Liebesbrief an ein Rennrad

Liebes Rennrad,

es war Liebe auf den ersten Blick. Ich sah dich letzten Sommer in den Armen eines anderen. Du warst schön, du strahltest, du bist an mir vorbeigeglitten wie ein Schwan auf einem stillen See bei Vollmond. Der andere hatte sich fein gemacht, er wetteiferte mit seinem neuen Helm und den passenden Schuhen um die Aufmerksamkeit der Menschen. Doch ich hatte nur Augen nur für dich. Ich wusste – eines  Tages wollte ich dich haben.

Eigentlich hatte ich keine Chance, eines wie dich mein zu nennen. Ich wusste es, du bist eine Diva mit deinem formschönen Lenker, deinen leichten Laufrädern und der Lackierung in Rot. Du hattest Geschmack, deine Accessoires waren vom Derailleur bis zur Bremse passend gewählt. Du bist nicht billig zu haben, das machtest du klar. Ich hatte die Hoffnung aufgegeben. Doch dann, ein Zufall, hatte ich die Chance, ein wenig kürzer hier zu treten und ein wenig kürzer da zu treten und für dich zu sparen und um dich zu werben. (Liebes Lied Absolute Beginner)

Ich wollte dich erst dennoch nicht. Zu groß dein Schatten, zu prächtig deine Gestalt, zu ehrfurchtgebietend deine Fähigkeiten. Ich würde mich nie deiner würdig zeigen können. Ich kann dich voller Leidenschaft lieben, aber dich fahren, wie du es verdienst, das kann ich nicht und werde ich nie. (Fuck you Cee Lo Green)

imageIch warb um dich und wurde erhört. Gut, es war nicht leicht, dich zu bekommen. Du wolltest sehen, dass du mir wichtig bist, du wolltest sehen, dass ich bis zum Äußersten gehe. Du hast dich mir nicht sofort hingegeben, das würdest du nie tun. Du wolltest Taten sehen und ich machte dir Geschenke. Große Geschenke. Ein großes Geschenk, um genau zu sein. Deine Familie erwartete das. Am 20. November nannte sie einen Preis. Ich zahlte ihn. Sofort und unverzüglich.

Das Geschenk habe ich dir in den Minuten geschickt, in denen ich erfuhr, wie hoch er ist. Doch dann begann mein Leid, meine Enttäuschung. Aus deiner Familie erhielt ich ein Schreiben, dass du mich 14 Tage und Nächte später erhören würdest, sobald das Geschenk eingetroffen sei. Es vergingen 10 Tage. Es vergingen 10 Nächte. Eine Nachricht traf bei mir ein. Kühl und sachlich.

Jemand aus deiner Familie schrieb mir. Das Geschenk sei heute eingetroffen. 10 Tage soll es unterwegs gewesen sein. Ich weiß, dass das nicht stimmt. Dein Schreiben war nicht persönlich, es war vorbereitet.  Du hast wohl – das wurde mir klar – schon öfter Geschenke erhalten, deine Familie sendete die Nachrichten in Worten, die freundlich aber nicht warm oder gar verständnisvoll für die Wünsche meines sehnsüchtigen Herzens waren.

Du solltest laufen wie geschmiert. Nie sollte es deiner Kette an Fett fehlen.

Du solltest laufen wie geschmiert. Nie sollte es deiner Kette an Fett fehlen.

Ich war erzürnt. Ich war wütend. Ich war wie von Sinnen. Ich weiß – es waren nicht die nettesten Zeilen, die ich an dich nun schrieb. Du antwortetest sofort. Mit einer Mail, dass du sie erhalten, aber leider nicht lesen oder gar sofort beantworten könnest. Es würde zwei bis drei Tage dauern, bis du sie lesen könntest. Ich schrieb einen Brief voller Emotion und bekam eine kalte Standardfloskel zurück.

Doch – ich war doch nur enttäuscht. Ich wollte dich noch immer und nur so rasch es möglich war. Immerhin. Du wolltest nun bei mir bald einziehen. Bis Anfang spätestens Dezember solltest du in meinen Armen sein. Gut. Ich geduldete mich. Eine Woche mehr – für wahre echte Liebe warte ich. Das habe ich dir versprochen.

Mehr als das. Ich tat Dinge, die ich noch nie für ein Rennrad tat. Ich sorgte mich um dein Wohlbefinden. Ich kaufte Kettenreiniger, damit du immer geschmeidig läufst. Ich kaufte Rahmenschutz, damit dir nie Schmutz dein Glanz stehle. Ich kaufte Reinigungsspray. Mit ihm wollte ich dich von Hand pflegen, wenn du dreckig wirst. Ich habe so etwas noch nie getan.

Es stimmt. Du wärest nicht mein einziges Rad. Ich habe andere Räder. Ich nehme sie und fahre sie in die seelenlosen Waschboxen und sprühe sie mit Wasserkraft sauber, auch wenn es nicht gut für sie ist. Ich öle die Ketten, das schon. Ich pumpe sie auf, das auch. Aber sie sind nur treue Gesellen, die mich von A nach B bringen und manche auch sehr schnell. Aber für dich wollte ich ein anderer Mensch werden. Dich sollte eine Waschbox nie sehen. Ich malte mir aus, wie ich mit weichen Lappen und sanften Borsten deinen empfindlichen Körper und deine beweglichen Glieder reinigte.

Deinen Rahmen wollte ich schützen. Ich hätte alles für dich getan.

Deinen Rahmen wollte ich schützen. Ich hätte alles für dich getan.

