Mahlers Vierte mit Tugan Sokhiev

Die Berliner Philharmoniker suchen ihren neuen Masetro noch. Das Deutsche Symphonie-Orchester (DSO) hat seinen längst gefunden: Tugan Sokhiev gelingt ein fantastischer Abend mit Haydn und Mahler.

Wenn die Berliner Philharmoniker zu den besten Orchestern der Welt gehören und das Deutsche Symphonie-Orchester (DSO) zu den besten Orchestern Berlins gehört, dann müsste eigentlich auch umgekehrt gelten: Die Berliner Philharmoniker gehören zu den besten Orchestern Berlins und das DSO gehört zu den besten Orchestern der Welt.

Müsste? Am Samstagabend, während die Philharmoniker sich bei Gastspielen in New York feiern ließen, triumphierte das DSO in Berlin. Dirigent Tugan Sokhiev und seiner Crew gelang ein wundervoller Abend mit Haydns Sinfonie 103 und Mahlers Vierter.

Sokhiev, Jahrgang 1977 und seit der Saison 2012/13 Chef des DSO, ist ein sagenhaft begabter Dirigent. Er hat die Fähigkeit, die Musik gestochen scharf zu akzentuieren und fließen zu lassen, sie dramatisch anzuspitzen und auszusingen, sie durchsichtig hell erstrahlen zu lassen und elegant abzutönen. Das DSO, so scheint es, spätestens seit Kent Nagano und Ingo Metzmacher so etwas wie der Gegenentwurf zum romantisch abgedunkelten Mischklang von Daniel Barenboims Staatskapelle, hat unter Sokhievs Leitung nichts an Analysefähigkeit verloren und viel an Lust und Leidenschaft zugelegt.

Im Falle von Haydn trumpft das DSO mit restlos unforcierter Dynamik auf; obwohl Sokhiev in den beiden ersten Sätzen langsame Tempi wählt, wirken die Tänze durch sparsamen Vibrato-Einsatz gelöst, fast zärtlich. Die Violine von Konzertmeister Wei Lu umschmeichelt schlank das Thema, die Flöten leuchten, die Streicher glänzen durch straffe Einsätze – kurzum: alle kompositorischen Ideen sind en détail  ausbuchstabiert und folgen einer klaren Idee des Dirigenten: Ich will die Struktur der Klassik offen legen, modern dynamisch musizieren – und den Klangreichtum der Musik azkentuieren.

Mahlers Vierte ist Sokhiev damit sozusagen auf den Leib geschrieben: Er liebt die Farben, die Kontraste und scheut die Pastelltöne. Aber er trägt dabei nie dickpinselig und breitwandig auf, sondern mit feinem Spatel, klaren Strichen: Hier tönt ein kindlicher, fröhlicher und irdischer, manchmal ironischer, aber sicher kein sarkastischer und vulgärer Mahler. Wundervoll die Rufe der Flöten und die Schärfe der Bratschen im ersten Satz, die hochgestimmte Fiedel mit den bäuerlich dreinfahrenden Klarinetten im zweiten; das herrlich entspannte Duett der Oboen und der Himmelsstreicher im dritten vor und nach dem mächtig hochfahrenden Tutti – und schließlich: Die „himmlischen Freuden“, ziemlich dunkelmatt gesungen von Sally Matthews im Schlussatz… – keine Idealbesetzung für den berauschend klar artikulierten Mahler von Sokhiev und dem DSO. Und doch nur ein klitzekleiner Wermutstropfen in einem überreich gefüllten Glas.

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