Buchauszug Oliver Greiner: „Touchdown! Das Strategiebuch. Wie Unternehmen unschlagbar werden.“

Buchauszug Oliver Greiner von Horváth & Partners: „Touchdown! Das Strategiebuch. Wie Unternehmen unschlagbar werden.“

 

Oliver Greiner (Foto: Horvarth)

 

Herausforderung
Another one bites the dust

Jedes Unternehmen möchte sich erfolgreich entwickeln. Doch warum
schaffen es so wenige, mehr als drei Generationen eigenständig zu
überleben? Wir begeben uns auf Spurensuche – und werden auf zwei
große Herausforderungen treffen.

 

Unverwundbar?

Und, wie laufen Ihre Geschäfte? Bestimmt haben Sie diese Frage schon oft gestellt bekommen oder selber Gesprächspartnern gestellt. Selten gibt es darauf eine ehrliche Antwort. Und wenn Sie sich die Frage selber stellen? Die Antwort vieler Unternehmer und Führungskräfte geht in etwa so: Na ja, es läuft nicht alles rund, aber im Großen und Ganzen sind wir ganz zufrieden. Wir sind schon einige Jahre am Markt und haben uns eine gute Position und Größe erkämpft. Die Veränderungen unseres Geschäftes haben wir auf dem Radar. Digitalisierung?

 

Damit haben wir bereits seit dem ersten Computer zu tun! Konkurrenz durch Start-ups? Die meisten verdienen sowieso kein Geld. Low-Cost-Wettbewerber? Immer wieder ärgerlich, hatten wir aber schon immer. Wir haben die Augen natürlich offen, im
Wesentlichen sind wir für die Zukunft aber gut aufgestellt. Klingt ziemlich unverwundbar. Die Wirklichkeit sieht aber anders aus.

Unternehmen werden nicht alt. Laut einer aktuellen Studie des Lehrstuhls
für Statistik und Ökonometrie der Universität Rostock liegt die Lebenserwartung
deutscher Unternehmen bei durchschnittlich acht bis zehn Jahren. Dabei ist natürlich die existenzielle Gefährdung in den ersten Jahren des Bestehens am größten, dann, wenn es darum geht, vom Markt erst einmal akzeptiert zu werden. Doch auch wenn man die früh Gescheiterten rausrechnet, bleiben Studien zufolge Unternehmen gerade einmal 30 bis 40 Jahre lang selbstständig. Lediglich circa fünf Prozent der Unternehmen leben länger als 50 Jahre. Siemens, Bayer, BMW oder Henkel
gehören beispielsweise dazu.

 

Die hohe Sterblichkeitsquote der Unternehmen

Da viele von uns mit diesen Unternehmen sozusagen aufgewachsen sind, vermitteln sie uns den Eindruck, als wären Unternehmen quasi unvergänglich. In Wirklichkeit sind sie die Ausnahmen. Die Zahlen vermitteln einen Eindruck davon, wie schwer es Unternehmen fällt, sich kontinuierlich verändernden Bedingungen anzupassen und
unabhängig zu bleiben. Der Blick auf die Zeit, die ein etabliertes Unter nehmen
im Durchschnitt eigenständig bleibt, erinnert mich immer wieder an das »Buddenbrook-Phänomen«, das Thomas Mann so wunderbar in Erzählform gebracht hat: Die erste Generation baut etwas auf, die zweite führt es zur Blüte, die dritte richtet es zugrunde.

 

Und tatsächlich lässt sich dieses Phänomen auf unsere heutige Wirtschaft übertragen: Die erste Führungsgeneration entdeckt einen Marktbedarf, die zweite nutzt ihn – und die dritte verpasst den Wandel. Das Besondere, welches das ursprüngliche Kennzeichen des Unternehmens ausgemacht hat, wurde nicht ausreichend den veränderten Bedingungen an gepasst. Große Konzerne können solche Defizite durch ihr breiteres Portfolio zumindest zeitweise auffangen, für die anderen wird die mangelnde Anpassung schnell existenzbedrohend. Und schon gehört ein
Unternehmen, welches bisher so stolz seinen Weg ging, zu den Verlierern
des Marktes.

