Das laaaaaaaaaaaaaaaange Interview mit Triathlon-Weltmeister Sebastian Kienle, dem Sieger des Ironman Hawaii 2014

Es begab sich auf Twitter. Im Zuge eines Artikels über GPS-Sportuhren in der WirtschaftsWoche erwähnte ich auf Twitter auch @sebastiankienle. Der mich dann via Twitter wissen ließ, dass er gar nicht so viel mit dem von uns Hobbyathleten so gern genutzten Werkzeug trainiere. Er kannte den Artikel. Denn der Ironman-Weltmeister und Sieger von Hawaii liest die WirtschaftsWoche. Das freut mich natürlich. Die Saison ist jung. Sebastian Kienle hat in seinem Sport alles gewonnen, was ein Langdistanz-Triathlet gewinnen will – also Hawaii. Wie motiviert man sich da noch? Was trainiert er wohl? Was isst er? Habe ich alles gefragt. Im Heft ist eine kurze Version unseres Gesprächs gedruckt. Hier für alle Langdistanzler auch bei Lesestücken: Der gesamte Text. Das ist jetzt nicht gerade kurz, aber da waren auch noch die Fragen, die ich im Namen von einigen Freunden stellen sollte. Und überhaupt. Wo man doch mal miteinander ins Reden kommt… Was es nicht gibt: Ein Bild von ihm und mir. Glatt das Star-Selfie vergessen. Ich versuche, es zu simulieren.

Selfie mit Sebastian Kienle - ich mit grüner Kappe, er irgendwo hinten im Wasser.

Selfie mit Sebastian Kienle – ich mit grüner Kappe, er irgendwo hinten schon im Wasser.

Herr Kienle, Sie haben 2014 im Alter von 30 Jahren den Europa- und den Weltmeistertitel im wohl härtesten Ausdauersport der Welt gewonnen. Welche Ziele kann es danach noch geben?

Das ist bei mir recht ähnlich wie bei Unternehmen – es gibt große übergeordnete Ziele, die ich im Blick haben muss und die ich kleineren, kurzfristigen Gewinnen nicht opfern darf. Für 2015 zum Beispiel ist mir ein vermeintlich altes Ziel wichtig – den Weltmeistertitel auf der halben Ironman-Distanz, dem sogenannten 70.3 zurückzuholen, den ich 2012 und 2013 gewonnen hatte. Außerdem unterscheide ich im Alltag harte und weiche Ziele. Harte, messbare Ziele sind bestimmte Zeiten beim Schwimmen auf einer bestimmten Strecke und Ähnliches. Zu den weichen Zielen gehört hingegen das Gefühl, das Beste aus sich herausgeholt zu haben. Mein volles Potenzial auszureizen ist sicher eines meiner großen übergeordneten Ziele, das mich antreibt. Ich werde nur nie erfahren, ob ich das geschafft habe.

Stört Sie das?

Ich liebe das, was ich mache. Ich habe ein sehr selbstbestimmtes Leben, wie kaum sonst ein Profisportler. Fußballer haben Verpflichtungen wegen des Spielplans. Sie haben feste Trainingszeiten. Ich bin frei, wo immer ich auch starte. Ich kann jeden Tag, wenn ich aufstehe, entscheiden: Will ich trainieren oder liegen bleiben? Das ist eine große Verantwortung sich selber gegenüber.

Wie entscheiden Sie sich am Morgen?

Am Anfang meiner Profikarriere im Jahr 2007 bin ich oft liegen geblieben. Und habe es auch genossen. Mit der Freiheit musste ich erst lernen umzugehen. Manchmal wünschte ich mir auch heute noch, ich hätte einen Bürojob und könnte da einfach hin, und abends wäre der Job zu Ende. Meine Arbeit dauert aber 24 Stunden, denn alles, was ich mache, beeinflusst meine Leistung. Was ich esse, was ich trinke, wie viel ich schlafe, meine gesamte Freizeitgestaltung – es hat immer etwas damit zu tun, dass ich fit bin für mein Training.

Und was machen Sie nun, wenn Sie lieber liegen bleiben wollen?

Ich frage mich, woran es liegt. Bin ich tatsächlich müde vom Training? Oder liegt es einfach daran, dass es draußen gerade regnet und ich eigentlich keine Lust habe.

Klingt nach Zufallsprinzip.

Ich trainier nicht nach einem knallharten festen Plan. Ich entscheide Tag für Tag in Absprache mit meinen Trainern, was ich mache. Es gibt einen groben Rahmen, der mir sagt, was in den nächsten Wochen passieren soll. Und ich orientiere mich natürlich an wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Formaufbau. Aber im Wesentlichen muss man lernen, darauf aufzupassen, was einem der Körper sagt, und das ist nicht immer einfach. Wenn ich nach vier, fünf Tagen intensiver Trainingsarbeit das Gefühl habe, lieber eine Pause zu machen, dann mache ich das. Dazu gehört mehr Mut, als sich halberkältet für eine weitere Einheit aufs Rad zu setzen.

