Während des Marathons bitte nicht mit dem Läufer sprechen.

Zu den bemerkenswertesten Anblicken bei meinen Trainingsrunden gehören die zahlreichen Menschen, die zu zweit laufen und sich dabei nett unterhalten. Seitenstiche sind der Grund, der mir als erstes einfällt, warum das eine dumme Idee ist. Dass jeder, der sich bewegt, mit Reden seine Atmung aus dem Takt bringt, sollte einleuchten. Wer bei seinem Lauf die ganze Zeit reden kann, dachte ich, zeigt eigentlich auch nur:  Er läuft zu langsam. Ich muss umdenken.

Düsseldorf. Marathon. Blauer Himmel, frische Temperaturen – hervorragende Bedingungen. Einer der Hauptsponsoren hat als Service eine Marschroute mit Zeiten, die auf ein Plastikarmband gedruckt werden im Angebot. Der Teilnehmer gibt an, welche Zielzeit er anstrebt, der Computer errechnet nach welcher Zeit er bei 5 km, 10 km und so weiter sein muss. 3:25 habe ich mir mal mutig als Ziel ausdrucken lassen, die Zeiten stehen auf dem blauen Band. Meine offizielle Bestzeit liegt vor dem Marathon bei 3:38. Zusätzlich zu den Infos, die mir meine GPS-Uhr gibt, eine ziemlich idiotensichere Sache. Aber nichts gegen die Erfahrung eines älteren Läufers.

Eine läuft, einer rennt hinterher.

Eine läuft, einer rennt hinterher. Eine lacht bei Kilometer 41, einer staunt.

Denn noch bevor ich überhaupt die erste aussagekrätige Marke erreiche, befinde ich mich hinter zwei Läufern, die sich noch flockig unterhalten – bei einem Tempo, wo ich es noch könnte, aber lieber lasse. Die beiden sprechen angeregt über ditt und datt. Eine junge Frau – 31, wie ich später auf Nachfrage erfahre und ihr Vereinskamerad und Trainer. Bei Kilometer 8 opfere ich ein wenig Sauerstoff und frage, was die beiden denn wohl gedächten für eine Zielzeit zu erreichen. Die junge Frau ist (und bleibt) keck: „3:20“. Aha. Fünf Minuten schneller als meine für mich mutigen Pläne. Mit einem „dann versuche ich mal dran zu bleiben, wenn es recht ist“, folge ich dem konstanten Tempo der beiden. Ich gestehe freimütig: Da dachte ich noch – ihr werdet bluten. Reden und dann so fix – im Leben nicht. Ich will das nicht verschweigen. Aber ich dachte, das Tempo gehe ich mal mit, wenn die beiden die ganze Zeit reden, werde ich doch wohl – Atem sparend – dahinter bleiben können.

In den folgenden 34 Kilometer erfahre ich noch so einiges – denn die junge Frau ist nicht nur geschminkt, adrett frisiert und schnell – sondern auch redselig. Ihr Trainer, Michael, ist ein drahtiger Triathlet, ich erfahre, dass er auch dieses Jahr wieder in Roth bei der Ironman-Distanz an den Start geht. Er sieht aus wie um die 50, wie ich später herausfinde, startet er in der Altersklasse über 55 Jahre… Die Pinkelpause, die er einlegt, holt er locker wieder raus. Dabei immer gut gelaunt, locker, zufrieden mit seiner Marschroute. Ich schüttele immer wieder den Kopf vor Staunen. Denn es ist ja viel Zeit zu erzählen bei so einem Marathon!

Sie hat sich noch wenige Tage vorher mit dem Rennrad lang gemacht. Bei Kilometer 34, als ich weiteren Sauerstoff opfere, um zu sagen, dass ich wohl gleich etwas langsamer würde, sagt sie, dass sie mir Schwänke aus der Jugend erzählen würde, damit ich motiviert bin und ich einen roten Kopf bekäme. Ich lasse mich dazu hinreißen, ausführlich zu antworten, dass ich Kinder hätte und wohl dank der Schulhöfe von heute nicht mehr so leicht zu erschüttern sei – „Ich bin Lehrerin.“ Aha. Ich verspreche fürs Windschattenlaufen das eingeforderte alkoholfreie Bier auszugeben – gerne auch zwei. Ich lerne auch was: Das wohl nichts so motivierend ist, wie bei guter Tagesform zu merken, dass man mit schnelleren Läufern mithalten kann. Die Motivationskicks setzen ein. Auf halber Strecke deutet sich an, dass ich mein Minimalziel von unter 3:30 wohl erreichen werde, selbst eine Pinkelpause könnte das nicht gänzlich gefährden. Ich fühle mich gut – und mit dieser Erkenntnis gleich noch besser. Der gefürchtete Einbruch ab Kilometer 36 – er kommt nicht.

