Wie klingt brennender Regen? Ein Triathlon durch fünf Elemente – der Celtman 2022

Torridon, Samstag um viertel nach Drei. Team #68 ist warm eingepackt. Das letzte Mal für den Tag.

Wie klingt brennender Regen? Es sind zischend und prickelnde Laute. Ich höre sie um zwanzig nach vier auf einer Wiese am Loch Torridon. Um mich lodern Ölfackeln, die warme Farbtöne in die Kulisse aus Grau des angebrochenen Morgens, Regenwolken und dunklem Meer mischen. Sie brennen unnachgiebig, wenngleich die Flammen vom Wind schräg umgeknickt werden. Es regnet auf eine der vielen Arten, für die die Schotten angeblich 300 Worte haben, meine Füße stecken in Neoprenschuhen, so dass es egal ist, dass auf dem „Sheepshit Field“ sonst Schafe weiden. Ich will 40 Minuten eh ins Wasser, das wäscht sich runter.

Will ich ins Wasser? 12,4 Grad stand tags zuvor auf dem Thermometer eines Teilnehmers des Celtman Extreme Triathlon, der das Bild auf facebook postete. Nun steckt er unter einer der anderen 169 rosafarbenen Badekappen und wartet mit mir, dass es endlich losgeht. 40 Minuten verstreichen als schnellste Ewigkeit, die ich je erlebt habe. 40 Minuten, in denen ich mich frage, ob ich nicht doch in den Bus steigen soll und es angesichts der Umstände lasse. Aber nein, es haben andere schon geschafft, keiner scheint hier an Aufgabe vor dem Start zu denken, und irgendwie wird es dann sicher schon gut gehen.

Michael hält das Rad und meine Flüche über die Gepäckmitarbeiter aus. Ich sah, wie es in Edinburgh vom Band auf die Frontseite fiel. Ich konnte es einigermaßen reparieren und wer braucht schon Bremsen bei 40km/h Gegenwind?

Ein Gruppenfoto vorm flammenden Celtman-Symbo noch, dann  stapfen wir über Steine ins Meer, treten kurz Wasser und dann bleibt nichts übrig, das Signal kommt – schwimm‘, Thorsten.

Seit ich als Kind in der Adria hinter die Reihen der schützenden Steine ins offene Meer geschwommen bin, habe ich viel Zeit im Wasser verbracht. Ich bin den Rhein im Tauchanzug im Januar runtergetrieben, bin von Amrum nach Föhr durch die einsetzende Flut in den Prielen geschwommen oder von Autobahnbrücken in Kiesteiche gesprungen. Ich fühle mich wohl im Wasser. Und ich weiß, was ich kann, die Angst vor dem Abgrund ist mir bekannt. Und umso mehr weiß ich, wie viel Respekt ratsam ist vor dem für uns Menschen so wichtigen und doch gefährlichen Element.

Die Kälte beißt im Gesicht, das hatte mir Dave vorher gesagt, das ginge dann weg. Der schottische Athlet, den ich aus der facebook-Gruppe Global Extreme Triathlons kenne, sollte recht behalten. Mein warmer Anzug hielt dicht, die Handschuhe und Booties verhinderten Unterkühlung an den Gliedmaßen. Allerdings konnten sie weder verhindern, dass uns vom Wind angetriebene Wellen schaukelten, wir deswegen Wasser schluckten oder durch das Feld mit Quallen schwimmen mussten (ein bizarr beruhigend wunderschöner Anblick).

Jedes Rennen beginnt mit guter Vorbereitung. Erneute Rennbesprechung im Flieger.

Es sollten die gefühlt wärmsten 70 Minuten eines Wettbewerbs von 976 Minuten Wettkampf an einem 22-Stunden-Tag bleiben. Ein Teilnehmer, der das vorher im Celtman-Forum scherzhaft einwarf – er hatte irgendwie recht.

Es gab keinen Moment, in den 200 Kilometer Radrunde und abschließendem Marathon, an dem ich nochmal trocken war. Auch wenn die Bilder immer wieder blauen Himmel zeigen und Abschnitte entlang der Küstenstraße spektakuläre Aussichten in grün und blau boten – der nächste Schauer kam gewiss und auf der Laufstrecke blieben die vom Wind seitwärts getriebenen Wassermassen treuer Begleiter.

Irgendwann war es geschafft, das recht schaukelnde Schwimmen durch Quallenfelder. Sie sind schön, ich war aber doch froh, auch wieder Land zu sehen.

Warum macht das Spaß? Weil das Spiel mit dem Wetter wichtiger Bestandteil dieser Rennen ist. Es gibt verpflichtende Regenausrüstung, es wird zu Kälteschutz geraten – schlechtes Wetter ist xtri-Wetter. Auch wenn es, so sagte es Renndirektor Paul bei der T-Shirt-Zeremonie, so eines wie dieses Jahr in 10 Ausgaben noch nicht gegeben hätte. Üblicherweise gibt es zwei Kurse beim Celtman.

