Laufstilanalyse die Dritte. Ein Besuch bei Dr. Paul Klein im Institut für Funktionale Diagnostik IFD in Köln

Die Suche nach Antworten beginnt oft auf einem Laufband. Der Händler wirft – wenn es gut gemacht ist – eine Kamera an. Gemeinsam schaut man sich den mehr oder weniger abknickenden Fuß auf der Aufzeichnung an. Danach sucht der Verkäufer passende Schuhe aus. Man probiert sie und kauft das Paar, das einem am meisten zusagt. Die Laufstilanalyse. Proniert man? (Und das ist keine Schweinerei.) Ist man neutral – wie die Schweiz?

Gehen Sie mal ein paar Schritte. Niemand beobachtet Sie!

Gehen Sie mal ein paar Schritte. Niemand beobachtet Sie!

Das ist in etwa das Szenario, dem sich tausende von Menschen jedes Jahr unterziehen, um den richtigen Schuh fürs Laufen zu finden. Und um schlussendlich besser zu laufen. Das habe ich natürlich schon mal gemacht. Dann war ich noch Teil einer Studie an der TU Berlin. Das machen dann schon weniger. Die Ergebnisse waren interessant und dank der Aufnahmen mit einer High-Speedkamera auch lustig anzuschauen.

Da geht noch mehr!

Um aber noch mehr über meinen Bewegungsablauf zu erfahren, habe ich mit mit Sensoren vollkleben lassen, starrte ahnungslos auf Diagramme, rannte mehrfach fast nackt durch einen Flur und bekam einen Bericht mit 3 Seiten Text, 10 Seiten Diagrammen und einer DVD mit Filmen, von dem ich zunächst nur meinen Namen und das Datum verstand. Nennt sich dann „Funktionelle-orthopädische Diagnostik“. Und gibt es im Institut für Funktionelle Diagnostik (IFD), das zur Mediapark-Klinik in Köln gehört. Um schlussendlich zu wissen, warum ich sch…. laufe. Denn den Eindruck musste ich zwangsläufig gewinne. Nicht ganz langsam, aber eben… naja, ginge besser.

Aber mal janz ruhig, von Beginn an.

Dr. Paul Klein isse ’ne Kölner, wie man ihn sich wönscht. Humorig, trocken, unhektisch. FC-Fan. Nicht nur FC-Fan – Er ist Orthopäde und als solcher Mannschaftsarzt des 1. FC Köln. Seit 2004. Nervlich gestählt durch Aufstieg (der war 2004, rechnen Sie mal 1 und 1 zusammen!), Poldimania und ein Publikum, das seiner Mannschaft alles verzeiht, meint man. Ich bin nur Läufer. Er guckt freundlich, schaut mich an und innerlich warte ich auf ein einfaches „Hätt noch immer joot jejange“ als Diagnose.

Neben der Analyse des Fußauftritts zeigt dieses Foto folgende Diagnos: Kreisrunder Haarausfall. WHAT???

Neben der Analyse des Fußauftritts zeigt dieses Foto folgende Diagnose: Kreisrunder Haarausfall. WHAT???

Ganz so leicht ist es dann aber doch nicht. Das IFD misst nicht einfach den Bewegungsablauf. Das machen auch andere. Es misst meine Haltung. Die Verteilung meines Gewichts auf das rechte und linke Bein. Wie viel Kraft meine Waden leisten. Auch das – machen vermutlich auch andere. Es misst dann noch mit 12 Kameras, die sich an einem Gerüst rund um das Untersuchungsrund befinden, die Bewegungsabläufe. Machen vielleicht auch noch andere. Silberne Punkte reflektieren dabei Infrarotstrahlen, die Kameras zeichnen also nur die Eckpunkte auf. Kenne ich schon von der Radvermessung. Dann misst es aber auch noch, wann welcher Muskel „unter Strom“ steht. Und aus der Kombination dieser beiden Dinge – Bewegungsablauf und Muskelstimulation – ergibt sich dann doch ein Ergebnis, das Profisportlern aus ganz Deutschland hilft, Schwachstellen im Bewegungsablauf zu erkennen und mit gezieltem Training entgegenzusteuern. Das ist – laut Klein – in dieser Form Klein einzigartig in Deutschland.