 

… und die Ahnungslosigkeit vieler Führungskräfte

Vielen Führungskräften ist diese hohe Sterblichkeitsrate nicht präsent,
auch wenn die Sensibilität für die Verwundbarkeit des eigenen Unternehmens
in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat. Wenn ich heute
über die Überlebenschancen von Unternehmen spreche, so wird immer
häufiger die Sorge artikuliert, durch einen »disruptiven« Wettbewerber
vom Markt gefegt zu werden. Zum Beispiel von einer aggressiven Plattform,
die sich zwischen das Unternehmen und seine Kunden klemmt.
Oder von einem neuen Technologieanbieter, der die bisherigen Angebote
obsolet macht. Oder von einem cleveren Jungunternehmer, der mit einer
schlauen Geschäftsmodell-Idee in die Domäne etablierter Anbieter eindringt.

 

Keine Frage: Wir erleben gerade eine wilde unternehmerische Ära, in der neue Technologien und Ideen neue Chancen und Risiken geschaffen haben. Aber lassen wir uns nicht täuschen: Mit solchen Umbrüchen mussten Unternehmen schon immer umgehen, auch wenn die Zeit, die zur Anpassung zur Verfügung steht, deutlich kürzer geworden ist. Der erbitterte Kampf um die Sonnenplätze des Marktes ist kein neues Phänomen. Marktveränderungen und technologische Disruption sind keine exklusive Besonderheit unserer Zeit, auch früher mussten Unternehmen kontinuierlich um ihr Überleben kämpfen.

Schauen wir zur Erinnerung auf längst verschwundene Unternehmen, die noch vor einer Generation prägend waren. Begleiten Sie mich auf einer kleinen Zeitreise in ein fiktives Wohnzimmer Mitte der 1980er-Jahre: Vater kommt nach einem anstrengenden Arbeitstag im AEG-Werk zurück, zieht sich seine Salamander-Hausschuhe an und lässt sich in das frisch von Hertie gelieferte Sofa fallen. Er schaltet den neuen Nordmende-Fernseher an und ärgert sich wie immer über das schlechte Programm. Da hilft auch der neue Saba-Videorekorder nichts, denn er hat keine neuen VHS-Videos organisiert.
Dann schon lieber von der nagelneuen Grundig-Stereoanlage Musik hören. Queen, Bohemian Rhapsody. Da klingelt das Telefunken-Telefon. »Was, schon Zeit für unsere Schafkopf-Runde?«, denkt er sich mit Blick auf seine zur Konfirmation geschenkte Kienzle-Armbanduhr. »Komme schon!«, ruft er in den Hörer.

 

Sie haben es gemerkt: Die klangvollen Namen in dieser Geschichte, die nicht nur die Ausstattung des Wohnzimmers meiner Eltern zierten, sondern das Alltagsleben einer ganzen Generation begleiteten, sind Schnee von gestern. Die erwähnten Unternehmen gingen allesamt insolvent. Zwar leben ihre Marken teilweise weiter, doch mit der Organisation, die sie ursprünglich repräsentierten, haben sie nicht mehr viel zu tun.
Was ist mit diesen prägenden Marken passiert? Und: Wie viele von den heute florierenden Unternehmen wird es in 20 oder 30 Jahren noch geben? Vor allem aber: Wie steht es um die Zukunftsperspektiven Ihres Unternehmens?

 

Scheitern aus doppeltem Grund

Warum werden Unternehmen nicht alt? Nun gut, viele Unternehmen scheitern, bevor sie überhaupt richtig loslegen können. Ihr Produkt ist nicht marktreif, die Finanzierung nicht gesichert, die Leistungserstellung zu teuer. Andere hören auf, eigenständig zu existieren, weil die Eigentümer keine Nachfolger finden oder Kasse machen wollen und daher das Unternehmen für Übernahmen und Fusionen freigeben.

 

 

Oliver Greiner: „Touchdown! Das Strategiebuch. Wie Unternehmen unschlagbar werden“, Murmann Verlag, 301 Seiten, 48 Euro https://shop.murmann-verlag.de/de/item/touchdown-oliver-greiner

 

Doch woran scheitern Unternehmen, die sich bereits etabliert haben und eigentlich unabhängig bleiben wollen? Wie kann es sein, dass solche Unternehmen nach Jahren des Erfolges plötzlich in wirtschaftliche Schieflage geraten, während andere sich über Jahrzehnte im Auf und Ab der Märkte an der Spitze bewähren?

