Der Norseman 2018 – ich habe mein Bestes gegeben.

„Ich habe mein Bestes gegeben.“

Wie oft denkt man das? Wie oft sagt man das? Sicherlich eine der Floskeln, die gerade im Sport gerne verwendet werden. Sie kann für eine Bestätigung der eigenen Leistung verwendet werden, ebenso wie für eine Entschuldigung, warum vielleicht nicht etwas so gut verlaufen ist.

Also, eigentlich kann ich am besten Unsinn… Treehugging zur Einstimmung in Eidfjord

Aber was ist das eigentlich „mein Bestes“?

Diese Frage stellte ich mir vergangenen Samstag irgendwo zwischen Eidfjord und Austbygde, während ich strampelte, um die 180 Kilometer Radstrecke des Isklar Norseman Xtreme Triathlon mit ihren fünf größeren Anstiegen zu bewältigen. Was ist es, was mich dazu befähigt, zunächst einen Anstieg von 27 Kilometer Distanz mit teils mehr als 10 Prozent Steigung zu bewältigen?

Was ist das Beste, was ich zu bieten habe, um ein Ziel zu erreichen?

In den 14:42:53, die ich nach dem Signalhorn-Stoß der Fähre um 5:00 brauchte, um die Bergstation des Gaustatoppen in 1850 Metern Höhe zu erreichen, kamen mir die ersten Ideen, was es wohl sein könnte.

Mit das Beste an mir: Ich bewahre die Ruhe

Halb zwei am Wettkampftag. Das Team hat alles im Griff. Bis auf den Schlüssel.

Es muss gegen 1:45 am Wettkampftag gewesen sein. 15 Minuten bevor wir von unserem Basislager 40 Minuten Autofahrt vom Startort Eidfjord entfernt aufbrechen wollten, als Marcel der Autoschlüssel auf den Boden fiel. Marcel fuhr das Auto während des ganzen Tages aus dem heraus er als „Support“ mich mit Getränken, Nahrung und notfalls Wechselkleidung versorgen muss. Eine Begleitung ist Pflicht, zwei sind maximal erlaubt. In weißen T-Shirts dürfen sie dem Athleten Flaschen reichen. Meine Frau Nadine war meine zweite Unterstützung (zusätzlich zu den Monaten der Unterstützung vor dem Rennen). Der Schlüssel fiel auf der Holzterrasse auf eine der Planken – und nicht in eine der Ritzen. Ich hätte wohl die Bretter heruntergerissen, um im Falle des Falles an den Schlüssel zu gelangen. Denn sonst wäre für mich nach 265 Tagen der intensiven Beschäftigung mit dem Rennen es schon vor dem Start zu Ende gewesen. Wir wären gar nicht erst hingekommen.

Das ist NICHT die Fähre, die die Athleten zum Start fuhr.

Den Schock, den ich für eine Sekunde spürte, hatte ich sofort verdaut. Und nicht eine Kalorie an Energie verbrannt für Aufregung, was hätte passieren können. Es ist nicht passiert. Weiter. Ich war wild entschlossen, mich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen.

Am Tag zuvor befand ich mich noch in einem veritablen Panikmodus. Da hätte so eine Situation sicherlich für irgendeine Art Reaktion gereicht. Die Sorge, dass ich das Rennen nicht bewältige, saß tief in mir. Zu steil, zu lang, zu gewaltig die Anstiege. Mehr als 3300 Höhenmeter fuhr ich mit dem Auto am Montag vor dem Rennen in entgegengesetzter Richtung ab. Mit jeder Abfahrt mit Motorbremse war ich mir sicherer, dass ich das nicht in mir habe. Dass ich schieben werde, nachdem die Muskelschmerzen in den Oberschenkeln zu groß werden, dass ich eine jämmerliche Figur abgeben werde. In all den Bemühungen im Training, die Anstiege zu üben, habe ich nie eine Strecke gehabt, die so anstrengend war, schlicht, weil sie nicht für mich erreichbar waren. Ich war fast sicher, dass ich den Traum vom Zieleinlauf auf dem Gaustatoppen aufgeben müsse. Dort dürfen nur 160 von den maximal 250 Teilnehmern hoch – es gibt zu wenig Kapazität in der Bergbahn, um die Athleten anschließend nach unten zu bringen.