Aber es sind längst nicht nur Menschen, die beruflich auf ihren Körper angewiesen sind, die ins IFD kommen. Genauso behandelt Klein Menschen, die nach einer Operation die Bewegungen wieder erreichen wollen, die sie vor dem Eingriff beherrschten. Das können im Einzelfall auch Damen sein, die ihren Golfschwung wieder auf altes Niveau heben wollen.

Glühwürmchen? Nein, reflektierende Bälle.

Glühwürmchen? Nein, reflektierende Bälle.

Läufer, so wie ich, sind hingegen geradezu prädestiniert, sich das genau anzuschauen. Wir laufen uns ja kaputt. So gesund es ist: Die Jahrzehnte an Gehen in Schuhen, die Jahre an Laufen in Laufschuhen – sie fordern oft ihren Tribut. Achillessehnen, Meniskus, etc. – kann man sich alles kaputt laufen. Ich persönlich habe Glück: Ich habe so spät im Leben mit echtem Laufen begonnen – ich hatte zumindest gesunde Knie, bevor ich angefangen habe mit 42 Jahren.

Damit das so bleibt, ziehe ich mich bis auf die Unterhose aus, stelle mich zunächst auf ein Podest, das die Gewichtsverteilung meines Körpers misst, lasse einen Laserstrahl meinen Körper ertasten, sehe mir als Ergebnis die dreidimensionale graue Silhouette an und denke: „Michelinmännchen. Chips streichen.“ Hauke Drewitz, Mitarbeiter im IFD, der mich betreut, beklebt und vermisst, ist noch entspannt. 37 Kilo rechts und 40 Kilo links und jetzt müssen Sie nur mal kurz addieren. Das gilt – wie es im Bericht heißt – als „unauffällig“.

Ich nehme das mal als Kompliment. Aber: Es sind gute Nachrichten, denn trotz „SIAS rechts nach anterior“, wie wir unter uns Knochen-Professoren auch gerne die leichte Beckenrotation nennen, ist das nicht wild. Wäre es anders, hätte ich ein Problem: „Der Fuß tariert aus, was oben schief läuft.“ Ein Rattenschwanz an Problemen handelt sich der in den Beinen und Füßen ein, der oben Probleme hat.

Punkte, Kabel und Sensoren. Der Mensch auf dem Prüfstand. Hält die Verkabelung?

Punkte, Kabel und Sensoren. Der Mensch auf dem Prüfstand. Hält die Verkabelung?

Das ist erst der Anfang. Herzstück der Lauflabors ist ein langer Flur, der im Messraum endet. Dort werde ich bei Ampel grün mehrere Male hineinlaufen. Mit eben jenen silbernen Kugeln beklebt und Strommessern behangen, die ich oben erwähnte. Bis die dran sind: Das dauert. Die Beine werden teils rasiert, dann ertastet Drewitz die entscheidenden Punkte, klebt eine Silberkugel drauf. 40 Marker befinden sich am Ende an meinen beiden Beinen. Danach die Strommesser. Das sieht lustig aus. Will aber nicht so recht halten. Deswegen kommen nach den ersten Läufen die ersten Klebestreifen. Danach noch welche. Es will nicht halten. Und es sieht schon aus wie beim Seminar „Bondage Baumarkt-Style“.

Fertig ist der Weihnachtsbaum. Richtig - auf dem Podest sind die abrasierten Haare, sonst halten die Klebesensoren nicht.

Fertig ist der Weihnachtsbaum. Richtig – auf dem Podest sind die abrasierten Haare, sonst halten die Klebesensoren nicht.