Natürlich können Sie Gründe in internen Verfehlungen wie Betrug oder Größenwahn finden. Hierzu gehören zum Beispiel die Pleiten von Enron, FlowTex, der Neuen Heimat. Auch unvorhersehbare Veränderungen der Rahmenbedingungen wie zum Beispiel politische Krisen, Naturkatastrophen oder plötzliche konjunkturelle Einbrüche können stolze Unternehmen brechen und das Aus bedeuten.

 

Ich bin allerdings davon überzeugt, dass nur ein geringer Anteil der Insolvenzen auf externe Faktoren zurückzuführen ist, auf die man sich als Unternehmen nicht hätte
einstellen können. Was ist dann der große Killer etablierter Unternehmen?
Gemeinerweise ist es ein Doppelmörder. Er führt auf der einen Seite zum
Verlust der konzeptionellen Stärke des Unternehmens und auf der anderen
Seite zum Verlust seiner Umsetzungsstärke. Mit dem Verlust der konzeptionellen Stärke bezeichne ich den Wegfall der Andersartigkeit in wichtigen Komponenten des Geschäftsmodells.

 

Der Verlust der Umsetzungsstärke bedeutet, dass die Fähigkeit erodiert, ausgewählte, vom Kunden erwartete Leistungsmerkmale besser bereitzustellen als der Wettbewerb.
Was heißt das genau? Mit dem Verlust der konzeptionellen Stärke geht die Andersartigkeit in wichtigen Komponenten des Geschäftsmodells verloren, etwa die abnehmende Attraktivität des Produktportfolios, das Aussterben des klassischen Zielkundensegments, die Verwässerung der Marke, die Erodierung der Schnittstelle zum Kunden oder die veraltete Produktionslogik. Das Unternehmen verliert zunehmend an Attraktivität für seine Kunden, die sich sukzessive interessanteren Konkurrenten zuwenden.

Als ob das nicht schon schlimm genug wäre, gibt es noch jenen zweiten fundamentalen Grund für das Scheitern etablierter Unternehmen: den Verlust der Umsetzungsstärke. Betroffene Unternehmen werden mit Blick auf vom Kunden erwartete Leistungsmerkmale nicht mehr als besser empfunden als alternative Anbieter – sie sind also nicht pünktlicher, zuverlässiger, schneller, freundlicher, partnerschaftlicher, serviceorientierter undsoweiter als ihre Wettbewerber. Vielleicht deswegen, weil sich der Schlendrian im Unternehmen breitgemacht hat, die Motivation der Mitarbeiter
verloren gegangen ist oder vergangene Erfolge die Organisation blind gemacht haben für nötige Prozessoptimierungen. Vielleicht ist man sogar noch genauso gut wie früher – nur reicht das als Vorteil einfach nicht mehr aus, weil der Wettbewerb sich schneller weiterentwickelt hat.

 

Sowohl der Verlust der konzeptionellen Stärke als auch der Verlust der Umsetzungsstärke kann Unternehmen vor fundamentale Herausforderungen
stellen, wenn es ihnen nicht gelingt, die eine durch die jeweils andere Eigenschaft auszugleichen. Besonders unangenehm wird es, wenn beide Schwächen gleichzeitig auftreten. Schauen wir uns beide Problemzonen einmal genauer an.

 

 

Der Verlust der konzeptionellen Stärke

Die konzeptionelle Stärke umfasst im Grunde die Wesensmerkmale, durch die sich die Geschäftslogik eines Unternehmens von den Wettbewerbern unterscheidet. Dazu können einzigartige Produkte und Leistungen gehören, eine hervorgehobene Stellung bei ausgewählten Zielkunden, eine starke Marke, eine besondere Form der Leistungserstellung undsoweiter. Je austauschbarer ein Unternehmen in diesen Merkmalen wird, umso mehr droht es in eine »Metoo«-Position abzurutschen – also von den Kunden nicht mehr als originell, innovativ oder in anderer Weise unterscheidbar wahrgenommen zu werden, sofern es nicht schon vollkommen irrelevant für sie geworden ist.