DAS ist die Fähre, die uns zum Start fuhr.

Mit das Beste an mir: Ich kann Negatives ausblenden

Von den Sorgen war nichts zu spüren, nach dem wir sicher in Eidfjord gegen kurz vor 3:00 ankamen. Ich blendete sie aus, konzentrierte mich auf die Dinge, die zu tun waren – und verspürte riesige Vorfreude. Rad aufbauen, letztmals die Tüte für die Wechselzone kontrollieren. Eine Schrecksekunde später fand meine Frau doch noch die Startnummer, die ich am Vortag eben doch an einer Stelle platziert hatte, wo sie nicht hingehörte. Innerlich war ich schon auf dem Weg zu den Organisatoren, um noch rasch irgendwie eine Lösung zu finden. Dann war sie doch da, Haken dran, Rad abgeben.

Die Wettkampfparty…, äh, -besprechung.

Zwischen Ankunft und Startschuss lagen zwei Stunden – eine an Land für die Vorbereitung, der Kontrolle der vorgeschriebenen Beleuchtung und reflektierender Warnweste, damit wir Athleten im normalen Straßenverkehr in den Tunneln und auch bei schlechter Sicht für die Autofahrer zu erkennen sein würden. Zur Hälfte rekelte ich meinen Körper in meinen sehr warmen Neoprenanzug, den ich extra für die eigentlich zu erwartenden kalten Wassertemperaturen von maximal 14 Grad Celsius gekauft hatte. Der Sommer 2018 hatte auch vor Eidjford nicht halt gemacht – das Wasser hatte kuschelige 17 Grad zu Beginn.

Und dann ging es wirklich los. Der Schritt auf die Fähre, die die 250 Athleten 3800 Meter vom Ziel entfernt transportierte. Ab hier waren wir allein, ohne unsere Crew. Allein mit den Gedanken und Ängsten. Einige Athleten saßen still für sich, andere sprachen miteinander.

Vom warmen Oberdeck trat ich nach draußen, um die Szenerie auf mich wirken zu lassen. Der Himmel bedeckt, die Sonne knapp vor dem Ausgehen – der Hardangerfjord ruhte Still. Wir schoben uns immer weiter weg von Eidfjord. Allein diese Momente – magisch.

Oben Polo, unten Neo. Style muss sein. Auf dem Weg in die Fähre.

Das wohl am meisten verbreitete Bild vom Isklar Norseman Xtreme Triathlon ist, wie die Athleten von der Laderampe der Fähre in den Fjord springen. Da ich als Kind im Schwimmverein von allem möglichen heruntergesprungen war, hatte ich zumindest daran einfach nur Spaß. Endlich im Wasser. Gemütlich zur gut 100 Meter entfernt von Kajaks markierten Startlinie schwimmen und Wasser treten.

Mit das Beste an mir: Ich kann Ratschläge annehmen

Auf der Fähre sagte mir ein Teilnehmer der vergangenen Jahre, ich solle besser nah am Ufer schwimmen. Das nahm ich mir ebenso zu Herzen, wie den Rat des späteren Siegers Allan Hovda am Vortag (!), auf keinen Fall zu wenig zu essen im Rennen und nur dann auf Nahrung zu verzichten, wenn man sich „zu 99 Prozent sicher ist, dass man sonst kotzt“. Also hielt ich mich rechts, gut 20 Meter vom Ufer – für mich als traditionell schlecht navigierenden Schwimmer eh ein Segen. Dass ich ein paar Mal über dicke Steine schwamm, so dass ich sie berührte – ein kleiner Preis.

Frisch gebadet (Temperaturen im Fjord zwischen 17 Grad zu Beginn und vlt 12-14 mittendrin wegen der Wasserfälle) ging es aufs Rad.

Das Schwimmen wollte dann nur einfach nicht enden. Anders als alle anderen Wettbewerbe, an denen ich teilnehme, wo Bojen die 3800 Meter in Abschnitte einteilen, geht es beim Norseman wohl 3400 Meter geradeaus. Der Anzug bot mehr Widerstand in den Armen als ich erhofft hatte, die Muskeln schmerzten leicht, es kam mir ewig und ich mir langsam vor. Aber – was will man machen, man schwimmt. Und, wie sich später herausstellte, gar nicht so schlecht.

