Gastbeitrag Personal-Coach Henryk Lüderitz: „Sinnlose Talent-Programme“

Henryk Lüderitz war Manager bei Vodafone, bevor er Personal-Coach wurde und sich spezialisierte auf das Thema Talent-Förderung. Er meint, dass Unternehmen bei ihrer Talent-Pflege Fehler machen und ihre Programme Mogelpackungen sind. 

Thomas Lüderitz

Henryk Lüderitz

Sie sind jung, top ausgebildet und hoch motiviert – Talente, die mehr mitbringen und mehr tun wollen für die Karriere als andere. Aber Unternehmen wissen oft nichts mit ihnen anzufangen. Sie stecken ihre so genannten High Potentials in sinnlose Programme, die ohne Struktur und Aussicht auf Erfolg schnell die Träume von einem spannenden Job, tollen Herausforderungen und einer steilen Karriere platzen lassen.

 

Zeitverschwendung und ohne echte Chance

 

Denn in Wahrheit sind viele Talentförderungsprogramme kleine Incentives, um die Fachkräfte bei Laune zu halten. Unternehmen vergeuden die Chance auf die eigene Weiterentwicklung und die Zeit ihrer vermeintlich wertvollsten Mitarbeiter. Dann passiert es, dass niemand mehr solche Programme ernst nimmt. Ich habe erlebt, wie aus dem Titel einer Talentförderung namens OEC für „Orientierung, Entwicklung, Chance“ hinter vorgehaltener Hand „Ohne echte Chance“ wurde. Die Mitarbeiter machten sich lustig darüber – und das leider mit Grund.

 

Verschenkte Anreize

 

Wie sollen Mitarbeiter die nächsten Sprossen der Karriereleiter erklimmen wollen, wenn weder sie noch ihre Vorgesetzten wissen, welche Talentförderung die eigene Firma überhaupt bietet? Das schadet der Motivation, denn die Aussicht auf eine Teilnahme am Talentförderungsprogramm kann wertvolle Leistungsanreize setzen. Und auch der Vorgesetzte verschenkt ein wichtiges Mittel zur Weiterentwicklung seiner Talente, denn Karriereförderung kann auch anstelle einer Gehaltserhöhung als Belohnungsinstrument fungieren.

 

Wenn jede Abteilung ihr eigenes Süppchen kocht

 

Ein interessanter Fachbereich bietet die Teilnahme an einem Talentförderungsprogramm an? Wunderbar, wenn auch die Personalabteilung eingebunden ist. Ansonsten müssen die Teilnehmer leider davon ausgehen, dass das Programm nicht unbedingt der Rekrutierung neuer Führungskräfte dient. Denn ohne Abstimmung mit dem HR-Bereich kann es nicht gelingen, talentierte Mitarbeiter und attraktive Positionen zusammenzubringen. Im Zweifel erfahren die Personaler ja nicht einmal, wer intern für einen aussichtsreichen Posten infrage käme.

 

Praktikant statt potenzielle Führungskraft – mit Alibiprojekten

 

Auch das andere Extrem kann problematisch sein: Wenn Talente der Personalabteilung zugeordnet sind, rangeln sich die Fachbereiche um die kostenlose Arbeitskraft, der man bedenkenlos die schlimmsten Aufgaben übertragen kann – teilweise sogar unbeliebte Alibiprojekte, die der Vorgesetzte nicht unterstützt. Ohne Einarbeitung und Ansprechpartner im Fachbereich soll sich das Nachwuchstalent einen realistischen Einblick und Know-how erarbeiten und dabei Glanzleistungen liefern. Eine Rechnung, die für beide Seiten nicht aufgehen kann.

 

Eines für alle – falsche Standards

 

Meist ist die Erlaubnis des Chefs die einzige Qualifizierungshürde zur Teilnahme an einer Talentförderung. Doch anstelle der erhofften persönlichen Weiterentwicklung gibt es oft für alle Teilnehmer nur dieselben Seminare. Eigene Wünsche oder besondere Charakterstärken werden nicht analysiert oder gar berücksichtigt. Dabei sind das genau die Themen, die junge Führungskräfte voranbringen.