 

Der Videoverleiher Blockbuster war ein solches Unternehmen, welches am Verlust seiner konzeptionellen Stärke gescheitert ist. Zu lange hielt man am klassischen Geschäftsmodell fest, statt, wie Netflix, rechtzeitig auf Streamingdienste zu wechseln. Die bekannte Spielwarenkette Toys “R” Us musste in den USA Insolvenz anmelden, da sie konzeptionell keinen Weg fand, dem Onlinehandel von Amazon ausreichend Paroli zu bieten. Heidelberger Druck erkannte zu spät, dass digitaler Druck dem
analogen vorgezogen wird, und stand eine Haaresbreite vor der Pleite.
Nokias Erfolgskonzept des Handyherstellers für die Massen zerplatzte,
als das iPhone mit dem einfachen mobilen Zugang ins Internet viel mehr
ermöglichte als das reine Telefonieren.

 

Prominentestes Beispiel für den Verlust konzeptioneller Stärke ist aber natürlich Eastman Kodak. Noch in den 1970er-Jahren war Kodak nach Börsenwert einer der fünf größten Konzerne der Welt – heute kaum noch vorstellbar. Zu dieser Zeit entwickelt ein Kodak-Ingenieur die erste Digitalkamera. Das Ding sah sehr klobig aus, die Qualität der Bilder war miserabel und ein direkter Angriff auf das existierende Geschäftsmodell.
Also Digitalfotograie lieber nicht vorantreiben – denken sich auch andere Größen der Branche wie Agfa oder Fujiilm. Mit ihrem Festhalten an der alten Welt werden Kodak & Co. irrelevant und schlittern in die Insolvenz.

 

Nur Disruption? es geht um mehr

Ja, könnten Sie nun einwenden, bei diesen Beispielen geht es speziell um
das Phänomen der Disruption von Unternehmen durch neue Möglichkeiten
der Digitalisierung. Tatsächlich hat dieses Erklärungsmuster im Zusammenhang mit dem Scheitern ehemals stolzer Unternehmen eine große Popularität gewonnen. Das ganze Silicon Valley folgt dem mit diesem Schlachtruf verbundenen Versuch, etablierte Unternehmen in ihren Grundfesten anzugreifen und sie konzeptionell in die Bedeutungslosigkeit zu schicken.

Nicht wenige Disruptoren haben in den letzten Jahren komplette Branchen auf den Kopf gestellt – so Airbnb, Uber oder Amazon. Ihr unternehmerisches Gesamtkonzept erwies sich dem der etablierten Unternehmen als überlegen oder zumindest als ernsthafte Bedrohung. Airbnbs Idee, einen Community-Marktplatz für Buchung und Vermietung von Unterkünften zu gründen, eröffnete vielen Kunden eine Alternative zu teuren oder
langweiligen Angeboten etablierter Hotelanbieter. Uber schaffte es, eine attraktive
Alternative zu klassischen Taxiunternehmen zu etablieren. Und Amazon verbindet einfachen Zugang, große Auswahl, günstige Preise und herausragenden Kundenservice zu einem Ganzen, das so in Handelsunter nehmen vorher nicht bekannt war.

 

Kein Zweifel: Wenn wir über das Scheitern von Unternehmen sprechen, gehört Disruption zu einem der wichtigsten Auslöser. Es wäre aber ein Fehler, den Untergang einst fest etablierter Unternehmen ausschließlich nach dem Disruptionsmuster erklären
zu wollen. Aus meiner Sicht steht das Scheitern durch Disruption für eine besonders
dramatische, technologisch getriebene Variante einer gewichtigeren Ursache, welche sich in einer Vielzahl von Formen und Geschwindigkeiten äußern kann: Es geht um den Verlust konzeptioneller Stärke!

 

So ist beispielsweise Schlecker nicht an der Digitalisierung oder plötzlich
auftretenden »disruptiven« Wettbewerbern gescheitert, sondern an seiner
Unfähigkeit, sein ursprünglich so großartiges Geschäftsmodell den neuen
Kundenerwartungen anzupassen. Was war passiert? 1967 eröffnet Anton Schlecker sein erstes SB-Warenhaus. Als 1974 mit der Änderung des »Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen« die Preisbindung für Markenartikel für unzulässig erklärt wird, erkennt er die Chance und eröffnet seinen ersten Drogeriemarkt. Er setzt konsequent auf günstige Preise und nüchterne Filialausstattung. Zwanzig Jahre später
gilt Schlecker als Marktführer mit einem flächendeckenden Filialnetz.
Nach weiteren 20 Jahren war es dann vorbei: Das Unternehmen wurde
mit großem Getöse zerschlagen. Drogerieketten wie dm, Rossmann oder
Müller hatten mit attraktiveren Ladenkonzepten, zeitgemäßeren Sortimenten,
guten Innenstadtlagen usw. eine attraktivere Alternative geboten.
Schlecker passte sein Konzept dennoch lange nicht an; als er es tat, war es
zu spät.