Nach 1:09,53 stolperte ich an Land an Position 92. Das ist nur wenig über meiner Bestzeit auf der Distanz in einem Ironman, die bei 65 Minuten liegt. Marcel hatte seinen ersten Auftritt, eilte zu mir, zerrte mir den Neo vom Bein, reichte mir die Radkleidung, strahlte mich an und sagte, ich läge gut im Rennen. 5 Minuten brauchte ich, um den Radkurs in Angriff zu nehmen. Vorderlicht an, drei Rücklichter anschalten – auf ging’s.

Mit das Beste an mir: Ich bleibe bei meinem Plan

Ein paar Kilometer konnten wir uns flach einrollen, bevor der erste und gleich längste und mithin mächtigste Anstieg des Tages kam. Teils führte er über die alte Straße, die außen am Berg vorbeiführt, während heutzutage die Strecke durch viele Tunnel führt. Ich genoss die Aussicht – schnell war ich eh nicht, ich saß sehr aufrecht, denn windschnittig sitzen war nicht das wichtigste für mich bei dem Tempo.

Unterwegs gab’s auch einen Regenbogen!

So kurbelte ich mich Meter um Meter nach oben. Für das Rennen hatte ich mir extra noch ein Ritzel mit 32 Zähnen gekauft, um im ärgsten Fall noch einen Rettungsring zu haben. Den nutzte ich sofort. Auch wenn damit keine Chance war, notfalls noch einen leichteren Gang einzulegen. Dass mich recht rasch andere Fahrer überholten – das kenne ich, das war zu erwarten. Ich brauchte mir nicht mal vorzunehmen, mich das nicht berühren zu lassen – ich werde in normalen Ironman-Rennen von Myriaden an Radfahrern als Kanonenfutter überholt – das kenne ich, kein Grund die Strategie zu ändern: So gut es geht hochzukommen, ohne die Muskeln in den gefährlichen Bereich zu fahren, wo sie übersäuern und irgendwann dicht machen – das war mein Plan. Mit hoher Trittfrequenz leicht treten – das bin ich. War ich. Und bleib ich.

Was kann der Athlet wohl wollen? Sportdrink, Iso, Cola. Milchbrötchen und Gele.

Ich konnte nicht ahnen, dass das gar keine so schlechte Strategie ist auf diesem Kurs. Das Beste an mir sind sicher nicht meine Muskelberge. Ich bin kein kraftvoller Radfahrer. Vielleicht mache ich an Begeisterung wett, was mir an Watt fehlt – schnell macht mich das aber nicht. Dass ich als Hannoveraner mit keiner großen Freude an Bergfahren mich respektabel halten sollte an Anstiegen – wäre ich nie drauf gekommen. Meine Erwartung war eher, auch beim Norseman ordentlich Boden zu verlieren nach einem guten Schwimmen. Die wenigen Minuten, die ich auf andere Athleten rausschwimmen kann, reichen nie, um nicht beim Radsplit weit durchgereicht zu werden.

Beim Norseman wurde ich es nicht.

Mit das Beste an mir: Ich verliere nie meinen Humor und gute Laune

Nach rund 30 Kilometern auf der Radstrecke dürfen die Begleitfahrzeuge erstmals Kontakt zu ihren Athleten aufnehmen. Der erste Anstieg ist dann überwunden, ich war bereits weit mehr als eine Stunde im Sattel. Neue Gels greifen, die Trinkflaschen austauschen, weiter ging’s. Für mein Team stellte sich jedesmal das Problem einen korrekten Parkplatz zu finden. Allein schon, weil alle anderen Athleten auch mindestens ein Begleitfahrzeug und dazu vielleicht noch weitere Freunde in weiteren Autos dabei haben, achten die Veranstalter peinlich darauf, dass die Verkehrsregeln eingehalten werden. Ein Fehler des Teams bedeutet Strafe für den Athleten – ohne, dass er es überhaupt mitbekommt. Eine hohe Verantwortung, die mein Team großartig gemeistert hat.

Meine Begleiter hatten Stress wie in Schwabing: Parkplatzsuche.

Das erste mal diesen Tag überholte mich mein Team, Marcel steuerte den Wagen neben mich, meine Frau rief mir meine Platzierung zu. 114.

