Sport? Spaß? Oder Event. Warum ich froh bin, beim Berlinmarathon nicht zu starten.

Der Autor des Twitteraccounts @der_Handwerk hat es zusammengefasst: Mit 40 ist man ja schon froh, wenn man mal jemanden kennenlernt, der nicht grad für einen Marathon trainiert.

Es mag an meiner eigenen Wahrnehmung liegen. Oder auch an den tatsächlichen Zahlen: Es scheint, als liebäugele inzwischen jeder Zweite in meinem Umfeld mit der Teilnahme an einem Marathon.

Die Motive sind mannigfach. Eines scheint aber immer wichtiger zu werden: Auch mal dabei gewesen zu sein. Zum Langstreckenlaufen kann man kommen, wie die Jungfrau zum Kinde. Einfach mal beim Discounter bei einer Aktionswoche mit Laufklamotten zugeschlagen – zack – steht als nächstes die Anmeldung bei einem großen Marathon auf dem Plan. Weil es so toll sein soll, weil es andere doch auch geschafft haben. Weil das Unmögliche machbar erscheint (und schließlich auch ist.)

Die Zahlen für die Teilnahme steigen dabei nicht einmal signifikant. Viele kleinere Läufe haben Rückgänge bei den Teilnehmerzahlen. Diese Grafik von Laufreport zeigt es ganz gut für 2013. Viele Marathons haben weniger erfolgreiche Athleten als noch 2012. Es sticht heraus: Der Marathon in Berlin. Allein seinetwegen stieg 2013 wieder die Zahl der Finisher eines Marathons in Deutschland.

Alle Welt, so scheint es, will dahin. Ich wollte 2013 eigentlich nicht. Aber dann entsponn sich eine lustige Social-Media-Aktion rund um einen Startplatz für einen Lauffreund, den @triathlondog. Es endete damit, dass ich dann selber abgekämpft aber mit Bestzeit dort ins Ziel lief.

Der Berlinmarathon ist der mit  Abstand  größte als auch wohl  attraktivste Marathon Deutschlands. Und das wissen die Organisatoren von SCC Events. Wurden vergangenes Jahr die mehr als 30.000 Startplätze wohl binnen 4 Stunden im Internet verkauft, wollte SCC Events es diesmal anders machen und verloste die Startplätze. Damit jeder eine Chance haben sollte. 75.000 Bewerbungen gab es, keine 40.000 Plätze stehen zur Verfügung. Lediglich Athleten, die seit Jahren dabei sind und Mitglied im sogenannten Jubilee-Club (3131 Mitglieder mit 10 oder mehr Starts), konnten sich ihres Startplatzes sein. Und jene, die über ein Reisebüro einen Platz samt Übernachtung buchen.

Üblicherweise gibt es bei großen Sportveranstaltungen Frühbucherrabatte. Der Veranstalter kann besser planen, die Teilnehmer können sparen und wissen, dass sie dabei sind. Im Falle eines langen Triathlons können das auch wie bei mir 100 Euro sein, die man spart. Das Losverfahren des Berlinmarathons erübrigt diesen Rabatt. Die Teilnahme kostet 98 Euro. Das ist für einen Marathon eine hohe Summe, die sich ergibt aus vielen Dingen, darunter auch die hohen Sicherheitsstandards, die angelegt werden (was einen Flitzer am Ende doch nicht davon abhalten konnte, im Zielfoto den diesjährigen Sieger beim Weltrekord zu irritieren.)

Ich hatte nie vor, beim Berlinmarathon 2014 zu starten. Ich war trotz der herausragenden Atmosphäre dieses Jahr nicht ganz glücklich, ein wenig mehr Platz wäre mir lieber gewesen als eine tosende, riesige Messe auf dem Flughafen Tempelhof oder eine gigantische abgesperrte Starterzone – mehr Sport, weniger Event, damit hätte ich leben können.