 

Wenn die Umsetzungsstärke verloren geht

So dramatisch der Verlust an konzeptioneller Stärke für viele Unternehmen
auch ist: Selbst wenn Sie sich strategisch vom Wettbewerb nicht unterscheiden,
muss das nicht zwingend heißen, dass Ihr Unternehmen nicht erfolgreich sein kann. Im Gegenteil, auch ein »Me too«-Unternehmen kann sehr profitabel sein – wenn es in der täglichen Umsetzung generischer Leistungsmerkmale besser ist als seine Wettbewerber. Gemeint sind Vergleichsmaßstäbe, die von Kunden über alle alternativen Angebote hin weg angesetzt werden, um die Leistung von Anbietern
zu beurteilen. Da zu zählen Merkmale wie Pünktlichkeit, Zu verlässigkeit,
Geschwindigkeit, Kundenorientierung, Flexibilität und Preise.

 

Umsetzungsstärke spielt immer dann eine große Rolle, wenn viele Wettbewerber
mit ähnlichen Konzepten um die Gunst der Kunden buhlen. Versetzen
Sie sich mal in die Rolle des Inhabers eines Reisebüros. Nicht nur,
dass ihm das Internet Kunden abwirbt – auch die vielen konkurrierenden
Reisebüros ein paar Ecken weiter kämpfen mit ähnlichen Konzepten
um die Kundschaft. Und das nicht besonders erfolgreich: Zwischen 2005
und 2017 ist jedes dritte Reisebüro verschwunden.

 

Klar, Reisebüro-Manager könnten nun ihr Heil in neuen Konzepten suchen – Fokussierung auf spezielle Reiseziele, grundlegende Überarbeitung des Filial-Layouts, Kooperationen mit anderen Veranstaltern. Gehen wir jedoch mal davon aus, sie hätten kaum Möglichkeiten, an ihrer konzeptionellen Stärke zu arbeiten. Auch dann bräuchten sie den Kopf nicht in den Sand zu stecken – sie können durch eine hohe Umsetzungskompetenz zum Liebling der Kunden werden. So bewarb beispielsweise der Deutsche Reiseverband DRV einen Kurs zum Thema: »Service 2.0 – Mit
neuer Servicequalität besser als der Wettbewerb«. Das Versprechen lautete: »Es ist Zeit, dass Sie Ihre Kunden nicht nur erstklassig beraten, sondern dass so gut wie alle Kunden auch tatsächlich bei Ihnen buchen! … Nach dem Seminar verstehen Sie noch besser, wie Sie sich mit echtem Service vom stationären und Onlinewettbewerb absetzen.«

 

Die dahinterstehende Philosophie: Wenn sich Reisebüros konzeptionell kaum noch unterscheiden – dann eben mit der umsetzungsorientierten Fähigkeit der Mitarbeiter
exzellenten Service anbieten! Nicht nur Serviceunternehmen wie Reisebüros, Apotheken, Friseure undsoweiter müssen aufgrund der konzeptionellen Vergleichbarkeit ihrer Geschäftsmodelle darauf achten, ihre Umsetzungskompetenz hoch zu halten.

 

Auch in produzierenden Unternehmen ist der Verlust der konzeptionellen
Stärke ein häufiges Ereignis, welches Sie unter dem Stichwort »Commoditisierung« kennen. Selbst bei komplexeren Produkten und Dienstleistungen werden Nachahmer immer schneller wettbewerbsfähig. Und sie über nehmen nicht nur Produktideen: Auch Marketingansätze, Vertriebszugänge, Preisstrategien, Kompetenzprofile undsoweiter werden zunehmend austauschbar. Hohe Umsetzungsstärke bedeutet in solchen Fällen zunächst die Fähigkeit, günstiger produzieren zu können. Aber eben nicht nur das.
Hohe Umsetzungsstärke kann sich auch in einer besseren Serviceorientierung
äußern, einem höheren Kundenwissen, schnellerer und zuverlässigerer Lieferung undsoweiter.

