Buchauszug: Strafverteidiger Yitzhak Goldfines und Peter Mathews „Die Wahrheit hinter der Wahrheit. Die Goldfine-Akten“

 

Strafverteidiger Yitzhak Goldfine, 80, hat zusammen mit dem Publizisten und Autor Peter Mathews ein Buch über seine zehn interessantesten Fälle verfasst. Hier ein Buchauszug, das Kapitel über den Baulöwen Schneider, der Goldfines Mandant war. „Ich habe mich nie nur auf die Aktenlage und auf Paragraphen verlassen, sondern bin oft lange und mühsame Wege gegangen, um die Wahrheit zu finden“, sagt  Rechtsanwalt Goldfine, der heute in Isral lebt, über sich selbst. Seit 50 Jahren ist Yitzhak Goldfine, geboren in Haifa und Spezialist für internationales Straf- und Wirtschaftsrecht, als Anwalt tätig.

 

 

Strafverteidiger und Autoren Yitzhak Goldfine (r.) und Peter Matthews (l.)

Strafverteidiger Yitzhak Goldfine (r.) und  Autor Peter Matthews (l.) (Foto: Cyril Schirmbeck)

 

 

Buena Vista Money Club

Der »Baulöwe« Dr. Utz Jürgen Schneider und seine Freunde in Bonn und Havanna Frau Segal gehörte zu der Art von Mandanten, die man nicht nur vor Willkür oder Ungerechtigkeit, sondern auch vor sich selbst schützen musste. Ihre Hilfsbereitschaft und Selbstaufgabe für eine Sache überforderte sie gelegentlich selbst. Tamar konnte gar nicht anders, als zu helfen. Und sie fühlte sich niemals als Opfer wie viele andere, die wegen ihrer Taten vor Gericht stehen.

 

Einem Mandanten ganz anderer Art begegnete ich im nun folgenden Fall. Hier war ich es, der oftmals an seine Grenzen geriet – nicht aus juristischen Gründen, auch nicht aufgrund der Größe der Beschuldigungen oder des Umfangs der Vorwürfe.  Selbst als hart gesottener Advokat, zu dem ich im Laufe der Jahre geworden war, konnte ich mir nicht vorstellen, dass ein Mann, der die Welt betrogen hatte, der erwischt wurde und nun im Gefängnis saß, einfach weitermacht wie bisher.

 

Während die Eine sich ein Leben ohne Empathie und Solidarität nicht vorstellen konnte, trieb den Anderen eine unstillbare Gier an. Sicherlich glaubte er, im Jenseits könne er sich von seiner Beute eine Passage oder ein Palais kaufen.

 

Schneider, ein Täter der Gruppe „Die Unfassbaren“

Schneider gehört zu einer Gruppe von Tätern, die ich die »Unfassbaren« nenne. Unfassbar, weil Vorwürfe an ihnen abperlen wie Regen an einem polierten Auto, unfassbar, weil sie die Schuld für ihre Niederlagen und Taten immer bei anderen suchen – und oft finden.

 

Ich hätte nicht ans Telefon gehen müssen. Als es klingelte, saß  ich am Schreibtisch, sah aus dem Fenster unserer Wohnung über die Dächer und Terrassen des Karmel, hinunter ins Wadi und zu den Straßen und Kränen und Schuppen des Hafens in der Bucht von Haifa. In der Ferne verschwammen Himmel und Meer zu einem unendlichen Blau. Es schien endlich mal sicher zu sein im Land, auch wenn von Frieden keine Rede sein konnte.

 

Ein Schwarm grüner Alexandersittiche flog zu dem Baum vor unserem Haus und machte einen Heidenkrach. Lizzi, unsere schwarze Katze, lag wie zu dieser Tageszeit immer auf der Fensterbank und verzog keines ihrer Schnurrhaare, sondern zuckte nur leicht mit den Ohren. Sie wusste, diese Papageien waren keine mögliche Beute. Die Vögel waren für sie zu schnell. Ihre Nester unter den Dachfirsten waren unerreichbar.

 

Deshalb wurden sie von ihr ignoriert. Wäre man nur so schlau wie die Katzen. Das Telefon lag auf dem kleinen Beistelltisch und klingelte. Ich überlegte einen Moment, ob ich rangehen sollte. Sicher war es ein Mandant. Dabei hatte ich mir vorgenommen, endlich meine Akten zu sortieren und keine neuen Fälle anzunehmen.

 

Anonymer Anruf zu offenen Rechnungen

Es klingelte weiter. Dann nahm ich den Hörer doch auf und meldete mich mit: »Hello?« »Herr Goldfine? Wie geht es Ihnen?« Ich erkannte die Stimme nicht, dessen Absender so freundlich vertraut tat, als hätten wir uns noch gestern auf ein Bier getroffen. Der Anrufer nannte keinen Namen, wie die Mitmenschen, die so von sich eingenommen sind, dass sie wie selbstverständlich davon ausgehen, dass man sie schon am Klingelton erkennt. Ich antwortete nicht, denn den betont vertrauten Ton benutzten oft auch Telefonverkäufer, die unter dem Vorwand anriefen, nachzufragen, ob man denn mit der Leistung ihrer Bank zufrieden sei, um dann eine Beratung vorzuschlagen und einen todsicheren Anlagetipp loszuwerden.

 

Der Anrufer begann nach einer kurzen Pause zu reden. »Sie erinnern sich vielleicht? 1995 Messeturm Frankfurt? Sie hatten da doch ein Büro, und ich habe Sie damals dort besucht.« Irgendein Glöckchen läutete leise, es meldete mir, pass auf, der Mann hat sich nicht verwählt. Ich ließ es bei der Anonymität und stellte mich auf eine Plauderei über das Wetter und vergangene Zeiten ein. Nein, geregnet hat es hier schon lange nicht mehr, sagte ich und machte einen Scherz: »Mein Onkel sagte immer, Israel ist ein tolles Land – zum Wäschetrocknen.« Der Mann am anderen Ende lachte und fragte beiläufig, ob ich etwas von unserem gemeinsamen Bekannten gehört hätte?

 

»Wen meinen Sie?«, entgegnete ich. »Sehr gut, ich hatte vergessen, Sie sind ja alte Schule«, sagte der Anrufer, ganz so, als hätte er keine Frage gestellt. »Keine Namen am Telefon. Verstanden. Aber wir haben ja beide mit ihm noch eine Rechnung offen. Oder?« »Ja?«, sagte ich zögernd.Der Anrufer plauderte unbekümmert weiter. »Er hat mich ja damals nicht nur um meinen Job, sondern auch um meine Ersparnisse gebracht. Wenn ich richtig informiert bin, hat er auch Sie nicht bezahlt.«

 

Langsam wurde ich hellhörig. Was wollte der Mann von mir? »Ich glaube, wir beide sind nun alt genug, dass wir die Sache richtig schmutzig zu Ende bringen sollten«, sagte er.

In meinem Schweigen summten lauter Fragezeichen. Was meinte er mit schmutzig? »Langer Rede kurzer Sinn, ich kann Ihnen sagen, dass, nennen wir ihn Taylor, noch Geld hat.« Er machte eine Pause. »Viel Geld. Und ich weiß, wie viel und wo. Man muss es nur abholen.«

Offenbar meinte er mit »man«, mich. Vor meinem Auge tauchte unser gemeinsamer Bekannter auf: ein Mann mit Glatze, in blauer Gefängniskleidung und mit halber Brille, die auf der Spitze seiner Nase saß. 0rt:Detention Center, Fort Lauderdale,

Florida. Zeit: August 1995. Er sah mich über die Brille an und sagte so etwas wie: »Glauben Sie mir, Herr Dr. Goldfine, die Banken haben mir alles genommen. Helfen Sie mir.«

Ich sagte zum Anrufer: »Und was soll ich mit der Information? Soll ich Sie vertreten, erteilen Sie mir ein Mandat, soll ich den Staatsanwalt informieren? Sie wissen, ich war sein Anwalt. Die Sache ist fast zwanzig Jahre her.« »Denken Sie nur an die Zinsen, die inzwischen aufgelaufen sind.« Der Anrufer lachte dabei und sagte:»Nein, nein. Ich möchte nur, dass Sie es wissen. Was Sie mit der Information machen, ist mir egal. Sie haben die folgende Information im Zweifelsfall auch nicht von mir. Wenn Sie jemand fragt, sagen Sie, Sie hätten es geträumt.«

 

 

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Peter Mathews, Ytzhak Goldfine: „Die Wahrheit hinter der Wahrheit“  19,90 Euro, 232 Seiten, Europa Verlag: http://www.europa-verlag.com/buecher/die-wahrheit-hinter-der-wahrheit/

 

Ich sah zu den Vögeln und stellte mir vor, dass ich bei einer Vernehmung auf die Frage, wer der Anrufer gewesen sei, sagen würde, er hatte grüne Federn auf dem Kopf und einen gelben Schnabel. Die Stimme sagte: »Ich nenne Ihnen jetzt eine Adresse und eine Konto-Nummer. Haben Sie etwas zu schreiben?«

 

Spätestens jetzt hätte ich auflegen sollen, um dann wie unsere Katze weiter ganz in Ruhe den Papageien zuzusehen. Das wäre vernünftig gewesen. Aber was ist schon vernünftig. Ich ging zum Sideboard, nahm einen Stift, fand auf die Schnelle keinen Zettel. Also nahm ich eine Zeitung, die meine Frau auf dem Tisch liegengelassen hatte.

 

„Ganz viele Erdnüsse“

Der Anrufer sagte mir den Namen der Bank, den Ort, eine Kontonummer. Mein Stift stockte: »Meinen Sie das im Ernst?« »Soll ich es buchstabieren? H-A-V-A-N-N-A, C-U-B-A« Dem Anrufer gefiel meine Sprachlosigkeit. Dann nannte er eine Zahl: »Vier-Null-Null.« Er meinte wohl, ich sei nicht so schnell von Begriff. Ich fragte nach. »Tausend?« »Ich bitte Sie. Schreiben Sie drei Nullen mehr. Es sind ganz viele Erdnüsse.« Er lachte wieder. Ich ließ beim Notieren die sechs Nullen weg.

