Zwei Versionen meines Todes. Das Leben feiern nach dem Sturz beim Ironman Wales in Tenby.

Zwei mögliche Versionen meines Todes erlebte ich vergangenen Sonntag beim Ironman Wales in Tenby. Das ist nicht schlimm, ich denke jeden Tag an meinen Tod. Freunde und Verwandte sind da oft irritiert. Werde ich sanft einschlafen, wie wir es uns alle wünschen, oder wird es qualvoll siechend sein oder bei einem Unfall, der mich plötzlich aus dem Leben reißt?

Radfahrer schauen nach einem Sturz als erstes nach ihrem Rad. Ich sah meines auf einem Anhänger aus dem Krankenwagen das erste Mal nach dem Abflug.

Als ich mich kurz nach 7:00 dem Start des Schwimmens an Tenby Northbeach näherte, nahm ich die gut kleinwagengroßen Bojen stirnrunzelnd zur Kenntnis, die wie Aufblasbälle auf der Brandung tanzten. Aber nach dem Startschuss gingen alle Athleten ins Wasser als hätte der Südwind nichts zu bedeuten und ich bin dann so: Wenn die anderen reingehen, dann wird das wohl gehen. Lemming, ja, ich weiß.

Es ging. Auf und ab. Ein Scherzbold änderte im Nachgang des Wettbewerbs die Streckenbeschreibung des Schwimmens in „hilly“ – wie hügelig. Und vom Strand aus sah das auch alles gar nicht so wild aus, was sich im Wasser anfühlte wie eine Achterbahnfahrt, bei der man nicht sieht, wo es hingeht und einem Wasser den Rachen runtergespült wird. Dass ich überhaupt nach vorne kam, wunderte mich für Momente. Die anderen Momente wechselten mit Sorge, Kopfschütteln und festem Vertrauen – und zwar, dass unter diesen Bedingungen keine zweite Runde zu schwimmen sei.

Ich hatte als Schwimmer sowas noch nicht erlebt und würde mich selber nie in so eine Situation bringen. Auf Basis meiner 15 erfolgreich absolvierten Langdistanzen, sah ich wenig gute Gründe, eine zweite Runde anzugehen – ich wog ernsthaft ab, das Rennen nach 1,9km abzubrechen, denn in Tenby gibt es nach der Hälfte des Schwimmens einen sogenannten Aussie-Exit mit wenigen Metern Landgang vor der zweiten identischen Runde.

Streng genommen war ich sogar zwischendrin bereit, mich von einem der Rettungskajak sicher an Land bringen zu lassen. Ich hatte keine Angst, geschweige denn Todesangst, aber war auch nicht willens, mich in solche zu bringen. Aber dass das auch in Ersaufen ausgehen könnte unter Umständen – das hielt ich nicht für ausgeschlossen. Aber zum einen sah ich kaum Kajaks vor lauter Wellen, zum anderen kam die erste Boje dann doch irgendwann näher und zum anderen hätten da schon andere Athleten dran gehangen. An einem Surfbrett hielten sich wohl vier Athleten fest. Einige mussten sich übergeben – Salzwasser ist ein probates Brechmittel -, einige mussten lange Pausen mit Wassertreten einlegen, einige wurden überschwommen von anderen nichtsahnenden Teilnehmern oder gerieten unter die Bojen. Gut 100 von 1800 Startern stiegen gar nicht erst aufs Rad nach dem Schwimmen.

Ich war recht sicher, die zweite Runde nicht antreten zu müssen. Doch weder hatte der Veranstalter ein Einsehen und spontan auf eine Runde verkürzt, noch machte irgendwer vor mir den Eindruck, abbrechen zu wollen, noch war meine Zeit schlecht. Im Gegenteil – ich war angesichts der empfundenen Nahkampferfahrung sogar ziemlich normal unterwegs. Andere schwammen gar sensationelle Bestzeiten – die Strömung machte uns schnell, wir wären dabei nur fast ersoffen. Hurra.

Das zweite Mal im Rennen starb ich unspektakulär und ohne jeden Schmerz. Ganz im Gegenteil. Das letzte, an das ich mich erinnern kann, bevor ich vom Rad flog, war: Das schaffst du nicht, gleich stürzt du wegen der Bordsteinkante. War dann auch so. Zwischen diesem letzten lichten Moment auf dem Rad und der Frage, ob ich aufstehen könne, können 5, 10, 20 oder 40 Minuten vergangen sein, an die ich keinerlei Erinnerung habe. Hätte mich der Sturz bei vermutlich 30-35km/h auf einer Abfahrt so unglücklich erwischt, wie es möglich ist, wäre ich unter Umständen tot. Es gibt eine breite Palette von gar nix über Schlüsselbeinbruch, Schädeltrauma, Querschnittslähmung – ich weiß nicht, wie ich aufgeschlagen bin.