 

Doch was ist, wenn man bei ähnlichen Leistungsangeboten nicht durch eine exzellente Umsetzungskraft punkten kann? Dann ist der Niedergang vorprogrammiert. So scheiterte beispielsweise der ehemals größte Bauer Europas, die KTG Agrar AG, 2016 an mangelnder Umsetzungskompetenz. Nach dem Börsengang 2007 gaben viele Anleger dem Unternehmen Geld. Sie glaubten an den alten Grundsatz: Gegessen wird immer! Und deswegen zeichneten sie eine Anleihe nach der anderen. Immerhin stellte
sich das Unternehmen als größter Biogetreideproduzent in Deutschland dar. Damit befand es sich konzeptionell in derselben Wettkampfarena wie viele andere, kleinere Biobauern. Die Strategie beruhte auf Umsetzungsstärke – insbesondere durch Nutzung von Skaleneffekten. Doch durch Missmanagement innerhalb des Konzerns konnte diese Stärke nicht ausgespielt werden.

 

Der KTG-Konzern, der rund 100 Tochtergesellschaften hatte und circa 45 000 Hektar Land beackerte, wurde, so die Insolvenzverwalter Denkhaus und Ockelmann, ein »undurchsichtiges Firmengelecht«. KTG verfüge über »keine transparenten Finanz- und Controllingsysteme« und sei stark auf die Führung durch eine einzelne Person, nämlich den Gründer und Vorstandsvorsitzenden Siegfried Hofreiter, zugeschnitten. Dieser regierte – so die „FAZ“ – in seinem Betrieb wie ein König. Wichtige Entscheidungen traf er weitgehend im Alleingang. Und auch nach außen hin gab er sich
»geradezu selbstherrlich« und ließ sich mit einem Helikopter zu Geschäftsterminen im ganzen Land liegen. Die Verwaltungskosten sind hoch, die Effizienz der Prozesse ist schwach. Als die Preise für Getreide an den Weltmärkten zwischen 2011 und 2016 um fast 20 Prozent fallen, ist das Schicksal der KTG besiegelt.

 

Wenn alles zusammenkommt: Das Beispiel Grundig

In vielen Fällen ist der Verlust der konzeptionellen Stärke und der Umsetzungsstärke eng verknüpft und verstärkt sich in der Wirkung da durch: Zu nehmende Austauschbarkeit bei strukturellen Wesensmerk malen deckt Schwächen im Umsetzungskonzept gnadenlos auf. Abnehmende Umsetzungsstärke lässt konzeptionelle Schwächen des Geschäftsmodells deutlich spürbar werden. Besonders schlimm wird es, wenn beide Faktoren gleichzeitig erodieren. So, wie es einem großen Unternehmen der deutschen Wirtschaftsgeschichte einst erging: Grundig.
Grundig stand einmal für Fortschritt und Qualität »Made in Germany«. Heute fast vergessen: Das Unternehmen war mit seinen Radios und Fernsehern mal Europas größter Gerätehersteller, mit seinen Tonbandgeräten sogar weltweit führend.

 

Ende der 80er-Jahre beschäftigt Grundig 38 000 Mitarbeiter und gilt als eine Ikone der deutschen Elektroindustrie. Doch ab dann geht es rasant bergab. 2003 ist das Unternehmen pleite. Was war passiert? Mit Blick auf die Stärke der Umsetzung gelang es nicht, die Organisation so auszurichten, dass sie dem Preisdruck asiatischer Wettbewerber hätte Paroli bieten können. Zwischen 1990 und 2004 fiel der Durchschnittspreis für einen Fernseher um durchschnittlich zwei Prozent pro Jahr. Heute ist ein Effizienzgewinn in dieser Höhe für viele Unternehmen Standard.
Doch Grundig hatte nicht die Umsetzungskompetenz, diesen Preisverfall
innerhalb der Organisation aufzufangen. So gelang es beispielsweise nicht,
die Produktion auf die neuen Marktanforderungen auszurichten. Zwar schloss Grundig die Werke in Spanien und Frankreich, aber die resultierende Konzentration auf die Produktion an weniger Standorten brachte nicht die erhofften Effizienzgewinne.

