Der Röntgenlauf. Zwei Hannoveraner in Tyrol.

Uns Journalisten werden viele Dinge vorgeworfen. Zuletzt ist die Beschwerde in Mode gekommen, wir würden alle Angaben von Flächenmaßen immer mit Fußballfeldern oder dem Saarland vergleichen. Das Saarland ist klein, das passt in vieles rein, das finden die Saarländer auf Dauer nervig. Fürs Fußballfeld fehlen so recht die Bewohner, die es verteidigen wollen.

Kein Gerücht. Gab es wirklich. (Copyright: Alle Bilder Thomas Holzapfel)

Kein Gerücht. Gab es wirklich. (Copyright: Alle Bilder Thomas Holzapfel)

Ich stamme aus Hannover (55 Meter über dem Meeresspiegel). Die (fast) höchste Erhebung der Stadt nennt sich großkotzig Lindener Berg (89 Meter über dem Meeresspiegel) – (Der Kronsberg ist mit 118 Metern höher, wie ich zurecht korrigiert wurde. Ist aber schon fast vor den Toren der Stadt und oben war ich da auch nie.)  Das ergibt vom Fuße des Berges bis zu seinem Gipfel eine Differenz von 34 Metern. Das sind 3,5 Zehnmetertürme oder auch fast die Breite eines Fußballfeldes (mindestens 45 Meter). Ich erspare meinen saarländischen Lesern, nachzurechnen, wie oft 34 Meter in die schmalste Stelle des zuckersüßen Bundeslandes passen.

Als Hannoveraner – das erkennt der geübte Alpinist sofort – hat man es nicht wirklich mit vielen Bergen oder Höhenmetern zu tun. Auch ich habe den Berg gemieden und wenn ihn nur erklommen, um mich oben im Biergarten für einige Stunden von der Strapaze des Aufmarschs zu erholen.

Tyrol in Remscheid. Nicht zu viel versprochen!

Tyrol in Remscheid. Nicht zu viel versprochen!

Davon konnte nun Sonntag nicht die Rede sein. Weder von Pause, noch von erholen, noch von Bier. Erst im Ziel. Mein Lauffreund Thomas stammt wie ich aus Hannover, hohe Berge kannten wir als Kinder nur aus dem Fernsehen oder dem Urlaub. Sonntag sind er und ich nun ziemlich genau 24,97 mal sinnbildlich den Lindener Berg hochgerannt. Gegangen, nicht gerannt, das vorweg.

Der Röntgenlauf. Das klingt namhaft und ist es in der Region rund um Remscheid auch. Die Veranstalter bieten Crossläufe, einen Halbmarathon und einen Marathon an. Und einen Ultramarathon. Über 63 Kilometer. Mit exakt 849 Metern Aufstieg. (Meine Sportuhr sagte, es wären 1300 gewesen, meine Beine glauben ihr das am Tag danach sofort.)

Läufst du noch, oder trailst du schon?

Läufst du noch, oder trailst du schon?

Weder bin ich in meinem Leben zuvor eine Distanz mit 849 Höhenmetern aufwärts und 862 Metern abwärts gelaufen, geschweige denn über eine Strecke von 63 Kilometern. Vermutlich ist das der Grund, warum ich mich dort so sorglos angemeldet habe.

Wie läuft man so einen Wettbewerb? Langsam. Allein – ich war nicht langsam genug. Zumindest nicht die ersten 30 Kilometer, die letzten 20 unbedingt! Da war dann kein anderer Teilnehmer mehr langsamer als ich, nur noch schneller! Nach 35 Kilometern fehlte dem inneren Feuer ein wenig Sauerstoff, den ich zuvor schon verbrannt hatte, ab 42 Kilometer war im Prinzip der Ofen aus. Der Rest ist nur noch ein Halbmarathon, den man dann irgendwie heimschlurft.

Simuliertes Laufen.

Simuliertes Laufen.

Dabei – und das ist der Charme dieser Veranstaltungen, die einen speziellen Typus Läufer anlockt – ist man aber gar nicht allein. Ich habe niemanden gesehen, der auch nur eine der kräftigeren Steigungen hinauf gelaufen wäre. Der Ultraläufer steigt marschierend aufwärts. „Lauft, das ist doch hier kein Wandertag“, war wohl an einer der gemeinsten Steigungen sicher nur ein Scherz. Oder die echte Beschwerde eines im Stoßtrupp verkeilten Superläufers.

Kein Teilnehmer, der nicht ein paar Meter geht. Da niemand am oberen Ende seiner möglichen Herzfrequenz läuft, ist auch immer mal Zeit für ein Gespräch. Wahlweise auch Flüche. „Das mache ich nie wieder. Das ist doch idiotisch. Nie wieder. Vorbei.“ (Ein Teilnehmer, nicht ich, bei Kilometer 55.) Thomas und ich flachsen durchaus eine Weile, bis mir als erstes der Humor ausgeht. Der historische Röntgenlauf führt unter der Müngstener Brücke durch, ein stählernes Monstrum einer Ära, als Dampfloks die Schienen beherrschten. Er verläuft parallel zu kleinen Bächen, vorbei an steilen Kuhweiden und immer wieder hoch hinauf in den Hügeln des Bergischen Landes. Alles wunderschön, nur auch sehr weit. Bei 42 Kilometer habe ich für Thomas genug Bremsklotz gespielt, er rennt davon, ich trotte nun auf mich allein gestellt weiter.