 

Es war so, als hätte mir jemand so ganz beiläufig die Formel »Sesam, öffne Dich« zum Schatz des Ali Baba geflüstert. War es ein Djinni? War der böse Geist aus der Flasche entwichen und trieb nun mit mir seine Scherze? Um sicher zu gehen, wiederholte ich die Daten. Einen Moment überlegte ich, vielleicht war es auch ein Anruf der Sendung »Verstehen Sie Spaß?«.

 

Aber die gab es in Israel nicht. Ich fragte: »Warum sagen Sie das ausgerechnet mir?« »Ich bin mir sicher, Sie wissen was zu tun ist. Ich vertraue Ihnen. Es ist mir egal, was Sie mit der Information machen«, sagte der Anrufer. Es klang so, als hätte er ein diebisches Vergnügen dabei, mich in Versuchung zu bringen. Mir fiel nichts Besseres ein, als mich förmlich für die Nachricht zu bedanken und fragte: »Und wo kann ich Sie erreichen?«

 

Im Display stand „Anonym“

»Gar nicht. Ich wünsche Ihnen gutes Gelingen und Bon Voyage«, sagte er und legte auf. Ich blickte auf das Display, das für gewöhnlich die Nummer und den Namen des Anrufers anzeigte. Da stand: »Anonym«.

 

Die Papageien im Baum diskutierten die Lage, die Katze auf der Fensterbank tarnte ihren Frust mit Gelassenheit und döste weiter vor sich hin, und ich überlegte, was ich mit dieser Information anfangen sollte. Die Notiz auf dem Zeitungsrand war entweder ein Hit oder ein Scherz. Sie war so etwas wie ein alter rostiger Schlüssel, wie man sie im Souk von Jerusalem beim Trödler kaufen kann. Ein perfekter Schlüssel, zu dem es aber weder ein Schloss noch eine Tür gab. Mach es wie die Katze, dachte ich mir, lass die Vögel fliegen, das Frauchen füllt schon den Fressnapf. Vergiss es. Ich sah hinaus, die Papageien wechselten den Baum.

 

Aber die Sache ließ mir keine Ruhe, sie juckte mich wie ein Moskitostich. Und ich hatte, wenn die Information richtig war, nicht nur den Schlüssel, sondern auch die Adresse der Tür. Wenn es stimmte, was der Anrufer behauptete, hatte Schneider nicht nur den größten Betrug in der Geschichte der Bundesrepublik inszeniert, für den er von der 29. Strafkammer des Frankfurter Landgerichts verurteilt worden war, sondern er hatte anschließend auch noch das Gericht, die Banken, seine Gläubiger und nicht zuletzt seine Verteidiger, also auch mich, hereingelegt.

 

Der Name Utz bedeutet: In die Irre führen, verspotten

Aber das war zunächst nicht mehr als die Behauptung eines Fremden, ein Verdacht. Irgendwie konnte ich mir das bei diesem Mandanten zwar vorstellen, denn ich hatte ja lange genug mit ihm zu tun. Und wenn ich ein wenig abergläubisch wäre, hätte mir schon der Name des Mannes eine Warnung sein können. Dr. Utz Jürgen Schneider. Utz, das bedeutete im Jiddischen: jemanden verspotten oder in die Irre führen. Der Name entsprach ihm.

Andererseits hatte man ihn jahrelang observiert, sind ihm bis heute Steuer- und Personenfahnder auf der Spur. Es konnte eigentlich nicht sein, dass da noch etwas war. Vor allem nicht so viel. Wenn der Informant die Wahrheit sagte, war es eine Sensation. Falls nicht, würde ich mich bis auf die Knochen blamieren, wenn ich damit zum Gericht oder an die Öffentlichkeit gehen würde. Was also tun?

 

Mit Sonnenbrillen und ohne Namen

Die beiden Männer, die vor mir im Café saßen, waren trotz der sommerlichen Hitze korrekt gekleidet. Sie trugen helle Anzüge, der eine grau, der andere beige, passende Krawatten, nur die schwarzen Schuhe erschienen für hiesige Verhältnisse etwas klobig und für schlechte Wege gemacht. Sie waren so freundlich, ihre Sonnenbrillen vor sich auf den Tisch zu legen. Sie hatten sich nicht vorgestellt und nannten auch keine Namen. Es war, als würden wir über Gott oder Allah sprechen, jedenfalls über ein Wesen, das so bekannt war, dass man seinen Namen nicht zu erwähnen brauchte. Um welche Angelegenheit es ging, hatten sie nicht gesagt, als sie um einen Termin gebeten hatten.

 

Sie kämen extra aus Berlin und ihre Angelegenheit sei mit einem kurzen Termin zu besprechen. Ich bestellte sie ins Café, das um die Ecke von meiner Kanzlei lag. Ein öffentlicher Raum ist immer gut, wenn man sein Gegenüber nicht kennt. Ich hatte meiner Frau gesagt, wo ich zu finden sein und wie lange ich wegbleiben würde. Die Herren waren pünktlich, erkundigten sich nach dem Wetter und den Sehenswürdigkeiten. Ich wartete ab, was sie von mir wollten. Ich war freundlich, empfahl Hummus und Tee, sie folgten meiner Empfehlung. Ich sah sie erstaunt an, als sie davon sprachen, dass ich in der Lage sei, jemanden umzubringen. »Wie kommen Sie darauf?«, fragte ich. »Und wen?«

 

„Wir waren nie hier“

Die beiden Männer lächelten so, als wollten sie mir sagen, lassen wir die Spielchen. »Es geht das Gerücht, dass Sie Dinge wissen, die Ihnen anvertraut wurden, und Sie jetzt überlegen, ob Sie diese Informationen mit anderen teilen wollen.« Ich sagte, sie müssten schon etwas konkreter werden. »Sie wissen doch, was er für unser Land getan hat. Wir appellieren an Ihre patriotische Pflicht. Es ist doch auch Ihr Land, auch wenn Sie Israeli sind, Sie haben den deutschen Pass, soviel wir wissen. Er« – sie gingen davon aus, dass ich wusste, wen sie meinten – »hat viel für unsere Völker getan. Ohne ihn wäre die Wiedereinigung nicht gelungen. Und jetzt ist er alt und krank, und Sie haben es in der Hand, dass er seine letzten Tage in Ruhe zu Ende bringen und sein Geheimnis mit ins Grab nehmen kann.«

 

»Ach ja?«, sagte ich, »und was ist mit der Wahrheit?« Die beiden Herren fanden das komisch. »Wir möchten Ihnen Schwierigkeiten ersparen«, sagte der Mann im grauen Anzug. »Sie wissen doch, wie kompliziert das Urheberrecht ist. Auch wenn man etwas gesagt hat, kann man es noch lange nicht verwenden. Als Anwalt müsste Ihnen das vertraut sein.« »Drohen Sie mir?« »Wie kommen Sie darauf? Es ist nur ein guter Rat. Wie Sie vielleicht wissen, gab es vor kurzer Zeit einen Prozess, weil Dinge gedruckt wurden, die zwar gesagt, aber nicht autorisiert wurden.« »Ich habe nie mit ihm gesprochen«, sagte ich. Der ältere von Beiden zog einen 50 Schekelschein aus der Hosentasche, warf ihn auf den Tisch und setzte seine Sonnenbrille auf. »War nett, mit Ihnen geplaudert zu haben.« Auch der Mann im beigen Anzug stand auf und sagte: »Wir waren übrigens nie hier, und Sie haben recht.« – »Womit?« – »Der Hummus ist köstlich.«

 

Manchmal kommt es mir vor, ich würde tagsüber träumen. Dann sehe ich Männer mit Sonnenbrillen, die mich warnen. Komisch, dass sich später niemand daran erinnern kann. Ich realisierte, dass ich tatsächlich den Schlüssel zu einem der großen politischen Geheimnisse der Bonner Republik in der Hand hatte. Der Bauunternehmer und Investor Dr. Utz Jürgen Schneider war Ende der 1980er Jahre und besonders nach der Wende zum einem der größten Immobilienentwickler und Bauunternehmer der Bundesrepublik aufgestiegen und dann als Betrüger entlarvt worden.

 

Kredite ohne ernsthafte Prüfungen

Er kaufte Immobilien in bester Lage wie andere Leute Gemälde, renovierte und entwickelte die Bauten und »managte« sie zu höchsten Preisen. Politik und Presse feierten ihn als »Baulöwen«, er selbst sah sich als Vermögensverwalter. Er finanzierte seine Projekte mit dem Geld von über 50 Banken, die ihm meist bereitwillig und oft ohne ernsthafte Prüfung Kredite gewährten, die weit oberhalb des realen Werts der Objekte lagen. Gutgläubige und wohl mit Provisionen und Rückvergütungen reichlich versorgte Banker winkten seine Kreditanfragen durch, so dass er und seine Frau in seinem Firmenimperium insgesamt über 5,5 Milliarden DM Kredit verfügten und letztlich die Zinsen verdienen mussten.

 

Der Wert und die Mieteinnahmen der Gebäude standen schon bald nicht mehr im rechten Verhältnis zu den enorm hohen Finanzierungskosten, denn Schneider hatte Einnahmen und Grundstücksflächen fantasievoll manipuliert. Spätestens 1993 war ein Konkurs seines Imperiums absehbar, die Verluste häuften sich in dreistelliger Millionenhöhe. Auf dem Festgeldkonto summierten sich andererseits die gehorteten liquiden Mittel auf über 580 Millionen. Der Unternehmer Schneider realisierte dies und bereitete seinen Ausstieg vor.

 

Verhaftet in Florida, verurteilt wegen Betrugs

Zuerst brachte er hunderte Millionen DM und dann im April 1994 sich und seine Frau mit Hilfe teurer Freunde in Florida in Sicherheit. Nach knapp einem Jahr verhaftete man ihn in Miami ausgerechnet vor einer Bank und beschlagnahmte umgerechnet 245 Millionen DM in Genf. Er kam vor Gericht und wurde wegen Betrugs verurteilt. Soweit ist die Geschichte allgemein bekannt.

