht genug, um davon vernünftig zu leben.

Die weiblichen Topathleten wie Chrissie Wellington oder Mirinda Carefrae im Triathlon sind kaum weniger bekannt als ihre männlichen Kollegen, auch die Preisgelder sind für beide gleich. Was sind die Gründe?

Wir haben im Grunde eine Gleichberechtigung. Das liegt allein schon daran, dass wir unsere Weltmeisterschaft alle gemeinsam am gleichen Tag auf der gleichen Strecke austragen. Das allein ist ein Riesenvorteil des Triathlons.  Es gibt allerdings für Frauen nur 35 statt 50 Startplätze für die Weltmeisterschaft auf Hawaii. Meiner Meinung nach ist die Leistungsdichte noch nicht so stark bei den Frauen wie bei den Männern. Viele wollen aber gleiche Startzahlen bei den Profis für Frauen wie Männer.

Wer sich bei Hobbywettkämpfen umschaut sieht: Der Anteil weiblicher Starter ist sehr groß. Überrascht sie das?

Ein wenig, denn allein das Radfahren gilt als recht männliche Disziplin. Aber das ist es gar nicht. Zudem muss man sich nur vor Augen halten:  Die Weltmeisterin Mirinda Carefree ist ihren abschließenden Marathon auf Hawaii schneller gelaufen als ich meinen. Je länger die Strecke wird, desto geringer ist der Abstand zwischen den Geschlechtern. Beim Ausdauersport, das zeigen auch die prozentualen Abweichungen beim 100-Meter-Lauf und beim Marathon zwischen Männern und Frauen kommen sich die Geschlechter näher, je länger die Distanz ist.

Wenn Sie nicht Profi geworden wären, wo wären Sie heute mit ihrem doch recht speziellen Studium der Physik?

Das Physikstudium ist doch im Gegenteil sogar sehr unspezifisch! Damit kann man Bundeskanzlerin werden als auch im CERN arbeiten. Oder notfalls als Patentanwalt. Mir war bis zum Vordiplom nicht ganz klar, wo das enden würde. In der Zeit habe ich allerdings begonnen mein Faible für Wirtschaft zu entwickeln. Ich wäre sicher nicht im Elfenbeinturm gelandet, sondern eher wie viele meiner Kollegen in die Unternehmensberatung gegangen.

Was schauen Sie sich von anderen Athleten ab?

Man muss seinen eigenen Weg gehen. Aber wer nicht rechts und links schaut, der kann den gar nicht finden. Meine Kollegin Sonja Barzel, mit der ich oft trainiere, ist eine technisch hervorragende Schwimmerin, da schiele ich schon hin, was die anders macht als ich. Triathlon ist Konkurrenzkampf in Reinkultur und alles was gut erscheint, wird sofort kopiert. Man muss immer bereit aus den Fehlern der anderen zu lernen. Da hilft heute Social Media heute ungemein, viele Sportler posten auf Facebook ihre Trainingsdaten. Gleichzeitig darf man sich nicht irritieren lassen, denn ständig trainiert irgendwo einer mehr als man selber. Das funktioniert nicht, wenn man denkt, man müsse der sein, der am Ende der Woche die meisten Stunden hat.

Der erste Triathlon der Welt auf Hawaii 1978 entstand aus der Frage, wer fitter sei: Der Schwimmer, der Radler oder der Läufer? Wer ist denn nun eigentlich fitter?

Das kann man nicht sagen. Ich halte auch nichts davon, Sportler interdisziplinär zu vergleichen. Als Triathlet orientiert man sich aber dennoch an den Spezialisten, denn wir alle finden über eine der Sportarten zum Triathlon. Und wir schauen, was machen die? Und mit dem Überblick kann ich sagen, dass in allen drei Sportarten von Triathleten unglaubliche Leistungen erbracht werden.

Könnten Sie bei den Spezialisten mithalten?

Keine Chance. Als Männer schaffen Triathleten es gerade so, sich mit den Spezialisten bei den Frauen zu messen. Aber selbst da bin ich weit davon entfernt, nur beim Rad fahren, da bin ich besser. Aber die schnellste Frau schwimmt schneller als ich und läuft schneller als ich.

Hätten Sie als Radprofi eine Chance?

Vielleicht. Wenn ich das vor zehn bis zwölf Jahren so entschieden hätte. Heute? Keine Chance. Beim Zeitfahren bei der Tour de France würde ich zumindest nicht untergehen. Aber auch, weil ein großer Teil der Fahrer sich schont, weil sie eh keine Chance auf den Sieg haben.

Zu den Eigenheiten des Radsports und weniger erfreulichen Themen dieser Szene gehört das Doping. Sie haben sich entschieden dagegen ausgesprochen, dass Lance Armstrong im Triathlon starten darf. Ist der Triathlon sauber?

Im Triathlon ist zumindest anders, dass wir keine Teams sind. Es gab Dopingfälle auch in unserem Sport. Aber da es kein Mannschaftssport ist, ist das flächendeckende Dopen das vom Teamleiter gedeckt wird und von dem alle Mitglieder des Teams wussten, nicht unser größtes Problem.