Wer nach 11 Stunden an dem Punkt 17km des Marathons ankommt, „darf“ nochmal mehr klettern, den Benn Eighe mit rund 1000 Metern Höhe. Es ist nicht unüblich, dass es am Fuß des Berges alles noch harmlos wirkt, auf der Spitze hingegen die Erde unterzugehen scheint. Ich habe es zwei Tage zuvor auf einem deutlich niedrigeren Munro, wie sie die Berge nennen, im Auto erlebt. Schnee, schneidender Wind. Am Samstag waren Windgeschwindigkeiten von 60 Meilen, also 90 km/h mit Böen von 80 Meilen (120km/h), oben gemeldet, der Windchilleffekt hätte zweistellige Minusgrade zur Folge gehabt für nasse, ausgelaugte Athleten auf dem Weg ins Ziel. (Am Sonntag war oben Sonne, kaum Wind…).

Michael musste zwei Stunden warten, bis ich meine ersten 17km gelaufen war. Er suchte Schutz hinter Autos, kurzfristig hinter einem Dixieklo. Auf dem saßen immer wieder Athleten, die das als wärmsten Moment des Tages schilderten.

Alle Athleten liefen also alle die sogenannte low route, ich hätte den Cut Off für die High Route an diesem Tag eh nicht geschafft. Alle Athleten legten nochmal 650 Höhenmeter durch Matsch, über Steine und durch tiefe Pfützen zurück. Der Wechsel aus Wasser und Schlamm bedeutete immerhin, dass die Schuhe stets etwas saubergespült wurden. Immerhin – die angekündigten Zecken sollten kein Problem darstellen angesichts der langen Hosen der meisten Teilnehmer.

Die schnellste Frau hat das Rennen in knapp 11 Stunden bewältigt, im Gesamtklassement bedeutete das Platz fünf. Es geht. Man kann es trainieren. Man kann es üben, die Schritte ins Ungewisse, die Sorge vorm Umknicken, die Angst vorm Ende so kurz vorm Ziel.

Ich habe an diesem Tag viel gelernt. Über die Natur, über Wetter, über mich. Die Sorge vor dem Wasser mit seinen Herausforderungen – ich kann sie überwinden. Der über eine Strecke von rund 30km nicht eine Sekunde nachgebende Gegenwind mit Geschwindigkeiten um 40-50km/h – ich kann mich ihm entgegenducken und weiterstrampeln, nicht klein beigeben. Der auf einer Abfahrt mit rund 60km/h Tempo schlagartige Seitenwind – ich kann ihn nicht bezwingen, ihn aber kontrollieren und sicher ins Ziel rollen. Die Erschöpfung, nach 10 Stunden Wettbewerb durch schmalste verstrüppte Matschanstiege – ich kann sie überwinden und dranbleiben. Ich kann mehr als ich jemals dachte, dass ich es könnte. Ich kann fünf Celtman-Elemente überwinden: Sturm, Wasser, Feuer, Schlamm und Anstiege. Vielleicht will ich mich selber bestrafen, vielleicht will ich mir etwas beweisen, ich weiß es nicht. Andere zahlen Therapie, um etwas über sich zu erfahren, ich Teilnahmegebühren.

Jeder kann das, jeder Mensch hat so viel Kraft und Mut in sich – viele führen ihre Kämpfe und Rennen unsichtbar, sie meistern menschlichen Gegenwind, anscheinend unüberwindbare Hürden des Schicksals. Die wenigsten sehen wir im Alltag. Aber diese Wettkämpfe sind da, täglich und sie verdienen unseren Respekt und Bewunderung, so ein Wettbewerb wie der Celtman ist nur das – ein Wettbewerb. Über die Jahre in diesem Sport habe ich Geschichten gehört von Menschen, die einen schrecklichen Weg hinter sich haben und auf den ersten Blick unangreifbar wirken.

Und irgendwann kam dann auch das Ziel. Mutti sagte immer, ich solle nicht im Regen spielen – keine Chance.

Die Celtman-Community, von Einwohnern, die uns ertragen, über Begleiter und einfach jedem Anwesenden, sie half sich, als Autos auf dem offiziellen Parkplatz im Matsch festgefahren und mit dem Trecker rausgezogen werden mussten. Sie half völlig unbekannten Menschen, hätten Unterhosen gegeben, sie liehen Räder, Schuhe, was auch immer beim Flug verloren gehen kann, selbstlos und sofort. Begleitläufer banden sich lösende Sohlen Schuhs des Athleten mit dem eigenen Schürsenkel ihres Schuhes fest. Ich kenne diesen Geist, diese Menschlichkeit aus anderen xtris wie Norseman, Swissman und Hispaman. Ich habe sie hier erlebt, wie selten zuvor. Der Celtman 2022 konnte den Glauben an die Menschlichkeit bestätigen oder wiederherstellen, in Zeiten, wo man sie kaum zu sehen scheint. Wir alle haben es in uns, Außergewöhnliches zu schultern. So sicher, wie Regen brennen kann.

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P.S. In einem facebook-Post schrieb ich, dass ich nicht wüsste, ob es mir gelingt, in Worte zu fassen, was ich erlebt habe. Ich glaube, ich scheitere auch an dieser Aufgabe des Celtman. Bilder können nichts zeigen, kaum andeuten, meine Worte – sie reichen nicht. Aber ich habe es versucht, so wie das Rennen selbst.

Und hier das allerallerwichtigste:
Danke, Michael, danke Nadine. Danke dafür, dass ihr diese Art Menschen seid, die die Welt besser machen.

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