Stütze, Helfer, Psychiater – der Swissman 2019 im Support-Team von #25

Abfahrt um 04:00. Ist dann nur nicht losgefahren. Schlechtes Wetter.

Unter den Langdistanztriathlons dieser Welt zählen die der xtri-Serie zu den aufwändigsten – und womöglich körperlich anstrendendsten -, die sich ein Athlet vornehmen kann. Denn während die großen organisierten Rennen von Ironman oder Challenge, aber auch alle kleinen von Vereinen, die Athleten unterwegs versorgen und die Strecken sperren, ist der Athlet bei Norseman, Celtman oder Swissman auf sich allein gestellt – auf sich und sein Team. Und ein normaler Verkehrsteilnehmer. Kein Sportler darf starten, ohne dass er mindestens eine Person dabei hat, die im motorisierten Begleitfahrzeug alles mitführt, was der Sportler an dem Tag braucht. Nicht nur Trinken und Essen, sondern angesichts der je nach Region auch mal drastisch schwankenden Wetterbedingungen alles von kurzer Hose bis Handschuhe und wärmender Regenjacke.

Der Support ist nicht Hilfe, er ist essentiell. Er ist Versorger, Begleiter, Absicherer, Helfer in der Not – und im besten Falle Motivator. Und zwar alles auf einmal, den ganzen Tag, von meist ein Uhr nachts vom Aufstehen bis irgendwann am späten Abend, bis der Athlet wieder sicher in der Unterkunft angekommen sind.

Diese Rennen sind klein, sie kuscheln sich in die Umgebung, viel bekommen die Menschen entlang der Strecken, die nie dorthin zurückkommen, wo sie begonnen haben, mit von den enormen körperlichen Anstrengungen, die sich da vor ihren Augen abspielen. Maximal 250 Starter sind in der Regel dabei – bei einem Ironman sind es schon mal zehn mal so viele.

Dann halt Schwimmstart vom Ufer. Atmosphäre hat es ja dennoch.

Ich selber war vergangenes Jahr beim Norseman dabei und werde beim Hispaman im September starten. Nun aber gab es die Gelegenheit, das Rennen mal von der anderen Seite kennenzulernen – als Teil des Support-Teams.

Ich kenne die missliche Lage, wie es ist, wenn einem der designierte Support knapp vor dem Start abhanden kommt. Sowas kann passieren, das Leben nimmt nicht immer Rücksicht auf die Pläne von Hobbysportlern.

Als mich also vor einigen Wochen Tobias anrief, den ich als Starter in Eidfjord beim Norseman kennengelernt hatte, ob ich eventuell Zeit hätte, als sein Support mitzukommen, habe ich nicht lange gezögert. So ein Tag verbindet, ich zumindest verspüre da eine Verbundenheit, denn so ein Wettbewerb prägt. Zeit hatte ich eigentlich keine, denn ich war eingeladen auf die Silberhochzeit von Kerstin und Thomas. Aber Thomas ist selber Triathlet – brächte er Support, ich würde meine eigene Beerdigung sofort absagen und helfen.

Wie steil etwas ist, lässt sich in Fotos immer schlecht darstellen. Es WAR steil.

Langer Rede kurzer Sinn – Es muss kurz nach 13:30 gewesen sein vergangenen Sonnabend, als Tobias auf seinem Rad anhielt und fluchte wie ein Rohrspatz, sichtbar sauer war und unmissverständlich brüllte: „Ich habe keinen Bock mehr.“ Und ich konnte ihn verstehen. Irgendwie. Ich wäre selber nicht so. Ich bin in extremen Situationen anders. Und es war eine. Eine, die einen Support erfordert. Kilian, Tobias wichtigster Mann an diesem Tag, der erfolgreich die ganze Orga von Getränken, Eierwaffeln und Schokobananen managte, hatte so einen Ausbruch erwartet und mich gewarnt.

