Der glänzende Schatten meiner selbst. Das Sportjahr 2016*. Richtig. Zwosechzehn. *und bisserl 2022

Die Frage klingt wie ein Heiratsantrag. „Möchten Sie die neue Laktatschwelle annehmen?“, fragte mich vor gut einer Stunde meine Sportuhr. Sie lautet „5:51 Pace bei 161 HF“. Eigentlich ein Fall zum Heulen.

Ziemlich exakt 2190 Tage vorher, am 31.12.2016 lief ich um kurz vor zwei los, und kam mit einer Zeit von 54:20 auf 10km zurück. Durschnittspuls 145. Heute: Gelogene 52:20, es waren neben zwei erzwungenen Ampelstops (wie auch 2016) drei weitere kurze Stopps nötig, um den in Höhe von Feuerwerksraketen pochenden Puls wieder zu senken. Andernfalls wäre ich einfach eingegangen wie eine Primel bei zu viel Wärme. Wie heute. Es waren 18 Grad Celsius.

Vor einigen Wochen sprach mich ein Kollege bei seinem Abschied aus unserem Verlag auf mein Laufen an. Wir kennen uns seit mindestens 16 Jahren. Er selber lief schon als ich damit begann, hatte seinen ersten Marathon vor mir beendet, wenn ich es richtig erinnere. Wir hatten uns, weil wir seit Jahren in verschiedenen Redaktionen arbeiten und wegen Corona ewig nicht gesehen und schon gar nicht gesprochen. Ich war verwundert als er sagte, dass er immer noch gerne verfolge, was ich so sportlich unternehme. Und ich wand das ein, was ich immer einwende: Ich bin ein Schatten meiner selbst. Keine Zeit, keine Distanz, nichts ist auch nur annähernd dort, wo es 2016 war.

Heute früh, also am 31.12.2022, falls Sie das später lesen, blendete mir Facebook eine Erinnerung ein. Und zwar an diesen Lauf von Silvester 2016. Und ich dachte mir, probier mal aus, was du heute noch kannst. Aber das ist nicht der Grund, warum ich mich eben beim Laufen doch noch kurzfristig entschloss, einen Jahresrückblick zu schreiben. Meine Erinnerung fasste 2016 so zusammen, wie ich 2022 zusammenfassen würde: Viele Höhen und Tiefen, mehr Tiefen.

Die vermutlich prägendsten sportlichen Ereignisse, die mein Umfeld inklusive des Kollegen aus reiner Perspektive der Leistung wahrgenommen haben, waren wann? Vor allem 2015 mit bestehender Bestzeit im Marathon und dem Finish des 100km-Röntgenlaufs. Und 2016? War schwächer. Aber schwach? Den finalen Marathon im Ironman Klagenfurt lief ich noch in 4h19m, eine Zeit, die ich heute solo nicht hinbekäme. Die Gesamtzeit immer noch eine der besten fünf aller Langdistanzen, die ich gemacht habe.

Ich beurteilte das Jahr als sportlich weitgehend erfolglos, aber ich würde weitermachen. Und irgendwann würde es besser werden (war dann auch eigentlich so). Und das war exakt das, was ich dem Kollegen – zum Glück – an dem Abend seines Abschieds neulich auch sagte: Ja, ich wäre sportlich ein Schatten meiner selbst. Ja, ich würde weitermachen, denn Zeiten sind nur eine Seite der Medaille. Fortschritt – auch der nach, oder gerade der nach Rückschlägen – ist immer möglich. Und ich habe das Glück, das sich meine Motivation diesbezüglich nie geändert hat. Ich wüsste wahrhaftig nicht, warum ich aufhören sollte. Ich mache einfach weiter, die Ziele und Wünsche sind da. Es sind andere als 2016.

Es freut mich, dass diese Haltung, dieser Antrieb, diese Freude daran offenbar auch nach nun fast einem Jahrzehnt, den ich diesen Blog jetzt schreibe, und den zahllosen tweets dazu, sich noch mitteilt und überträgt. Das ist weder Absicht, noch habe ich mir das vorgenommen. Im besten Falle ist die aufrichtige Haltung und das Vermögen, das auch in Worte zu packen, eine Kombi, die funktioniert. Manches will einfach raus auch wie die Idee für diesen Text, der während des Laufs entstand.

Und sie funktioniert mit fundamental schlechteren Daten, mit denen ein Fußballteam drei Ligen abgestiegen wäre und dabei fünf Trainer gefeuert hätte. Ich bin kein Profi, ich muss nichts leisten, ich darf langsamer werden, ohne dass Fans auf teuren Plätzen enttäuscht sind. Fans, die aber wenigstens glücklich sind, wenn ihre Mannschaft sich aufopfert, wenn Spielerinnen und Spieler alles geben. In diesem Sinne wird es an dieser Stelle weitergehen 2023. So wie 2016 als ich weit besser war, als mir damals selber klar war. Und deswegen sage ich über 2022 auch nicht: Viele Tiefen. Sondern: Mental glänzender Schatten deiner selbst mit lauter positiven Verbesserungen. Ich nehme den Antrag an: Freudig über den Erfolg, drückte ich auf „Ja“, bevor ich davon ein Erinnerungsfoto machen konnte.

 

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert