Der Iron-Müllmann. Sauber bleiben beim Ironman Austria in Klagenfurt.

Ich könnte bis zum Anschlag vollgepumpt sein mit Dopingmitteln. Es würde nichts passieren, da der Veranstalter keine Amateure kontrolliert. Ich könnte, so gut es geht, verbotenerweise im Windschatten eines stärkeren Radlers fahren. Es gäbe zunächst mal nur eine Zeitstrafe, wenn ich denn überhaupt erwischt würde. Ich könnte in meinem Triathlonrad einen Mini-E-Bike-Motor montiert haben. Es hätte niemand überprüft. Nur, ob die Bremsen funktionieren und mein Helm gut sitzt.

Müll oder Merchandise oder irgendwie beides?

Müll oder Merchandise oder irgendwie beides?

Aber wehe, ich werde beim Wasserlassen am Straßenrand erwischt oder schmeiße das Fitzelchen plastifiziertes Alu des Engerie-Gels unterwegs einfach so auf die Straße: Disqualifikation. Nein, auch nicht den Schnipsel, den man abreißen muss, um das Gel-Tütchen zu öffnen.

Triathlon soll eine saubere Sache sein. „Litter Area“ steht auf riesigen Schildern  kurz vor den Versorgungsstationen auf der 90 Kilometer langen Radschleife. Und so sehen sie auch aus, in etwa wie der Boden rings um das Brandenburger Tor an jedem 1. Januar um 4:00. Ich fahre durch und nestele die viele Kilometer vorher geleerten Geltütchen aus der Tasche an meinem Triathlonrad und werfe sie ordnungsgemäß in der Litter Area auf den Boden, greife rollend nach einem Stück Banane, das mir ein Helfer hin hält, hucke es hinunter, um die Schale noch innerhalb der Litter Area mit einer Schleuderbewegung regelkonform zu entsorgen und denke mir: „Was machst du hier?“.

Irondog. Der Teppich des Schwimmausstieg ist sauber.

Irondog. Der Teppich des Schwimmausstieg ist sauber.

Willkommen beim Ironman Austria in Klagenfurt, wo sich am 29. Juni 2014 rund 3000 Hobbysportler im Laufe des Tages wohl die gleiche Frage stellten. Zwischen dem ersten Startschuss um 6:45 und dem Ende um 0:00, also 17 Stunden und 15 Minuten später, versuchten sie 3800 Meter zu schwimmen, 180 Kilometer Rad zu fahren und zum Abschluss einen Marathon mit 42 Kilometer zu absolvieren. Macht 226 Kilometer.

Bis ich aber überhaupt zum Start gehe, habe ich bereits gut 200 Kilogramm CO2 durch die 1000 Kilometer Autoanfahrt in die Luft geblasen. Mein ökologischer Fußbabdruck ist so groß und breit, wie sich die Füße am Abend nach dem Wettbewerb anfühlten. Aber ich habe meinen Müll weggebracht. Mitgeschleppt und der sachgerechten Entsorgung zugeführt. Die ganze Veranstaltung ein perfekt organisierter Wanderzirkus – der  über das Wochenende des 6. Juli in Frankfurt sein Bierzelt für Wettkampfbesprechung Siegerehrung und Startplatzvergabe für den Ironman Hawaii aufschlägt. In Klagenfurt beschlagnahmt er das Areal am Südufer des türkisblauen Wörthersee eine Woche zuvor. Die Artisten sind die Sportler, die Arena das Wasser, die Straßen und der Stadtpark – und ist binnen 24 Stunden fast spurlos wieder verschwunden.

Zelt, Zieltribüne und Wechselzone mit Radständern sind schneller weg als meine Beschwerden nach dem Rennen. Ich war schließlich allein sechs Stunden auf dem Rad unterwegs, mehrheitlich in einer rechtschaffen unbequemen Position, die windschnittig, aber halswirbelbrecherisch ist.  Der Kopf denkt in dieser absurden Haltung dennoch weiter. Warum muss ich 1000 Kilometer fahren und auf dem Kamm des biestigsten Bergs der Strecke ankommen und „Tage wie dieser“ von den Toten Hosen hören? Der Rupertiberg ist so steil, dass ich genug Zeit hatte in der zweiten Runde auch den Song danach zu hören, während ich stehend die Pedale trat (Geschwindigkeit etwa 8km/h): „Happy“ von Pharell Williams. „Clap along if you feel like that’s what you wanna do” singt Williams. Gerade nicht, Pharell. Keine Hand frei.

See sauber, Füße sauber, Wettkampfvorbereitung sauber.

See sauber, Füße sauber, Wettkampfvorbereitung sauber.