Ich. 114. Platz! Meine eh gute Laune wurde befördert. Ich hatte eine Chance. Zuvor war mein Plan klar – sagt mir die Platzierung, bin ich weit hinten bleibe ich ruhig, bin ich weit vorne, bleibe ich auch ruhig. Nur bei einer Platzierung nah der magischen Grenze von 160 wollte ich überhaupt nur einen Gedanken daran verschwenden etwas anderes zu tun als ich tat: Mein Rennen fahren.

Ich gab meine Wünsche für die nächste Versorgung an. Ich hatte mir – klarer Anfängerfehler – auf der Hinreise in einem Laufsportgeschäft in Göteburg noch ein neues Pulver mit viel Kalorien besorgt, das ich noch nie ausprobiert hatte. 320 Kalorien in einem halben Liter Flüssigkeit – viel hilft viel, der Chip- und Imbiss-gestählte Magen wird es schon abkönnen. Kann auch schief gehen. Ist es aber nicht. Sicher auch wegen der vielen Zeit in aufrechter Position, die Hände meist auf den Polstern für die Arme. Sieht nicht schnell aus, aber was soll’s.

Man fährt vielleicht allein – aber es ist immer wer da.

Das Iso, das ich mir zuvor auch gekauft hatte war natürlich kalorienarm – auch das: typisch für mich, vergriffen im Regal. Ich bestellte bei meinem Team Superdrink und leichtes Iso. Und später noch einen Burger mit Pommes.

Ja, wenn man noch Kraft für blöde Witze hat, strengt man sich wohl nicht an. Ich kann nicht anders. Der Wille, diesen Tag zu feiern, war so stark – nichts hätte mich von der guten Stimmung abbringen können.

Mit das Beste an mir: Ich löse Probleme, wenn sie auftauchen und male sie mir nicht vorher aus

Es gab wunderbare Passagen, in denen ich die einzigartige Landschaft des Nationalparks Hardangervidda genießen konnte, ein Regenbogen zu meiner Rechten zauberte mir ein Lächeln ins Gesicht. Ich war dankbar, das erleben zu dürfen. Es näherte sich die erste Abfahrt – die Belohnung für jeden Rennradfahrer – ein Heidenspaß. Und schnell. Im Laufe des Tages konnte ich auf die Distanz von fünf Kilometern mehrfach einen Schnitt von rund 60km/h halten. Einen Schnitt!

Begeistert und rasend schnell schoss ich entsprechend in einem Moment an meinem Team vorbei, als es wohl gerade den Wagen parkte. Ich sah nicht sie, sie sahen nicht mich.

Dann doch ausgeschlagen – das Tomatenmark. Zwei Salami allerdings ließ ich mir unterwegs schmecken. Der Mensch lebt nicht vom Gel allein!

Und das blieb dann auch so für eine Weile. Verabredet war, dass wir uns alle 10 Kilometer abpassen. Nur – da waren sie nicht. Und dann wieder nicht.

Ich hatte mein Team verloren.

Was tun? Weiterfahren, denn noch war genug Nahrung und Sportgetränk am Rad. Irgendwann neigte sich das dem Ende zu. Und da war noch immer kein Team.

40 Kilometer war ich auf mich gestellt – aber nicht allein. Zwischendurch fragte ich ein anderes Team, das mir selbstverständlich, hilfsbereit und mit Freude etwas von den eigenen Getränken abgab und noch ein Gel in die Hand drückte – ein besonderer Dank an den Mann, der mich fragte „Banana?“, zu seinem Auto lief, mich überholte und wenig später mir zwei Bananen entgegenreckte, von denen ich eine dankbar annahm.

Bis Kilometer 90 bin ich alle Versionen durchgegangen. Unfall des Fahrzeugs. Unfall von Marcel oder Nadine. In mir reifte der Entschluss, mich mit Durchschnorren bis in die Wechselzone zu retten und notfalls barfuß weiterzulaufen. Bei Kilometer 90 in Geilo schnorrte ich mich noch mal durch und bat ein Team, das Race Office anzurufen, damit die Organisation mein Team informieren konnte, dass ich unterwegs sei. Es würde schon gut gehen.

„enjoy“. Habe ich!