 

Mit einem selbstherrlichen, dominantem Choleriker an der Spitze fehlt Unternehmen die richtige Kultur für Marktanpassungen

Der Versuch einer Verlagerung der Produktion in »Low Cost Countries« fand gar nicht erst statt. Dem Unternehmen widerstrebte es, die Produktion in günstigere Gefilde auszulagern, da es davon ausging, dass die geforderte Grundig-Qualität dort nicht produziert werden könne. Im Ergebnis herrschten viel zu hohe Produktions- und
Strukturkosten vor, die auf die Produkte umgelegt wurden. Als besonders verheerend für die Umsetzungsstärke wird zudem der Führungsstil der Geschäftsführung, speziell des Gründers Max Grundig, beschrieben. Er wird als cholerisch, selbstherrlich und dominant bis zur Schmerzgrenze geschildert. Da sich der Rest der Führungsriege an diesem Vorbild orientierte, fehlte dem Unternehmen die richtige Kultur, sich an
Märkte anzupassen.

 

Das besserte sich auch nicht, als Max Grundig im April 1984 ausschied und der Philips-Konzern die Leitung der Grundig AG übernahm. Schwächen im Rahmen der Umsetzung hätte Grundig abfedern können, wenn das Unternehmen seine ursprüngliche konzeptionelle Brillanz hätte fortsetzen können. Die aber war über die Jahre erodiert. Die Sortimentsvielfalt war viel zu gering und zu wenig innovativ, um Kunden in ausreichender Zahl anzuziehen. Andererseits waren die Produkte aber auch
nicht exklusiv genug, um in einer margenträchtigen Nische einen Platz zu
finden. Es gelang Grundig nicht, neue technische Standards durchzusetzen,
wie die Japaner es mit ihrem VHS-System für Videorekorder schafften.

 

Verharren statt Umzudenken

Viele der Produkte waren zur Commodity geworden. Dennoch verharrte Grundig im angestammten Portfolio. Versuche, in verwandten Bereichen wie der Sicherheitstechnik, der numerischen Steuerung oder der Bürokommunikation eigene Wege zu finden, gab es nicht. Über die Jahre war das einstige Paradeunternehmen Grundig weder besonders anders noch prozessual besser als seine Wettbewerber. Ende 1996 war Philips zu einem Rückzug auf die Position eines Minderheitsaktionärs
genötigt, nachdem im Zeitraum von 1992 bis 1995 das »Abenteuer Grundig« die Holländer 1,5 Mrd. DM (circa 800 Mio. Euro) gekostet hatte. Eine Auffanggesellschaft versuchte zu retten, was zu retten war. Am 14. April 2003 beantragte Grundig die Eröffnung des Insolvenzverfahrens.

In Summe erodierte das Potenzial des Unternehmens aber schon lange vor der Insolvenz. Was für ein Niedergang eines großen Namens! Unternehmen, die ihre konzeptionelle Stärke und die Umsetzungskompetenz ihrer Unternehmungen nicht kontinuierlich pflegen und ausbauen, werden über kurz oder lang die illustre Liste der untergegangenen Unternehmen ergänzen. So beunruhigend diese Erkenntnis auch ist – Sie können sie nutzen. Denn in ihr stecken die Lösungen, mit denen Sie die Ihnen
anvertrauten Bereiche für die Zukunft rüsten können.

 

Der neue Blogger-Relevanz-Index 2018

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Alle Kommentare [1]

  1. Scheint ein interessantes Buch zu sein. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob sich das mit dem Erfolg so leicht auf 2 „Geheimnisse“ reduzieren lässt.

    Unternehmen planen nunmal Investitionen mit bestimmten Ungewissheiten. Sie stecken viel Geld in Projekte in der Hoffnung, dass sich die Dinge so entwickeln, wie sie es gedacht haben. Wenn sich dann alles anders entwickelt, dann gibt es eben oft kein zurück mehr.

    Grundig hatte zum Beispiel viel Geld in Video 2000 geteckt. Hat sich aber nicht durchgesetzt, weil die Japaner mit VHS gewonnen haben. Man sagt, dass haben sie der Pornoindustrie zu verdanken, aber das ist ein anderes Kapitel.

    Jedenfalls ist es immer leicht hinterher zu sagen, dass es dumm war das Geld in eine Aktivität zu stecken. Leider weiß man das vorher nicht, sondern man geht manchmal Risiken ein. Und irgendwann macht man einen Fehler und dann kommen die Firmen, die (zufällig) richtig lagen und fressen dann die Verlierer auf.