Musikfest Berlin – Bruckners Achte mit Daniel Barenboim, Bruckners Neunte mit Daniele Gatti

 

Zwei Monumente der spätromantischen Sinfonik in zwei sehr verschiedenen Lesarten. Wer konnte mehr überzeugen?

Das Musikfest in Berlin, traditionell ein Kräftevergleich zwischen der orchestralen Weltelite aus Berlin und aus allen anderen Winkeln der Erde, kennt in diesem Jahr kein inhaltliches Zentrum – und kreist etwas unbestimmt um drei Schwerpunkte: um Anton Bruckner, Isang Yun (100. Geburtstag) und Claudio Monteverdi (450. Geburtstag).

Macht aber nichts. Denn das eigentlich Spannende in der Hauptstadt sind in diesen Wochen ohnehin die Premieren – die Auftakte in eine Zeit mit neuen Intendanten und Chefdirigenten. Chris Dercon an der Volksbühne und Oliver Reese am Berliner Ensemble nehmen ihre Arbeit auf. Reese mit einer Flut von neuen Inszenierungen und Berliner Premieren. Dercon mit einer Flut des performativen Unsinns, die das Schlimmste befürchten lässt.

Im Sturm der leidenschaftlichen Debatte über das Ende der Castorf-Theater-Ära an der Volksbühne ist in den vergangenen Wochen beinahe untergegangen, dass auch die Berliner Musikwelt vor einem Neuanfang steht. Bei den Philharmonikern neigt sich die Ära von Simon Rattle dem Ende entgegen (und mit Intendantin Andrea Zietzschmann wohl auch das Ende aller Crossover-Experimente). Daniel Barenboims Staatskapelle zieht im Oktober wieder zurück in die Lindenoper. Und dann geben noch gleich drei neue Chefdirigenten ihre Debüts: Robin Ticciati (34) beim Deustchen Symphonie-Orchester (DSO), Vladimir Jurowski (45) beim Rundfunk-Sinfonie-Orchester (RSB) und Justin Doyle  (41) beim Rias Kammerchor.

Doch der Auftakt von Saison und Musikfest gehörte nicht den Berliner Youngstern, sondern dem Altmeister und Platzhirschen in der Hauptstadt: Daniel Barenboim. Und auf dem Programm stand genau das, womit Barenboim die Staatskapelle in der Champions-Laegue geführt, sie zum weltweit umjubelten Klangkörper geformt hat: Bruckners Achte, ein Monument der spätromantischen Sinfonik – eine Art Ostermesse für jeden Klassik-Liebhaber.

Barenboim präsentierte sich in erstaunlich guter Frühform, hielt die Seinen in Kopfsatz und  Scherzo zur Akzentuierung der blockhaften Form an – und ließ die Leinen los, wann immer es Legato fließen sollte. Auch der heikle Ausgleich zwischen dem dunkel treibenden, punktierten Zentralmotiv und den verträumten Michel-Melodien glückte – Respekt!

Im verteufelt schwierigen Adagio indes, in dem es laut Bruckner „feierlich langsam“ zugehen soll, drohte dem Orchester nach seligen Anfangsminuten und zweimaligem Aufstieg in den Himmel der Zusammenbruch: Plötzlich überschwemmten die Klangwellen die kammermusikalischen Passagen, war die Binnenspannung weg – und kehrte auch im Finale nicht wieder: Wie gerne hätte man die Moitiv-Variationen blechbläser-mystischer, Bruckners schiere Klanggewalt schärfer herausgemeißelt gehört!

Dem Royal Concertgebouw aus Amsterdam war es wenige Tage später vorbehalten, Bruckners Neunte in Angriff zu nehmen, aber was heißt schon Angriff: Der neue Chefdirigent des ausgezeichneten Orchesters, Daniele Gatti, liebt es langsam und breitwandig. Bruckner hat das Werk bekanntlich „Dem lieben Gott“ gewidmet – folgt man Gatti, muss es im Himmel ziemlich schwül sein.

Darf man Bruckner im 21. Jahrhundert aus dem Geist von Hans Zimmer spielen? Gatti – mit seiner kräftige Statur und seinen fließenden Armbewegungen eine Pulteleganz, wie sie im Buche steht – setzt ganz auf schwere Abstriche, auf einen bassgefederten Streichersound, der nicht an der Differenz der Register interessiert ist (arme Holzbläser!) und lässt dabei leider zu wenig Formgefühl aufblitzen. Es ist mir schlicht ein Rätsel, dass das Concertgebouw mit dieser – momentweise grandiosen, insgesamt strauss-parfümiereten – Neunten ein paar Tage zuvor in Luzern reüssiert haben soll.

Ungleich überzeugender gelang vor der Pause Wolfgang Rihms „In-Schrift“ – ein 20-minütiges, pulsierendes Raum-Musik-Spektakel der Hell-Dunkel- und Laut-Leise-Extreme, mit Röhrenglocken, Tubenschwarz und Trommelstakkato – engagiert dirigiert und mit großer Leidenschaft ausgeführt – ein großer, kleiner (überraschender) Höhepunkt des Musikfests.

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