So erfuhren sie, dass ich nicht hinter ihnen in ein Schaf gefahren war (was meine Frau vermutete) sondern weit vor ihnen war (was Triathlet Marcel annahm). Es hat sie dann einige Mühe gekostet, mich einzuholen, denn abwärts überholt man auch schon mal Autos und kommt als Radfahrer gut voran.

Am vorletzten Anstieg hatten sie mich dann wieder und fanden mich unverändert vor: Fröhlich kurbelnd. Der blöde Scherz, ob das mit dem Burger mit Pommes was länger gedauert habe, lag mir auf den Lippen, ich verkniff ihn mir und war eigentlich nur froh, dass beide gesund waren und ihnen nichts passiert war. Getränkebestellung und auf in den letzten Radabschnitt.

Der letzte Anstieg hoch nach Immingfjell ist zwar nicht länger als der zu Beginn, aber garstiger. Ein Killer.

Mit das Beste an mir: Ich kann stur sein

Ich bin ihn hochgekurbelt. Aufrecht sitzend. Kurbeln. Die Serpentinenkurven außen fahren, um nicht die steileren Meter im Kurveninneren nehmen zu müssen. Ich habe nicht Gas geben – ich wollte nur nicht langsamer fahren. Eine bestimmte Trittfrequenz fühlte sich gut an, die bin ich getreten, weil sie nicht weh tat. Nicht mehr, nicht weniger. Das reichte, um einige Fahrer kurz vor Kilometer 150 zu überholen – Johannes rief mir zu „You’re a monster“ als an ihm vorbeifuhr. Bin ich nicht. Nur zäh und stur. Dieser Berg sollte mich nicht bezwingen und es lief ja. Also kurbeln. Kurbeln. Kurbeln.

Hier eine Fotoerfrischung im langen Text: Das Wasser des Fjordes.

Wenn mich jemand fragt, wie ich da hoch gekommen bin – sicher nicht mit Kraft, die ich nicht habe. Meine Wattwerte sind lausig. Aber ich kann lange treten. Wenn es nicht zu anstrengend ist. Habe ich gemacht. Kurbeln, kurbeln, kurbeln. Und das Lächeln nicht verlieren. Das ist mit das beste an mir: Stur sein. Zuversicht. So lange es geht, geht es weiter.

Eine ewig lange Abfahrt, die mich in den steilen Passagen mit Serpentinenkurven mehr Nerven gekostet hat, als alles andere führte zur Wechselzone. Marcel stand parat, reichte mir meine Laufklamotten.

Mit das Beste an mir: Ich bin faul und tue nicht mehr als nötig

Nur noch 25 Kilometer, dann hätte ich es geschafft, dachte ich mir. 25 Kilometer ist der Kurs flach – wenn man eine wellige Strecke entlang eines Fjords als flach bezeichnen will – danach geht es steil hoch, da darf man gehen, ohne dass es viel Unterschied macht in meiner Klasse. Aber am Anfang: Da muss man laufen. Und das begann sehr ordentlich. Sieben Stunden hatte ich für die Radstrecke benötigt und sicher schon den Gutteil von den 7000 Kalorien verbrannt, die ich am Ende des Tages auf der Sportuhr stehen hatte. Dennoch gelang mir eine anständige Geschwindigkeit, ohne in die Nähe des Limits zu laufen.

You never walk alone. Durchhänger nach gut 15 Kilometer.

10 Kilometer passte das auch, dann kamen langsam die ersten Probleme, die ich kenne. Der Magen will nix mehr zu sich nehmen, es ist aber zu warm, um nichts zu trinken. Wasser über den Kopf. Und irgendwann ging nix mehr außer mir.

Mein Minimalziel für Ironman-Rennen ist, den Marathon zum Schluss nicht zu gehen außer in den Versorgungsstationen. Das ist mir beim Norseman nicht gelungen, meine Laune sank. Ich fühlte mich schlecht, sehnte das Ende bei Kilometer 25 herbei, wo der Zombie Hill mit seinen 10 bis 12 Prozent Anstieg auf mich wartet – und ich würde gehen dürfen, ohne unangenehm aufzufallen.

