300 Kilometer an der Mosel und keinen Wein getrunken. Der Nightride von Canyon

Wehlener Sonnenuhr. Bremmer Calmont. Zeltinger Sonnenuhr, und ja, auch der Kröver Nacktarsch. Es sind Namen, die in der Weinwelt Zungenschnalzen auslösen. Es ist 03:20 am Sonntag, den 21. Mai, als ich unterhalb der Lage „Graacher Himmelreich“ entlangrolle. Nicht, dass ich sie sehen würde, es ist noch stockduster, vor mir blinken und leuchten die Rücklichter der Rennradfahrer vor mir.

Radsport erfordert großes Gepäck.

Es hätte also auch gar keinen Sinn, Thomas neben mir darüber zu unterrichten, dass ein Wein just von hier im vergangenen September bei der traditionellen Versteigerung des Verbandes der Prädikatsweingüter (VDP) einen Preis von 10.120,95 erzielt hat. Eine Flasche. Gut, immerhin eine Magnum, also 1,5 Liter Inhalt. Es ist die teuerste Flasche des Tages, die Normalflasche mit 0,75 Liter des gleichen Weins geht für 4998 Euro weg, ich war dabei: „Vergesst den Preis, folgt euren Bedürfnissen.“

Es ist eine Trockenbeerenauslese des Weinguts Joh. Jos. Prüm. Aus dem Jahrgang 2005. Die lag also schon vor ihrem ersten Verkauf eine Weile rum. Das passt zu uns, denn wir sind als wir diesen Herkunftsort passieren auch schon eine Weile unterwegs, aber an rumliegen ist nicht zu denken. Wir sitzen seit vier Stunden und fünf Minuten im Rennradsattel.

Weintipps entlang der Route #1 in Winningen: 2016 von den Terrassen, Weingut Matthias Knebel, 12,50 ab Weingut

Seit unserem Start in Koblenz haben wir 124 Kilometer zurückgelegt, eine kleine Snackpause eingelegt und sind ansonsten geradelt. Durch die Nacht. Immerhin: Nicht allein. Ganz im Gegenteil. In der Startgruppe, für die sich Thomas und ich beim Canyon Nightride angemeldet haben, soll ein Schnitt von 32 Kilometer pro Stunde gefahren werden. Wir sind gut 100 Fahrer.

Gute Nummer, gute Fahrt!

Ich habe eine kurze Radhose an und das war eher die dritt- oder viertbeste Idee meiner Vorbereitung. Die beste war sicherlich, doch noch die winddichte warme Jacke mitzunehmen. Die sehr wenigen Menschen, die uns dabei gesehen haben, werden sich vielleicht gefragt haben, ob das überhaupt eine gute Idee ist 300 Kilometer am Stück Rad zu fahren und das dann auch noch durch die Nacht.

Ist es.

Es ist eine genauso gute Idee, wie sich einige der Weine zu kaufen, die gleich hinter Koblenz in der Passage der sogenannten „Terrassenmosel“ wachsen. Wir hätten es sehen können, wenn es eben nicht dunkel gewesen wäre, aber der junge Winzer Matthias Knebel ringt im elterlichen Weingut einem Hang Weine ab. Wer oberhalb der Lage Röttgen steht, ahnt – das ist nicht leicht. Vor die Wahl gestellt, im Hang bei der Ernte zu helfen, oder nachts die ziemlich glatte Moselstraße entlangzufahren, zögerte ich nicht: Rad. (Wenn auch nicht wie Knebel, der mit seinem Downhill-Bike in seiner Freizeit gerne abwärts rast.)

Weintipps entlang der Route #2 in Pünderich: 2015 vom grauen Schiefer, Weingut Clemens Busch

Dabei ist auch das flache Fahren zunächst alles anderes als gemütlich. Es ist zu Beginn weder die Distanz noch das Tempo, die die Premiere dieser Veranstaltung besonders machen. Es ist die Mischung aus kurioser Atmosphäre, dem Gefühl, dass vielleicht doch auch weitere Teilnehmer selbst nicht so genau wissen, worauf sie sich da eingelassen haben.