Am Ende gelingen aber doch ausreichend gefilmte Läufe in einer Pace von etwa 5:03 min/km, die 3,3 Meter pro Sekunde entsprechen und auf dem Tacho eine Geschwindigkeit von 11,88 Kilometer pro Stunde bedeuten.

Es folgt noch eine Messung der Kraft in den Waden.

Und dann kommt der Bericht auf Papier ins Haus. Ich zitiere:

„Guter Zeheneinsatz rechts.“

Erinnern Sie sich an Ihre Schulzeit, als in der Klassenarbeit alles voll war mit roten Strichen, Wellenlinien unter den Sätzen und Anmerkungen an der Seite und nur irgendwo mittendrin stand „Interessanter Gedanke“? Ja, da ist was positiv. Es scheint nur nutzlos und am Ende am Thema vorbei zu sein. Und einen vor der 4- nicht zu retten.

Ansonsten hier mal wahllos weiter: „beidseits Defizit in der muskulären Stabilisation“. „…bei Fersenkontakt deutlich invertiert aufgesetzt“ (das Wort „deutlich“ klingt schon nach mangelhaft). „Beidseits erhöhtes Eversionsmoment“. „Erhöhte Knieflexion sowie vermehrte Knieabduktion.“

Noch mehr?

Die ersten Auflösungserscheinungen am Athleten. Die Kabel halten nicht. Haarige Sache!

Die ersten Auflösungserscheinungen am Athleten. Die Kabel halten nicht. Haarige Sache!

„Verändertes Aktivierungsmuster des M. biceps femoris rechts mit fehlender Aktivität in der zweiten Hälfte der Stützphase.“ „Beidseit zu verbessernde Beinachsenkontrolle.“ „Leicht abgeschwächte Muskelkraft der Wadenmusikulatur“.

Wenn Sie als Laie damit durch sind, dann würden Sie sich wie ich an ihr gräuliches Michelinmännchenfoto mit hängendem Kopf von Beginn erinnern und denken: „Ich beherrsche nicht mal den aufrechten Gang.“

Vom grazilen Lauf mal ganz zu schweigen.

Es folgen die: „Interventionsempfehlungen“. Das sind nicht Trainingstipps oder Muskelratgeber. INTERVENTIONEN. Eingreifen. Blauhelm-Trainer für meine Waden.

Es sind dann aber dann doch die Klassiker und ich darf aufatmen. Kniebeugen, Beinachsentraining, Laufschulung, Stabi-Training für den Rumpf.

Also das, was ich eh machen soll, jeder Läufer machen soll. Das, was in jedem Lauftipp-Ratgeber steht und von mir seit Beginn meiner Läuferlaufbahn im Jahr 2011 konsequent ignoriert wird.

Einige Wochen später:

DRUCK DRUCK DRUCK - die Wade im Belastungstest.

DRUCK DRUCK DRUCK – die Wade im Belastungstest.

Dr. Klein bleibt entspannt. Ich habe ihn gebeten, mir die Messungen noch mal zu erläutern. Seine Interpretation der Ergebnisse fällt weit weniger dramatisch aus, als ich es mir in den schillernden Farben von Laufschuhen ausgemalt habe.

„Wenn es dramatisch wäre, dann hätten Sie ja Schmerzen“, sagt Klein in seiner Mischung aus Hochdeutsch mit kölschem Singsang. Es sei nur manchmal auch nicht schlecht, prophylaktisch genau hinzuschauen. Klein kennt meine Messdaten, kennt die Videos und ich bin beruhigt als er sagt: „Das ist in der Summe echt nicht schlecht. Besser als bei manchem Fußballprofi.“ Ausgerechnet die Gesäßmuskeln, über die ich mir selten Gedanken mache, seien gut ausgebildet und das Becken sei im Bewegungsablauf „sehr stabil“.

Torjubel!