Yeah! 60 Geschafft. NÖÖÖÖ! Noch drei mehr!!!!

Yeah! 60 Geschafft. NÖÖÖÖ! Noch drei mehr!!!!

Und werde überholt und überholt. Von erfahrenen Trail-Läufern, die sich ihre Geschichten von Biel 100 oder Westernstates 100 (Meilen, nicht Kilometer!) erzählen. Und dabei total locker sind. Oder von der Frau, die fluchend wie ein Rohrspatz an mir vorbeizieht, nicht ohne zu erwähnen, dass sie wegen eines verrutschten Schildes einen Umweg von zwei Kilometern gelaufen ist. Schnell war sie: „Ja, vor Zorn.“

Ultra – mir erscheint es wie die geduldige langsame Variante des Marathons, wo Gleichmäßigkeit und Einklang mit der Natur im Vordergrund stehen. Wenn man es kann. Mich peinigt es über viele Kilometer, so langsam kann ich gar nicht sein. Ganz im Gegenteil. Ich sehne nach einer Weile gar eine der vielen Steigungen herbei, denn dann darf ich gehen. Gehen ist die Oase des Ultramarathons für mich an dem Tag, denn in den Flachetappen bin ich zu stolz und simuliere zumindest eine Laufbewegung.

Eine von zwei Röntgenschnecken. Die zweite im nächsten Bild.

Eine von zwei Röntgenschnecken. Die zweite im nächsten Bild.

Manch Zuschauer am Wegesrand ruft vermeintlich aufmunternd zu: „Jetzt geht es nur abwärts.“ Leider. Schon zu Beginn habe ich das mangelnde Training von Höhenmetern mit Schmerzen im rechten Knie bei den steilen Abstiegen bezahlt. Das wird nicht besser, an Laufen ist nicht zu denken. Schlimmer noch: Ich bin sogar langsamer ab- als aufwärts. Dazu kommt noch ein Dreiklang an Katastrophen – Darm, Blase gelaufen, Krampf in der Wade – und jeder Meter tut einfach nur noch weh.

Aber: Ultramarathon heißt auch – der Weg ist das Ziel, nicht die Zielzeit. Wie schnell einer läuft/geht – es spielt keine Rolle, jeder, der die Distanz bewältigt, weiß, dass es weh tut und nicht besser wird, nur weil einer länger dafür braucht. Aufmunternde Worte, gute Stimmung, Zuspruch – das hebt die Laune und für ein Lächeln ist immer Zeit.

Röntgenschnecke II. Nicht schnell und auf der Zielgerade überholt. Aber: Angekommen.

Röntgenschnecke II. Nicht schnell und auf der Zielgeraden überholt. Aber: Angekommen.

Sieben Stunden und 38 Minuten nach dem Überqueren der Startlinie übertrete ich die Ziellinie, ratlos, was ich mit dem Ergebnis machen soll. Zu schnell losgelaufen, wie so viele vor mir, und dennoch nicht abgebrochen. Ich fürchte, ich muss das noch mal besser machen. Und werde mich sorgenvoll für den Röntgenlauf 2015 anmelden.

 

 

 

 

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Alle Kommentare [8]

  1. Schöner geschriebener Text! Ich kann auch nur gratulieren!! Tolle Leistung!!

    Im Mai 2015 kannst Du dann zur Entspannung unseren Rennradmarathon in Cesenatico (bei Rimini) mitfahren: 200km und knapp 3.800 Höhenmeter in schönster Umgebung warten auf Dich. Anmeldung ab 04. November …

    Vielleicht sehen wir uns ja dort 😉

  2. @stephan ja,…. sieht so aus. :-)))))
    @becky danke! planung für 2015 ist noch nicht fertig.
    @geordi2504 ich fürchtete so eine antwort… 😉
    @daniel das ist sicher etwas, das dir spaß macht!

  3. Sehr spannend und tolle Leistung, vor allem die Unterschiede und Empfindungen bzgl Marathon und Ultra sind interessant. Der Ultra/Trail verspricht noch mehr „Eins-Sein“ mit der Natur, sich selbst 😉

  4. Schön geschrieben. So ist das halt mit den Ultras. Oft wird viel gewandert. Aber als ich mir das Profil vom Röntgenlauf angesehen habe hab ich mir gedacht: „Ach, der ist ja nett als Einstieg, der hat ja kaum Höhenmeter!“
    Du musst dringend mal zu uns nach Österreich kommen. Dann machen wir dich fit für den Röntgenlauf 2015 😀

  5. Toll toll toll!
    Gratuliere ganz herzlichst zu dieser super Leistung, 63km und Check – geschafft und gemeistert!
    Bei welchem Ultra seh ich dich dann mal? 🙂