Das laaaaaaaaaaaaaaaange Interview mit Triathlon-Weltmeister Sebastian Kienle, dem Sieger des Ironman Hawaii 2014

Stand der Sieg in Hawaii in Ihrem Businessplan?

Das war das Ziel. Trotzdem: Es hat mich gewundert, dass es schon so früh geklappt hat. In der Woche vor dem Rennen habe ich mit Thomas Hellriegel, der 1997 den Ironman als erster Deutscher gewann, darüber gesprochen, was ich 2015 besser machen könnte, damit es dann klappt. Denn zu dem Zeitpunkt damals habe ich mit einem Erfolg nicht gerechnet. Man hat nicht so viele Versuche. Das nimmt nicht gerade den Druck auf diejenigen, die wissen, dass sie in Hawaii siegen können. Viel mehr als drei bis fünf Versuche hat man sicher nicht.

Wie groß ist das Unternehmen Kienle?

Inzwischen größer, als man denkt. Ich mache noch sehr viel selber, aber es geht nicht ohne Management. Ich arbeite mit zwei Trainern, habe meist einen Physiotherapeuten dabei und hoffe auf den entsprechenden Return on Investment.

Wurmt es Sie, dass der Sport, der 1978 in Hawaii mit 15 Teilnehmern aus der Taufe gehoben wurde, um herauszufinden, ob Schwimmer, Radler oder Läufer fitter sind, bei Olympia in einer viel kürzeren Version ausgetragen wird?

Nein, das ist gerechtfertigt. Auch für den olympischen Sport ist es wichtig, dass er medial präsentabel ist. Das wäre bei einer Langdistanz, für die die besten Athleten gut acht Stunden brauchen, sehr schwierig.

Leidet die Sportart also zum Großteil an ihrer ureigenen Faszination, den extremen ­Distanzen?

Ja, das ist so. Wir könnten die Langdistanz reizvoller machen, wenn die Streckenführung bei den Rennen stark verkürzt würde und die Radfahrer in mehreren Runden öfter am Publikum vorbeikämen. Es wird aber sicher eine parallele Entwicklung geben wie in der Leichtathletik: Da gibt es den 100-Meter-Sprint und den Marathon. Die beiden Extreme wecken die Aufmerksamkeit, und in der Mitte sinkt das Zuschauerinteresse. Das wird der Triathlon vermutlich ähnlich erleben. Die kurze Distanz wird mediale Aufmerksamkeit auf sich ziehen und die lange Distanz zugleich nicht an Faszination einbüßen.

Die Zahl der Mitglieder der Deutschen Triathlon Union steigt kontinuierlich, ebenso das Angebot an Wettbewerben in allen Regionen Deutschlands. Dort werden mit Schnupper- oder Sprint-Triathlon immer kürzere Distanzen angeboten, die sich an jedermann richten. Ist Triathlon schon ein Volkssport?

Sauber bleiben, sagt Kienle. Hier entlang der Strecke des Ironman Austria.

Sauber bleiben, sagt Kienle. Hier entlang der Strecke des Ironman Austria.

Triathlon kombiniert die drei beliebtesten Ausdauersportarten in Deutschland. Schon dadurch hat der Sport das Potenzial, ein Breitensport zu werden. Volkssport wäre übertrieben, denn da gibt es im Grunde nur zwei Kandidaten: Fußball und Laufen. Alle anderen, auch Radfahren oder Schwimmen, sind keine Volkssportarten.

Aber der Sport boomt.

Sicher, er wächst. Aber auch Boomsportart würde ich es nicht nennen, das wäre auch gar nicht erstrebenswert. Wir wachsen konstant. Das aber schon seit sehr langer Zeit. Ein sehr gesundes Wachstum. Das ist ein Pfund, mit dem wir wuchern können.

Triathlon ist neben Marathon eine der wenigen Sportarten, wo Hobbysportler im gleichen ­Rennen starten wie Profis. Für die Amateure ist das ein Anreiz. Für Profis auch?

Die Atmosphäre bei den Rennen ist bemerkenswert. Es sind sehr angenehme Kontakte, und das ist sicher auch der Grund, warum wir ohne Securitypersonal auskommen. Ich brauche keine Bodyguards. Wenn ich vorm Wettkampf meine Vorbereitungen treffe, sehen die Athleten schon, dass man mich nicht bestürmen sollte mit Wünschen nach Autogrammen oder Selfies. Auch die Profis wissen um die Verantwortung gegenüber den Amateuren: Man ist auf viel direktere Art Vorbild.

Die Zielgruppe der Triathlonindustrie ist direkt vor Ort.

Das ist ein Pfund, mit dem wir gegenüber Sponsoren wuchern können, denn diese Amateure sind Multiplikatoren. Amateurtriathleten auf der Langdistanz machen das nicht mal nur einfach so und interessieren sich sonst nicht dafür. Die sind sehr aktiv in den sozialen Medien. Und alle Sponsoren, die ich habe, sind sehr interessiert an diesen Amateurathleten, denn auch ohne riesige Öffentlichkeit bedienen wir sehr genau die Zielgruppe.