 

Allein auf weiter Flur

 

Genauso wenig Erfolg versprechend sind seminarähnliche Talentprogramme, denen keine längerfristige Begleitung, etwa durch einen Coach, ehemalige Absolventen oder in Feedback-Meetings folgt. Dann ist die Teilnahme für die Aspiranten wie ein Kurzurlaub, von dem am Ende nur ein paar schöne Erinnerungen bleiben.

 

Nur die Besten kommen weiter? Beileibe nicht.

 

Ebenfalls gängige Praxis in so manchem Unternehmen: High Potentials befinden sich in einer Endlosschleife und hängen regelrecht in Talentprogrammen fest, ohne jemals einen signifikanten Schritt nach vorne zu machen – während Chefs Liebling die Teamleitung übertragen bekommt. Obwohl er vielleicht weniger talentiert ist oder auch nicht in Führung gehen will. Deshalb ein Muss für jede angehende Führungskraft: an einem Förderprogramm zum Thema Personalführung teilnehmen. So gewährleisten Unternehmen, dass nur die nachweislich besten Mitarbeiter aufsteigen.

 

Der Talentpool als Abstellgleis

 

Motivation plus Talent = Teilnahme am Talentförderungsprogramm = Beförderung -mit dieser Formel sind schon viele High Potentials auf die Nase gefallen. Der Grund dafür ist, dass die Programme oft nicht zum Ziel führen. Neben mangelnder Vernetzung im Unternehmen liegt das vor allem daran, dass Führungskräfte nur selten aus dem Talentpool rekrutieren. Auf der anderen Seite  erhalten die Talente keinen Überblick über mögliche Karrierewege. Dann ist es vielleicht Zeit, die Karriereleiter woanders zu erklimmen.

 

 

Wie können Unternehmen ihre Talente fördern anstatt sie zu verheizen?

 

  • Bestehende Programme und ihre Ziele intern klar kommunizieren.
  • Das Programm als Anreiz- und Belohnungssystem positionieren.
  • Die HR-Abteilung involvieren – nur mit Abstimmung und Transparenz kann es gelingen, vakante Positionen und vielversprechende Talente überein zu bringen.
  • Folgt dem Programm eine längerfristige Begleitung durch Paten oder Coaches, hilft das, das Gelernte auch umzusetzen und zu festigen.
  • Talente brauchen einen Fachbereich, in dem sie sich weiterentwickeln können und wollen – und müssen dort betreut und angeleitet werden.
  • Seminare für junge Talente müssen neben der beruflichen Qualifikation auch auf individuelle Stärken, Schwächen und die persönliche Weiterentwicklung abzielen.
  • Leistungsanreize können die Teilnehmer im Programm motivieren und die Auswahl herausragender Talente vereinfachen.
  • Talentförderungsprogramme nicht inflationär handhaben. Sie sind ein wichtiges Instrument für Unternehmen und Mitarbeiter. Sinnvoll ist der Deal für beide Seiten, wenn sowohl das Unternehmen als auch das Talent davon profitieren.
  • Ein Karriere-Coach, der über alle vakanten und interessanten Stellen informiert ist, ist ein wichtiger Ansprechpartner für die Nachwuchstalente und hilft bei der Karriereplanung im Unternehmen. Er kann auch (Ex-)Teilnehmer gezielt ansprechen.

Henryk Lüderitz, 35, ist Trainer für Talente und High Potentials und beschäftigt sich mit  Kommunikation, Motivation und Persönlichkeitsentwicklung.

http://www.welt.de/wirtschaft/karriere/article115215364/Was-passiert-wenn-man-ploetzlich-Chef-wird.html

 

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Alle Kommentare [1]

  1. Fachkräfte und junge Talente sind die wichtigsten Ressourcen für ein gut funktionierendes Unternehmen, da sie gegenwärtig und zukünftig dafür sorgen, dass die jeweilige Organisationsstruktur wettbewerbsfähig bleibt. Deshalb finde ich es sehr wichtig, diese Menschen kontinuierlich zu fordern und zu fördern. Durch gezielte Förderprogramme, Seminare und Jobcoaching wird mit Sicherheit ein großer Schritt in die richtige Richtung gemacht. Unternehmen müssen in dieser Hinsicht schon heute investieren und Initiative zeigen.