Meine Frau reichte mir Cola, das einzige, das mir noch so halbwegs den Hals runterkommt in solchen Momenten. Marcel musterte mich, sagte aber nichts. Beide motivierten mich auf ihre Art. Das „Projekt“ schien auch noch immer nicht in Gefahr – denn es ging den anderen kaum besser. Vor mir ging Josh, dann ging ich vor Josh  , dann wieder Josh vor mir – wir alle wechselten zwischen Laufpassagen und Gehen. Meinen Laufstil hatte ich verloren, ich trottelte wenn überhaupt so vor mich hin und sah so recht keine Notwendigkeit daran etwas zu ändern. Ein Blick über die Schultern sagte mir, dass keine Heerscharen an Läufern mich einzuholen drohten.

Und dann – dank sturen Schrittes die 7 Kilometer des Zombie Hill hoch: Das Zelt für den Cut off für den Weg hoch zum Gaustatoppen. Die ersten 160 dürfen hoch. Angezeigt wird das manuell.

Dann tat die Cola ihre Wirkung, die Energie kam zurück, die Laune wurde besser, die Laufpassagen wurden wieder etwas länger – ich rettete mich an den Fuß des Zombie Hills. Sieben Kilometer Spitzkehren, die darüber entscheiden, ob man nach 32,5 Kilometern unter den ersten 160 Teilnehmern ist, die eine Kontrollstation passieren.

Am Fuß des Zombie Hill war ich 122. Dass mich 38 Athleten leicht tänzelnd noch überholen würden – dafür fehlte mir die Phantasie.

Endlich gehen. Nicht mehr laufen müssen. Das heißt ja nicht, dass man sich nicht mehr anstrengt. Ich bin glänzend gelaunt in einen Marschrhythmus gewechselt, eine kleine Cola in der Hand und habe mich stramm empor gearbeitet, immer einen Blick für den Gaustatoppen, der so unendlich hoch erschien. Noch so weit. Aber ich wusste – ich hatte gute Chancen ihn zu sehen. Und in diesen 75 Minuten habe ich mich in Überholvorgängen von gut fünf Minuten an einigen Athleten vorbeigekrochen.

114. Diese Zahl stand an dem Cut-Off Zelt, auf einem Ordner, den eine Helferin immer per Hand weiterschlug, wenn ein Athlet kam. Norseman – das ist, „basic“, wie sie selbst das Schlagwort in der Wettkampfbesprechung verwendeten, die eigentlich viel mehr ein emotionales Get together aller Teilnehmer und ihrer Freunde war inklusive Volkstanz zweier extrem sportlicher junger Männer.

Weitere fünf Kilometer später der Sicherheitscheck, bevor es den steinigen Wanderweg zum Gipfel auf 1850 Meter geht. Und ein paar Chips.

Ich ballte die Faust, ich hatte es geschafft, die ersten Tränen drückten hoch. Mich strahlte Renndirektorin Torill Pedersen an. Und gratulierte – das ganz große Ziel war erreicht. Ich sagte, dass ich am liebsten schon vor Ort losheulen würde – und sie nickte fröhlich.

Mit das Beste an mir: Ich kann mich freuen und bin dankbar

Norseman – das ist kein Rennen, sondern ein Erlebnis. Sein Erfinder, der zum zehnten Mal selber teilnahm, wollte keinen Wettbewerb um Plätze, sondern ein Abenteuer. Die Begeisterung der Organisatoren wird nicht mal von denen der Athleten übertroffen. Es ist ein Erlebnis, das die Teilnehmer mit ihren Freunden teilen – Marcel nahm mich in Empfang, ich strahlte ihn an, er strahlte mich an, es blieb noch Zeit für ein Foto, ich bedankte mich zum x-ten Mal an diesem Tag für seine Hilfe.

Und wir traten unseren Weg auf die letzten Kilometer. Fünf davon verliefen flach, die wir nutzten, uns zu unterhalten und die sagenhafte Landschaft am Fuße des Gaustatoppen oberhalb der Baumgrenze zu bewundern. Athleten, die ich am Zombie Hill überholt hatte, liefen an mir vorbei. Und es war uns egal. Völlig egal. Wir wollten genießen und taten das.

So gestärkt stapft es sich fast von allein hoch.

Nach fünf Kilometern folgte der Sicherheitscheck, der prüfte, ob ich noch genug Verstand beieinander hätte, um für die folgende Strecke auch gewappnet zu sein. Wir zeigten unsere Stirnlampen, warme Kleidung fürs Ziel, Geld (für Getränke und Essen oben im Ziel, denn so Basic ist der Norseman bis zum Schluss – der Athlet muss sich um sich selber kümmern.)

