Deutsche Unternehmen, Vereine und Behörden sind auf dem besten Weg, die dritte Stufe der Euro-Umstellung zu verschlafen. Nur noch 113 Arbeitstage bleiben ihnen, um sich den neuen SEPA-Standards im EU-Zahlungsverkehr anzupassen. Die Last-Minute-Strategie wird teuer werden.
Hinter vorgehaltener Hand warnen in Berlin Verbandsfunktionäre, Ministeriale, Politiker und Banker sich gegenseitig schon seit Monaten: „Wenn wir nicht aufpassen, wird SEPA das nächste Großprojekt sein, was wir vor die Wand fahren“. Doch öffentlich zugeben will das bis heute niemand. Eine aktuelle Studie des Forschungsinstituts ibi research an der Universität Regensburg offenbart nun, wie groß die Gefahr tatsächlich ist, dass die SEPA-Umstellung ein ähnliches Debakel wird wie die missglückte Einführung des Biokraftsstoffs E10 oder auch das des Berliner Großflughafens.
Ein Fünftel lebt immer noch im Tal der Ahnungslosen
ibi research befragte rund 600 Unternehmen, Vereine und Behörden nach dem aktuellen Stand der SEPA-Umsetzung. Die Ergebnisse machen deutlich, dass eine pünktliche Umsetzung in Deutschland in weite Ferne gerückt ist und dass aller Voraussicht nach tatsächlich Insolvenzen drohen, halten EU-Parlament und EU-Ministerrat daran fest, am Stichtag 1. Februar 2014 das in Deutschland bislang gültige Zahlungsverfahren namens DTA abzuschalten.
Laut Umfrage von ibi research leben 22 Prozent der Unternehmen und Vereine sechs Monate vor dem Stichtag immer noch im Tal der Ahnungslosen. Im Befragungszeitraum April bis Juli 2013 gab über ein Fünftel der Befragten offen zu, noch nie im Leben etwas von SEPA gehört zu haben oder allenfalls nur eine vage Vorstellung davon zu haben. Und von denjenigen, die über SEPA Bescheid wissen und Handlungsbedarf sehen, sagten elf Prozent, dass ihre IT-Systeme und Geschäftsprozesse erst nach dem 1. Februar 2014 umgestellt sein werden.
Schwarzmalerei können wir nicht gebrauchen
Nicht schlimm? Von wegen. Der Zahlungsverkehr ist so etwas wie der Blutkreislauf einer Volkswirtschaft. Wenn Unternehmen, Vereine und Behörden in Liquiditätsengpässe geraten, bekommen das nicht nur sie selbst, sondern wir alle zu spüren. Wenn kein Geld mehr in die Kasse fließt, können Mitarbeiter nicht mehr pünktlich bezahlt werden, Lieferanten müssen mit Außenständen rechnen und im schlimmsten Fall kommt es zu einem Dominoeffekt, der das Vertrauen in die Stabilität des Zahlungssystems untergräbt. Doch wer will in Wahlkampfzeiten schon gerne den Teufel an die Wand malen? Wer es tut, bekommt von offizieller Seite die kalte Schulter gezeigt. Nach dem Motto: „Was regen Sie sich auf? Vor der Euro-Umstellung haben die Medien einen Riesen-Hype veranstaltet und am Ende lief doch alles glatt.“ Auch das Argument, dass es bei jedem Projekt klassischerweise einen Zeitpunkt geben muss, an dem alle ans Arbeiten kommen, weil alle merken, dass es um die Wurst geht, zählte bislang nicht. SEPA-Experten, die selbst keine öffentliche Verantwortung tragen, mutmaßten dann: „Wenn es eng wird, wird es einen Plan B geben müssen. Die werden den Termin schon am Ende verschieben“. Dabei hieß es von offizieller Seite immer wieder: „Es gibt keinen Plan B. Der Stichtag 1. Februar 2014 ist in Stein gemeißelt, Schwarzmalerei können wir aber jetzt nun wirklich nicht gebrauchen.“
Die Last mit der Lastschrift
Doch wie kommt es eigentlich, dass Deutschland an dieses Großprojekt so unorganisiert herangeht? Die Antwort lautet: Es gibt keinen zentralen Projektmanager, der für die Umsetzung des Projektes verantwortlich zeichnet. So erklärte Bundesbank-Vorstand Carl-Ludwig Thiele am 19. August 2013 in der FAZ, dass die Bundesbank zwar für einen reibungslosen Zahlungsverkehr verantwortlich sei, aber nicht für die Umstellung: „Zuständig sind die Kreditwirtschaft und ihre Kunden“, sagt Thiele. Die Kreditwirtschaft und ihre Kunden sind sich jedoch bis heute über wichtige Stellschrauben – etwa wie ein gültiges SEPA-Lastschrift-Mandat auszusehen hat – nicht einig geworden.
