Ein Rennen für mich. Der Ironman Wales.

Ich bin dieses Rennen nicht für meinen Vater geschwommen, gefahren und gelaufen. Ich bin nicht auf die Ziellinie gebogen mit Tränen in den Augen in Erinnerung an meinen Vater. Ich habe meine Gedanken nicht die ganze Zeit bei meinem Vater gehabt in den mehr als 14 Stunden, die ich Zeit gehabt hätte dafür.

Tenby by night.

Ich bin den Ironman Wales für mich gelaufen. Und mein Vater war dabei. Wie bei allem, was ich tue, was ich bin.

Mein Vater ist eine Woche vor dem Ironman Wales verstorben. Ich habe dennoch meine Teilnahme nicht abgesagt. Es wäre jetzt einfach zu sagen, dass er das auch nicht gewollt hätte, dass ich auf etwas verzichte, was mir wichtig ist. Vermutlich wäre das so, wissen kann ich es nicht.

Der Ironman Wales ist sportlich betrachtet auch dieses Jahr nicht wichtig gewesen. Er steht – als fast letzter Wettbewerb – am Ende eines Jahres, in dem viele Dinge wichtiger waren als Training. Sorge um meine Familie, die Vorrang genießt, ohne dass ich darüber nachdenken muss. Enge Bande äußern sich so. Ich bin also noch nicht mal hin geflogen, um einen Hawaii-Slot zu ergattern (bin ich eh viel zu langsam für) oder eine persönliche Bestzeit auf der Ironman-Distanz zu schaffen (dafür ist der Kurs viel zu anstrengend).

Das ist WO? Richtig. Wales in Großbritannien.

Ich bin nach Wales gefahren, weil ich vergangenes Jahr nach dem Norseman dachte – du kannst ja doch Berge überwinden mit dem Rad. Der Ironman Wales hat einen der härtesten Radkurse im Ironman-Reich und sicherlich einen der anstrengendsten Marathons.

Der Ironman Wales aber genießt einen fantastischen Ruf. Landschaft, Menschen, Atmosphäre. Diese Kombination schien mir verlockend. Zudem habe ich seit vielen Jahrzehnten ein Faible für alles, was britisch ist. Selbst Regen und Kälte. Ich wollte das einfach erleben.

Mein Vater war Zeit seines Lebens Gastgeber. Professionell. Aufgewachsen als Sohn von Inhabern eines Bahnhofsrestaurant führte ihn sein Berufsleben durch Hotels, zu fürstlichen Feiern, Staatsempfängen – unter anderem den Besuch des Prince of Wales, Charles, samt Gattin Lady Di (how fitting!). Er blieb dabei: Gastgeber. Hoch strukturiert und organisiert – aber es war der menschliche Kontakt, der ihn am leidenschaftlichsten antrieb.

Hier wird das ganze schon deutlicher, wenn es um den Standort geht.

Gut vier Wochen vor meiner Anreise nach Tenby sagte mir meine AirBnB-Gastgeberin kurzerhand ab. Zack, stand ich da. Tickets und Startgeld bezahlt – aber kein Zimmer. Das wäre normalerweise kein so großes Drama – aber das bezaubernde Nest Tenby ist zwar ein Touristenort, aber mit gut 2500 einfallenden Triathleten an einem Wochenende schnell an seiner Kapazitätsgrenze. HRS, booking.com – alles, aber kein bezahlbares Zimmer in der Nähe.

Den Ironman Wales zeichnet aus, dass er eine der wohl aktivsten Facebookgruppen rund um einen Ironman überhaupt hat. Warum das so ist? Weil die Menschen vor Ort diesen Wettbewerb in ihr Herz geschlossen haben. Die Quote derjenigen, die mit Triathlon beginnen, weil ein Wettbewerb in ihrer Nähe ist, dürfte kaum irgendwo höher sein als in Tenby, Pembrokeshire. Waliser sind sehr sehr sehr hilfsbereit und gastfreundlich.