Heute lebt Dr. Utz Jürgen Schneider als Pensionär und Unternehmensberater in einem schönen Ort am Rhein in prominenter Lage. Das Namensschild an seiner Haustürklingel hat er überklebt. Wenn man an der Tür klingelt, öffnet er vielleicht sogar selbst, ein älterer Herr in Strickjacke, der kein Toupet mehr trägt, aber immer noch über seine auf die Nase geschobene Brille blickt.

 

FAZ: „Der beliebteste Betrüger Deutschlands“

Die FAZ nannte den Immobilienmogul einmal »den beliebtesten Betrüger Deutschlands«, weil er als »kleiner« Betrüger die großen Banken hereingelegt hatte, was bei Nichtbetroffenen für Schadenfreude sorgte. Schneider gibt auch heute noch gern den Chuzpenik. Im Jiddischen bezeichnet man so einen Mann, der Vater und Mutter erschlägt und dann um mildernde Umstände bittet, weil er ja Vollwaise ist. Schneider ist in diesem Sinne einer, der die ganze Welt betrogen hat und sich darüber beschwert, dass es keine ehrlichen Menschen mehr gibt. Jedenfalls hat er in seinen Memoiren ein solches Bild von sich gezeichnet.

 

„Bekenntnisse eines Baulöwen“

Über den »Fall Schneider« wurden Bücher und Theaterstücke geschrieben, Filme gedreht, der Focus zahlte einen Millionenbetrag für ein Interview mit Dr. Schneider an einen Münchener Anwalt, und Der Spiegel dokumentierte die Affäre in einer dreiteiligen Serie. Dr. Utz Jürgen Schneider ist nach eigenen Angaben geläutert, ohne Vermögen und angewiesen auf Zuwendungen seiner Frau und guter Freunde. Gelegentlich gab er jungen Unternehmern Tipps – und geriet prompt wieder in die Schlagzeilen, weil er windige Finanzierungen anbot. Der Bauunternehmer und verurteilte Betrüger pflegt sein Image als Biedermann, hat in seinen Memoiren »Bekenntnisse eines Baulöwen« seine Betrügereien als kleinen Streiche gefeiert und möchte sonst in Ruhe gelassen und nicht mehr an die »schlimmsten Zeiten seines Lebens« erinnert werden.

 

Der Mann hat einen Grund, sich rar zu machen. Denn er hat offenbar immer noch etwas zu verbergen. Etwas mit sehr vielen Stellen vor dem Komma. Schneider wurde in einem großen Prozess von einem kundigen Richter, der die Mitschuld der Banken an diesen Geschäften sehr wohl erkannte, wegen Betrugs zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Zwei Jahre wurden für die elf Monate in US-Abschiebehaft angerechnet. Vom Rest verbrachte er zwei Drittel – inklusive längerer Krankenhausaufenthalte – in der JVA Preungesheim.

 

Kein Gerichtsverfahren mehr – wegen Schneiders Verhandlungsunfähigkeit 

Er hat nach seiner Haft mehrere Bücher geschrieben, beriet danach andere Unternehmer – war wieder in kleinere Betrügereien verwickelt und wurde wegen sechs Betrugsfällen angeklagt. Auf die Anklagebank musste er jedoch nicht wieder, wie die FAZ am 1. 1. 2015 berichtete: »Das Bonner Landgericht hat das Betrugsverfahren gegen den heute 81-jährigen wegen Verhandlungsunfähigkeit eingestellt, sagte ein Gerichtssprecher …. Mehrere Gutachten seien zu dem Ergebnis gekommen, dass der einstige Bauunternehmer an verschiedenen Erkrankungen leide und einen Prozess nicht durchstehen könne. Eine Besserung sei nicht zu erwarten.«

 

Von dem riesigen Geld- und Immobilienvermögen sind ihm außer Schulden nichts geblieben. Sagt er. Er hat Chuzpe, denn seine Version ist, wie ich es sehe, nicht einmal die halbe Wahrheit. Der andere Teil meiner Indizienkette und die Fortsetzung der Geschichte, wie sie sich möglicherweise zugetragen hat, folgen hier.

 

Jüdische Geschichten

Wenn zwei alte Juden zusammenhocken, ist die Luft voller Geschichten und Witze, sie stecken im Brot und im Wein, in den Falten der Kleider und den Locken der Männer. Eine solcher Geschichten geht so: Josele soll Geld aus der Kasse der Synagoge geklaut haben. Wenigstens erzählt Moishe das überall herum. Josele hört, was über ihn geredet wird, und beschwert sich beim Rabbi wegen der üblen Nachrede. Der Rabbi ruft Moishe zu sich und sagt: »Moishe, hast Du einen Beweis, dass der Josele hat genommen Geld aus der Kasse von der Synagoge?« Moishe druckst herum und sagt. »Woher soll er haben sonst das Geld, wo der doch sonst nur liegt auf die faule Haut?« Der Rabbi sagt: »Moishe, dann kannst Du das nicht sagen. Du wirst an Sabbat vor der Gemeinde sagen: Josele hat kein Geld von der Kasse der Synagoge gestohlen.« Moishe überlegt und ist schließlich einverstanden. Beim Gottesdienst kommt der Moment der Wahrheit, und der Rabbi fordert Moishe auf, vor der Gemeinde zu sprechen. Moishe steht auf, tritt vor die Gemeinde und sagt den vom Rabbi vorgegebenen Satz – aber als Frage: »Josele hat kein Geld von der Kasse der Synagoge gestohlen?«

 

Schneiders Idee: Ins Judentum übertreten?

Es kommt eben manchmal auf die Betonung an. Ich erinnerte mich daran, dass Herr Schneider mich einmal im Gefängnis ganz unvermittelt gefragt hatte, ob es ihm eigentlich im Auslieferungsverfahren nützen würde, wenn er zum Judentum übertreten würde. Er hatte nämlich gehört, dass der Bürgermeister, der Staatsanwalt und auch der Gefängnisdirektor in Miami Juden waren. Ich sagte ihm damals, das sei keine gute Idee und außerdem nicht einfach. Er erwiderte knapp: »Ok, dann eben nicht.«

Ich hatte tatsächlich noch Honorar vom Doktor zu bekommen. Schneider hatte mich damals monatelang beschäftigt, mir Geld für die laufenden Kosten gegeben, mich aber letztlich nicht bezahlt. Dabei hatten wir einen Vertrag. Schneider behauptete, er habe kein Geld und würde mich später reichlich belohnen. Die inhaftierten Eheleute Schneider wollten unbedingt einen Vertrag mit mir, damit ich sie im Gefängnis nicht allein lasse, und machten einen Vorschlag. Sie schrieben am 19. Oktober 1995 eine Vereinbarung per Hand auf Gefängnispapier, nachdem ich bereits fünf Monate für sie tätig war – und sie inzwischen andere Anwalte engagiert und entlassen hatten.

Schneider behauptete später, das wäre unter Druck geschehen. In seinen Memoiren (»Bekenntnisse eines Baulöwen«, S. 218) schrieb er: »Eines Tages rückte Goldfine mit einem Vertrag heraus, der ein Erfolgshonorar vorsah: Zehn Prozent allen Vermögens inklusive zu erwartender Erbschaften sollten wir ihm bei Freilassung überschreiben. Das konnten wir nicht akzeptieren. Claudia war empört. Schließlich unterzeichneten wir beide dann doch in der Überzeugung, dass ich den Vertrag hinterher wegen Sittenwidrigkeit für null und nichtig erklären lassen könnte, falls er je zur Anwendung kommen sollte.«

 

Die Methode: Die anderen als gierig und sich selbst als Opfer hinstellen

Ich bezweifle, dass er jemals die Absicht hatte, mich zu bezahlen. Sich selbst zum Opfer machen und andere als gierig darstellen, das gehörte zu Schneiders Methode, von sich abzulenken. Ich hatte ihn weder gezwungen noch genötigt, der Vertrag wurde handschriftlich verfasst und mit Zusätzen versehen. Sittenwidrig war der Vertrag nicht, denn in den USA und vielen Ländern der Welt – außer in Deutschland – sind Erfolgsbeteiligungen für Anwälte die Regel. Nun waren damals zehn Prozent von Nichts gar nichts und so etwas wie für meine Katze die Papageien in der Palme gegenüber.

 

Schneider macht aus Mithelfern Komplizen

Mir ist es damit nicht anders ergangen als all seinen Vertrauten. Solange es sich um das Geld anderer Leute handelte, war Schneider immer großzügig. Er verteilte gern, was er kurz zuvor erbeutet hatte, und machte so seine Mithelfer zu Komplizen oder gab ihnen das Gefühl, ihm etwas schuldig zu sein. Selbst in seinen Briefen, mit denen er seinen Mitarbeitern seine Flucht zu erklären versuchte, versicherte er, dass er die persönlich gegebenen Zusagen »in geeigneter Weise« einhalten werde, und bat um Vertrauen.

 

Ein 20 Jahre alter handschriftlicher Vertrag als Wertpapier

Nun sollte sich aber nach fast zwanzig Jahren der handschriftliche Vertrag vielleicht doch noch als Wertpapier herausstellen. Denn zumindest hatte ich mit diesem Dokument etwas in der Hand, was mich in die Lage versetzte, einen Anspruch auf Auskunft über das aktuelle Vermögen des Mandanten zu erlangen. Zunächst dachte ich mir, ich schreibe an Schneider und bringe mich in Erinnerung. Man soll den Menschen immer eine Chance geben. Also schrieb ich ihm eine E-Mail: »Sehr geehrter Herr Schneider, aus Haifa möchte ich Ihnen meine besten Wünsche für Sie und Ihre Familie anlässlich des Osterfestes übersenden.« Am Ende bat ich ihn um einen Termin für ein Gespräch.

Er antwortete postwendend. In einer Mail (vom 25. 04. 2014) bedankte sich für die Grüße und teilte mit, dass es ihm etwas besser gehe. Da ich einige Jahre nicht mit ihm gesprochen hatte, wusste ich nicht, was er mit »besser« meinte. Besser als wann? Möglicherweise meinte er die Gefängniszeit in Miami vor zwanzig Jahren und die besonderen Umstände seiner damaligen anwaltlichen Begleitung. Aber inzwischen habe er das alles abgehakt. Und dann schrieb er noch, er könne mit dem von mir angedeuteten Vorhaben sowieso nichts anfangen. Angedeutet hatte ich in der Mail gar nichts, aber mein ehemaliger Mandant wusste natürlich, worum es ging – seine Schulden. Auch ein Anruf einige Tage später blieb freundlich, aber unverbindlich.