4500 Meter lagen vor uns. Eine Strecke, die ich flach ohne Mühe in unter 25 Minuten laufe. Es sollte uns 1:40 Stunden kosten, um die Höhenmeter über die mal dicken Felsen, dann wieder kleinen Geröllsteine zu überwinden.

Es war sicher die schönste Phase des Rennens – anstrengend und so belohnend. Das Hochgefühl sich den Traum bald – wenn schon nicht gleich – erfüllt zu haben. Die fantastische Aussicht an einem Tag mit tollem Wetter.

Doch mehr als alles andere motivierte mich der Zuspruch der zahllosen Wanderer, die ihren Weg vom Ausflugsziel Gaustatoppen angetreten waren und die ihnen hochächzende Athleten einzeln beklatschten und beglückwünschten. Familien mit Babys in Rucksäcken, ältere Paare mit Hund an der Leine – Norweger wandern mit Begeisterung. Ich habe so viel gelächelt und mich bedankt, wie wohl an meinen vergangenen 30 Geburtstagen zusammen.

Und schon 100 Minuten später sind die 4500 Meter zurückgelegt. Ich bin im Ziel.

Es wurde immer kälter, mehrfach rutschte ich aus, mein Blick stets nach unten gerichtet. Und als meine Frau, die oben auf uns wartete, endlich sehen konnte, dauerte es sicher immer noch 20 Minuten, bis wir oben waren. Jeder Schritt Mühsal und doch Freude – es hätte ewig so für mich weitergehen können. Ich wollte nicht ins Ziel, um endlich anzukommen. Ich wollte nur ins Ziel, weil es nun mal dazugehört, auch anzukommen.

Und dann waren sie da. Die letzten Stufen, die ich aus Videos gut kannte. Die letzten Meter – ich hatte es geschafft.

Meine Tränen, dich ich im Arm meiner Frau vergoss, hätten einen Fjord füllen können.

Ohne Worte.

Mit das Beste an mir: Ich habe Energie

Kein Applaus, kein Jubel, keine Ansage. Ankommen und freundliche Menschen um einen herum. Es gab eine Kartoffelsuppe, die Marcel und ich herunterschlangen. Ich würde gerne erzählen, dass ich erschöpft zusammenbrach von den Strapazen – allein – es war nicht so. Ich ging kurz in die Hütte, um die Daten der Thermopille auslesen zu lassen, die ich morgens geschluckt hatte als Teilnehmer einer medizinischen Studie. Mein Körper hatte in der Spitze eine Temperatur von 40,2 Grad Celsius. Verwundert nahm ich das zur Kenntnis. Im Ziel waren es noch immer 38 Grad.

Dann aber erst mal die Suppe!!!

Meine Frau und ich harrten noch ein wenig aus, bevor wir uns in die lange Schlange der Touristen und Athleten mit ihren Begleitern stellten, um mit der Bergbahn abwärts zu gelangen. Marcel hatte sich verabschiedet und war zu Fuß den Abstieg angetreten – er musste dann leider 30 Minuten auf uns warten. Als wir uns trafen, strahlte ich ihn an, noch immer voller Begeisterung und Elan und grenzenloser Freude über diesen Tag.

Vielleicht hatte ich mich nicht genug angestrengt – vielleicht nicht alles gegeben. Aber sicherlich mein Bestes.


An dieser Stelle möchte ich meinem Team danken – Marcel und Nadine. Ohne euch wäre das nicht möglich gewesen. Ihr hattet eure eigenen Sorgen, hattet keine Zeit, um mal wenigstens einen Kaffee zu trinken. Ihr hattet Stress, den Wagen ordnungsgemäß zu parken. Ihr hattet Probleme Wasser zu finden – Marcel ist in einen Fjord runtergeklettert, um eine Flasche zu füllen – ihr musstet nach mir suchen.

Von all dem habe ich nichts mitbekommen – ihr habt mir den Rücken freigehalten, wie man es sich nur wünschen kann. Ich stehe ewig in eurer Schuld.

Ich möchte auch allen danken, die mit mir mitgefiebert haben, ich habe in den darauffolgenden Tagen das Ausmaß der Anteilnahme langsam begriffen – ich bin sehr berührt. Vielen Dank!