Eine, die bereit ist rund 500 Euro Startgeld für ein einziges Rennen und mehrere tausend Euro für Neoprenanzug, Rad und Training auszugeben im Jahr. Sind die alle ein wenig gaga?

Sie sind in der Regel überdurchschnittlich gebildet und haben ein überdurchschnittliches Einkommen.

Dass sie dann für die Zeitfahrmaschine ausgeben…

Es ist sicher kein Sport, den man ohne Mittel machen kann, wenn man ihn auf der Langdistanz ausüben möchte. Viele Amateure fühlen sich deswegen auch als Mitglieder eines elitären Clubs, nicht nur, was ihre Leistung betrifft.

Ab hier PR-Bilder: Kienle im Windkanal von Mercedes. (Copyright: Tobias Kuberski)

Ab hier PR-Bilder: Kienle im Windkanal von Mercedes. (Copyright: Tobias Kuberski)

Müssen Sie auf Dinge verzichten, die sonst im Alltag normal sind? Trinken Sie Alkohol?

Ja. Durchaus regelmäßig.

Einmal im Jahr?

Das wäre auch eine Regel. Es geht mir um die innere Balance. Alkohol mindert die Leistung, gewiss, aber wenn ich ein Glas Wein in der Woche trinke, dann ist das kein Problem. Im Gegenteil. Man sollte sich nicht zu arg kasteien, sonst wird man zu unentspannt, und das muss man vermeiden.

Das heißt, Sie halten auch keine spezielle Diät?

Ich beherzige, was der gesunde Menschenverstand sagt. Ich esse normal. Natürlich möglichst viel frisches Obst und Gemüse. Wenn es geht, wenig Zucker, auch wenn sicher mehr als einmal die Woche Schokolade dabei ist. Ich koche auch gerne selber. Und wenn ich einen Ratschlag geben sollte, dann wäre es folgender: Sobald die Zubereitung länger als 30 Minuten dauert, kann ich schon gar nicht mehr so viel falsch machen. Dann ist genau das drin, was ich drin haben wollte.

Und im Rennen?

Da braucht es die spezielle Wettkampfnahrung, die vorher in harten Einheiten auf Verträglichkeit getestet wird.

Aber im Training tut es auch mal eine Stulle?

Klar.

Mit dieser Haltung, sind Sie sehr erfolgreich. Wissen Sie noch, was Sie am 20. Und 21. September 2014 gemacht haben?

Das war wahrscheinlich die Wahl zum Sportler des Jahres, schätze ich? Nein?

Nein, an dem Wochenende wurde der Franzose Bertrand Billard Weltmeister im Triathlon auf der Langdistanz.

Sie spielen auf eines der größten Probleme unseres Sports an. Nennen wir es freundlich das Nebeneinander und unfreundlich das Gegeneinander der drei großen Verbände.

Von denen zwei eine eigene Weltmeisterschaft veranstalten. Die World Triathlon Corporation mit der Marke Ironman und dem Rennen in Hawaii und der International Triathlon Union, die unter anderem für die Olympiaqualifikationen zuständig ist.

Das ist fast noch unübersichtlicher als im Boxen und sicher eine der Sachen, die uns im Weg stehen, den Sport besser vermarkten zu können. Die Organisation ist schwer zu verstehen, wenngleich der Sport selber doch so einfach zu begreifen ist.

Wer zuerst im Ziel ist, ist Sieger. Wo liegt das Problem?

Bertrand Billard kann sagen, er ist Triathlon-Weltmeister, so wie ich das das sagen kann. Es gibt sehr viele verschiedene Weltmeister auf verschiedenen Distanzen mit unterschiedlichen Wertigkeiten. Und genau das darf eigentlich nicht passieren. Es muss klar sein, dass der Weltmeister der beste Triathlet Welt ist über die Distanz und das ist leider nicht immer der Fall. Ich fände es gut, wenn es eine Art Weltrangliste gäbe, die allen erbrachten Leistungen in allen Verbänden Rechnung trüge.

Was bedeutet der Wettbewerb unter den Dachmarken für einen Profi-Triathleten?

Wir Profis sind natürlich tief in der Materie drin und wissen die Wertigkeit eines Titels genau einzuschätzen und ein Großteil des Geldes, das ich verdiene kommt ja aus dem Sport. Die Sponsoren sind Radhersteller, Ausrüster, die können das auch noch verstehen. Gleichzeitig ist es aber so, dass die Weltmeisterschaft sich selber krönt, weil der Ironman auf Hawaii die größte Aufmerksamkeit der Medien auf sich zieht. Da wir Profis mit den verschiedenen Verbänden Verträge haben, müssen wir aufpassen, dass wir die verschiedenen Qualifikationen erfüllen, um bei den wichtigen Wettbewerben dabei zu sein. Als Hawaii-Sieger muss ich mich zwar für das Folgejahr nicht über das Hawaii-Punkte-System der WTC qualifizieren, aber mindestens ein Langdistanz-Rennen der WTC unter dem Ironman-Label erfolgreich beenden. Deswegen kann ich zum Beispiel nicht in Roth, dem ältesten Langdistanztriathlon in Europa, starten, was ich bedauere, aber mehr als zwei lange Rennen im Jahr kann ich nicht absolvieren, ohne meine Vorbereitung auf die wichtigen Rennen zu gefährden. Zudem müssen wir auf die Wertigkeit für die Sponsoren achten, nicht überall erhalten die Athleten von den Sponsoren die gleichen Bonuszahlungen für einen Erfolg.