 

Keine schlafenden Hunde wecken

Er war ganz sicher der Meinung, dass ich, der zwanzig Jahre die Füße stillgehalten hatte, nun nicht nach seinem Schatz graben würde. Ich sagte ihm auch nicht, was ich vorhatte, denn wie heißt es so schön: Man soll keine schlafenden Hunde wecken. Mich hatte der Djin gepackt, und ich reichte beim Gericht in Tel Aviv eine Klage auf Auskunft über die Vermögensverhältnisse von Dr. Schneider ein. Ihr wurde stattgegeben, und damit hatte ich ein deklaratorisches Urteil in der Hand, das meine Ansprüche bestätigte und Recherchen auch bei der vom Unbekannten genannten Adresse ermöglichte. Theoretisch.

 

Ein Anruf aus Miami

Im Mai 1995 war ich in Jerusalem in einer rechtlich und politisch heiklen Mission unterwegs. Eine ehemals in Israel lebende Familie arabischer Christen hatte mich beauftragt, beschlagnahmte Grundstücke, die auf vom israelischen Militärbesetzten Gebiet lagen, zurückzufordern und zu verkaufen. Ich war gerade dabei, mich in den Fall einzudenken, Leute zu treffen, mir die besagten Immobilien anzusehen, als ein Anruf aus Miami kam.

Roma Theus, ein Anwalt der Kanzlei »Holland and Knight« aus Fort Lauderdale in Miami war vom Gericht beauftragt, Dr. Schneider und seine Frau im Auslieferungsverfahren zu vertreten, und suchte einen Anwalt, der die Interessen des Ehepaars in Deutschland wahrnehmen konnte. Dr. Utz Jürgen Schneider und seine Frau Claudia waren am 18. Mai in Miami von Zielfahndern des Bundeskriminalamts entdeckt und vom FBI in Amtshilfe kurioserweise vor einer Bank verhaftet worden. Der Haftbefehl lautete auf Betrug in besonders schweren Fällen.

 

Schon elf Monate untergetaucht

Die Schneiders waren bereits elf Monate untergetaucht, und man suchte überall auf der Welt nach ihnen. Man vermutete sie in Teheran, auf Mallorca oder in Paraguay. Die Fahnder hatten sich schließlich an die Fersen von Luigi Poletti geheftet, der so etwas wie Bote, Betreuer und Aufpasser der Flüchtigen war. Er hatte sie mit Geld versorgt, Nachrichten transportiert und war die Verbindung zu dem überaus dubiosen Dr. Moss, einem Ägypter mit dem Geburtsnamen Mustafa El-Kastaui3 aus Genf, der sich allerbester Kontakte sowohl in die politische High-Society wie auch in die Unterwelt rühmte. Dr. Moss verwaltete die Fluchtkasse der Schneiders, gab Luigi Geld, wovon dieser Flugtickest und die Dinge des täglichen Lebens kaufte und die Miete für die Appartements in Florida bezahlte.

 

Schneider vermutete allerdings später, dass die deutsche Polizei schon länger wusste, wo er sich aufhielt, und sie ihn erst verhaftete, als er sich per Tonband über die ZDF-Sendung »Frontal 21« an die 3 Mostfafa El-Kastaui, alias Dr. M. K. Moss, geb. am 26.8.1940 in Damanhour, gest. am 19.4.2005 in Genolier, Schweiz. Öffentlichkeit gewandt hatte. Man wollte ihn zum Schweigen bringen, so seine Behauptung. Ob ihn seine Komplizen ans Messer lieferten, oder wer den Tipp gab, wird wohl das Geheimnis der BKA-Fahnder bleiben.

 

Schneider hatte Theus und seinem Sohn Nico sofort nach seiner Verhaftung den Auftrag erteilt, in Deutschland einen Anwalt zu suchen, der sie sowohl bei dem Auslieferungsverfahren wie auch im Strafverfahren in Deutschland vertreten konnte. Er hatte panische Angst, unvorbereitet und ohne entscheidende Dinge geregelt zu haben, in deutsche Untersuchungshaft zu kommen. Herr Schneider entschied sich – angeblich gegen den Rat seines Sohnes Nico – für mich, obwohl wohl alle Strafverteidiger Deutschlands – wie Roma Theus mir sagte – sich um das Mandat reißen würden.

 

Die Aussicht: Schlecht gelaunte Wächter und nervöse Mandanten

Ich saß im Restaurant von Abu al-Shukri in der Altstadt von Jerusalem, trank nach dem Essen einen Mocca mit Kardamom, naschte vom allgegenwärtigen Humus und nahm die Gerüche, Genüsse und Gefahren dieser geistigen Metropole der Welt in mich auf. Es war irgendwie meine Stadt, hier hatte ich studiert, um diese Stadt hatte ich gekämpft. Die Aussicht, einige Wochen oder Monate in neonbeleuchteten Besprechungszimmern, klimatisierten Hotelzimmern bei Dosenbier und Fast Food mit schlecht gelaunten Wächtern und nervösen Mandanten zu verbringen, reizte mich nicht besonders.

 

Ich lebte zu der Zeit in der Nähe von Hamburg und überlegte wiederholt, ob ich mit meiner Familie nicht doch wieder nach Israel, in das Land meiner Herkunft übersiedeln sollte; das Wetter war einfach besser. Letztlich ist das Wetter in Florida aber auch nicht schlecht, redete ich mir die Sache mit Schneider schön. Und die Aussicht, Anwalt in einem Milliardenbetrugsverfahren zu sein, ist so ähnlich, als würde einem Schauspieler die Hauptrolle in einem Hollywoodfilm angeboten. Es war ein Angebot, dass ich schlecht ausschlagen konnte. Dass es vom Bau-Paten persönlich kam, ahnte ich nicht wirklich. Und Roma Theus lobte mich, sagte, wie toll ich den Fall Rust gelöst hätte, dass der Fall Schneider schwierig sei und einen international erfahrenen Strafverteidiger wie mich benötige.

 

Ein Grund, warum man auf mich gekommen war, war wohl auch, dass ich bereits in den USA wie in Deutschland Fälle betreut hatte, Deutsch und Englisch beherrschte. Mein zukünftiger Mandant konnte kein Englisch, und die Verständigung selbst mit seinem Anwalt, geschweige denn mit dem Richter in Miami, gestaltete sich schwierig. Das Gericht protokollierte dann auch, dass dem Verhafteten seine Rechte wohl vorgelesen worden seien, er aber zu verstehen gegeben habe, dass er nicht verstanden hatte, was er anschließend unterschrieb. Außerdem drängte die Zeit, denn der Distriktsrichter hatte dem Anwalt bis zur nächsten Anhörung am 1. Juni, 14 Uhr, Zeit gegeben, einen deutschen Anwalt zu präsentieren.

Der Kellner fragte, ob ich noch ein Dessert, vielleicht Halva möchte. Nein Danke, sagte ich, denn der Honig, den mir der Anwalt aus Miami um das Kinn geschmiert hatte, reichte mir. Ich sagte zu, mir die Sache zu überlegen.

Als ich am Abend meinen Freund Micha traf und ihm erzählte, um welche Summen es bei dem Fall ging, sah er mich an. »Das ist gefährlich«, sagte er. »Warum?«, fragte ich, »es ist eine Wirtschaftssache von Leuten in feinen Anzügen. Da gibt es keine Toten.« Micha antwortete: »Bei den Summen ist der Mob nicht weit. Aber wie Du meinst. Ich bitte Dich nur, einige Vorsichtsmaßnahmen einzuhalten.«

»Eine Sonnenbrille habe ich. Mich erkennt niemand«, sagte ich. Micha lächelte, wie in solchen Fällen immer, nämlich ziemlich eisig. »Du kaufst Deine Flugtickets am Schalter im Flughafen und zahlst bar. Du buchst kein Hotel, sondern entscheidest Dich erst vor Ort. Du telefonierst bei wichtigen Dingen mit einem Prepaid Handy. Du wechselst die Taxis. Du zahlst im Hotel im Voraus. Und machst keine Zufallsbekanntschaften.« »Warum?«, fragte ich. »Ist besser«, erwiderte Micha.

Vielleicht sollte ich erwähnen, dass Micha Privatdetektiv und Personenschützer ist. Er verdient sein Geld damit, den Leuten Sicherheit zu bieten. Das ist in Israel ein durchaus lohnendes Geschäftsmodell. Bevor er sich selbstständig machte, war er wie alle Sicherheitsleute bei der Armee. Er war sich dort für keinen Job zu schade. Er hatte als »Seal« im Sechs-Tage-Krieg gedient und sich unter Wasser nicht nur die untergegangene Bibliothek von Alexandria angesehen. Später war er Undercover-Agent und Detektiv der Polizei in Tel Aviv, dann Ausbilder beim FBI. Jetzt arbeitete er als Bodyguard.

»Wenn ich Probleme bekomme, melde ich mich«, sagte ich ihm. In heiklen Fällen vertraute ich mich ihm immer an. Mit ihm hinter oder neben mir, konnte ich ganz meinen Gedanken nachgehen, er regelte den Rest und hielt mir den Rücken frei.

»No Problem«, sagte er. Ich glaubte nicht, dass ich ihn brauchen würde. Aber dann wurde er sehr nützlich. Ich machte, was ich in Jerusalem noch tun musste, kehrte nach Hamburg zurück und versuchte, jede greifbare Information über den Fall zu bekommen. Das Bild, das von den Schneiders in der Öffentlichkeit gezeigt wurde, war erbärmlich. Es entsprach so ungefähr dem Foto, das die örtliche Polizei von den Inhaftierten veröffentlicht hatte. Ein älterer verschwitzter Mann mit Halbglatze, der zu lange ohne Schutz in der Sonne gesessen hatte. Das Foto seiner Frau war nicht vorteilhafter. Sie trug ein T-Shirt, kam nicht vom Friseur, sondern wurde vom Esstisch weg verhaftet. Etwas hilflos wirkten sie, ganz im Gegensatz zu den bebilderten Artikel über die Herren der Deutschen Bank, die in ihren tadellosen Anzügen auch bessere Fotografen beschäftigten als die State Police von Miami.