Aber die Briten können auch anders!

Es dauerte keine zehn Minuten, dass sich Tracey meldete. Sie habe ein Zimmer, den IM Wales zwei mal mitgemacht und würde sich freuen, mich unterzubringen. Instinkt, Fügung, Bauchgefühl – ich sagte sofort zu und schaute nicht weiter nach Alternativen. Ich hatte via Messenger eine Adresse – das war es.

Was mich erwartete, war Ironman-Wahnsinn in seiner besten Form, Gastfreundschaft jenseits allem, was man erhoffen, oder gar erwarten kann und darf. Tracey, Gavin und Ella (der Schnauzer der Familie) beherbergten, fütterten und kümmerten sich um mich – ich stehe endlos in ihrer Schuld. Gemeinsames Schwimmen gehen am Freitag abend im Meer, das sich etwas welliger zeigte als es schön ist – ihre Schwimmtrainerin Karen gab mir im Wasser Tipps zum Navigieren und wie ich die Strömung am besten nutzen könne. Karen zeigte mir den kürzesten Weg ins Ziel – nein, in dem Moment habe ich auch nicht daran gedacht, wie mein Vater mir auf seine Art immer Wege zeigte offen und tolerant durchs Leben zu gehen – aber er hat das getan.

Der legendäre Zickzack hoch zur Wechselzone.

Es ist mir bei allen lieben und freundlichen Menschen, die mich je beherbergten immer gut gegangen – aber das Gefühl binnen 48 Stunden  zur erweiterten Familie zu gehören – einzigartig. Manche Menschen können das – Nestwärme bieten, weil sie es wollen. Ich habe es schriftlich, dass mein Vater das im Hotel umsetzen konnte. Tracey nahm am Samstag morgen am Start des Saundersfoot Triathlon teil, ein Dorf weiter. Da stand ich auf einmal am Strand, Gavin neben mir, Ria (die Freundin von Elliott, dem Sohn der Familie), Traceys Mutter. Als ob wir nie was anderes gemacht hätten, als gemeinsam Tracey anzufeuern.

Nach ihrem eigenen Triathlon, den Tracey sehr zufrieden beendete, radelte sie heim und duschte während Gavin und ich hinterher kamen – um mich nach dem Bike-Check-In anschließend im Auto den wichtigsten Teil der Radstrecke herumzufahren, mir die gefährlichsten Stellen und schönsten Passagen zu zeigen. Mir ist unklar, was in meinem Leben ich richtig gemacht habe, dass mir diese Fügung des Schicksal zuteil werden ließ. Vertrauen, das alles gut wird – und es wurde auch gut.

Ironman in Tenby heißt – ein Ort steht Kopf.

Renntag – ich wage es kaum zu schreiben – natürlich fuhr mich Tracey um 4 Uhr morgens zum Start. Ob ich denn auch genug gefrühstückt hätte und überhaupt. Sie fuhr zurück – zum eigenen Frühstück, später am Mittag hatte sie sich als Helferin beim Ironman gemeldet – irgendwie dabei sein, wenn schon nicht am Start.

Ich verbrachte die zwei Stunden zwischen Rad fertig machen und Schwimmstart allein – inmitten Tausender Menschen, die sich auf den Weg gemacht hatten, just den zu beobachten. Er liegt gut einen Kilometer entfernt von der Wechselzone am North Beach und an einer Klippe. Die Straße war gesäumt mit Menschen. Die walisische Hymne wurde gesungen – nicht mal Videos vermögen zu vermitteln, mit welcher Begeisterung die Zuschauer diesen Wettbewerb umarmen.

Schwimmen – zwei Runden. Zwei mal vorbei an dem Boot, auf dem Speck gebraten wurde für die Passagiere. Danke. Dann ein Zickzack-Lauf hoch, die pinke Tüte mit Laufschuhen gegriffen, Süßwasser in den Rachen, denn trotz sehr ruhiger See habe ich einiges an dem sehr salzigen Wasser geschluckt.