Tarnkappenrad. Dahinter: Der Athlet Kienle. (Copyright: Scott)

Tarnkappenrad. Dahinter: Der Athlet Kienle. (Copyright: Scott)

Können Sie da allem gerecht werden?

Allen Veranstaltern? Allen Sponsoren? Allen Medien?

Dem Unternehmen Sebastian Kienle.

Das ist natürlich schwierig. Meine sportlichen Ziele sind nicht zwingend deckungsgleich mit denen die ökonomisch sinnvoll wären. Mein persönliches Ziel ist es sicher, den Weltmeistertitel über die Mitteldistanz…

…also 1,9 Kilometer Schwimmen, 90 Kilometer Radfahren und 21 Kilometer Laufen…

…zurückzuholen. Was ökonomisch lange nicht so sinnvoll ist, wie den Titel von Hawaii zu verteidigen. Das ist ein ganz anderer finanzieller Anreiz. Das gilt so auch für die Serie, die im Oman, Bahrain und Dubai stattfindet, wo es für den Gesamtsieg eine Million Dollar gibt.

Das klingt doch prima.

Ja, aber ich habe auf die Teilnahme verzichtet aus sportlichen Gründen, weil ich sonst viel früher mit der Saison hätte beginnen müssen und damit dann die Titelverteidigung in Hawaii im Oktober riskiere. Zum Glück sind die sportlichen und finanziellen Anreize aber oft deckungsgleich, denn die wichtigsten Wettbewerbe ziehen auch die wichtigsten Athleten an und das ist mein Ziel: Mich mit den Besten messen und die besten Athleten zu schlagen. Ob das Rennen noch einen Weltmeistertitel trägt, ist für mich nicht das wesentlichste.

Gibt es sportliche Opfer in der Organisation Ihres Wettkampfkalenders?

Olympiasieger werde ich nie. Dazu muss ich aber sagen, dass meine Talente nicht so verteilt sind, dass auf der kürzeren Distanz, die bei den olympischen Spielen ausgetragen wird, ein Sieg dort ein realistisches Ziel für mich wäre. Es wäre sicher ein sehr hohes Ziel und man als Mensch immer gern das hätte, was man nicht hat. Aber da muss ich realistisch sein: Das ist nicht relevant, weil ich keine Chance hätte.

Triathlon ist einer Umfrage zufolge beliebter als Volleyball und Rodeln aber unbeliebter als Tanzen und Skispringen. Wie viel Potenzial steckt denn drin?

Das ist die Frage, wie die Weichen gestellt werden unter den konkurrierenden Verbänden. Schaffen sie es, sich unter einem Dach zu vereinen, dass alle für den Sport an einem Strang ziehen oder bleibt es beim Kleinklein, dann wird es schwieriger. Dann hängt vieles davon ab, ob diejenigen, die den Sport ausüben ihn später auch am Bildschirm konsumieren wollen. Die Stärke unseres Sports ist nicht die große Fernsehpräsenz. Da sind Rodeln oder Skispringen weit vorne. Aber kennen Sie jemanden, der in seiner Freizeit rodelt oder skispringt? Beim Triathlon ist die Chance gar nicht so schlecht, dass Sie da jemanden kennen. Das ist vielleicht nachhaltiger, als wenn es ein Wachstum wäre, das am Erfolg im Fernsehen hängt. Die Fernsehpräsenz beim Rodeln wird vielleicht in dem Moment verschwinden, wo keine deutschen Sportler mehr Erfolge feiern. Das haben wir beim Skispringen in der Vergangenheit schon gesehen. Nach Martin Schmitt und Sven Hannawald war es nicht mehr bei RTL, sondern bei Eurosport zu sehen.

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Alle Kommentare [11]

  1. @Fabian, ich habe es so vom Band abgehört und Sebastian Kienle hat es bei der Freigabe nicht geändert. Ich gehe davon aus, dass es so stimmt. Die Tonbandqualität war auch einwandfrei.

  2. Gutes Interview.
    Aber ist mit ‚Sonja Barzel‘ nicht Svenja Bazlen gemeint? Wundert mich nur, dass es eine Athletin geben soll mit so ähnlichem Namen.

  3. haha, das ist ein best of, aus fragen, die mir andere triathleten mit auf den weg gaben. 🙂 bei der challenge roth-frage stutzte kienle kurz und fragte mich „das ist aber nicht für die wiwo, oder?“

  4. Starkes Interview. Und ein sehr helles Köpfchen.

    Und jetzt suche ich mir eine Schotterpiste.