 

Der Gesundheit zuliebe nach Miami

Schneider schien das zunächst nicht zu stören, hatte er doch in seinem Tonband, das er dem ZDF zugespielt hatte, in der Rolle der verfolgten Unschuld sehr überzeugend gewirkt. Er hatte auch die Legende verbreitet, dass er nach Miami gegangen war, um seiner angegriffene Gesundheit eine Chance zu geben. Man bekam jedoch schnell heraus, dass sein Partner El-Kastaui ein Appartement in Miami besaß, ein Schulfreund von Schneider dort wohnte und dass sich der Halbbruder von Frau Claudia schon vor Monaten dort nach einer Bleibe umgesehen hatte. »Zufällig« machten dort auch gerade die Schneider-Kinder Urlaub, obwohl sie doch gar keine Ahnung hatten, wo ihre Eltern waren. Ansonsten beherrschten Berichte über das angebliche Luxusleben der Flüchtigen die Seiten der Zeitungen.

Die Besprechungszimmer im Detention Center in Miami sahen aus wie die Wartezimmer einer billigen Zahnarztpraxis ohne Gardinen. Man durfte nichts mit hinein nehmen, Getränke und Snacks gab es im Automaten, und bevor man auf seinen Mandanten traf, musste man diverse Schleusen passieren. Die Gefangenen wiederum hatten sich vor und nach dem Besuch komplett auszuziehen, es wurde von den robusten Wärtern in jede Kleider- und Hautfalte geguckt. Aber Küssen durften die Besucher die Gefangenen, jedenfalls stand das in der Besucherverordnung.

 

Der Baulöwe, der zufrieden wirkte – und nicht wie ein Sünder

Der Gefangene, der in diesem Etablissement »Jurgen« genannt wurde, war froh mich zu sehen. Der Baulöwe hatte eine lichte Mähne, trug Anstaltskleidung und trat mir gegenüber, als würde er mich in einer seiner Immobilien begrüßen. Er machte auf mich nicht den Eindruck eines Sünders, sondern den eines zufriedenen Mannes. Man hatte ihn zwar eingesperrt, sein Leben war nicht komfortabel, er trug Gefängniskleidung, aber er war da, wo er sich selbst stets sah, in der Mitte des Geschehens und der Aufmerksamkeit.

 

Es gibt im Orient einen Spruch, der lautet: »Hüte dich vor dem, der sagt, er habe keinen Hunger.« Denn obwohl Schneider immer abstritt, dass er in die Öffentlichkeit strebte, war er eitel und achtete sehr darauf, welches Bild von ihm in den Medien erschien. Es war eine gespielte Bescheidenheit, und auch die Fama, dass er alles gemeinsam mit seiner Frau machte, war soweit richtig, dass sie alles mit unterschrieb. Der Grund war einfach: Claudia Schneider-Granzow hatte das Startkapital des Unternehmens in die Ehe eingebracht, gehorchte und haftete nun.

 

Wir kamen schnell zur Sache, denn auch wenn er versuchte, als souveräner Herr des Verfahrens zu erscheinen, war er doch bemerkenswert nervös, denn im Gefängnis war er all seiner Handwerkszeuge und Zuarbeiter beraubt. Ich sollte ihm nun in den folgenden Wochen und Monaten all das ersetzen. Er wollte von mir, dass ich ihm Geld, Besitz, Reputation und Freiheit zurück verschaffe. Seine beiden anderen Helfer, der iranische Teppichhändler und Mathematiker Mehmet Djawardi und der – ich nenne ihn mal Impresario der internationalen Geldwäsche und des Waffenhandels – ehrenwerte Dr. Moss, verloren so schnell das Interesse an ihrer Geldkuh wie ein Milchbauer an einem Trockensteher.

 

Der Plan

Mir wurde relativ schnell klar, dass dieses Verfahren zu einem großen Teil auch in der Öffentlichkeit entschieden werden würde. Ich las die Akten, die Vorwürfe, alles, was ich greifen konnte, und legte meinen Mandanten einen Plan vor. Der lautete ganz schlicht und setzte auf ein mehrteiliges Vorgehen.

Erstens: Schneider wollte solange in den USA bleiben, bis die Verteidigung stand. Dazu brauchte man einen erfahrenen Anwalt in den USA, der die Auslieferung solange wie nötig verhinderte.

Zweitens: Ein Team von Strafverteidigern in Deutschland musste sich auf den Prozess vorbereiten.

Drittens: Aufgrund der Verstrickung der Deutschen Bank erschien es zu dem Zeitpunkt denkbar, sich mit deren Führung außergerichtlich zu einigen.

Wenn man genügend Material über die Mitverantwortung der Banken beibringen könnte, wären die Banker vielleicht bereit, sich außergerichtlich zu vergleichen.

Wenn  nicht, würde man Viertens versuchen, die Verantwortlichen im Vorstand, dass heißt zum Beispiel Hilmar Kopper und Dr. Weiss, persönlich in den Fall zu ziehen, denn Fünftens: Nichts fürchteten Banker und Politiker so sehr wie schlechte Presse.

 

In der Vergangenheit Banker bestochen, sagte er

Schneider selbst sprach, davon, dass er in der Vergangenheit Banker bestochen und etlichen Politkern, besonders in der Regierung, »geholfen« habe, weshalb er damit rechne, dass ihm das in zumindest verbaler Unterstützung zurückgezahlt werden würde. Er erzählte stolz, wie er mit dem Bundeskanzler Kohl eine halbe Stunde in der Zeilgalerie gesprochen hatte. Nicht nur als alte Korpsstudenten, sagte Schneider, nein, konkret über den Aufbau Ost und wie schwer es seine Partei dort hat.

Ein kämpfender Mandant war mir einerseits sehr recht, andererseits war es etwas unheimlich, wie sehr er mir nach wenigen Besuchen den Eindruck vermittelte, auf mich und nur auf mich allein käme es jetzt an. Ich quartierte mich im Hotel ein, und die Rezeption war schon bald mein zweites Büro. Faxe, Telefonanrufe und vor allem Journalisten ließen mir kaum Ruhe.

 

Drohanruf in USA

Ein Telefonanruf unbekannter Herkunft war etwas merkwürdig. Da sagte jemand am Telefon: »Wenn Du weiter den Schneider vertrittst, verlässt Du die USA nicht lebend.« Ich erinnerte mich an die Warnung von Micha und hatte gar keinen Kopf, mich darum zu kümmern, ob hinter mir jemand die Klingen wetzte. Also rief ich meinen Freund an, der setzte sich in das nächste Flugzeug nach Miami und schlief fortan auf einer Matratze hinter der Zimmertür. Niemand bedrohte mich mehr, vielleicht weil mein Schutzengel da war, oder weil sich jemand einen üblen Scherz erlaubt hatte. Jedenfalls wurde Michas Aufenthalt in Florida aus ganz anderem Grund wichtig.

Ich hatte bald ungehinderten Zugang zu dem Gefängnis und bekam vom Direktor einen »General Visitors«-Ausweis, der mit erlaubte, meine Mandanten zu besuchen, wann immer ich wollte. Micha begleitete mich. Das war zwar nicht nötig, denn im Gefängnis konnte nichts passieren. Da er aber andernfalls vor der Tür hätte warten müssen, kam er mit. Gleich bei seinem ersten Besuch waren sich die Schneiders und Micha sympathisch. Vielleicht lag es daran, dass Micha sagte: »Oh, Schneider, der Geburtsname meiner Mutter ist auch Schneider. Vielleicht sind wir verwandt.« Möglicherweise war Jürgen Schneider auch beeindruckt, einem echten israelischen Kämpfer gegenüberzustehen, wer weiß. Den Grund kennt nur er, und manchmal weiß man eben nicht, warum es zwischen Menschen »klickt«.

Micha hörte gern zu. Während ich zusehen musste, die richtigen Formulare auszufüllen, Formulierungen für Anträge zu finden und den großen Plan im Auge zu behalten, konnte Schneider mit Micha plaudern, wenn auch in einem sehr rudimentären Englisch. Schneider erzählte, dass er, als er verhaftet wurde, dachte, man wolle ihn kidnappen. Die Polizisten waren in Zivil. Erst nach Stunden hätte er realisiert, dass Interpol und das Bundeskriminalamt hinter der Sache standen.

 

„Es wird kein Gerichtsverfahren geben“, sagte Schneider

»Du verstehst nicht. Ich will nach Deutschland zurück. Ich werde da ›big noise‹ machen«, sagte Schneider zu meinem Bodyguard. »Aber man wird Dich einsperren und vor Gericht stellen«, sagte Micha. Schneider antwortete: »Es wird kein Gerichtsverfahren geben.

Ich habe Freunde in der Regierung. Freunde ganz oben, es kommt nicht zum Prozess.« An einem anderen Tag sagte er, als er mit Micha allein war, dass seine Frau nicht alle Einzelheiten kennen würde, aber er habe Beziehungen zu jemandem »der an der Spitze der Pyramide sitzt – das ist Helmut Kohl. Ohne solche Freunde kannst Du nicht arbeiten«, sagte er. Micha entgegnete, dass ihm nach seiner Einschätzung kein Politiker mehr helfen könne, die Sache sei bereits öffentlich.

Schneider schmunzelte und sagte: »Auch in Deinem Land gibt es Leute in der Wirtschaft, die Freunde an höchster Stelle haben. Diese ›Freunde‹ sind so eine Art Partner und kosten Geld.« Micha sah ihn skeptisch an, aber Schneider ergänzte: »This guy (er meinte Kohl) wird alles tun, um was ich ihn bitte, oder ich packe ihn an den Eiern.« Er lachte. »Das schmerzt, weißt Du«, dabei machte er eine Geste, als würde er etwas zerdrücken.