Es darf auch mal Alkohol sein, sagt Kienle. Vielleicht nicht im Rennen, so wie hier beim Röntgenlauf.

Es darf auch mal Alkohol sein, sagt Kienle. Vielleicht nicht im Rennen, so wie hier beim Röntgenlauf.

Sondern?

Wir haben inzwischen fast eine Umkehr der Beweislast. Wer in der Weltspitze vorne liegt, muss im Grunde belegen, dass er nicht gedopt ist. Nur – es ist fast unmöglich gegen Vermutungen in der Öffentlichkeit anzutesten. Ich gehöre dem Testpool der deutschen Dopingagentur an und wir werden sehr intensiv getestet. So muss ich zum Beispiel, wenn ich wie heute früher für unser Interview zu Hause los fahre, eine SMS an das System schicken, dass ich nicht zu der fest vereinbarten Zeit zu Hause bin, an der Kontrollen stattfinden können. Das ist alles in Ordnung, aber es schützt mich nicht, als Sieger einem Generalverdacht ausgesetzt zu sein.

Amateure werden im Triathlon kaum kontrolliert, obwohl es dort zwar nicht um riesige Geldsummen geht – aber zumindest die Qualifikation für die WM in Hawaii.

Bei Amateuren wird inzwischen auch mehr getestet, sicher aber nicht in der Tiefe. Amateure sind oftmals auch gedopt, ohne es zu wissen. Medikamente wie Wick Medinait oder Aspirin Complex sind beispielsweise zu bestimmten Zeiten für Athleten verboten. Das wissen nur viele gar nicht. Wir Profis müssen genau wissen, welche Medikamente wir nicht nehmen dürfen.

Zum Schluss einige Fragen, die einige Bekannte gerne beantwortet haben wollen: Gehen Sie auf Partys?

Bevorzugt nach dem Gewinn einer Ironman-Weltmeisterschaft. Da habe ich einige Partys mitgenommen. Aber im Alltag verliert es mit 30 auch seinen Reiz.

Wie viel Stunden Schlaf?

Bestimmt im Schnitt acht Stunden Nachtschlaf und eine Stunde Mittagsschlaf.

Musik beim Training?

Unterschiedlich. Ich trainiere auch auf dem Laufband oder dem Rollentrainer. Da immer mit Musik. Draußen weniger. Musik kann ein toller Motivator sein. Wenn man es immer nutzt, geht der Reiz aber auch verloren.

Wie viele Stunden trainieren Sie?

Rund 28 Stunden in der Woche.

Sie waren bei der Challenge Roth sehr erfolgreich, besonders auf dem Radsplit – gute Tipps für die Strecke?

Die Standardtipps: Am Solarer Berg sich nicht von der Euphorie anstecken lassen und in der ersten Runde auf dem großen Blatt hochstürmen. Und beim Laufen auf einen recht langen Marathon einstellen. Der fühlt sich länger an, weil man am Kanal auch sehr weit schauen kann. Da nur von Schritt zu Schritt denken. Und in der Vorbereitung auf Schotter trainieren.

Trainieren Sie viel den Oberkörper? Ein Beobachter meinte, mehr Muskeln als im Vergleich zu anderen gesehen zu haben.

Nein, ich bin nicht so extrem am Limit, was das Körperfett angeht, da sieht das vielleicht so aus. Leider bringen die Muskeln nicht so viel für das Schwimmen.

Was verzehren Sie nach harten Einheiten?

Eiweiß und Kohlenhydrate im Verhältnis 2 zu 1. So wird die Erholung beschleunigt. Schokomilch vielleicht oder Pfannkuchen mit Quark. Oder Kartoffeln mit Ei. Nach dem Training tut es aber auch ein Proteinriegel.

Sie haben alles gewonnen, viel schneller war auch noch kaum einer. Ist Ironman für Sie noch hart?

Absolut. Und ich staune auch selber immer wieder. Als wir vergangenes Jahr nach Frankfurt fuhren im Auto, waren das ziemlich genau 180 Kilometer und wegen viel Verkehrs haben wir gut drei Stunden gebraucht. Und ich saß da und dachte: Die Strecke willst du mit dem Fahrrad fahren? Und danach noch einen Marathon laufen? Der Ironman bleibt auch für mich eine faszinierende Herausforderung.

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Alle Kommentare [11]

  1. @Fabian, ich habe es so vom Band abgehört und Sebastian Kienle hat es bei der Freigabe nicht geändert. Ich gehe davon aus, dass es so stimmt. Die Tonbandqualität war auch einwandfrei.

  2. Gutes Interview.
    Aber ist mit ‚Sonja Barzel‘ nicht Svenja Bazlen gemeint? Wundert mich nur, dass es eine Athletin geben soll mit so ähnlichem Namen.

  3. haha, das ist ein best of, aus fragen, die mir andere triathleten mit auf den weg gaben. 🙂 bei der challenge roth-frage stutzte kienle kurz und fragte mich „das ist aber nicht für die wiwo, oder?“

  4. Starkes Interview. Und ein sehr helles Köpfchen.

    Und jetzt suche ich mir eine Schotterpiste.