Agiles Arbeiten? Ein deutsches Märchen in Unternehmen: Intern gelebt wird „bloß nicht“, nach außen erzählt „aber klar, wir sind ja schließlich modern“, belegt eine Studie

Nur angeblich gesucht: Mitarbeiter mit „unternehmerischem Denken“

Seit Jahren steht in vielen Stellenangeboten, vom Bewerber sei „unternehmerisches Denken“ sei erwünscht. Eine Floskel, die die Verfasser aus der Personalabteilung offenbar schick finden. So für die Außendarstellung und überhaupt.

 

… gemeint ist etwas anderes …

Lustigerweise findet sich die sogar in Stellenanzeigen für ganz normale Mitarbeiter, die in der Hierarchie sorgfältig einsortiert sind. Jedoch: An Aufgabe der Hierarchie war keineswegs gedacht. Das wurde den Mitarbeitern aber natürlich erst klar, wenn´s zu spät war. Gemeint war dagegen wohl eher so etwas wie: Mitdenken erwünscht und Verantwortung für die eigene Arbeit übernehmen wie ein Kleinunternehmer. Im Sinne von: Nicht auf die Uhr gucken, keine einzige Überstunde aufschreiben oder gar bezahlt haben wollen und im Urlaub und bei Krankheit weiter arbeiten.

 

Ganz so wie es Selbständige tun. So wie die Optikerin, die selbstverständlich nach der Geburt ihres Babys zehn Tage nach der Niederkunft wieder in ihrem eigenen Laden steht. Der ist es ja erlaubt, denn nur Angestellte haben ein gesetzliches Beschäftigungsverbot in den nächsten acht Wochen nach der Niederkunft. Oder wie der Bauunternehmer im Mittelstand, der die hochkomplizierten Vergabeformulare für Ausschreibungen öffentlicher Auftraggeber nur Sonntags bewältigen können.

 

Hin wie her, mit dem Entscheiden-dürfen ist es auch im Jahre 2020 nicht weit her. Obwohl es sich ja angeblich so viele Unternehmen auf die neue Management-Fahne geschrieben haben: Dass veraltete Strukturen und starre Hierarchien durch ein dynamisches Arbeitsumfeld ersetzt werden, in dem Mitarbeiter mehr Verantwortung erhalten und in Teams häufiger und schneller eigenständige Entscheidungen treffen, wie es das Beratungsunternehmen Kienbaum ausdrückt.

 

(Foto: C.Tödtmann)

 

Agilität? Ein deutsches Märchen

Dabei: Nicht mal bei zehn Prozent der Unternehmen geht es tatsächlich agil zu. Das haben die Online-Jobplattform StepStone und das Kienbaum Institut @ ISM bei einer Umfrage unter 10.000 Fach- und Führungskräften herausgefunden. Dass die Mitarbeiter gerne Verantwortung übernehmen wollen, scheint dann im Unternehmensalltag doch nicht so zu interessieren: Jeder dritte Befragte würde gerne agil arbeiten.

 

Entmündigte Fachkräfte

Konkret: 61 Prozent der befragten Fachkräfte wünschen sich genau diese flachen Hierarchien, die allerdings sind laut den Beschäftigten in Zweidrittel der Unternehmen aber keine Realität. Ähnlich entmündigt sehen sich Fachkräfte ohne Führungsverantwortung: Drei Viertel dürfen keine eigenständigen Entscheidungen fällen laut der Kienbaum/Stepstone-Studie.

 

Die meisten Vorgesetzte merken nicht einmal, was sie tun:Entmündigen

Damit nicht genug, bestätigt die Untersuchung noch ein anderes allzu verbreitetes Phänomen: Fremd- und Eigenwahrnehmung klaffen weit auseinander. Führungskräfte haben eine andere Wahrnehmung als ihre Mitarbeiter, so das Ergebnis: Nur 14 Prozent der befragten Chefs sagten, dass sie ihre Mitarbeiter bei Entscheidungsfindungen außen vor lassen.