Michael hört die meiste Zeit freundlich zu, sagt schon früh, dass er sie informiert hätte, dass Reden nicht so clever wäre. Das denke ich die ganze Zeit, denn – es ist ihr erster Marathon. „Hammermann, Einbruch, Überraschung“ – das sind die Worte, die mir durch den Kopf schießen. Michael zieht etwa 10 Kilometer vor dem Ziel das Tempo an. Ich schaue auf die Uhr und sehe ein Tempo, das ich mich nicht getraut hätte, zu diesem Zeitpunkt zu laufen: „Ihr meint das ernst, mit den 3:20, oder???“. Sie: „Ja, klar, wir schaffen das.“ Ich glaube nicht recht, dass die beiden und schon gar nicht ich es schaffe, ja, vielleicht 3:22. Aber dafür müssten wir noch mal schneller laufen? Wie soll das gehen? Ich laufe aber mal weiter mit, die beiden wirken ja auch noch locker, Atem für den einen anderen laut geäußerten Gedanken haben beide. Selbst wenn es nur 3:22 werden – die beiden hätten ihr Ziel zwar verfehlt, ich meines mehr als erreicht – und dabei viel gute Laune und Spaß gehabt. Michael hält das Tempo hoch, ich bleibe dran, manchmal zu nah dran und trete von hinten in die Sohlen – bei leichten Gefällen. Ich bin schwerer als beide.

Es dauert bis Kilometer 39 bis ihr Wunsch nach Unterhaltung geringer wird. Michael grüßt auf der Königsallee noch einen radelnden

Michael Vonn macht das Tempo, ich hab's geschafft dran zu bleiben.

Michael Vonn macht das Tempo, ich hab’s geschafft dran zu bleiben.

Freund bei Kilometer 40, erklärt, dass es alles gut ginge, sie sagt, es sei doch ein großer Spaß. Ich schüttele staunend den Kopf und stöhne „Wahnsinn“. Und denke, dass ich doch langsam auch ein wenig kaputt sei. Wir überholen immer mehr Läufer, viele werden langsamer, wir werden schneller – jeder einzelne ist wie ein kleiner Gasschub, der einen weiter antreibt. Erschöpfung? Ja, aber bitte nicht jetzt, kurz vorm Ziel sind Zweifel so weit entfernt wie der Start. Sie jubelt „Noch eine Frau überholt!“ – Kampfschwein ist keine Frage des Geschlechts. Mir fehlt inzwischen der Atem, um zu debattieren, mehr als „Wahnsinn“ kann ich nicht zischen, es läuft und läuft, der schiere Wille, nicht abreißen zu lassen reicht, mich zu noch schnelleren Schritten. Mein Schweinehund hat sich ganz tief zurückgezogen, er scheint eher am Straßenrand der Königsallee  Spalier zu stehen und zu applaudieren – all die Trainingsstunden waren wohl nicht ganz umsonst.

Der letzte Kilometer ist mit Abstand der schnellste, den ich an diesem Tag laufe, wie im Rausch. Die Uhr zeigt 3:19 als wir über die Ziellinie laufen. Ich habe dank der Unterstützung und Aufmunterung meiner Mitläufer mit Abstand meine Bestzeit unterboten, bin einen Marathon gelaufen, von dem ich morgens noch fest überzeugt war, dass ich den noch nicht so schnell nicht schaffen könne. Und wurde dabei auch noch gut unterhalten.

An dieser Stelle nochmals herzlichen Dank und großen Respekt an Michael Vonn vom SC Uerdingen 05, der mich dankenswerter teilhaben ließ an seiner perfekten Wettkampfstrategie, die ich mir zwar auf dem Papier mir auch immer wieder vornehme, sie aber nicht so souverän verfolgen könnte.

Und zum Thema Reden und Laufen schweige ich fortan.

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Alle Kommentare [5]

  1. Liebe Kommentatoren, sorry, die sind im Spamordner gelandet von WordPress, eine Benachrichtigung gab es leider auch nicht – deswegen die Verzögerung.

    Merci, Thorsten

  2. Lieber Thorsten,
    eine sehr sehr schöne Story. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich euch bei Kilometer 37 (Höge UCI „noch 5km) auch gesehen habe.

    Es liest sich so, als wäre es ein super Rennen gewesen.

    Glückwunsch 🙂

  3. Großartiger Artikel, erinnert mich sehr an meinen letzten halben, wo ich meine anvisierte Zeit auch um 4 Minuten unterboten habe.
    Dann wünsche ich mir für mein Marathondebut im Oktober wohl auch ein plauderndes Pärchen vor mir.
    Respekt für die wirklich sehr starke Leistung!

  4. Schöner Bericht, ganz starkes Ergebnis. Wie weit man im Laufe von ein paar Jahren kommen kann.
    Nehme dies als Motivation und gutes Omen für den Hannover Marathon nächste Woche. Wenn die Zeit vergleichbar wird, wäre ich sehr zufrieden. Dann höre ich auch gerne 3 Stunden anderen zu…