Der Hardtsee am Samstag vorm Rennen. Ohne Kienle. Ohne mich. Aber dekorativ.

Der Hardtsee am Samstag vorm Rennen. Ohne Kienle. Ohne mich. Aber dekorativ.

Haben Sie Glück, sich einfach oft genug fürs Aufstehen entschieden zu haben?

Das sportliche Talent habe ich, das kann ich nicht beeinflussen, das wurde mir in die Wiege gelegt. Aber für meinen Sport sind auch Dinge wie Fleiß und Beharrlichkeit wichtig. Und auch meine Erziehung hat viel mit dem zu tun, was ich im Sport erreicht habe und erreichen kann.

Kein Mentalcoach oder Guru, der Sie auf die Spur bringt?

Nein, inzwischen bin ich ja eher derjenige, der gefragt wird und davon erzählen soll, wie ich mich zu meinen Leistungen motiviere. Viele glauben, ich sei ein unglaublicher Motivationskünstler.

Sind Sie es?

Nein, eben nicht. Mich wundert es ja selbst. Ich musste mir vor meinem ersten Vortrag über Motivation erst einmal ein Buch zum Thema kaufen, um das, was bei mir gut funktioniert, in markige Worte zu fassen.

Sie gelten als hervorragender Radfahrer und eher mittelmäßiger Schwimmer. ­Trainieren Sie Schwächen oder Stärken?

Beides – anders geht es nicht in unserem Sport. Aber beim Schwimmen erziele ich schneller Fortschritte, und das motiviert. Beim Radfahren wäre ich hingegen sehr demotiviert, wenn die Verbesserungen trotz Training nicht von alleine kämen.

Sie haben nach Ihrem Vordiplom das ­Physik-Studium abgebrochen und den Schritt in den Profisport gewagt. Eine ­mutige Entscheidung?

Ich habe davor keine Berechnung darüber angestellt, zu wie viel Prozent dies und jenes klappen muss und wird. Man muss bei so einer Entscheidung auch bereit sein, seinem Herz zu folgen und nicht nur seinem Kopf. Sonst hätte ich mich nie so entschieden. Das Schöne an dem Sport ist, dass der Erfolg nicht über Nacht kommt.

Das klingt erst mal nicht so gut.

Nein, es kann auch das Harte daran sein. Aber der Erfolg trifft einen, wenn es klappt, nicht unvorbereitet. Zudem sind bestimmte Risiken wie etwa Verletzungen im Triathlon selten. Ich reiße mir nicht eben mal im Training wegen eines Trainingsfouls die Kreuzbänder. Nach dem Vordiplom haben auch meine Eltern grünes Licht gegeben. Außerdem habe ich das Studium auch nicht von heute auf morgen abgebrochen, sondern erst mal zwei Urlaubssemester gemacht. Dann lief es aber ganz gut.

Als Sieger des Ironman Hawaii können Sie den Erfolg vermarkten. Sie bezifferten in einem Interview den Marktwert des Sieges auf etwa eine Million Euro. Wäre das Unternehmen Kienle auch so profitabel mit Platz zwei oder drei in Hawaii?

Der Unterschied zwischen dem ersten und dem dritten Platz ist enorm. 20 Menschen haben das gleiche Talent, aber am entscheidenden Tag einfach eine unterschiedliche Form. 19 gewinnen das Rennen nicht. Die verdienen aber nicht nur zehn Prozent weniger, sondern nur noch einen Bruchteil dessen, was der Sieger davonträgt. Das Preisgeld ist allerdings für einen Profi der kleinste Teil, die Werbepartnerschaften danach machen den Unterschied.

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Alle Kommentare [11]

  1. @Fabian, ich habe es so vom Band abgehört und Sebastian Kienle hat es bei der Freigabe nicht geändert. Ich gehe davon aus, dass es so stimmt. Die Tonbandqualität war auch einwandfrei.

  2. Gutes Interview.
    Aber ist mit ‚Sonja Barzel‘ nicht Svenja Bazlen gemeint? Wundert mich nur, dass es eine Athletin geben soll mit so ähnlichem Namen.

  3. haha, das ist ein best of, aus fragen, die mir andere triathleten mit auf den weg gaben. 🙂 bei der challenge roth-frage stutzte kienle kurz und fragte mich „das ist aber nicht für die wiwo, oder?“

  4. Starkes Interview. Und ein sehr helles Köpfchen.

    Und jetzt suche ich mir eine Schotterpiste.