 

Diese Vorgesetzten versündigen sich also an ihren Unternehmen und machen keinen guten Job, denn: „Besonders Führungskräfte sind in der Pflicht, mehr eigenständiges Arbeiten zuzulassen.,“ sagt Personalexperte Walter Jochmann von Kienbaum. Nur so könnten Unternehmen den ständige Veränderungen im Markt standhalten.

 

 

 

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Alle Kommentare [4]

  1. Ich sehe, dass vielfach gar nicht klar ist, was AgilesArbeiten ist. Oft mit Teilzeit oder HomeOffice gleich gesetzt oder mit Scrum oder mit der Arbeitsweise von Crowdworkern. AgilesArbeiten liegt meines Erachtens vor, wenn das System im Unternehmen folgendes garantiert:
    1. Ziel bzw. Zielkorridor ist vorgegeben
    2. Bearbeitet durch überschaubares, selbstorganisiertes und selbstmotiviertes Team (resourced aus Freiwilligen)
    3. Überschaubare/kurze Arbeitsphasen
    4. Mehrwert-/kundenbezogen designed und umgesetzt, bestenfalls mit unmittelbarer Einbindung des Kunden
    5. Mindset (Mut, Fehlerkultur, Ausprobieren).

  2. Meine persönliche nicht repräsentative Erfahrung ist, dass in der Mehrheit der Unternehmen schlecht geführt wird und Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander klaffen. Oft wird ein Schuldiger gesucht, aber der Chef muss dann nichts anders machen, auch wenn er die Grundlage für das Problem gelegt hat. Fehlerkultur kann man suchen. Es kommt auch vor, dass externe Berater beschäftigt werden, um dann diese als Sündenböcke zu haben, falls die Strategie nicht wie geplant klappt. Vorsichthalber im Vorfeld mal einen kleinen Zweifel äußern und beim Scheitern hinterher sagen, ich hatte schon bedenken, aber wollte mich nicht in den Weg stellen, lässt dann das Bild des einsamen Machers weiter gut dastehen. Wieviel nicht gelebte schön auf Tafeln geschriebene Firmenkultur-Pamphlete „Wir sind….“ kann man in den Firmen sehen. Entscheidungen werden fern vom Kunden getroffen und oftmals nicht mal bemerkt, wie damit die Kundenbedürfnisse mit Füßen getreten werden. Engagierte Mitarbeiter, die direkt mit den Kunden zu tun haben, federn dann noch einiges ab. Aber ich will hier nicht nur meckern. „Ärgeren Dich nicht über die Unfähigkeit der Anderen, es könnte Deine Chance sein.“ hatte mein erster Chef an der Wand hängen. So manch eine neue Firma hat Markanteile gewinnen können, da andere Firmen, wie oben beschrieben, schlecht aufgestellt waren.

  3. Danke für Ihren realistischen Beitrag. Als Experten für organisationale Transformation zu New Work bestätigen Ihre Einschätzung.
    Die Tragweite eine agile Organisation zu werden, wird auf Führungsstufe meist unterschätzt, insbesondere die Auswirkungen auf das eigene Denken/Handeln. Agilität dient nicht zum Selbstzweck, sondern ist ein anspruchsvoller Wandel um in New Work, bzw. der VUCA Arbeitswelt wettbewerbsfähig zu bleiben.

  4. „Wir nutzen Kanban Boards, wir sind agil.“ oder „Ja, das machen wir in der IT. Aber in anderen Bereichen funktioniert das nicht.“ Es gibt sehr viele Vorurteile gegenüber Agilität, die oft auf Basis von fehlendem Wissen getroffen werden. Die Bereitschaft, Gelerntes hinter sich zu lassen und Neues auszuprobieren, braucht eine gute Begründung. Dabei gibt es viele ungenutzte Potenziale, die mit neuen Formen der Zusammenarbeit erschlossen werden können. In 10 Jahren habe ich kein einziges Team getroffen, das wieder zu gewohnten Formen zurückkehren wollte, wenn es einmal wirklich nach agilen Prinzipien arbeiten durfte.