Der große Irrtum vom großen Erfolg des Marathons

Zu den lustigsten Kurzbeobachtungen des Lebens auf twitter, die ich unlängst las, gehörte dieser Beitrag des Accounts @der_Handwerk: „Mit 40 ist man ja schon froh, wenn man mal jemanden kennenlernt, der nicht grad für einen Marathon trainiert.“

Laufen – und Marathon – das gilt als eine Modeerscheinung, etwas, das jeder mal gemacht haben muss. Als Mann müsste man heute Baum pflanzen und Kinder zeugen eben noch um „Marathon laufen“ erweitern. In diesem lustigen Interview im Rahmen des Digitalen Quartetts beim Basecamp am 4. November in Berlin wiederholt der Journalist Hajo Schumacher – unter Läufern besser bekannt als Achim Achilles –  (etwa ab Minute 36 reinspringen) gegenüber Moderator Thomas Knüwer das Klischee, dass heute Manager ja unbedingt Läufer sein müssten. (Disclaimer: Mein Name fällt im Rahmen des Videos zuvor auch. Was ich heute erst sah. Als Beispiel für einen Lauf-Irren… Was auch sonst…?) Marathon sei Auszeichnung für viele tolle Eigenschaften. Und wer als Läufer sich mit anderen Läufern unterhält, sei es physisch oder virtuell, kann schnell den Eindruck gewinnen: Jeder tut es.

Wenn gar nichts mehr geht, bleibt eben nur sitzen bleiben.

Trendsport Marathon? Manchmal bleibe ich lieber sitzen.

Es stimmt nur einfach nicht. Die Zahl der Finisher eines Marathons, der auf deutschem Boden ausgetragen wurde, nimmt ab. Erneut. Sie liegt sogar, so der sehr ausführliche statistische Bericht der Website „Laufreport.de“, um 40.000 Finisher niedriger als im Jahr 2005 als die Autoren erstmals die Zahlen erhoben. Im Vergleich zum Vorjahr „ließen sich noch etwa sieben- bis achttausend weitere Ergebniseinträge finden“.

Ach.

Mir scheint es, als ginge es dem Marathon ein wenig so, wie dem von mir mindestens genauso gerne erlebten Jazz – sein Image ist toll, es wollen ihn aber gar nicht so viele hören. Daran ändert auch nichts, dass die Autoren einräumen, dass 2005 vermutlich den Höchststand des Marathonfiebers in Deutschland markierte. Denn noch mal fünf Jahre früher seien es kaum die Hälfte an Finishern gewesen. 110.000 Teilnehmer werden nach Schätzung des Autoren Ralf Klink im Jahr 2014 auf deutschem Boden einen Marathon beendet haben. Dass es 110.000 verschiedene Menschen sind, stimmt schon alleine deswegen nicht, weil ich allein in dieser Statistik drei Mal gezählt werde. Andere sicher fünf. Noch wieder andere eher 10 mal.

Wir sind nicht sehr viele. Als Athlet kann einem das die eigene Leistung noch ein wenig einzigartiger erscheinen lassen. Denn wenn ich mal grob den Daumen hochnehme und von einer Vielzahl an Mehrfachstartern ausgehe, dann sind es  keine 100.000 Menschen, die in Deutschland dieses Jahr einen Marathon vollendeten. Da auch immer internationale Gäste starten, sind es wiederum noch ein mal weniger Starter mit deutschem Pass (wenngleich man einräumen muss, dass natürlich viele Deutsche ihrerseits in einem anderen Land an den Start gehen).

Schön am St

Marathon ist Mode? Strand auch.

Im Nationenranking aber, so Laufreport, lag Deutschland mal an Position zwei nach den USA, nun ist da Japan und wir nur noch Bronze.

Was also ist da los?

Zum einen liegt es daran, dass immer mehr Marathons, wie zum Beispiel Düsseldorf oder Köln, auch Startplätze für Staffeln und auch einen ins Wochenende integrierten Halbmarathon anbieten. Die Veranstalter, besorgt um ihr Renommee, schreiben gern von so und so vielen Teilnehmern am Marathonwochenende. Von denen sind aber nur der kleinere Teil bei dem Hauptlauf dabei. Der Rest der angemeldeten Starter verteilt sich auf Staffeln und den sogenannten Unterdistanzen.