Jedes fünfte Unternehmen arbeitet ohne schriftlich bestätigte Einzugsermächtigungen
Viele Unternehmen und Vereine zögern die Umstellung auf SEPA immer weiter hinaus, weil sie nicht wissen, wie sie mit dem neuen SEPA-Lastschriftverfahren umgehen sollen. Auch das zeigt die Umfrage von ibi research deutlich. 64 Prozent der befragten Unternehmen und Vereine haben bis dato immer noch zum Teil keine schriftlich vorliegenden Einzugsermächtigungen. Bei 75 Prozent dieser Unternehmen und Vereine macht der Anteil der nicht schriftlich vorliegenden Einzugsermächtigungen mehr als 25 Prozent aus. Knapp 20 Prozent gaben sogar an, überhaupt keine schriftlichen Einzugsermächtigungen zu haben.
Viele Unternehmen halten still, weil sie Angst haben, ihre Kunden würden abspringen
Damit ergibt sich für sie ein handfestes Problem: Um nämlich bereits bestehende Einzugsermächtigungen in gültige SEPA-Lastschriftmandate umwandeln zu können, müssten sie eigentlich jetzt ihre Kunden und Mitglieder darum bitten, ihnen nachträglich ein händisch unterschriebenes Mandat auszustellen. Doch nur 33 Prozent der Betroffenen hat vor, dies auch zu tun. Der Grund: 45 Prozent der betroffenen Unternehmen und Vereine haben Angst davor, ihre Kunden/Mitglieder durch die Aufforderung, ihnen doch bitte per Unterschrift noch einmal zu bestätigen, dass sie auch wirklich Geld von ihrem Konto abbuchen dürfen, zu verunsichern. Nach dem Motto: „Die buchen doch schon jetzt von meinem Konto Geld ab, warum wollen die plötzlich auch noch meine Unterschrift?“ 30 Prozent der Unternehmen befürchten, dass ihre Kunden das Vertragsverhältnis mit ihnen überdenken würden und es gegebenenfalls aufkündigen würden. 55 Prozent scheuen ganz einfach, die Papier- und Portokosten, 37 Prozent wollen durch ihr Nicht-Handeln vermeiden, dass ihr Kundensupport aufwändiger wird.
Die Folgen des Vogel-Strauß-Verhaltens sind bislang nicht abzusehen
Die in der Wirtschaft weit verbreitete Unsicherheit über das richtige Management des neuen Lastschriftverfahrens führt zu einem Vogel-Strauß-Verhalten, dessen Folgen bis dato nicht absehbar sind. 22 Prozent der Unternehmen sagten in der ibi-Umfrage bezüglich des Lastschriftverfahrens: „Wir machen weiter wie bisher“. 19 Prozent: „Wir wissen nicht, wie wir damit umgehen sollen.“ 6 Prozent: „Wir haben noch keine Planungen dazu“, 11 Prozent wollen zumindest per De-Mail oder Fax die schriftliche Bestätigung ihrer bestehenden Einzugsermächtigung nachträglich erbitten und verlassen sich darauf, dass diese telekommunikativ übermittelte Bestätigung ausreichen wird. Doch bis dato ist selbst diese Frage in den meisten Fällen nicht geklärt.