 

Schneider über Helmut Kohl

»Wenn ich falle, wird die Regierung stürzen. Das will keiner.« Er nickte triumphierend. Später sprach auch ich mit Schneider über Kohl. Er zählte auf, was er Kohl als Spende für die CDU gegeben hatte, es war in etwa die Summe, für die später im Untersuchungsbericht des Bundestages der Spender fehlte. Er steigerte sich in die Vorstellung hinein, er könne sich damit vor dem Gefängnis retten oder Kohl stürzen. Ich blieb skeptisch.

Als Kohl später unter Druck geriet und wegen Parteispenden von einem Untersuchungsausschuss des Bundestages befragt wurde, sagte er: »Die Spender haben mir ausdrücklich erklärt, dass sie diese Spende, die ich dringend brauchte angesichts der Finanzlage der CDU, nur geben, wenn es nicht in die Spendenliste kommt« (Deutscher Bundestag Drucksache 14/9300, S. 203). Bei diesen Spenden habe es sich, wie er weiter aussagte, um Bargeld gehandelt, dass er in den Jahren 1993 bis 1998 in Briefkuverts dem zuständigen Mitarbeiter Hans Terlinden im Konrad-Adenauer-Haus jeweils ausgehändigt habe. Der Name Dr. Utz Jürgen Schneider oder eines der mit ihm verbundenen Unternehmen tauchte in keiner der Listen des Untersuchungsausschusses auf.

Am Ende der dritten Woche von Michas Aufenthalt hatte Schneider handschriftlich einen Brief an Prof. ööö formuliert. Rupert Scholz war ein enger Vertrauter Kohls, Die mündlichen Zitate (aus dem Engl. übersetzt von PM) sind einer Eidesstattlichen Erklärung von Micha Rotem vom 7.10.2003 entnommen, die vor einem Anwalt abgegeben und von einer Notarin beurkundet wurde. Außerdem wurde er über diese Aussage von Dr. Tuyva T. Amsel einem Lügendetektortest unterzogen. bis 1989 Verteidigungsminister und zu der Zeit stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU /CSU-Fraktion im Bundestag.

 

Die Bitte an Rupert Scholz, zu vermitteln – die ihn nicht erreichte

Ich kannte ihn aus meiner Zeit, als ich an der Freien Universität in Berlin forschte. Mit Datum 25.September 1995 schrieb Dr. Jürgen Schneider an den sehr geehrten Herrn Prof. Rupert Scholz und beklagt sich bei ihm, dass die Deutsche Bank ihn in eine »sehr schwierige Lage« gebracht habe, weshalb er nun gezwungen sei, sich an die Öffentlichkeit zu wenden. In freundlichen Worten führte er aus, dass er über »intensive Kenntnis über die Arbeit der Banken, die Situation anderer Wirtschaftsteilnehmer und deren Verflechtungen« verfüge und es doch bedauerlich wäre, wenn das bekannt würde. Er schrieb, dass die Banken und die Politik in eine unangenehme Lage kämen, wenn er gezwungen sei, seine Informationen offen zulegen. »Der offene Streit muss also beendet werden, bevor es zu spät ist.« Abschließend bat er den Vertrauten des Bundeskanzlers, als Vermittler tätig zu werden.

Der Brief sollte ohne Frage den Bundeskanzler erreichen und war schlicht eine Drohung. Micha Rotem bekam den Auftrag, den Brief persönlich zu übergeben. Er flog nach Deutschland, verabredete auch einen Termin, aber Dr. Scholz bekam er nicht zu sehen. Der musste, als es soweit war, »leider, leider« kurz vorher zu einem dringenden anderen Termin. Da Schneider ihm aufgetragen hatte, den Brief nur persönlich zu übergeben, erreichte er den Empfänger nicht.

 

Schneider: Mehrere hundert Seiten Verteidigungsstrategie

In seinem Appartement in Miami war Dr. Jürgen Schneider vor seiner Verhaftung bienenfleißig gewesen. Unter anderem arbeitete er eine mehrere hundert Seiten umfassende Verteidigungsstrategie aus. Zunächst schrieb er alle seine Gedanken und Planspiele per Hand auf. Da spielte er seine Argumente durch, wägte ab und überlegte, wie seine Gegner und Partner reagieren würden. Dann legte er seine Verteidigungslinie fest und übertrug sie auf einen Computer. Der Report I wurde im August 1994 mit 100 Seiten, Report II im Oktober 1994 mit 120 Seiten und Report III im Dezember mit 205 Seiten (plus Anhang) fertiggestellt und war jeweils adressiert an »Sehr geehrte Herren«.

Allerdings ist unklar, ob diese Herren der Vorstand der Deutschen Bank, der Konkursverwalter oder sonst wer waren. Angeblich hatte Jürgen Schneider nach eigener Aussage zu dieser Zeit außer zu seinem Anwalt Canonica, den Herren Dr. Moss und Mehdi Djawardi keinen Kontakt mit Personen, die mit seiner Sache befasst waren. Wollte er diese Reports an seine »Freunde« in der Politik schicken? Hat er es womöglich sogar getan?

In seinen Memoiren »Bekenntnisse eines Baulöwen«, die er 1999 veröffentlichte, erwähnt er seine Wochen und Monate währende Beschäftigung nur beiläufig. Stattdessen lamentiert und jammert er darin seitenlang, dass sein Beschützer/Bewacher Poletti immer nur »an einem Tag Spaghetti, am anderen Pizza, dann wieder Spaghetti« servierte, und er nur selbst kochen konnte, wenn Poletti in der Schweiz im Urlaub war. Der selbsternannte Master of the Universe, dem sein Laufbursche »Friss oder stirb« vorschreibt? Wer es glaubt, wird selig. Auch dass er von Dr. Moss an der Nase herumgeführt worden sei, erzählte er ohne Scham. Moss, mit dem er soeben noch seine Flucht geplant und mit dessen Hilfe er 245 Millionen in die Schweiz gebracht hatte, wurde nun zu dem gemacht, was er von Anfang an war, der Mann , der den ehrlichen Kaufmann um sein Erspartes bringen will.

Das Selbstbild des Löwen im Käfig, der von aller Welt verlassen einsam an den Gitterstäben nagt und dabei seine Claudia streichelt, schien ihm auch Jahre danach immer noch zu gefallen. Der Satz auf Seite 195 seiner Memoiren lautet beiläufig: »Außerdem verfasste ich Tausende von Seiten, die zu meiner späteren Verteidigung dienen sollten.« Aus heutiger Sicht ist das geradezu komisch, dass nur nebenbei erwähnt wird, dass er die Haupttätigkeit seines Lebens auf der Flucht mit dem Verfassen seiner Verteidigung verbrachte. Es hätte ein Argument sein können, um zu belegen, dass es ihm tatsächlich um die Klärung der Vorwürfe ging und nicht um den endgültigen Ausstieg. Wie gesagt, wenn dies der tatsächliche Anlass der Reports war.

 

Die Papiere, die ungelesen im Archiv landeten

Die Papiere gelangten nach seiner Verhaftung in den Besitz des US-Gerichts und wurden von Schneider umgehend zu Unterlagen seiner Verteidigung erklärt und nicht dem Staatsanwalt in Miami, sondern seinem Schweizer Advokaten übersandt. Der hat sie dann später auf Anweisung von Schneider an mich geschickt. Ich habe sie seitdem in Verwahrung. Als Schneider mich später als seinen Verteidiger ablöste, wie er auch meine Vorgänger und Nachfolger entließ, behauptete er, die Unterlagen seien ihm gestohlen worden, und drohte über die Presse an, jeden zu verklagen, der daraus zitiert. Aber das war auch nur wieder eine der »Haltet den Dieb«-Geschichten. Er wusste, dass die Unterlagen bei mir sind.

Zum damaligen Zeitpunkt waren bestimmte Ausführungen in seinen Reports einigermaßen brisant, denn darin beschrieb er seine Geschäftsmethode, die im Wesentlichen darin bestand, seine Geschäftspartner zu korrumpieren und auszuspähen. Wenn damals öffentlich geworden wäre, wie er gearbeitet hat, wäre sein Image als biederer Bauherr, das er sich so mühsam aufgebaut hatte, wie ein Kartenhaus zusammengebrochen.

Ich habe die über tausend Seiten damals nicht gelesen, sondern die Kartons, wie sie waren, ins Archiv gestellt. Leider.

 

Vom Vater missachtet

Hätte ich früher hinein gesehen, wäre mir Einiges aufgegangen. Vielleicht wäre mir auch aufgefallen, dass Herr Schneider einen Hang zur Selbstinszenierung hatte und warum er Kämpfer wie meinen Bodyguard Micha so schätzte. Er strebte nach Anerkennung, die ganze Welt sollte ihn bewundern, und für ein Lob von seinem Vater, der ihn bis zum Schluss missachtete, hätte er alles hingeschenkt. Die Anerkennung erfährt man manchmal auch dadurch, dass man sich selbst erhöht. Entsprechend schien Herr Schneider das Bedürfnis zu haben, mit »Insiderinformationen und besten Verbindungen« zu der Spitze der Pyramide aufzuschließen.

 

Schneider: Der Deutsche-Bank-Vorstand kannte jedes Detail der Verträge

In seinem Report beschreibt er über Seiten sein »verdecktes Informationssystem für Geheiminformationen«. Es liest sich ein wenig wie die Fantasie eines vereinsamten Pensionärs in Florida, andererseits beschreibt er konkret, welche Strukturschwächen im System der Deutschen Bank er ausgemacht und wie er diese Informationen genutzt hat, um seine Geschäfte voranzutreiben. Er behauptet darin, einen Informanten in der »obersten Spitze« der Deutschen Bank zu haben, und stellt klar, dass der Vorstand der Deutschen Bank jedes Detail seiner Verträge kannte und billigte. Er machte sich Gedanken darüber, ob er den Informanten auffliegen lassen sollte, oder er ihn später noch einmal brauchen könne.

 

Die Strategie der Bankvertreter: Handwerkerrechnungen seien Peanuts 

Gemeinsam mit den amerikanischen Kollegen versuchte ich, die Auslieferung des Ehepaars Schneider zu verhindern. Schneider wollte unbedingt, dass ich nach Europa fliege und mit den Vertretern der Deutschen Bank rede. Er wollte sich mit der Bank einigen, um das Offizial-Delikt »Betrug« zu relativieren. Er drohte den Bankern, »auszupacken«. Aber die Bankvertreter hatten sich auf eine andere Strategie verständigt. Sie wollten Schneider als Alleinverantwortlichen vor Gericht sehen. Der Deutsche Bankvorstand Hillmar Kopper hatte auf einer Pressekonferenz die von Schneiders Unternehmen nicht bezahlten Handwerkerrechnungen als »Peanuts« bezeichnet und damit für einen vordigitalen Shitstorm gesorgt.