Zum anderen erlebte allein der mit Abstand größte Marathon des Landes in Berlin eine Überraschung. 40.000 Starter hatten den Zuschlag in einer Lotterie oder über langjährige Teilnahme für einen Startplatz bekommen. Ins Ziel kamen keine 29.000 (im Vorjahr waren es noch 36.474). Mit rund 10 Prozent weniger Finishern als sich Teilnehmer anmelden rechnen die Veranstalter normalerweise. 25 Prozent – auch damit ist Berlin in Deutschland einsame Spitze. Dabei hatten sich in der Lotterie 2013 mehr als 70.000 Menschen um einen Startplatz bemüht. Das wird für die Ausgabe 2015 kaum anders sein.

Erst melden, dann denken. Üblicherweise veralbere ich damit meine Eigenart, mich zu Wettbewerben anzumelden, für die ich einfach gar nicht genug trainieren kann oder die ich besser ausfallen lassen sollte. Trotz 100 Euro nicht  erstattbarer Anmeldegebühr beim Berlin-Marathon scheinen es sich einfach im Laufe des Jahres wahnsinnig viele Teilnehmer anders zu überlegen.

Hajo Schumacher hat sicher recht – Laufen ist Mode, Laufen ist Thema. Sportlich sein ist es. Der Gesundheitsfanatismus und Körperkult tun das übrige. Die Wirtschaft verlangt in der Tat den Typus austrainierter Manager, der sich im Studio, statt an der Bar um die Firma sorgt. Das optische  Erscheinungsbild ist für Menschen an der Spitze relevant, einige Männer lassen deswegen auch gern mal den Chirurgen ran, wie ich hier vor mehr als einem Jahr schrieb.

Ein Schuh. Drei Generationen. Kein Konflikt.

Vielleicht laufen wir ja alle nur wegen der vielen tollen Schuhe?

Wir erleben zudem, dass muss auch mal gesagt werden,  eine Eventisierung des Laufens. Das Happening, die Veranstaltung, das Davor, das Danach – das alles ist unter Umständen wichtiger als die Distanz zu absolvieren. Das bleibt etwas, das auch 2014 keinen Zentimeter weniger anstrengend war als 2013, 2005 oder 2000.

In der Tat versucht aber eine sehr aufmerksame Industrie rund um die großen Ausdauersportarten, uns ihre Produkte schmackhaft zu machen. Was dem Laufen der Schuh, ist dem Triathlon das Rad – kein Wunder, dass Schwimmer nie auf einen finanziellen Zweig kommen (Franzi van Almsick mal ausgenommen oder Britta Steffen), denn eine Badehose ist kein Artikel, der sagenumwobene Anstrengungen des Marketings erfordert und hinterher riesige Margen abwirft. Im Schwimmen ist kein Geld. Im Laufen schon. Im Triathlon mehr. Triathlonwettkämpfe schießen wie Pilze aus der Erde. Marathons, auch die kleinen mit keinen 1000 Finishern, halten sich hingegen nur wacker. Oft veranstaltet von kleinen Vereinen mit zahlreichen freiwilligen Helfern, halten sie sich am Markt, auch wenn der ihnen gerade nicht wohlgesonnen ist.

Marathon als Wettbewerb ist keine Wachstumsstory. Die Zahlen gehen nach unten in ihrer Gänze, einzelne Wettbewerbe (Hamburg) legen deutlich zu, andere (Köln) nehmen deutlich ab. Für den Läufer wie mich, der das staunend zur Kenntnis nimmt, hat es jedoch zum Glück keinerlei Konsequenz, außer, dass der vermeintliche Boomsport Marathon eben genau das nicht ist. Wir laufen dennoch einfach weiter.

 

 

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Alle Kommentare [9]

  1. @Alex, zweifelsfrei richtig. Die Hürde zum Triathlon wird zudem durch zahlreiche Angebote mit Distanzen weit unter denen eines Ironman natürlich niedriger gelegt. Aber Schwimmen – ich weiß es nur zu gut – ist natürlich alles andere als leicht. Im Gegenteil. Aber ich als ehemaliger Vereinsschwimmer kann auf einer Langdistanz dennoch kaum so viel Boden gut machen, wie ich gegenüber den versierten Radfahrern dann wieder verliere. Aber das macht den Reiz des Sports ja mit aus.