North beach!

Der Radkurs ist dann an neuralgischen Punkten so wie eine Bergankunft der Tour de France und der Solarer Berg bei der Challenge Roth. Jubelnde, kreischende, rufende Briten säumten die Hotspots – dass man da eine Passage mit irgendwie 12 Prozent hochknechtet, merkt man dann in dem Moment nicht. Absteigen – NEVER.

Und so zog sich das bis spät in den Abend. Tenby am Ironman – Volksfest. Für jeden. Da wird nicht gejubelt, da wird angefeuert. Jeder. Ob bekannt oder nicht. Gefeiert wird jeder. Je später am Abend, desto mehr auch mal mit dem Wunsch die Hand zu schütteln von einem Zuschauer vor den lärmenden Pubs. Irgendwo standen Gavin, Ria und der Rest – Jubel als ob ich der verlorene Sohn wäre. Einfach irre, ich kann das gar nicht eleganter formulieren.

Ja, der Marathon war mit fast sechs Stunden der mieseste in meiner Triathlonlaufbahn – dank der 550 Meter Höhenunterschied sicher auch ein schwerer. Ich bin viel gegangen. Und war damit in guter Gesellschaft. Und gefeiert wurde eh. Eine Zuschauerin bedankte sich bei mir und den Läufern in meiner Nähe, dass wir das machen. Die Zuschauer bedanken sich bei den Sportlern! Mein Vater war ein Vorbild, was Dankbarkeit betrifft – das hier hätte er wirklich gemocht, auch wenn es ihm lieber gewesen wäre, ich wäre Fußballer geworden. Schlecht fand er Triathlon aber auch nicht.

Ella. Der Schnauzer.

Zieleinlauf nach dem ich tagsüber an Menschen in Star-Wars-Kostümen, verkleidet als Tiere und sitzend auf Sofas, die auf Traktoren hochgehoben wurden vorbeikam. Tumultartige Szenen der Begeisterung für jeden – das ist nicht bei allen Wettbewerben so. Das klingt nach Marketing – aber Tenby macht aus einem Ironman ein Fest des Lebens.

Im Ziel wartete Tracey auf mich – die mich natürlich abholte, um mich nach Hause zu fahren. Zu fünft, Elliott war inzwischen auch dazugestoßen nach einem Fußballspieltag in Nord-Wales, gingen wir zu den Autos, fuhren nach Hause. Wo mir nach der Dusche Kaffee und Essen angeboten wurde. Die Eindrücke des Tages wurden ausgetauscht – es ist nahezu beschämend, wie aufmerksam sich alle um mich kümmerten, mir für kurze Zeit ein Heim bot.

Ich bin dafür unendlich dankbar. So dankbar, wie ich meinem Vater bin, dass er war, wie er war.

 

 

 

 

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Alle Kommentare [2]

  1. Alles richtig gemacht, denn was bleibt am Ende. Nur die Erinnerung an einen wunderschönen Wettkampft. Finished, yes. Alles Gute weiterhin.
    Mein dad war nicht so offenherzig und mit dem Gefühle zeigen war auch nicht seine. Doch als ich ihm von meinem ersten Marathon des Sables berichtete, war er sichtlich stolz. Dies passierte im Krankenhaus. Er war nur noch Haut und Knochen. 6 Wochen später hatte er es ins Himmelreich geschafft und folgte seiner Frau fürs Leben, meiner Mutter, nach 10 schlimmen Monaten. Nun sind sie wieder zusammen und schauen auf mich hinunter. Von dort können sie auch besser den Überblick behalten. Und manchmal kommen sie auf einem Regenbogen zu mir herunter und wir schweigen gemeinsam.
    Alles Gute für Dich und deine Familie.

  2. Ich glaub Dein Vater hat bei Dir alles richtig gemacht, was ich als Außenstehender so beurteilen kann. Er wird sicherlich noch so manches Rennen von Dir von oben ansehen.