Unter der Badekappe schon kommen mir die absurdesten Gedanken: Wie viel CO2 produziere ich wohl angesichts der hektischen Schnappatmung, weil ständig eine Welle herrlich klares Seewasser in meinen Mund spült? Und ist es Lärmbelästigung, wenn ich davon unter Wasser aufstoßen muss? Und wo muss ich überhaupt lang? Ah, rechts, nein links. Es wurden dann auch eher 4100 Meter laut meiner GPS-Sport-Uhr dank kräftigen Zickzack-Kurses unterwegs. Es nutzte wenig, dass ich am Freitag noch mit meinem Bekannten Demeter Dick die Strecke zur Hälfte abgeschwommen bin, um die Streckenführung zu lernen. Denn im Wettkampf waren da auf ein mal hunderte andere Schwimmer – denen ich dann einfach hinterher bin. Demeter vorweg.

Es gibt noch ganz viele andere Dinge im Laufe so eines Tages, die einem durch den Kopf schießen. Werde ich einen Defekt haben? Habe ich genug zu essen am Rad? Wo sind eigentlich die tags zuvor noch beobachteten Forellen im 800 Meter langen Teilstück

Ironman-Linie. Bus fahren, Umwelt schonen.

Ironman-Linie. Bus fahren, Umwelt schonen.

Lendkanal, durch das eine Meute von 3000 Schwimmern durchpflügt? Trinke ich beim Laufen besser Wasser oder doch noch ein isotonisches Getränk? Und warum habe ich mir den Becher Cola ins Gesicht geschüttet statt des Wasserbechers in der anderen Hand? Hätte ich die Schraube des Getränkehalters am Sattel nicht noch fester ziehen können, denn beim ersten Buckel verrutscht der ganze Apparat. UND WAS MACHT DER IDIOT VOR MIR, DER EINE FLASCHE AUF DIE STRECKE FALLEN LÄSST, STATT SIE IN DEN GRABEN ZU FEUERN, WEIL WIR JA KEINEN MÜLL HINTERLASSEN SOLLEN!!!!

Sauber bleiben. Ruhig bleiben. Sauber laufen, das wird gegen Ende – also etwa ab Kilometer fünf von 42 zu absolvierenden – immer schwieriger. Egal wie frisch ich mich noch fühlte, als ich vom Rad stieg – ich bin seit über 10 Stunden wach und seit mehr als 7 Stunden unterwegs. Der Körper erinnert mich daran. Dennoch gibt es Gelegenheit, sich zu

Wanderzirkus Ironman

Wanderzirkus Ironman

wundern. Über den Streckenverlauf des Marathons, der an einer Stelle mitten durch die Liege eines Strandbades führt. Rechts und links liegen Badende und wir Teilnehmer trotteln mehr oder minder erledigt durch die Liegenden in einer abgesperrten Gasse. Zwei Mal führt die Strecke dort lang, beim zweiten Mal gehe ich den leichten Anstieg. Es gehen überhaupt schon sehr viele Teilnehmer. Ich gönne es mir nur in den Getränkestationen, dort aber umso genussvoller. Aber ich will Laufen, die letzten Reste Ehrgeiz reichen für eine Bewegung, die als Zeitlupenlauf durchgeht. Der Körper will nicht mehr, der Kopf meint, es müsse sein, so streiten die sich und ich mittendrin. Der Kopf siegt.

Denn das wichtigste Ziel beim Ironman – das Ankommen – das merke ich bald, das klappt. Das spüre ich voller Zuversicht auf den letzten gut 12 Kilometern, wenn zwar die Kraft für nun wirklich gar keinen Aufstieg mehr reicht, aber die Gewissheit des Ankommens einen

Stille Zeugen des Scheiterns. Beutel von Startern, die nicht losliefen.

Stille Zeugen des Scheiterns. Beutel von Startern, die nicht losliefen.

noch ein mal beflügelt. Ich beginne drei Kilometer vorm Ziel sogar noch mal zu rennen, die Laune steigt, die letzte Cola schmeckt noch mal besser, die allerletzte Verpflegungsstation, die in Österreich so hübsch „Labe“ heißt, lasse ich gar aus. Die wertvollen Sekunden will ich, nachdem ich gut 10 Mal zu vor in der Labe stehen blieb, mit Schwämmen das Salz aus dem Gesicht wusch und trank, nicht mehr verschenken. Albern? Aber unbedingt. Doch die letzten Kilometer will ich wieder genießen, mich freuen, dass das Training in all den Monaten zuvor sich heute auszahlt. Ich weiß, wo ich hin will: Ins Ziel. Keine 800 Meter vorm Ziel weiß einer nicht, wo es ist: „Where‘s the finish?“ fragt mich ein älterer Läufer aus Italien. Ich erkläre es ihm auf Englisch. „Are you sure?“. Was glaubt er – dass ich ihn auf eine weitere Runde senden will? Dass das Ziel abgebaut wurde? Die Strecke verlängert? Und was heißt schon Ziel?

