Wie ich Schwimmen lerne. Lektion: Ich bin alt. Oder klassisch. Und kann nicht schwimmen.

Die Kollegin ist sowohl kompetent, freundlich und sehr nett zu mir. Dennoch klingt ihr Urteil nur im ersten Moment charmant. „Ah, ein Klassiker.“ Meine Kollegin Katrin ist neben ihrer Tätigkeit bei uns im Verlag auch Schwimmtrainerin. Ich habe das mitbekommen und gebeten, dass sie mal auf meinen Stil schaut – ich schwimme halt, wie ich schwimme, seit ich Mitte der 80er Jahre den Schwimmverein nach gut 9 Jahren Mitgliedschaft verließ. Klassisch. Sprich: Katrin erkannte am Armzug und Wasserlage, welcher Generation ich angehöre. Nach nur zwei Bahnen und ihrer Einschätzung sagt sie diese Worte und ich höre da nur: „Du bist alt.“

"Helfen Sie dem Mann aus dem Wasser!"

„Helfen Sie dem Mann aus dem Wasser!“

Zu alt, um noch was neues zu lernen? Eine schöne Frage. Die Lehre der effizienten Schwimmtechnik muss sich in den vergangenen gut 30 Jahren weiterentwickelt haben. Ich habe das nur nicht mitbekommen. Wann immer ich Katrin sagte, dass uns das damals so erklärt wurde, lächelte sie milde. Papa erzählt vom Krieg und säuft ab wie ein angeschossenes U-Boot.

Sie erwähnt das Konzept der „Total Immersion.“ Ein Schwimmtrainingskonzept. Was auch immer es vorsieht: Mein Körper hat die nötigen Bewegungsabläufe nicht verinnerlicht. Und genau das ist es aber, was beim Gitarre spielen, Zwiebeln schneiden oder auch Hemden bügeln nötig ist: Bewegungsabläufe so zur Routine zu machen, dass man an sie keinen Gedanken mehr verschwenden muss. 10.000 Wiederholungen sind es, so heißt es, die nötig sind, um etwas so tun, dass man es richtig drin hat.

Potential für Verbesserungen. Klar ersichtlich: Ein Schwimmer der 80er Jahre.

Potential für Verbesserungen. Klar ersichtlich: Ein Schwimmer der 80er Jahre.

Zum Beispiel die Arme weiter strecken und dabei die Schulter so vorstrecken, dass meine Wange die Schulter berührt. Dann den Arm unter Wasser in einem S-Bogen führen. Die Finger zusammen. Die Arme früher raus. ALLES GLEICHZEITIG. Ich kann in meiner Trainingsdatenbank nachschauen, wie viele Züge ich noch entfernt bin von den nötigen 10.000 – exakt 9617. Pro einzelnem Detail wohlgemerkt. Da ich mich immer nur auf eines konzentrieren kann, liegt die Zahl wohl eher 100.000 Wiederholungen. Uffz. Nur noch 99617.

Ich fühle mich wie ein Anfänger. Besser gesagt: Ich kann plötzlich verstehen, warum viele angehenden Triathleten Sorge vor dem Erlernen des Schwimmens haben. Das ist total kompliziert, wenn man mal drüber nachdenkt.

Und ich denke nun drüber nach. Bei jedem Zug maßregele ich mich, dass das vielleicht noch nicht sauber genug ausgeführt ist, hier noch eine Verbesserung möglich ist. Die Rotation des Rumpfes weiter, die Hände mit weniger Blasenbildung durchs Wasser geführt. und und und. Und wir reden noch nicht von den Beinen! Und dem Zusammenspiel. Bügelnd das Essen kochen, während man staubsaugt – so in etwa kommen mir die Anforderungen vor.

Die Lehrstunde mit der Kollegin wirft mich zunächst zurück. Ich werde mich also künftig bemühen, die Kleinigkeiten zu optimieren. Auch wenn ich lieber zurückfallen möchte in bekannte Bewegungsmuster und -abläufe. Wie jeder Mensch.

Ich darf auch, sagt Katrin. Im Wettkampf. „Da ist das sowieso alles wieder vergessen.“ Auch diese Erkenntnis: Ein Klassiker.

Sie erkennen mich beim nächsten Schwimmwettbewerb also an der 80er-Jahre-Technik.

 

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