Dafür verhielte sich der Fuß SEHR auffällig. Über den Außenrand aufsetzen und langsam in die Abrollbewegung komme: „Das ist ziemlich belastend für die Wade.“

Ausgleich.

Von der „Inversion in die Exerversion“ ginge das und mit 23° Spiel sei meine Bewegung außerhalb jeder Norm.

Rückstand.

Da könne man was dran tun, beruhigt mich Dr. Klein, und die einbeinige Kniebeuge beherrsche ich, wie ihm das Video zeigt, dann doch gar nicht so schlecht. Ich müsse sie halt nur öfter machen. Übersetzt: Überhaupt mal machen, denn meine erste war bei der Messung.

Trainingslager Sondereinheiten 

Mit den Übungen käme dann mehr Stabilität in den Bewegungsablauf, den ich dann peu a peu anpassen könne. Auch wenn ich bislang keine Probleme habe. „Der Körper ist wie eine Regentonne. Da passt viel rein. Aber irgendwann ist sie voll“, sagt Dr. Klein. Er kenne Läufer, die zu ihm sagen, dass sie doch seit 15 Jahren beschwerdefrei sein, sie könnten das gar nicht verstehen.

Ich habe verstanden.

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Laufstilanalysen wie diese sind sehr aufwändig. Wer beschwerdefrei ist, wird sicher keine Kostenübernahme der gesetzlichen Krankenkasse erhalten. Auch private Kassen sollten kontaktiert werden, bevor der Termin mit einem Institut wie dem IFD gemacht wird. Mit Beschwerden sieht das gegebenenfalls besser aus. Wer diese Untersuchung machen will, wie sie hier beschrieben ist, muss mit Kosten von etwa 800 Euro rechnen. Einfachere Messungen beginnen bei 120 bis 200 Euro und sehr komplexe für Profis können bis zu 1500 Euro kosten. Ob es einem das wert ist, muss jeder selber einschätzen.

 

 

 

 

 

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Alle Kommentare [3]

  1. soso,.. Mannschaftsarzt des 1.FC Köln ! Darf ich dich daran erinnern, bei welchem Verein DU registriert bist ? *g – Scherz beiseite

    Sehr interessanter Bericht, besonders die plastische Information mit der Regentonne. Das trifft es m.E. auf den Punkt. Ich laufe seit 1985 Marathon (Bestzeit 2:58 Std.) , habe mich noch nie um irgendwelche Stabi-Übungen, Lauf-ABC usw. gekümmert. Warum auch, keine Schmerzen, tolle Wettkampfzeiten.

    Aber irgendwann kommt der Punkt, da ist die Regentonne voll. Bei mir lief sie bereits über. Ich bin immer noch kein fleißiger Athlet, was Rumpfstabi, Lauf-ABC und Kniebeugen (einbeinig? da fall ich um *g) angeht, aber ich mache es immer mehr und – es hilft.
    Allerdings, eine solche wie von Dir beschriebene Analyse wäre nix für mich. Was wenn mir der Doc sagt, ich müsste den oder den Laufschuh tragen aufgrund der Bewegungsanalyse,.. .. mir aber die Farben bei den vorgeschlagenen Modellen nicht gefallen ?? Da käme keine Freude am Laufen auf 🙂

  2. Danke für den Einblick in die trockene Materie. Als „Verweigerer“ jeglicher Ärzte und Berater hat man ja stets den Eindruck, dass dort keine Leistung verkauft sondern nur Geld für etwas rumhüpfen genommen wird.

    Letztlich ein ganz schöner Batzen Geld – wobei die meisten Läufer bei Verletzungen sicher auch zu IGE-Leistungen oder Privatrezepten greifen und im Nachgang Geld verbrennen.

    Was mich aber (wie sicher andere Leser auch) wirklich trifft, ist der Rückschluss auf das Stabi Training. Ach ja… es könnte so einfach sein.