Pastaparty-Pasta. Naja.

Pastaparty-Pasta. Naja.

Für Demeter Dick ist das Ziel nur auf den ersten Blick das blaue Portal in dem kleinen Stadion. Da ist er durch, in einer sensationellen Zeit. Weit vorne. Nur – ob es vorn genug war, das bleibt eine Zitterpartie. Ein Triathlet, der nicht von Hawaii träumt, dürfte selten sein. Wer darf nach Hawaii? Es gibt viele Wege, in Klagenfurt werden 50 Startplätze an die besten Teilnehmer vergeben, je nach Größe der Altersklasse zwischen eins bis sieben. Demeter ist nervös. Zurecht. 7 Plätze werden in seiner Gruppe verteilt. Er ist auf Rang 8. Es muss ein Teilnehmer verzichten, dann bekommt er ihn. Ein Platz bleibt frei. Demeter bleibt nervös. Erst als sein Name gerufen wird, löst sich die Spannung.

Ein Ironman ist ein langes Rennen. Selbst Profis bestreiten kaum mehr als drei im Jahr. Sich als Hobbyathlet drauf vorzubereiten dauert viele Monate. Alles für den Tag X. Man

Zittern bei der Slotvergabe für den Ironman Hawaii.

Zittern bei der Slotvergabe für den Ironman Hawaii.

selber kann so schnell sein wie nie zuvor. Wenn andere schneller sind, reisen sie nach Kona, Hawaii. Für Demeter ist das Ziel erst im Oktober erreicht, wenn er auf dem Ali’i-Drive ins Ziel läuft. Seine Mühen und sein Zittern sind ungleich größer und stärker als es meine waren in der Vorbereitung. Sie haben sich ausgezahlt.

Auch der längste Wettbewerb geht zu Ende. Der Ironman Klagenfurt für mich zwei Tage später, die Beine leicht erholt, erste Treppenstufen kann ich schon wieder meistern. Erstmals besuche ich die hübsche Innenstadt zum Schauen, Sonntag bin ich nur durchgelaufen. Die Absperrungen sind weg, die Cafés laden mit Apfelstrudel ein als sei nichts gewesen. Viele Teilnehmer sind auch noch da und tragen ihre Finisher-T-Shirts.

Souvenir, Souvenir. Bitte nicht aufräumen.

Souvenir, Souvenir. Bitte nicht aufräumen.

Sonst erinnert kaum noch etwas an das Spektakel, auf das ich 12 Monate meinen Körper vorbereitet habe. Auf dem Pflaster liegt der abgerissene Schnipsel eines Energie-Gels. Müll. Ich lasse ihn liegen. Und schaue, ob er nächstes Jahr noch immer da liegt. Denn natürlich habe ich mich wieder angemeldet.

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Alle Kommentare [6]

  1. sehr spannend.
    es ist toll zu lesen, das nach „oben“ noch soviel raum, wenn man sich gerade mal mit 21k rumschlägt 😉
    Gratulation nochmals, und wer weiss, irgendwann vielleicht doch der Anfang von eines Weges der nach Kailua-Kona führt …

  2. @marcel
    Melmac? 😉

    Danke! Ich nehme ihn nicht als Maß, wenn es um diese Leistung geht. Aber diese Leidenschaft ist großartig – die sollte uns allen Vorbild sein.

  3. Hey Thorsten

    Danke für den unterhaltsamen Blog Eintrag. Wirklich gut. Naja den Demeter sollte man ja nicht als Mass nehmen. Der kommt doch eh von einem anderen Planeten.
    Happy Training.

  4. Grandioser Text. Vor allem für Kaumsportler: Ich habe jetzt das tolle Gefühl, dabei gewesen (was alles ist) zu sein! Und sehr gelacht über den Colabecher. Danke!

  5. @Lars, danke. In den zwölf Monaten sind natürlich Ruhephasen und Grundlagentraining enthalten. Wichtig ist für mich mehr, dass ich weiß, dass dieser Wettbewerb ist, dem sich die andern sportlichen Aktivitäten unterordnen. Ich trainiere im November sicher auch nicht so viel wie im Mai. (Der Tdog schon) Aber zu wissen, dass dieser Wettbewerb kommt, hilft mir, mich darauf vorzubereiten. Das meine ich wohl mit 12 Monate Vorbereitung.

  6. Schön geschrieben! 12 Monate Vorbereitung? Über twitter kriegt man ja einiges mit (gerade von Demeter). Aber trotzdem frage ich mich immer, wie ihr Triathleten das macht. Ich komme neben Job und Familie gerade so mit dem Radtraining hin. Und selbst da reicht die Zeit selten für mehr als 100 km. Ich ziehe meinen virtuellen Helm. Weiter so!

    Viele Grüße Lars