Tobias stand auf etwa 2200 Meter über dem Meeresspiegel, blickte nach oben und sah, dass die Quälerei noch nicht vorbei war. Oben, auf dann 2400 Höhenmeter wartete erst der höchste Punkt des Furkapasses. Davor war Tobias aber schon den Gotthard hochgeradelt. Und das alles, nachdem er morgens gut 1500 Meter in Ascona im Lago Maggiore geschwommen war – es hätten 3800 Meter sein sollen, die Rennleitung hatte wegen der Gewitter in den Bergen entschieden, das Schwimmen abzukürzen.

Und es war hoch genug für Schnee. Und für mich für Wurst vom Grill.

Es waren also schon gute acht Stunden nach Start und gut 12 Stunden nach dem Weckerklingeln, dass Tobias auf seine Art mit den Anstrengungen haderte. Ich schwieg im wesentlichen und als es um die Frage um Aufgeben oder Weitermachen ging, sagte ich sinngemäß, dass ich wisse, dass er das schaffe. (Wer so laut fluchen kann, hat noch Energie.)

Support – das ist Vater, Mutter, bester Freund, Blitzableiter, Psychiater in einer Person. Der Athlet, dank der Anstrengungen des Sports vielleicht die eine Spur ungeduldiger als sonst, kann dann schon mal Wünsche vortragen, die man nicht erahnen konnte. (Bei Tobias war es der Wunsch nach einer Zigarette – whatever keeps you going…). Tobias ist also der erste Triathlet, den ich im Wettkampf auf dem Rad eine Zigarette habe rauchen sehen. Verboten ist das nicht. Aber ungewöhnlich.

Dann kam zum Glück erstmal eine satte lange Abfahrt, in der es uns Support-Team-Mitgliedern Kilian (MC Orga), Roberto (Medienbegleitung) und mir (designierter Mitläufer für die abschließenden neun Kilometer Laufanstieg von Grindelwald auf die Kleine Scheidegg) schwer fiel, mit den Autos einen nennenswerten Vorsprung herauszufahren. Das hellte im Tal die Laune von Tobias sichtlich auf. Er hatte plötzlich und im Grunde ohne jede Erklärung gute Laune, inhalierte gut eine halbe Tüte Schokobananen und zog in den Kampf mit dem letzten Pass. Ein im Tagesvergleich kleiner Pass ohne Schnee und Temperaturen unter zehn Grad Celsius, aber doch anstrengend genug, um einen normalen Radfahrer zum Absteigen zu zwingen.

Team heißt auch: Stuhl für den Athleten und Porridge vom Gaskocher.

Immerhin – es war sichtbar, was auf ihn wartete und so setzte ich mit meiner Motivationsrede an: Ja, es ist hart, ja, das was du geschafft hast war hart – aber das ist es, was noch zu leisten ist, danach ist es vorbei. Zumindest auf dem Rad…

Und mit einer letzten glorreichen Abfahrt schoss Tobias im Grunde mit ausreichend Luft vor den verschiedenen Cut-Off-Punkten im Laufe des Rennens in die Wechselzone 2, von Rad in die Laufschuhe. Kilian hatte sein Mountainbike vom Dach genommen, um Tobias zu begleiten. Mein Einsatz sollte später erfolgen, wenn es zum Schluss den Berg hoch ging.

Dazu kam es dann nicht. Leider. Einerseits. Zum Glück andererseits. Unser Eintritt in die letzte Phase des Rennens wäre im Dunkeln geschehen und es regnete ganz munter, ich hätte sicher den ein oder anderen flockigen Spruch machen müssen, um die Laune aufrecht zu erhalten. Körperlich hatte ich wenig Bedenken, dass Tobias es nicht schafft – man spürt das. Körperspannung, Ausstrahlung – wer selber in solchen Situationen war, weiß, wann jemand noch kann und wann jemand gebrochen ist.