Die Deutsche Kreditwirtschaft will scheinbar das Problem aussitzen
So versucht der Branchenverband BITKOM seit Anfang Juni 2013, der Deutschen Kreditwirtschaft eine praxistaugliche Lösung abzuringen, die helfen könnte, die einfache Handhabbarkeit des bisherigen deutschen Lastschriftverfahrens ins neue SEPA-Zeitalter herüberzuretten. „Wir haben der Deutschen Kreditwirtschaft eine Softwarelösung vorgeschlagen, bei der aus dem Internet-Mandats-Formular eine PDF erzeugt wird“, so BITKOM-SEPA-Fachmann Hans-Rainer van den Berg. Das würde Unternehmen,Vereinen und Spendenorganisationen es ermöglichen, gültige SEPA-Lastschriftmandate ihrer Kunden/Mitglieder direkt über ihre Homepages einzusammeln. Sie müssten sie nicht bitten, zum Briefkasten zu laufen, um ihnen ein händisch unterschriebenes Mandat zuzuschicken. Bislang allerdings hat die Deutsche Kreditwirtschaft auf diesen BITKOM-Vorschlag nicht reagiert.
Für die Umstellung sind die Kreditwirtschaft und ihre Kunden zuständig
Richtig ist, dass auch andere europäische Länder noch erheblichen Nachholbedarf haben. Doch das kann keine Entschuldigung für eine monatelange Verschleppung der Umsetzung von SEPA sein. Wenn der Stichtag 1. Februar 2014 platzt und noch für bislang unbestimmte Zeit die SEPA- wie die DTA-Infrastruktur parallel aufrechterhalten werden müsste, kostet jeder Tag der Verlängerung bares Geld. Und diese Kosten werden die Finanzdienstleister an die Unternehmen und Vereine weitergeben und diese wiederum an die Verbraucher und ihre Mitglieder. Wie Herr Thiele von der Bundesbank schon sagte: Die Bundesbank ist zwar für einen reibungslosen Zahlungsverkehr verantwortlich. Für die Umstellung aber sind die Kreditwirtschaft und ihre Kunden zuständig. Hoffentlich packen sie/wir (?) es an.
Studie: SEPA-Umsetzung in Deutschland/ibi research an der Uni Regensburg
https://www.sepa-wissen.de/studien.html
BITKOM Positionspapier
https://www.vdb.de/news.aspx#BITKOMPositionspapier
„Ein Fünftel lebt immer noch im Tal der Ahnungslosen“ das stimmt allerdings! Es wird noch eine größere Aufregung geben…Nach Zahlen der Bundesbank wurde in Deutschland bisher in erst 712.738 Fällen (Stand: 13.08.2013) vergeben, obwohl es bundesweit 3,6 Millionen Unternehmen gibt. Quelle: https://www.marktundmittelstand.de/nachrichten/finanzierung/unternehmen-insolvenzen-durch-sepa/
Danke für diesen Artikel. Ich bin in unserem Großsportverein für die Abwicklung von SEPA zuständig und habe schon seit Juni Seminare besucht und Gespräche mit der Bank gehabt. Trotz allem gibt es noch viele Unklarheiten. Die Vereinssoftware muss vom Hersteller noch umgestellt werden. Außerdem gibt es unterschiedliche Aussagen zu den Mandatsnummern. Die Bank sagt, es muss jedesmal eine neue Nummer vergeben werden. Die Verbände sagen, man kann die Mitgliedsnummern verwenden, da diese Nummern sich nicht ändern. Wir müssen auch mal zwischendurch abbuchen, das geht auch nicht mehr. Mir hat selten so sehr vor etwas beruflich gegraut wie diese Umstellung und lassen es einfach auf uns zukommen. MfG Heike Fenske