Außerdem erschien die Rolle von Vorständen der Großbank später selbst dem Richter dubios. Die Presse schrieb über Korruption und Bestechung bei der Kreditvergabe, aber Schneider machte seine Drohungen nicht war, er nannte keine Namen und lieferte keine Belege.

Schneider, der mich zunächst damit beauftragt hatte, alles zu tun, um seine Auslieferung zu verhindern, erklärte 1995 überraschend, sich dem deutschen Gericht stellen zu wollen.

Heute ahne ich, wie der Sinneswandel des Baulöwen zustande gekommen sein mag. Bei meiner Reise sollte ich nicht nur mit der Deutschen Bank reden und ein Verteidigerteam für den Prozess zusammenstellen, sondern auch nach Genf zur Union Bancaire Priveé fahren. Die Direktorin, die mich dort empfing, prüfte ausführlich meine Legitimation und verschwand dann in einem Nebenraum. Als sie nach einiger Zeit zurückkam, eröffnetesie mir freudestrahlend, es sei »alles im Sinne des Doktors geregelt«. Mehr nicht. Kein Schreiben, kein Kontoauszug, nur ein Lächeln. Dabei waren bei der UBP gerade 245 Millionen beschlagnahmt worden. Auch dem Häftling in Miami zauberte diese Nachricht ein Lächeln ins Gesicht. Heute glaube ich zu wissen, warum.

 

Hunderte Millionen in ausländischen Firmen versickert und auf versteckten Konten

Geld hatte Schneider offenbar nicht erst im Jahr 1994 verschwinden lassen, als er seinen Buchhalter anwies, fällige Rechnungen nicht mehr zu bezahlen und alle flüssigen Mittel nach London auf das Konto 6222 der UBP zu überweisen. Im späteren Prozess gegen Schneider wurde aufgezeigt, wie er bereits in den Jahren zuvor Geld beiseite geschafft hatte. Allerdings wurde nie geklärt, wo die Millionen abgeblieben waren. Man ging davon aus, dass er die »Überschüsse« in neue Projekte investiert hatte. Tatsächlich sind hunderte Millionen in ausländischen Firmen versickert und auf versteckten Konten gebunkert worden.

Er behauptete gegenüber den Banken, »externe Anspruchssteller« abgefunden zu haben oder stellte fiktive Millionen-Rechnungen im Namen einer seiner über 130 Firmen aus, die sich oft im Ausland befanden. Sie trugen so phantasievolle Namen wie »Arnaud de Vienne« oder »European Pacific« und stellten »Developergewinn oder Kalkulationsreserve« in Rechnung – wie Der Spiegel (Nr. 22/1995, S. 102 und Nr. 27/1996, S. 96) mehrfach berichtete.

Da blieben schon mal bei einem Projekt 30 Millionen auf der Seite. Einer seiner Helfer, Mehdi Djawardi, kassierte zum Beispiel für nicht genauer definierte Hilfestellungen in zwei Jahren an die 30 Millionen. Da sich hinter dieser Geldgenerierung ein Geschäftsprinzip verbarg, sind die gefundenen 245 Millionen DM bei der UBP nur, um eine Formulierung Schneiders zu bemühen, »die Spitze des Eisbergs«. Nach den Auskünften des anonymen Anrufers soll Schneider so vor 1995 über 400 Millionen Dollar in aller Welt versteckt haben.

 

Schneider entließ Goldfine – so wie die Anwälte zuvor

Nach der guten Nachricht aus Genf vollzog mein Mandant einen Sinneswandel. Nun wollte er unbedingt den Prozess. Er akzeptierte zunächst die von mir vorgeschlagenen Anwälte, entließ sie aber bald wieder und versuchte in der Verhandlung, die Banken als mitschuldig in das Verfahren zu ziehen. Auch mich entließ er. Die Mitteilung über das Ende der Zusammenarbeit übermittelte mir der neue Anwalt. Schneider hatte bekommen, was er von mir wollte, also ließ er mich fallen. Er machte mit mir das, was er mit seinen Handwerkern tat. Tatsächlich hatte ich meinen Job erledigt. Ich hatte ihn solange in den USA gehalten, bis er eine Prozessstrategie und ein Verteidigerteam in Deutschland hatte. Und – was ich damals nicht wusste – solange, bis die offenen finanziellen »Angelegenheiten« geregelt waren. Nun war ich ein lästiger Mitwisser.

 

Gefängnisstrafe: Sechs Jahre und neun Monate wegen Betrug, Kreditbetrug und Urkundenfälschung

Richter sah durchaus eine Mitschuld der Banken, aber Konsequenzen für die Banker hatte das nicht. Schneider erhielt schließlich eine Gefängnisstrafe von sechs Jahren und neun Monaten wegen Betrugs, Kreditbetrugs und Urkundenfälschung. Ein mildes Urteil für einen Milliardenbetrüger. Allen, die Geld von ihm zu bekommen haben, sagt er noch heute, ihm sei nichts geblieben, und fordert »Gefängnis für Banker« (Welt online vom 22. 10. 2008). Die Banken hätten ihm alles genommen und den Gewinn gemacht. Bis jetzt ist er damit durchgekommen und pflegt sein Image als Streiter gegen das Kapital.

Wenn öffentlich wird, was ich herausbekommen habe, droht ihm eine Anklage wegen Meineids, denn er hatte vor Gericht geschworen, kein Geld mehr zu haben.

 

Hinweise auf Kuba?

Das Gebäude der Bancario Cubano in der Calle Cisneros in Camagüey, Cuba, würde gut in das Beuteschema des Baulöwen passen, ebenso wie die vielen Sanierungsfälle der Kolonialbauten in Havanna. Erste Lage, exzellente historische Substanz, großes Potential. Den Kauf und die Sanierung der Gebäude hätte Schneider, so meine Vermutung, ausnahmsweise locker ohne Kredit finanzieren können. Von seinen Festgeldkonten in Havanna. Denn im sozialistischen Kuba soll Schneider, wie der anonyme Anrufer behauptete, seit über 20 Jahren hunderte Millionen Dollar versteckt haben. Geld, von dem weder Richter, die Deutsche Bank noch eine der anderen 50 Banken bisher wissen. Geld, das kein Konkursverwalter, kein Fahnder des BKA aufgespürt hat. Hidden Money, das es offiziell gar nicht gibt. Big Plunder. Und Kuba als Land für Geldverstecke oder Geldwäsche kommt selbst im neuesten Report der EU nicht vor.

Die Information vom »Hidden Money« auf Kuba war so eine Sache, es gab nicht mehr als Indizien. Kuba war bisher für Geldgeschäfte eine »No-go-Area«. Keine Bank der Welt machte normale Geschäfte mit den Staatsbanken auf der durch einen Boykott vom Handel ausgeschlossenen Zuckerinsel. Was also tun?

Eine Auskunft am Schalter über den Kontostand eines Anlegers würde ich – obwohl ich ja das Urteil aus Tel Aviv hatte – weder in Deutschland noch in der Schweiz oder bei irgendeiner Bank der Welt bekommen. Blackmoney von Schneider auf der Bank Che Guevaras, das war kurios. Der erste Bankdirektor der revolutionären kubanischen Nationalbank hieß Ernesto »Che« Guevara. »Che« wurde Bankdirektor, weil er bei einer Versammlung die Frage von Fidel Castro, »Ist hier ein Ökonumist?«, falsch verstanden hatte. Er glaubte, ein »Kommunist« wurde gesucht, und meldete sich.

Die von den Genossen gern kolportierte Anekdote sollte wohl die Verachtung der Revolutionäre gegen das notwendge Übel einer Bank illustrieren. Von Geld und Wirtschaft verstand Che jedenfalls nichts, und dass das Bildnis des Geld- und Kapitalismusverächters später einen Pesoschein zierte, ist eher ein Treppenwitz der Geschichte.

Genauso bizarr ist der Umstand, dass Schneider seine Millionen dort versteckt haben soll. Und dass das möglich ist. Genial.

 

Denn dort zu suchen, darauf ist selbst die Mafia nicht gekommen. Oder? In Wahrheit ist Kuba nur auf den ersten Blick eine von kapitalistischen Verbrechen und Verschwörungen freie Insel. Auf Kuba wurde vor der Revolution die Geldwäsche faktisch erfunden. Lucky Luciano und Meyer Lansky, die Bosse der Kosher Mafia hatten in den vierziger Jahren auf Kuba von dem damaligen Präsidenten Batista nicht nur die Glückspiellizenz erhalten, sondern Kuba zum »Mafia-Paradies« gemacht. Eine Insel, auf der nach den Maßstäben des Verbrechens alles möglich war: Tourismus, Showbusiness, Glückspiel, Prostitution, Geldwäsche, Drogenhandel, Menschenhandel, Betrug, Erpressung, Raub und Mord waren die Geschäftsfelder.

 

1959 war damit – bis auf die Show im Tropicana – bekanntlich Schluss, so lautet jedenfalls die bisher offizielle Version. Die Verstaatlichung der Banken und des Geldsystems sollte Korruption und Vetternwirtschaft den Boden entziehen. Die Enteignung der Kapitalisten betraf freilich weniger die Kommunisten Fidel und Raul Castro, Söhne eines reichen Landbesitzers, die plötzlich einen ganzen Staat als Volksbesitz bezeichneten, aber über ihn wie Eigentümer herrschten. Fidel Castro, der sich nach außen hin bis ins hohe Alter als bescheidener Genosse in Kampfdress oder in Adidas-Jacke präsentiert und abseits der Medien im abgeschotteten und nach Berichten luxuriösen Landsitz Punto Cero oder der privaten Insel Cayo Piedra lebt, galt dem Magazin Forbes schon 2006 als einer der zehn reichsten Könige, Königinnen oder Diktatoren der Welt.