Tobias hatte nur leider immer mehr Zeit verloren in den garstigen Anstiegen in der Laufstrecke. Bei Kilometer 24 wartete ich, bei mir der Renndirektor, der fünfzehn Minuten nach Verstreichen des offiziellen Cut Offs um 20:50 keine Ausnahme mehr machen konnte – wenngleich Tobias sicher noch angekommen wäre – nur eben zu spät. Die Zielzeit ist bei den xtri-Rennen nebensächlich, die körperlichen Anstrengungen so abnorm – es ist egal, wie lange jemand benötigt. Ankommen ist ein Wunder. Und angekommen ist Tobias, er hat nicht aufgegeben, das ist das, was am Ende zählt.

Porschefahrer röhren auf den Gotthardpass. Tobias muss leider strampeln.

Support – das heißt Unterstützung. Was kann man da sagen als Support? Nichts. Genau gar nichts. Es gibt da keinen Trost. Ich kenne das Gefühl. Niederlage. Schmerz. Trauer. Wut. Viel sah man nicht davon bei Tobias, er saß still und stierte vor sich hin, sicher gut 10 Minuten. Die letzte Energie, die er noch reichlich hatte, um zu diskutieren, ob er nicht doch noch hochkönne – sie wich aus ihm raus. Was auch sonst?

xtri-Rennen – das ist Gemeinschaft. Das ist ein Team. Das ist kein Athlet mit Helfern, das ist eine Gruppe, die zusammenhalten sollte, damit es klappt. Oder sich nicht an die Gurgel geht, wenn es nicht klappt. Das Risiko tragen alle – wie auch der Erfolg allen gebührt, was die Veranstalter mit einer eigenen Würdigung im Gruppenfoto beim Swissman auch deutlich sichtbar inszenierten.

Wir sind am nächsten Morgen nach oben gefahren zur Zeremonie. Ich habe keine Ahnung, was ich getan hätte. Vielleicht aus Frust unten geblieben, abgereist. Ich weiß es schlicht nicht. Tobias wollte unbedingt hoch und da zögerte er nicht. Er hatte recht. Es war gut, dass wir oben waren.

Es dürfen sich alle feiern lassen. Und das Wetter ist dann auch wieder gut. 🙂

Die große Gemeinschaft aller Athleten (213 Starter waren morgens los geschwommen) mit ihren Supportern (vermutlich 5-600) versammelte sich vor der Kulisse der Jungfrau. Ein gelöste, heitere, vibrierende Stimmung. An der wohl fast alle teilnahmen, die tags zuvor gestartet waren. Wer das Schwimmen überstanden hatte – okay, das war keine Herausforderung. Aber wer einen der Pässe, aber ganz sicher drei von diesen Monstern überstanden hatte, und dann noch die Kraft hatte, sich aufzurichten und loszulaufen – der hatte Enormes vollbracht. Die Radprofis der Tour de Suisse sind am Sonntag den Furkapass bei der 9. „fulminanten Königsetappe“ hochgefahren – auch für die ein „Scharfrichter“, wie ein ehemaliger Swissman-Teilnehmer den Furkapass nannte.

Tobias reihte sich ein in das Foto der Teilnehmer. Er stand zurecht dort. Und er will wiederkommen. Um hoch zu laufen. Und vermutlich käme ich wieder mit, wenn er mich fragte – aber vielleicht darf ich die kommenden Jahre selber dort starten – und dann wünsche ich mir einen Support, der das Rückgrat von Kilian und die Ruhe von Roberto hat (und vlt auch von meiner eigenen Zuversicht). Falls ich brüllen sollte, deswegen jetzt schon – sorry, ich meine es nicht so.

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Alle Kommentare [1]

  1. Lieber Thorsten,
    sehr schöner Bericht! Ich war noch nie als Supporter dabei, weiss aber genau wie zehrend das sein kann.
    Ich hoffe du warst mittlerweile auch als Athlet dabei und konntest die „Rundumbetreuung“ geniessen.
    Beste Grüsse
    christoff