Da ahnt man ja noch nicht, wie kalt es wird. Da lacht man noch. Haha!

Gefahren wird in einer Zweier-Reihe. Wir sind mit 100 Fahrern ein Verband, der laut StVO ab 16 Fahrern beginnt. Heißt: Wir sind ein Verkehrskörper. Fährt der erste Radfahrer bei Grün über die Ampel und die schaltet auf Rot während die Gruppe noch die Ampel überquert, dürfen wird das. Wir müssen auch die Radwege nicht benutzen. Vorne und hinten begleiten uns Autos. Die Gruppe zu überholen ist nahezu unmöglich.

In Zweier-Reihe bei einer Grundgeschwindigkeit jenseits der 30km/h, dem Vordermann auf Tuchfühlung und keiner Chance zu sehen, was vorne kommt und passiert – anstrengend. Sicher nicht so anstrengend wie eine Blindprobe mit frischen Rieslingen von der Mosel und der Pflicht, Verkostungsnotizen aufzuschreiben. Aber auch.

300 Kilometer. Auf dem Rad. Es klingt zunächst monströs. So gewaltig wie die Hänge, die wir nicht sehen, während wir an ihnen unten vorbeirauschen. Das Gute ist: Am Anfang weiß man ja nicht, wie es am Ende sein wird. Also hat man zunächst mal mit den akuten Problemen tun.

Weintipps entlang der Route #3 in Enkirch: 2015 Escheburg Riesling trocken, Weingut Carl August Immich-Batterieberg

Es ist nämlich doch kühler als gedacht. Gut, unlängst waren unerwartete Frostnächte, die bereits blühende Weinreben zerstörten. Das ist ein Schlag für die Moselwinzer. Aber dass es nachts kühl wird, das ist für die Weine von der Mosel grundsätzlich einer der entscheidenden Vorteile. Sie erhalten dadurch ihre lebendige Frische.

Mir zieht die Kälte hingegen ums Knie, denn in der Vorbereitung habe ich mich für das bessere Polster und gegen die bessere Isolierung in Form einer langen Hose entschieden. Ich bin nicht der einzige, aber einer der wenigen. Von den leisen Stimmen, die einem sagen „Mal wieder ganz clever.“ will ich aber nichts hören in dem Moment, das grinst man weg. Schon vorm Start, als der Moderator fragt, wer denn wohl kurze Hose fahren würde. „Es ist ja Sommer“, sage ich selbstbewusst ins Mikrofon.

Auf dem Fußballplatz von Trittenheim gab’s Nudelsuppe und weil es so kalt war, wollten alle schnell weg als sie auf den Rädern saßen. Uhrzeit: 04:14.

Und auf dem Rad ist es auch irgendwie auszuhalten. Handschuhe, Kopfband, vier Oberteilschichten, Thermohüllen für die Schuhe tun ihren Dienst. Anhalten ist das Problem. Ausgerechnet in Trittenheim, der Heimat der berühmten Lage „Apotheke“, die die Hälfte der Ausfahrt markiert, werden wir in einem beheizten Vereinsheim versorgt. Suppe draußen, Getränke und Kekse drin. Dort gibt es auch den Stempel, dass wir es bis dahin geschafft haben.

Es ist 04:20 und die meisten würden den Alkohol der Weine aus der Trittenheimer Apotheke (und auch den Restzucker, dessen Süße diese Weine so desserig verführerisch macht) zum Aufwärmen wohl begrüßen. Aber – es bleibt bei Instantzitronentee, Cola und mancher ergattert gar Kaffee.

Die Rückfahrt beginnt im Morgengrauen. Die Weinberge schälen sich aus dem Dunkelblau langsam hervor, Konturen sind zu erkennen. Wir sehen: Wir sind inmitten von Weinbergen. Grundsätzlich geht es nun flussabwärts gen Mündung. Die minimale Steigung, die wir auf den 150 Kilometer aufwärts absolviert haben, schenkt uns nun noch ein wenig Schub als Gefälle. Das Gefühl „Jetzt geht es heim, gleich sind wir da.“ Es fährt mit. Trügerisch, denn es sind schließlich noch mal so viele Kilometer wie eine anständige Tagestour lang ist.

