Ein Teller Salat mit Ulrike Walter: Eine App, damit Studenten keine Schmalspur-Akademiker werden

Bei den VWL-Geschichte-Vorlesungen, die sie an der Hochschule Provadis in Frankfurt hielt, fiel es Ulrike Walter immer wieder auf. Das Dilemma nämlich sei: Die Studenten haben heute immer mehr Inselwissen. Positiv ausgedrückt.

Oder negativ: Sie haben große Wissenslücken in puncto Allgemeinbildung. Ein Ingenieurstudent mit Überblick über das Thema Kunst? Fehlanzeige. Zeit und Gelegenheit für ein Studium Generale ganz nach klassischer Art haben die Studenten heute aber nicht mehr, ihre Stundenpläne sind einfach zu voll, erzählt die Bayerin aus Memmingen.

Auch Bücher gibt es keine, die Walters Ansprüche erfüllen: Dietrich Schwanitz´ „Alles was man wissen muss“ ist eher ein Roman. https://de.wikipedia.org/wiki/Bildung._Alles,_was_man_wissen_mu%C3%9F . Werner Steins „Kulturfahrplan“ mit seinen über 2000 Seiten arbeite in seinen Tabellen dagegen nur Schlagworte der weltweiten Geschichte und Kultur ab. Und Wikipedia gebe ja keine ganzen Themenabrisse beispielsweise über Literatur oder Geschichte, sagt Walter. Geschweige denn einen Abriß von der Antike bis ins 21. Jahrhundert.

 

Ulrike Walter

Ulrike Walter

 

Doch mit dieser Erkenntnis konnte Ulrike Walter, die selbst drei Kinder hat, nur schwer leben. Dann kam ausgerechnet sie, die alles andere als technikaffin ist, auf die Idee, die sie über Jahre nun beschäftigt und sie auch viel Geld kostete. Sie ersann eine App für 3,99 Euro namens Getucated für Smartphones für die Studenten, die keine Zeit  mehr für Allgemeinbildung haben – den Bildungsturbo nennt sie ihn. http://getucated.de/

Vom kleinen Projekt zum Mammutvorhaben

Aus ihrer Idee wurde unversehens ein Mammutprojekt. Sie selbst hatte in den ersten sechs Monaten, als sie ihr Vorhaben startete, nur ein normales Nokia-Handy und nicht mal ein Iphone. Wollte die Wahl-Frankfurterin die App anfangs so nebenbei erstellen, so wurde nach und nach daraus ein Full-Time-Job, für den sie sich von der Universität am Ende sogar befristet freistellen lassen musste.

Das war nicht einmal das Schlimmste: Hatte Walter zu Beginn für die App, die sie später Geducated taufte, 30 000 Euro an Kosten veranschlagt, so wurde die Summe am Ende doppelt so hoch. Schuld daran ware aber keinewswegs die Stundenhonorare der fünf Experten für acht Fachgebiete, die von der griechischen Antike bis zum 20.Jahrhundert berichten  – ein Historiker, ein Theologe, ein Philosoph, ein Literaturwissenschaftler und ein Diplomingenieur oder die App-Design-Agentur.

 

10.000 Euro allein für den Anwalt plus Bildrechte

Schuld daran waren die Bildrechte. Mit denen hatte sie nicht gerechnet, doch die sind teuer und wer sie missachtet, riskiert hohe Schadenersatzforderungen. Sicherheitshalber hatte Ulriker Walter mit diesem heiklen Thema gleich einen Anwalt beauftragt, der die Frage mit den Bilder für die App klären sollte. Zwar kostete dessen Honorar samt den Bildrechten 10 000 Euro. Das war aber preiswert gegen den Schaden, der ihr gedroht hätte, wenn sie diesen Weg nicht beschritten hätte: Denn die meisten Bilder für die App kosteten und gerade bei der Kunst mussten von Matisse bis Marc unendlich viele Bilder eingebaut werden, erzählt Walter. Ohne die 500 Bilder betrüge der reine Textanteil übrigens 70 bis 80 DinA4-Seiten.