Und natürlich an jeden Menschen des Norseman-Teams. Dieser Wettbewerb besitzt eine Seele, die man lieben muss. Hilfsbereitschaft, Freude, positive Energie, Leidenschaft, Toleranz (wenn vlt mal ein Telefon fehlt im Sicherheitsrucksack…). Norseman ist Anstrengung, die mit Energie belohnt. Der Wettbewerb gibt einem die Chance, neue Seiten an sich kennen zu lernen. Ich habe das. Vielen Dank dafür! 

 

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Alle Kommentare [19]

  1. @Peter
    Die Fragen aller Fragen… Ich habe sie mir vor dem Wettbewerb nicht gestellt. Und momentan geht es auch noch ganz gut so. Bis mir was einfällt, normal weiter im Programm. 🙂 Konkret sind eigentlich nur Röntgenlauf und Ironman Klagenfurt 2019. Was und wann mir noch an zusätzlichem Unsinn in den Kopf kommt – ich lasse mich wirklich selber überraschen.

    Die Bilder sind von Marcel, Nadine und Marcels Freundin Nicola, die auch dabei war, nur aufpassen musste, nicht zu helfen, denn das dürfen nur die benannten Helfer. Sie saß also immer in sicherer Entfernung zum Geschehen, die Zielfotos sind zum Beispiel von ihr.

  2. Was für eine grandiose Leistung. Für den Laien und sogar für den Hobby-Triathleten wird gar nicht so richtig deutlich, was das für ein Wettbewerb ist, den Du da erfolgreich absolviert hast. Also jedem, der diesen Blogpost liest, empfehle ich dringend, sich mal ein paar Videos zum Norseman anzuschauen, um zu begreifen, was Du da geleistet hast. Wir haben mitgefiebert und voller Hochachtung verfolgt, wie Du dieses Rennen souverän runtergezogen hast. An dieser Stelle daher nochmals herzliche Gratulation von uns. Wir ziehen den Hut vor Dir!

    Viele Grüße
    Hannah & Carsten

  3. Traum erfüllt – Chapeau (was kommt jetzt?)

    … und wer hat die Bilder von unterwegs gemacht? Hattest Du Kamera mit, oder waren das Marcel und/oder Nadine?

  4. Hallo Thorsten, I. hat mich auf den Artikel aufmerksam gemacht … Meinen aller größten Respekt !!! Hatte fast das Gefühl, mit geschwommen, gelaufen und gefahren zu sein und vor lauter Rührung beim Lesen glatt eine Träne verdrückt. Herzlichen Glückwunsch!

  5. Grossartig!!!! Welch‘ Leistung man erbringen muss – nicht nur im Wettkampf selber, sondern das Ganze drum herum. Ich habe mit Spannung das ganze Projekt verfolgt und als Frau eines Ironman, der auch mal von Norseman träumt, bin ich jetzt ein wenig “vorbereitet“. Am meisten spürt man aber in diesem Bericht, den Respekt und die Dankbarkeit über die eigene Leistung (auch mental) und der Unterstützer!! Danke für diese Berichtsserie!

  6. Coole Sache lieber Thorsten! Ich liebe die Berichte von außergewöhnlichen Wettkämpfen und Deiner bringt den Verlauf Deines Rennens sehr gut rüber! Herzlichen Glückwunsch!

  7. Uiuiui. Respekt. Gratuliere ganz herzlich.

    Ich könnte das nicht. Die Schwimmerei, das Tomatenmark. Vor allem Letzteres!(Irgendeine Ausrede muss ja sein.)

  8. Samstag morgens sass ich im Büro und hatte auf dem zweiten Schirm den Livestream laufen.
    Ich war einer derer, die richtig mitgefiebert haben.
    Man konnte ein bisschen davon erahnen, wie phänomenal das gewesen sein muss. Und so würde ich mir auch wünschen so ein Ding anzugehen, jeden Moment mitzunehmen und zu geniessen – wenn ich Triathlon könnte…
    Einfach großartig, nochmal Glückwunsch zu diesem Abenteuer!

  9. Einfach nur ein krasses Ding! Meinen größten Respekt und die herzlichsten Glückwünsche! Einfach nur klasse gemacht!