„Unternehmen wissen mehr über die Bevölkerung als Geheimdienste“

Berliner Kolloquium der Daimler und Benz Stiftung: „Der Datenmensch – Freiheit und Selbstbestimmung in der digitalen Welt“

 

„Unternehmen wissen mehr über die Bevölkerung als Geheimdienste“, sagt der Rechtswissenschaftler Alexander Roßnagel – Professor für Öffentliches Recht mit Schwerpunkt Recht Technik und Umweltschutz an der Universität Kassel –  als wissenschaftlicher Leiter beim 20. Berliner Kolloquium der Daimler und Benz Stiftung. „In einer Welt von Big Data und Ubiquitous Computing erodiert das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung.“ Patricia Piekenbrock von der Daimler und Benz Stiftung skizziert für den „Management Blog“ die verschiedenen Positionen. 

 

Alexander Roßnagel, Professor der Universität Kassel

Alexander Roßnagel, Rechtsprofessor an der Universität Kassel

Seit Jahrhunderten ist die Macht des Staates in Demokratien aufgrund der Gewaltenteilung gut beherrscht. Anders sieht es hingegen bei sozialer Macht aus: Derjenige, der viel über andere weiß, besitzt Wissensmacht. Die Elemente des normativen Schutzkonzepts der informationellen Selbstbestimmung nutzen sich – so Roßnagel – derzeit ab: Transparenz, Einwilligung, Zweckbindung, Erforderlichkeit, Vermeidung von Personenbezug, Betroffenenrechte und Kontrolle stehen in Frage. Die Daten der Nutzer sind das Kapital der Internetkonzerne wie Facebook, Google, Amazon, Apple oder Microsoft, bei denen eine viel zu hohe Machtzusammenballung liegt. Denn sie kennen nicht nur Gewohnheiten oder Vorlieben des Einzelnen, sondern wissen vor allem über dessen Kommunikation und Beziehungen Bescheid. „Wir befinden uns in einem Prozess, in dem sich soziale Macht verschiebt“, sagt Roßnagel. Diese Entwicklung kann die Selbstbestimmung der Menschen beschränken und widerspricht zudem dem Freiheitsgedanken und der Demokratie, so der Wissenschaftler.

 

Luxusgut: Datenschutz

So sieht auch Markus Beckedahl von der Plattform für digitale Freiheitsrechte, netzpolotik.org, „einen gefährlichen Trend, den die Bundesregierung durch die Kritik am Grundsatz der Datensparsamkeit noch verstärkt: Datenschutz wird zum Luxusgut.“ Was dagegen wichtig ist laut Beckedahl: Transparenz hinsichtlich der verwendeten Algorithmen, um Entscheidungen nachvollziehen zu können – und vor allem mehr Geld und Personal für Datenschutzbehörden.

Roßnagels Bedenken: „Auch die neue europäische Datenschutz-Grundverordnung hilft wenig“. Die Verordnung ist risikoneutral und wird den Herausforderungen der Technik nicht gerecht, moniert er. Zudem bleiben zahlreiche Aufgaben für die nationalen Gesetzgeber bestehen. Die große Frage ist: wie man die Probleme der schwindenden informationellen Selbstbestimmung und persönlichen Freiheit jenseits des Datenschutzes in den Griff bekommen?

Worin Roßnagel die Lösung sieht? In einer Aufgabenverteilung bei der Gestaltung eines effizienten Datenschutzes, die ganze Gesellschaft kann auf den bestehenden Regeln aufsetzen: Neben dem Gesetzgeber müssen Erziehungswesen, Bildungssystem, Nutzer- und Verbraucherverhalten sowie Politik, Wissenschaft und Technik ihren Beitrag leisten.

Dass Thoralf Schwanitz, Jurist bei Google Deutschland, das alles anders sieht, ist wenig überraschend: Nutzer können selbst über den Umfang entscheiden, in dem ihre persönlichen Daten bereitgestellt würden. Insbesondere die Praxis bei Google findet er wegweisend, da eine Bandbreite individualisierter Dateneinstellungen – von inkognito bis personalisiert – möglich ist, sagt Schwanitz.

————————————————————————————————————–

 

Beim Berliner Kolloquium der Daimler und Benz Stiftung – dieses fand am 11. Mai 2016 statt – treffen sich Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik. Die fachübergreifenden Themen dieser Veranstaltungsreihe wechseln jährlich und werden vor dem Hintergrund des Spannungsfelds Mensch, Umwelt und Technik behandelt.

 

Bildunterschrift:

Prof. Dr. Alexander Roßnagel leitete das 20. Berliner Kolloquium „Der Datenmensch“ der Daimler und Benz Stiftung. Er verwies auf die Unzulänglichkeit des Datenschutzes in Europa.

 

Copyright: Daimler und Benz Stiftung

 

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*