Aber die Rechnung geht auf. Der Veranstalter SCC Events hat  zwar den Unmut all jener Paare oder Gruppen auf sich gezogen, die gemeinsam laufen wollten, aber nicht alle einen Platz bekamen. Aber das regelt der Markt: Wer nicht wollte, konnte nach der ersten Runde sein Ticket verfallen lassen, in einer Nachrückrunde kamen weitere Sportler zum Zug. Lauf-Paare mit nur einem Startplatz gibt es übrigens immer noch genug.

Aber die Veranstaltung wird voll, voller sein. Die Menschen, die einen Platz haben, beginnen ihre Vorfreude mit dem Losglück. Und sind allein schon froh, überhaupt dabei sein zu dürfen.

Jedem sei das gegönnt, die Strecke und die Zuschauer sind eine Reise allemal wert. Aber nahezu unbemerkt verschiebt sich die Perspektive auf den Marathon im Jedermannsegment. Dabei sein zählt. Möglichst bei einem großen Lauf mit spektakulärer Strecke, Kulisse und Zieleinlauf.

Das Event rückt in den Vordergrund, die sportliche Leistung rückt ein wenig ins Abseits. Das ist auch sehr hübsch am Triathlon zu beobachten, wo die Wettbewerbe nicht wie bei den Laufveranstaltungn aus kleinen Läufen gewachsen sind über die Jahrzehnte. Hier spielen von Anfang Unternehmen eine Rolle, im Triathlon federführend die World Triathlon Corporation mit den Markenrechten am Namen Ironman. Die WTC gehört zu einer Holding, die auch Filmstudios betreibt. Sie expandiert. Und das ganz ökonomisch auch mit harten Bandagen, der Wettbewerb in Kraichgau, bislang ausgetragen von der Gruppe Challenge, geht nun über zu Ironman, weil der örtliche Veranstalter sich dazu entschieden hat. Die WTC selber veranstaltet vor allem DEN Ironman auf Hawaii, das Gros der Wettbewerbe sind Lizenzveranstaltungen. Quasi Sport-Franchise. Der Athlet zahlt nicht den Aufwand eines örtlichen Vereines, sondern das Event eines profitorientierten Unternehmens. Sentimentatlität ist da fehl am Platz. Und es läuft: Der Ironman Klagenfurt – mit 480 Euro Startgeld kein billiges Vergnügen – war binnen 24 Stunden ausverkauft. Oder, wie ein Freund von mir, der bei einer Unternehmensberatung arbeitet, es zusammenfasste: Der Wettbewerb ist noch zu billig. Ich starte auch dort, weil das Marketing vorbildlich vom großen Traum Hawaii bis hinunter in die kleinsten Wettbewerbe funktioniert.

Und auch dem Erlebnis Berlin wäre ich wohl erlegen. Wenn ich einen Platz bekommen hätte – vermutlich wäre ich gestartet, die Versuchung bei so einem Happening dabei zu sein ist groß. Auch wenn Anreisestress und Termin 2014 für mich von Anfang heißen: Sportlich sinnlos. So werde ich eher in Essen bei einem Lauf um den Baldeneysee dabei sein mit weit geringem Nimbus und eher auch schon mal wenig bis gar keinen jubelnden Zuschauern am Wegesrand. Dafür hoffentlich in der dann gewünschten Zeit.

Mich freut es für jeden, der in Berlin startet. Ich wünschte mir, dass mehr Menschen darüber nicht vergessen, dass es nicht allein um das lautstark bejubelte Passieren des Brandenburger Tors geht, sondern darum, seinem Körper eine Leistung abzuverlangen, die nicht alltäglich ist, die Vorbereitung, Training und Opfer verlangt.

Da ich selber ohne nachzudenken einfach nur dabei sein wollte, weil so viele dabei sein wollten, bin ich inzwischen meinem Lospech dankbar, dass es mir die Teilnahme in Berlin verwehrt. Denn eigentlich will ich nur schnell laufen. Egal wo. Hauptsache, es ist Platz.

 

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