Wäre ich dabei gestorben – Sie wüssten es. Ich nicht. Ich wäre in einem zufriedenen Moment meines Lebens verschwunden. Ich bin nicht gläubig, ich bin überzeugt, dass der Tod selber wie Tiefschlaf oder Bewusstlosigkeit ist – wir sind einfach weg. Ein Unfall mag ein eleganter Weg hinein sein, ertrinken bei Wellengang ist es sicher nicht.

Die Spuren an meinem Körper, die Schmutzspuren am Trisuit, die Materialschäden am Fahrrad – ich bin kein Hercule Poirot oder Sherlock Holmes der Sturzhergänge, ich kann mir noch heute keinen Reim drauf machen, wie ich gelandet bin. Aber ich bin wieder aufgewacht. Und ich konnte stehen. Und ich konnte gehen. Bis zum Krankenwagen, der mittlerweile eingetroffen war.

Ich sah mein Fahrrad schon auf einen Anhänger geschoben, pro Forma fragte ich, ob ich weitermachen dürfe. Der Radsplit war offensichtlich vorbei, aber ob ich noch laufen dürfe, das wusste der Sanitäter auch nicht. In dem Moment dachte ich noch – wieso sollten die mich noch laufen lassen, wo ich jetzt schon raus bin aus der Wertung? Ob es möglich gewesen wäre? Keine Ahnung, in dem Moment sah ich nur Schürfwunden auf beiden Beinen in Kniehöhe, eine geschwollene linke Hand und auf der rechten ein paar Kratzer. (Dass ich mich in den Tagen und Nächten darauf fühlte, als wäre ich von einem Laster überrollt worden, kaum etwas heben konnte, Schmerzen, die mal dort mal hier meine Bewegungen massiv einschränkten und nächtliche Bewegungen zum Seitenwechsel zur zeitlupenartigen Tortur machten, ahnte ich da noch nicht.)

Während ich da so saß, schaute ein Helm samt Athlet durch die Tür des Krankenwagens und fragte, ob er meine Cleats haben könne – das sind die Vorrichtungen an der Sohle, um in die Pedale zu klicken. Ich schaute nochmal den Sanitäter an und fragte, ob für mich das Radfahren hier beendet sei – ja, wäre es. Logischerweise stimmte ich zu. Seine Geschichte ist eine eigene, die der Erzählung wert ist.

Ich war immer zufrieden mit mir, dass ich keinen meiner Triathlons abgebrochen habe. Dass ich nie aufgab – habe ich mal bei Läufen, das ist bitter. Darum ging es hier aber gar nicht. Ich habe einen typischen, nachvollziehbaren Fahrfehler begangen, der schlimme Folgen hatte. Das hat mit Willen oder Mühe nichts zu tun. Deswegen auch kein Hadern mit dem Abbruch.

Ich lebte. Ein Umstand, den ich als gegeben hinnahm in dem Moment. Er ist es nicht. Aber erneut führte mir mein Leben vor Augen, wie schnell es vorbei sein könnte. Was nimmt man daraus mit? War es für irgendetwas gut?

Zum Glück brauche ich keine Erinnerungen an den Wert des Lebens, seine Endlichkeit und dass wir unsere Zeit nutzen sollen. Ich darf das in aller Bescheidenheit sagen – ich weiß und lebe das. Ich fülle meine Zeit so gut es geht mit Dingen, die einen Sinn haben. Von einem einfachen Spaziergang über einen Moment der Ruhe angesichts großer Schönheit in der Natur bis zu Erlebnissen in Sportwettbewerben, die ich teilen kann, die ich nicht vergessen kann.

Dazu gehört auch, dass ich mir nachdem ich das Rad abgeholt und zum Hotel geschoben, geduscht und erfrischt hatte, mir zusammen mit dem wichtigsten Menschen meines Lebens eine Flasche Champagner zu einem schönen Abendessen gönnte. Denn wann sonst, soll man das Leben feiern, wenn nicht an so einem Tag? Den wunderschönen Abend hätte ich ohne Sturz nicht gehabt – das beste draus machen, das ist es, was ich versuche. Aus Rennabbrüchen. Aus Stürzen. Aus dem Leben. Das wir haben, bevor es gegebenenfalls einfach ohne jede Angst zu Ende ist.

 

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Alle Kommentare [2]

  1. Thanks for sharing your story. I translated your race day memories from German to English. We often remember our greatest struggles and disappointments rather more than what comes easy. See you at the races Competitor of 530 Triathlons including 40+ iron double and triple iron distance triathlons.
    See you at the Races! IronMate Mark

  2. Hey….
    ich vergleiche gerade wie ich mich nach meinem Sturz 2019 gefühlt habe…. Champagner gab es nicht aber viel Demut und Dankbarkeit für die Schutzengel …. und die Tatsache wie schnell es vorbei sein kann!…. und auch Angst es zu wissen!
    Mit der Zeit wurde es besser bei mir….

    Aber das vom Laster überfahren – Schmerzen sich nicht bewegen können… oh ja das kommt alles so langsam nach abklingen Adrenalin zum Vorschein.

    schön dass es Dich weiterhin gibt lieber Thorsten.