Dann kam sie. Deine Zusage. Du wolltest bei mir einziehen. Das Geschenk sei da. Du seist bereit.

Du wolltest mein sein.

Im Mai.

Mai. 2016. In 6 Monaten. Statt in zwei Wochen.

Ich lachte, ich las dein Schreiben zwei mal. Es müsse ein Irrtum sein, so wie das falsche Datum, deines Schreibens, dachte ich. Ich las es drei mal. Ich las es vier mal. Ich konnte nicht glauben, was du mir schriebst. Ich war am Boden zerstört. Kein sachtes Kennenlernen in der Wärme unseres gemeinsamen Heims. Keine ersten gemeinsamen Ausfahrten in den ersten Strahlen des März, keine wilden Ritte in der ersten Hitze des Wonnemomats April.

Ich schrieb sofort deiner Familie. „….es kann zwei bis drei….“-blablabla. Und immer meldete sich wer anders aus deiner Familie. Mal Peter. Mal Melanie. Mal Waldemar. Mal Katrin. Mal… Ach, egal. Und keiner wollte meine Antwort: noreply@ca…. lautete dein Absender. Natürlich. Du hast so viele Verehrer. Ich war nur eine Nummer. Ich konnte sie bald auswendig. Es interessierte dich nicht. Vermutlich schrieb deine Familie auch deswegen einmal „Herr Thorsten…“.

Am Abend schrieb ich dem Familienoberhaupt. Dem Meister, der alles verantwortet. Der, der mir als einziger zusagen konnte, dass ich bald dich mein nennen könne. Ich hatte ihn vorher immer schon wissen lassen, was in mir vorgeht. Die Hoffnung. Die Wut. Nun schrieb ich ihm allein. Ein letzter Brief sollte es sein. Du kennst diese Briefe. Die, in denen steht, dass man aufgibt, dass man nicht mehr will. Und eigentlich steht da doch nur: Komm endlich zu mir. All die Pflegeprodukte, die ich nur für dich gekauft habe, ich wollte sie nicht zurücksenden, ich wollte sie behalten, weil ich törichter Narr an ein Glück glaubte, das uns bevorstand.

Und dein Meister antwortete.

Er sei ein gleicher Narr, der Fahrräder liebe, wie ich es täte. Und dass er meine Pein und meinen Kummer verstehen könne. Und dass er sich um eine „schnelle Lösung“ kümmern würde.

Deine Ritzel sollten glänzen, wie das Geschmeide von Königinnen. Du solltest meine Königin sein.

Deine Ritzel sollten glänzen, wie das Geschmeide von Königinnen. Du solltest meine Königin sein.

Ich hatte gegeben, was ich konnte und ich wurde erhört. Es gab Hoffnung. Licht am Ende des Tunnels. Dein Meister selber wollte uns zusammenbringen.

Es verging eine Woche. Deine Familie schrieb. Ich war zittrig vor Aufregung. Die Pflegeprodukte seien nun unterwegs. Gut. Schön. Es verging noch etwas Zeit. Deine Familie schrieb erneut. Du, mein heiß ersehntes Rennrad seist bereit für mich.

Im Mai.

Ein Irrtum. Sicherlich. Dein Meister hatte es doch versprochen! „Schnelle Lösung“! Nicht „genauso langes Warten“.

Deine Familie schrieb am kommenden Tag und vor zwei Tagen erneut. Ich war zittrig. Ich öffnete die Mail. Das PDF. Auftragsbestätigung. NUN würde es soweit sein.

Lieferdatum: Mai 2016.

Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Ich bin leer. Ich bin müde. Ich bin erschöpft. Ich habe keine Kraft zu schimpfen, keine zu heulen. Du trittst mich mit Füßen, dein Geschenk in sicheren Händen. Ich könnte es zurückbekommen, ja das schon. Aber eigentlich wollte ich dich. (This is not a love song. P.I.L.)

dein Geliebter

P.S. Zur ganzen traurigen Geschichte gehört wohl auch, dass es mir nicht gelingt, die Bilder aufrecht einzubauen. Auch hier: Verzweifelte Aufgabe.

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Alle Kommentare [4]

  1. @martin bizarr – ich weiß. ich habe samstag abend am heimischen laptop die bilder in wordpress drehen wollen. fehlschlag. dann eines ausgetauscht und auf dem laptop aufrecht gestellt, dann in wordpress hochgeladen. quer. ich habe dann tatsächlich aufgegeben und es als zeichen akzeptiert. 🙂 aber grundsätzlich kann ich bilder drehen, ja.

  2. Herrjeh,

    das kann wohl nur ein Radsportler verstehen, was Du uns hier leidenschaftlich schilderst 🙁
    Deine Frau weiß aber Bescheid über deine neue Liebe?
    Im übrigen kann ich dein Leid soo gut nachvollziehen (aber nicht annähernd so sensibel beschreiben *b).
    Mir erging es damals ähnlich mit meinem BMC TM01. Bestellt und genanntes Lieferdatum Dezember. Dann hieß es Januar, dann war gar nichts mehr klar, dann wieder April, es sollte später Mai werden… letztlich bekam ich es (als Erstes BMC in NRW *g) im April. Reichte knapp um sich näher kennen zu lernen und dann im Sommer die Wettkämpfe gemeinsam bestreiten zu können
    Allerdings, mehrfach war ich geneigt, meine Liebe anderweitig zu vergeben, an ein bike das auch mich wollte ,… aber letztlich wartete ich, denn dafür war (und ist) es einfach zuu schön 🙂

    Was mich halt am meisten ärgerte war das ständige Vertrösten!