 

Aber die Castros als Geldwäscher des internationalen Kapitals? Das ist starker Tobak. Als Drogenhändler stehen die Genossen schon länger in Verdacht. Es gibt eindeutige Belege –  sie stammen vom amerikanischen Geheimdienst aus dem Jahr 1989 –, dass die kolumbianische Drogenmafia, gemeinsam mit den Guerillas der FARC, systematisch Kokain von Kolumbien durch die Karibik nach Kuba und von dort aus nach Key West Florida schaffte.

 

Die FARC kaufte von den Erträgen Waffen, und die Kubaner – man sagt der Castro Clan – kassierten von den Drogendollars zehn Prozent. Nach Aussagen eines ehemaliger Killer des Medellin-Kartells, mit Namen Jhon Jairo Velásquez Vásquez, genannt »Popeye«, soll es eine direkte Verbindungen zwischen seinem Chef Pablo Escobar und Raúl Castro gegeben haben – so berichtete beispielsweise Die Welt in ihrer Ausgabe vom 2. 10. 2015. Verwunderlich ist deshalb auch nicht, dass der kubanische Staatspräsident die Friedensverhandlungen zwischen den Rebellen und der kolumbianischen Regierung im Sommer 2016 so erfolgreich moderieren konnte.

 

Die Öffentlichkeit hat von den Verbindungen der kommunistischen Banker zur restlichen Welt kaum etwas mitbekommen. Nur einmal kam durch eine Anfrage von drei Abgeordneten des US-Repräsentantenhauses etwas Licht in die Keller der kubanischen Banken. Zwischen 1996 und Mai 2003 hat die UBS, eine Schweizer Großbank, in 1900 Transaktionen alte, gebrauchte Dollarscheine im Wert von 3,9 Milliarden Dollar kubanischen Konteninhabern gut geschrieben. Woher das Geld kam, blieb ungeklärt. War es Drogengeld der Farc? Die UBS musste an die US-Notenbank FED eine Strafe wegen Devisenvergehen von 100 Millionen zahlen.

 

Ich brauchte einen Beweis für die Existenz des Geldes. Wenigstens einen Kontoauszug oder etwas Ähnliches. Wer in Diktaturen oder autoritären Regimen etwas erreichen will, muss erfahrungsgemäß ganz oben ansetzen. Bei der Nomenklatura. Ich überlegte, wen ich kannte und wer sich davon auf Kuba auskannte. Es blieb nur einer übrig, und das war der inzwischen 91 jährige Rafael (Rafi) Eitan, genannt »Das Ekel«. Eine Legende in Israel.

 

»Rafi« wurde 1926 im Kibbuz En Harod, im Norden Israels, in der Nähe des Ortes Aijn Djalut, wo im Jahr 1260 ägyptische Mamelucken auf Mongolen trafen, geboren. Vielleicht liegt ihm deshalb das Kämpfen im Blut. Nach dem Befreiungskrieg, den er im Rang eines Hauptmanns beendete, studierte er an der London School of Economics, war einer der ersten Mossad-Agenten und später Chef des Geheimdienstes Lakam. Der kleine untersetzte Mann hat mehrfach in seinem Leben in die Geschichte eingegriffen. 1960 führte er die Einheit an, die Adolf Eichmann in Argentinien schnappte und nach Israel brachte. In den Jahren 1965 bis 1968 soll er derjenige gewesen sein, der insgesamt 345 Kilogramm waffenfähiges Uran-235 in den USA für Israels Atomprogramm »organisiert« hat. Und man sagt ihm nach, dass er 1981 an der Planung der Zerstörung irakischer Kernreaktoren beteiligt war. Nach der Enttarnung des israelischen Agenten Pollard in den USA trat er zurück und wurde Geschäftsmann, unter anderem auf Kuba. Er beriet die kubanische Regierung in Sachen Produktion und Vermarktung von Orangen, Mangos und Grapefruits.

 

Auch damit kannte sich der Kibuznik aus, und auch heute ist er in diversen Projekten aktiv, unter anderem beim Anbau von Pflanzen, aus denen man das Vitamin D3 gewinnen kann. Gute und persönliche Beziehungen zur kubanischen Elite blieben da nicht aus. Eitan hörte sich die Sache an und sagte zu, mir zu helfen.

 

Bei seinem nächsten Besuch in Havanna ging er zu der mir angegebenen Bank und trank mit dem Bankdirektor einen Kaffee, ein Hatuey-Bier oder einen Mojito. Jedenfalls kam er mit der Meldung zurück: »Es könnte stimmen, dass da was ist.« Rafi hatte etwas erfahren, aber da er es nicht mit eigenen Augen gesehen hatte, blieb seine Auskunft vage.

 

Aber was war da? Und wie viel? Mit dem Urteil in die Bank zu marschieren und Auskunft zu verlangen, wäre vielleicht in Europa möglich, aber was galt auf Kuba? Der Rechtsstaat oder die Partei? Es war noch nicht einmal sicher, dass die Nachricht von der Nachfrage nach dem Geld nicht von Kuba nach Königswinter gelangte. Wer das Geld hat, hat das Sagen.

 

Und dann kam Barack Obama dazwischen. Auf dem Amerika- Gipfel in Panama am 10. April 2015 gaben sich der US-Präsident und Kubas Staatschef Raul Castro die Hand. Es war  in historisches Treffen, der Beginn des Endes des Boykotts gegen die Karibik-Insel und sein Regime. Nun finden solche Treffen nicht zufällig und nicht ohne Vorbereitung statt. Jede Seite stellt im Vorfeld ihre Bedingungen, sagt dem Anderen, was geht und was nicht. Den US-Amerikanern waren die geschäftlichen Aktivitäten Eitans auf Kuba durchaus nicht entgangen, er stand immer noch ganz oben auf der Wunschliste der US-Administration. Man verlangte, dass Eitan, sollte er nach Kuba kommen, an die USA ausgeliefert wird. Die Sache mit dem Agenten Pollard und dem verschwundenen Plutonium hatte man ihm nicht vergessen. Rafi musste mir also absagen, eine gemeinsame Reise nach Havanna erschien dem älteren Herrn dann doch nicht passend.

Die Initiative Obamas setzte aber noch etwas anderes frei. Jeder auf Kuba spürte, dass das Ende des Boykotts nahe war und man bald mit der ganzen Welt handeln und womöglich ausreisen konnte. Eine ähnliche Stimmung wie in der DDR nach dem Mauerfall und vor der Wiedervereinigung machte sich breit. Leute, die eben noch für das Regime gearbeitet haben, wollen nun auswandern. Jahrzehntelang liebevoll gepflegte alte Chevrolets werden über das Internet zum Kauf angeboten. Eine Greencard kostet, wenn man nicht auf das Losglück setzt, 100.000 US-Dollar.

Havanna ist seit dem Besuch des amerikanischen Präsidenten ein beliebtes Ziel für US-Finanzbeamte. Sie fahren nach Kuba und versuchen, Informationen über Konten und Geldbestände ausländischer Kunden zu kaufen. Ein amerikanisches Gesetz ermächtigt sie dazu, und außerdem gibt es für das Aufspüren von Steuersündern Prämien. Sie kaufen diese Informationen, wie deutsche Finanzbehörden gelegentlich CDs mit Schweizer Kontendaten erwerben. Die Schneider-Angelegenheit wurde dadurch nicht eben übersichtlicher. Tatsächlich bekam mein Detektiv Micha über seine Kontakte heraus, wo und wie viel Geld der Baulöwe auf Kuba versteckt hatte. Aber durch die Unruhe stiegen die Preise, und die heiße Ware wurde teuer.

 

Diese Unruhe spürte womöglich auch Dr. Utz Jürgen Schneider. Das sicher geglaubte Versteck Havanna konnte von heute auf morgen entdeckt werden. Spätestens wenn die Computer der Banken an das Internet angeschlossen werden, ist Kuba gläsern. Hektik beherrscht Havanna, und der Buena Vista Money Club hat keine festen Öffnungszeiten. Unser Mann in Havanna gab die Kontostände und -bewegungen durch. Schneider soll – wie mir aus vertrauenswürdigen Quellen berichtet wurde –, offenbar gemeinsam mit einem zweiten Mann, im Frühjahr 2016 eine Reise auf die Zuckerinsel unternommen haben. Eine Szene wie aus einem Graham Greene Roman. Ein alter Mann mit Panamahut, Sonnenbrille, Hawaiihemd und Zigarre betritt die Bank in Havanna, wird von einer Bankangestellten in das Büro des Direktors geleitet. Er sagt, dass er gerne 30 Millionen Dollar abheben möchte. In kleinen Scheinen. Ob man so freundlich wäre, sie wasserfest zu verpacken und auf seine Yacht im Hafen zu bringen. »Uno momento«, sagt der Direktor, »Es dauert etwas. Bis dahin, einen Cuba libre?«, fragt er und geht hinaus. Der Deckenpropeller rotiert langsam. Der Drink wird geliefert. Der Direktor kommt mit einer schlechten Nachricht zurück. »Wir haben Probleme mit dem Packpapier. Ist aus.«

 

Dr. Schneider, der vom Landgericht Bonn für verhandlungsunfähig gehalten wird, flog also – sofern meine Informationen stimmen – im Frühjahr 2016 nach Kuba, ging zur Bank, löste dort seine Konten auf und überwies – nach Angaben eines Gewährsmann aus dieser Bank in Havanna – etwa 30 Millionen US-Dollar auf vier verschiedene Banken in Europa. Die restlichen Hunderte von Millionen waren – so will man glauben machen – wie Eisschnee im Daiquiri in der Sonne Kubas geschmolzen.

 

Schneider schweigt zu diesen inforationen

Ich habe Herrn Schneider, rechtzeitig vor der Veröffentlichung dieses Buches, schließlich direkt mit meinen Informationen konfrontiert und um eine Stellungnahme gebeten. Seine Antwort bisher: Schweigen.

 

Hans Leyendecker erwähnt in der „Süddeutschen Zeitung“ Goldfines Buch:

http://www.sueddeutsche.de/politik/cdu-spendenaffaere-ist-juergen-schneider-der-grosse-unbekannte-der-cdu-spendenaffaere-1.3206031

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