  2. Es macht den Anschein als müsse auch jeder auch einen Triathlon im Leben vollendet haben. Bin seit Jahren fleißiger Radfahrer bzw. Schwimmer und es kommen immer mehr Leute die meine sie müssten entweder auf 750 oder 1500 Meter im Schwimmbad trainieren. Der Wettkampf, zu dem sie sich angemeldet haben findet dann in vier Monaten statt und man trainiert ohne wirkliche Kenntnisse über Technik zwei Mal Training die Woche. Nach 14 Tagen wundert man sich dann, dass nach 4 mal schwimmen man immer noch weit weg von der geplanten Distanz ist. Schwimmen ist ja einfach.

  3. Zahlen und Fakten… davor graut’s mir ja 😀 Ich seh das Trailrunning eher als Trend, aber das liegt wohl daran, dass ich alles was damit zu tun hat aufschnappe. Genauso wie beim Radeln. Arg schlimm.
    Aber was ich mal reinwerfen möchte: Es ist Trend in unserer Gesellschaft vieles zu wollen, aber wenig durchzustehen, durchzuziehen, auszuhalten.

  4. @mike höhö, dann bin ich definitiv auch spaßläufer. aber noch ist die sache ja nicht entschieden! 2015 wird angegriffen. 🙂

  5. Nachtrag:
    Das mit den schlechteren Zeiten stimmt tatsächlich. Ist immer Teil des Vortragsprogramms von Dieter Baumann. Die Anzahl der Finisher unter 3 Stunden hat dramatisch abgenommen. Also alles Spaßläufer! Toll 😉

  6. Guckst du hier:
    https://www.marathon-ergebnis.de/MarathonBestenliste.html

    50.288 Herren und 12.201 Damen in 2013. Also noch deutlich unter deiner Schätzung.
    Nach wie vor ist es eben nicht so einfach: Marathon laufen wollen ist ein Trend, Marathon laufen können verbleibt nur einer verschwindend kleinen Menge, und ich muß es mal so sagen, der Elite.
    Und das ist auch gut so!
    Marathon ist eben nichts für Angeber und Sprücheklopfer, man muss sich das (auch oder gerade im Kopf) erarbeiten, und zwar täglich für mindestens 2-3 Monate.
    Deswegen gehört jedem Finisher mein tiefster und ehrfürchtigster Respekt!

    Und: Ist mir piepwurschtegal, ob es ein Trend ist! Ich laufe, weil es mir gut tut und zwar in JEDER Beziehung!!!

  7. @Becky So ist es. Aber mich hat einfach überrascht, wie deutlich doch Image und Zahlen auseinanderliegen. Das Wort „Marathon“ wird ja zudem für alles andere angewandt. Temposünderkontrollen, Dauerverhandlungen, etc.. Es wäre sicher auch interessant, noch mal zu schauen, wie sich die Zeiten entwickelt haben und wie die Teilnehmerstruktur ist. Altersklassen, etc..

  8. Ich seh’s auch so, dass man Dinge eher abspeichert, die man bewunderswert, blöd oder mutig findet – eben mit Emotionen verbindet. Für viele ist Marathon eine ordentliche Distanz, ein bewundernswertes Sporterlebnis, ein kleiner Wahnsinn, etwas, das man(n) nicht immer und täglich macht. Das merkt man sich, das speichert man ab. Und dann trifft man eventuell wieder jemanden, der auch Marathon laufen will oder läuft und zack ist es geboren: Die Annahme, dass man eben Marathon zu laufen hat. Dass es ein Trend ist.
    Hier kommt es arg auf die gesellschaftliche Umgebung an, in der man sich befindet. Wenn man mal die Fühler ausstreckt, dann ist auf einmal Häkeln für Frauen ab 21 voll in, das DIY, das Hindernis-Rennen mit Schmerz-Erlebnissen, das Fixie-Radeln in der Stadt und und und. Aber vielleicht wird es dank der Medien nur breiter, vielfältiger und häufiger kommuniziert und war schon immer da? Vielleicht laufen sie alle keinen Marathon, die das sagen, aber wollen und trainieren. Vielleicht ist es „in“ zu sagen, dass man einen Marathon laufen wolle. Am Ende aber zählen die Fakten, die Laufzeit, die gehäkelte Mütze, der selbstgemachte Blumentopf, der geschaffte Strongmanrun. Und das sind die, denen es egal ist, dass andere es als Trend ansehen – es ist für einen selber die Leidenschaft und jeder andere, der ernsthaft mitmachen möchte, ist hier willkommen. Sei es auf Twitter, Facebook, auf Blogs, im Laden oder auf der Laufstrecke.