 

Inzwischen gab´s kein Zurück mehr“

An den Moment, als Ulrike Walter erfuhr, erinnert sie sich noch bestens: Damals machte sie gerade Urlaub in Portugal und ihr Anwalt rief sie an, um zu berichten, dass bei jedem zweiten Bild die Bildrechte ein Problem darstellten. „Aus Frust ging ich erst mal im Atantik schwimmen“, erzählt sie. Abgesehen von den Mehrkosten, wurden dadurch weitere drei Monate mehr Arbeit fällig. „Aber inzwischen gabs kein Zurück mehr.“

Im Basils übrigens bestellt sich die Wissenschftlerin einen Salatteller – doch der war irgendwie völlig nebensächlich. Viel wichtiger ist ihre Mission: Dass die heutige Studentengeneration nicht unversehens zu Schmalspur-Akademikern wird, Und nicht nur die, sondern auch die Oberstufen-Schüler zwischen 17 und 18 Jahren sind Zielgruppe ihrer App.

 

Basils-Salatteller

Basils-Salatteller

 

So ganz ohne jugendlichen Beistand ging das Erstellen der App dann aber auch nicht ab, sondern wurde er zum Family-Projekt: Der älteste Sohn der Eheleute Walter – ihr Mann Herbert Walter war von 2003 bis 2009 Vorstandsvorsitzender der Dresdner Bank – kontrollierte nicht nur die Aufbereitung des vielen Wissens und die Formate, sondern lebte mit und erteilte Ratschläge.

Etwa wenn zwischendurch die App-Agentur an Ulrike Walter des öfteren verzweifelte. Denn von den Technik habe sie ja keine Ahnung gehabt. Und wenn sie beispielsweise Rückfragen wegen Android gestellt kamen, verstand sie nicht mal die Begriffe. Zumindest am Anfang.

 

Wider dem Tunnelblick

Inzwischen haben rund 3 500 junge Leute die App heruntergeladen. Was die Wissenschaftlerin denen aber absichtlich nicht bieten will, ist eine Suchfunktion: Damit die Leser die ganze App studieren und sie eben nicht nur mit Tunnelblick bei Bedarf ansehen.

Ob sie denn auch ein Buch daraus machen will? Wo doch offensichtlich eine marktlücke bestehe? Das ist ihr noch nie in den Sinn gekommen. Wohl aber eine Bildungswebseite auf Facebook. „Für die hatten wir unendlich viele Namen zur Auswahl bis hin zu `Humboldt kompakt´“, erinnert sie sich. „Aber der war Abschreckung pur und wir entschieden uns für den Namen Geducated“, so Walter. https://www.facebook.com/getucated?fref=ts . Und die hat rund 650 Gefällt-mir´s.

Dass ausgerechnet sie mal ein App produziert, hätte sich die Volkswissenschaftlerin, die ihre ersten Berufsjahre bei ThyssenKrupp in Düsseldorf verbrachte, nicht träumen lassen. Denn danach schrieb sie erst mal ihre Dissertation – während sie gleichzeitig ihre Kinder zur Welt brachte und bis 2005 erst einmal groß zog. Das Thema: Die  Gehaltsentwicklung der Vorstände und Spitzenbeamte im Vergleich von 1960 bis 2000.  Ein Fazit: Durch den Einfluss der Gewerkschaften gab es lange in Deutschland keine riesige Gehaltsspreizung zwischen Arbeitern und Managern sowie zwischen Spitzenbeamten und einfachen Beamten. Erst die angelsächsischen Vorbilder und die beginnende Globalisierung in den 90-er Jahren ließ die Gehälter der Dax-Vorstände explodieren, die Spitzenbeamten und Angestellten wurden abgehängt. Mit inzwischen unaufholbarem Vorsprung.

 

http://getucated.de/author/ulrikewalter

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