Der Nebel verhindert, dass die Sonne uns wärmt, dennoch herrscht lockerere Stimmung in der Gruppe, die bei Fernsehübertragungen über kurz oder lang Peloton heißen würde. Die zu Beginn noch brav eingehaltene Fahrordnung bricht auf, mal radeln einige zu dritt nebeneinander, es werden munter Positionen gewechselt.

Es WAR kalt! UND dunkel!!!! #mimimi

Und irgendwann MUSS der Moment kommen, wo nichts mehr geht, wo Müdigkeit, Kälte und Erschöpfung zuschlagen. Er kommt nicht. Nicht nach 200 Kilometern (Melting Pot Traben Trarbach, von den örtlichen Feierlichkeiten Heimkehrende grüßen uns), nicht nach 230 Kilometer, dem endgültig letzten Stopp zum Essen und Trinken in Edigen-Eller. Dort war neben unserer Raststation auf dem Hinweg noch Remmidemmi, jetzt war das Knattern der Freilaufnaben das einzige Geräusch in der Nachbarschaft.

Weintipps entlang der Route #4: (Okay, okay, FAST an der Route. Es wären nur noch drei Kilometer mehr gewesen hinter Trittenheim) 2015 Alte Reben Riesling, Weingut Carl Loewen (Aber der Wein ist die kleine Ausnahme wert.)

Und dann beginnt die Fahrt. 230 Kilometer ging es vergleichsweise gesittet zu. Vorne machten einige Fahrer Tempo (die 5km, die Thomas und ich vorneweg im Wind fuhren, waren schon nach gut 40 Kilometer absolviert) und hinten hängt sich das ganze Feld quasi dran. Im Feld zu fahren ist wie hinter einem Trecker. Der Sog zieht einen ein gutes Stück mit, jeder fährt erheblich schneller als er es allein bewältigen könnte.

Aber irgendwann sind wir dann doch da!

Und die vorne geben Gas. Und alle kommen mit. Für einen Schnack ist jetzt immer weniger Zeit, mit teils um die 40km/h auf glatter Strecke geht es Kilometer näher und näher dem Ziel. Es bleibt gar keine Zeit zu überlegen, ob das noch geht oder nicht. Entsteht eine Lücke versucht man sie zuzufahren, wieder in den rettenden Windschatten zu gelangen. Ich kann das noch. Selbst die Brückenquerungen, winzige Anstiege, die einem nach fast 9 Stunden im Sattel dennoch den Rest geben können – ich trete sie hoch. Der Schwung, der Zug, die Atmosphäre – ich weiß es nicht. Es geht und ich frage nicht nach.

Und dann sehe ich wieder die Lage Röttgen von Downhillracer Matthias Knebel, es geht bald danach recht abrupt in die Stadt hinein, unumjubelt landen wir auf dem leeren Parkplatz des Radherstellers Canyon, wo wir starteten. Es ist kurz vor 10:00, ich bin in einem wilden kalten Ritt mit gut 100 Menschen 300 Kilometer Rad gefahren. Kein Tropfen Wein. Weder von Knebel, nicht von Villa Huesgen, nicht von Heymann-Löwenstein.

Und überhaupt. Es wären ja alles nur die Weingüter, die wir probiert hätten zwischen Koblenz und Trittenheim. Es fehlten noch diejenigen, die hinter Trittenheim den Ruhm des Anbaugebiets Mosel-Saar-Ruwer weiter mehren. Egon Müller, van Volxem, Nik Weis, Carl Loewen und und und. Es wären weitere 60 Kilometer. 210 ein Weg…

Und langsam formt sich eine Idee…

P.S. Für die, die es interessiert, hier der Verlauf der Tour: https://connect.garmin.com/modern/activity/1745461622

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Alle Kommentare [2]

  1. Die Mosel ist einfach traumhaft. Vor lauter Fliegerei vergisst man gerne, was für wunderschöne Landschaften es auch in Deutschland gibt. Und dann zwischendurch einen leckeren Wein, einfach toll.

  2. …“und langsam formt sich eine Idee..“

    Darauf bin ich gespannt…und evtl. dabei 🙂